Künstliche Intelligenz im Marketing

Vom Dashbutton zum Decision Making

10.10.2019 von Andres Dickehut
Der Dashbutton der Kaffeemaschine trägt Sorge, dass die Koffeinquelle nicht versiegt. Können wir hier schon von KI sprechen? Wo fängt die künstliche Intelligenz an und wann und wo ihre Sinnhaftigkeit für Marketingautomation?

In einer aktuellen Umfrage von Quantcast und Forbes Insights beteuern die befragten Marketingentscheider die Relevanz von KI für die Zukunft ihrer Unternehmen (Indo nur gegen Lead-Abgabe erhältlich). Über die Hälfte versprechen sich sowohl höhere Umsätze als auch eine intensivere Kundenbindung. Dafür, so die Studie, ist eine beträchtliche Bereitschaft zu Investitionen vorhanden. Investitionen, die dementsprechend nicht in andere Technologie wie Cloud Computing fließen und dem Marketer etwas ermöglichen sollen, was bis dato unerreichbar schien: eine datengestützte Argumentationsgrundlage für strategische Entscheidungen.

Die Entscheidung, welches Gericht den Kunden als Angebot gezeigt wird, muss nicht mehr vom Küchenchef getroffen werden. Einen intelligenten Wechsel der Angebote macht KI zum Beispiel mögich.
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Durch KI-Tools und die ihnen zugrunde liegende Datenbasis sollen Marketers Erkenntnisse gewinnen, die Entscheidungen für bestimmte Kanäle oder Kampagnen rechtfertigen und stützen. Solch aussagekräftige Daten, konzentriert aus einer kritischen Masse schier unendlicher Kunden- und Bewegungsdaten, gelten wahrlich als das neue Gold. Mit ihrer Hilfe kann es gelingen, Marketingprozesse von der Zielgruppen-Analyse über passenden Content bis zu optimiertem Customer Journey Mapping und Loyalty-Maßnahmen so zielgerichtet und agil wie möglich zu gestalten. Dazu müssen die folgenden KI-Zahnräder ineinandergreifen.

Der Pool

Aller Anfang ist Big Data. So kann erst eine kritische Menge gesammelter Daten als belastbare Basis für jegliche Form künstlicher Intelligenz bestehen. Stehen qualifizierte Informationen in ausreichender Menge parat, kann KI hieraus Wissen sammeln, Erkenntnisse ableiten, Algorithmen festlegen und im nächsten Schritt Prozesse automatisieren. Damit sie kontinuierlich dazulernt, muss KI über maschinelles Lernen in einen Trainings-Dauermodus versetzt werden. Das Training erst befähigt smarte Hard- und Software-Komponenten, Entscheidungen zu „überdenken“, indem sie via Mustererkennung sehen, was funktioniert und was nicht. Ohne eine umfangreiche Datenbasis jedoch kann keine KI existieren.

Lesetipp: Artificial Intelligence - das Training macht den Unterschied

Der Prozess

Automatisierte Prozesse als Resultat erfolgreichen KI-Einsatzes können den Marketingentscheider umfassend bei der Analyse von Zielgruppen, Märkten und Trends unterstützen. Verlässliche Informationen, die Auskunft über Vorlieben der Kunden und Etappen der Customer Journey geben, führen zu wertvollem Insiderwissen und damit zu mehr Kundennähe. Die hier gewonnenen Insights bilden wiederum die Grundlage für agile Digitalmarketing-Kampagnen, die über fließende Datenanreicherung während des Kampagnenverlaufs in Echtzeit angepasst werden können.

Roundtable Digital Customer Experience (DCX)
Boris Bohn, Arithnea
„Auf dem Weg zu einer sehr guten Digital Customer Experience befinden wir uns erst auf den ersten fünf von 100 Metern. Die Firmen haben erkannt, dass es verschiedene Touchpoints für die Ansprache des Kunden gibt. Aber in der konkreten und übergreifenden Ausgestaltung stehen wir noch am Anfang.“
Christian Schacht, Capgemini
„In Deutschland steht bei vielen Unternehmen der Kunde oft nicht mit seinen Bedürfnissen im Mittelpunkt, sondern nur als Käufer und Nutzer eines Produkts, das sie herstellen. Das gilt auch bei digitalen Produkten.“
Dominik Lorenz, Creditreform Boniversum
„Das Frontend vieler Websites ist ansprechend, der Kunde wird gut geleitet und an die Hand genommen, doch wenn er kaufen will, ist der Bezahlprozess zu kompliziert, oder seine bevorzugte Bezahlart wird nicht unterstützt. Der Besucher bricht ab und wechselt zu einem anderen Anbieter.“
Orhan Dayioglu, Showpad
„Die deutschen Firmen können sich mittlerweile nicht mehr so stark wie früher durch ihre Produkte differenzieren. DCX hat an Bedeutung gewonnen. Wir müssen vom Monolog weg hin zum Dialog mit den Kunden, um deren Bedürfnisse zu erfahren und dann die passenden Lösungen zu bieten.“
Vanessa Dommnich, Batten & Company
„Ein ganzheitlicher Ansatz wird für die Kundenbindung im digitalen Zeitalter immer wichtiger. Firmen können ihre Kunden heute dank neuer Technologien über deutlich mehr Kanäle ansprechen. Damit die Kunden eine End-to-End-Experience erhalten, benötigen Firmen unter anderem auch eine bessere Datenbasis, die Integration von Informationen aus CRM, Marketing, ERP oder Controlling sowie Schnittstellen zwischen den Abteilungen sicherstellt.“
Ralf Wiesmann, Accenture
„Die Kombination von Online- und Offline-Welt ist der Heilige Gral. Wer das hinbekommt, hat gewonnen. Firmen müssen hier agil sein, viele Dinge ausprobieren und Prozesse ändern, wenn sie nicht funktionieren. Die Firmen können damit den Kunden auf seiner Customer Journey viel besser begleiten, lange Wartezeiten bei der Hotline entfallen durch den direkten Kontakt.“
Jens Thuesen, BSI Business Systems Integration AG
„Häufig kann der Kunde online kein Feedback hinterlassen. Diese No-Reply-Mentalität muss weg. Viele Firmen vergessen zudem die Integration der digitalen Kanäle. Ohne eine Verknüpfung von Daten weiß der Mitarbeiter im Online-Chat nichts über die Historie des Kunden und was ihn gerade bewegt.“
Frank Sinde, Damovo
„Die Zusammenführung der einzelnen Kanäle funktioniert nur unzureichend. Es gibt kaum fertige Schnittstellen. Da Firmen viel selbst programmieren müssen, werden die Projekte sehr teuer und dauern lange in der Umsetzung. Um wirklich gute DCX zu erhalten, müssen Firmen die Mitarbeiter mitnehmen und deren Mindset auf Kundenorientierung umpolen. Customer Experience funktioniert nur mit Employee Experience, sprich der Akzeptanz bei den Mitarbeitern.“
Jürgen Spieß, SHE
„Firmen brauchen einen hohen Speed am Markt und müssen insbesondere im Frontend agil sein, um schnell auf Kundenbedürfnisse reagieren zu können. Hier besteht oft eine Diskrepanz zwischen den internen ERP- oder Bestandsführungssystemen mit langen Release-Zyklen und modernen Microservices. Bei der Integration müssen die Anwender eine gute Balance finden.“

Der Inhalt

Nach wie vor führt der Weg zum Kunden über die Botschaft, den Content. Das führt die Diskussion zurück zum maschinellen Lernen, zum Aufspüren des Kundenbedürfnisses. Eine KI-gestützte Content-Strategie berücksichtigt gesammelte Kundeninformationen und verknüpft sie zu einem Thema, das beispielsweise in Form eines perfekt getimten Newsletters an eine Kundengruppe verschickt wird.
Dabei ist KI zunehmend auch in der Lage, Content mit zu kreieren. An dieser Stelle sollten wir jedoch zwischen leicht zu produzierenden, wiederholbaren Inhalten, wie Produktbeschreibungen, und wirklich kreativen Texten unterscheiden.

Lesetipp: Websit Content - Vom Thema zuim Beitrag

So ist KI beispielsweise in der Lage, eine Fahrzeugbeschreibung aus bereits bestehendem Vokabular zu erstellen, ein Slogan aber wie „Freude am Fahren“ entspringt nur einem klugen Kopf, keinem Algorithmus. Zusammenfassend lässt sich in puncto Hoffnungshorizont festhalten, dass KI in der Marketingautomation, Stand heute, Big Data nutzen, Prozesse definieren und beschleunigen sowie Marketers bei Routineaufgaben entlasten kann.

Das Periodensystem der KI

Mit dieser Annahme zur Range der Möglichkeiten lohnt die Betrachtung des Periodensystems der KI. Die visuelle Übersicht des Branchenverbands Bitkom adressiert Entscheider in Unternehmen, die sich „mit der Auswahl, der Einführung und dem Betrieb von KI-basierten Systemen konfrontiert sehen“. Die an das chemische Periodensystem angelehnte Einteilung verdeutlicht, welche Elemente der KI im Marketingumfeld Sinn ergeben und prioritär zum Einsatz kommen können.

[Da] wie Data Analytics

Big Data, im Digitalmarketing also der Schatz an Informationen zu Kunden und ihrem Surf- und Kaufverhalten, bildet die Basis für den Einsatz dieses KI-Elements. Da ein angereicherter, datenschutzkonform aufgestellter und idealerweise zentral verwalteter Datenpool ohnehin das Herzstück einer Marketingabteilung oder eines Onlineshop-Betreibers sein sollte, bietet sich Data Analytics als Einstieg in KI-nutzendes Marketing an. Laut Definition macht [Da] relevante Informationen in einem Datenkorpus ausfindig und identifiziert so zum Beispiel Verkaufstrends. Ihr Einsatz eröffnet dem Marketer durch Zeitersparnis Freiräume für kreative Kampagnenplanung und unterstützt seine Analysen durch den Blick auf bislang unbekannte Muster. Wer diese Komponente nutzen möchte, kann auf eine Software für Marketingautomation zurückgreifen, die über eine zentrale Datenbank alle Daten wie Kundenprofile, Besucherverhalten und E-Commerce in Interaktion verwaltet und anreichert. Liegen marketingrelevante Datenquellen ohne Vorhandensein einer entsprechenden Software in verschiedenen Systemen vor, so müssen diese im ersten Schritt zusammengeführt werden, um das Potenzial automatisierter Analyseprozesse nutzbar zu machen.

[Pi] wie Predictive Inference

Data Analytics steht in einem klaren Bezug zum KI-Element Predictive Inference und bietet einen Nährboden für die Erstellung von Prognosen. Dabei stellt [Pi] eine statistische Verbindung zwischen den bestehenden Kundeninformationen und fixen Ausgangswerten her. Durch Verknüpfungen bilden sich Vorhersagen, beispielsweise Kaufwahrscheinlichkeiten oder Klassifizierungen für Vorlieben. Eine bekannte Anwendung von [Pi] ist der Spamfilter, der ankommende Datensätze, hier E-Mails, analysiert und kategorisiert.

Für datengestütztes Marketing erweist sich der Einsatz der Komponente als nützlich, weil Marketers zum Beispiel durch die Funktion Best Send Time Optimization den Versandtermin ihrer E-Mailings für jeden einzelnen Empfänger optimieren können. Der gewählte Zeitpunkt ist von der KI gelernt und basiert darauf, wann der Kunde in der Vergangenheit seine E-Mails geöffnet hat. Die Prognose zur Öffnung der Nachricht erhöht also die Chance für das Öffnen der Nachrichten. Um [Pi] zu nutzen, ist eine granulare Datenbasis das A und O. Oft bieten CRM-Systeme keine Voraussetzung für derart segmentierte Informationen zu Kunden – sie tragen die Optionen nicht in ihrer Produkt-DNA. Für den hohen Nutzen, den diese Daten-Kategorisierung für die Marketingautomation mit sich bringt, lohnt der Blick auf den Markt, der KI-taugliche Software bereithält.

[Dm] wie Decision Making

Vorhersagemodelle, die dank Data Analytics in Verbindung mit Predictive Inference entstehen, führen laut Bitkom-Periodensystem zu Decision Making [Dm]. Sind die Hausaufgaben gemacht, kann das KI-Element Decision Making zum Einsatz kommen, um automatisierte Entscheidungen zu treffen. Eine Software, die ahnt, was der Kunde morgen braucht, und ihm einen konkreten Vorschlag unterbreitet - dieser Wunsch steht dabei hinter der regen Diskussion zu [Dm]-Funktionen im Digitalmarketing.

Decision Making ist also das Gespür der KI, dem die datengetriebene, automatisierte Entscheidung innerhalb einer Auswahl an Möglichkeiten folgt. Dabei soll das Element die beste Alternative unter Berücksichtigung aller Parameter und Bedingungen auswählen. Als populäres Beispiel sei hier das autonome Fahren genannt, bei dem die KI Entscheidungen im Straßenverkehr trifft. Im Marketing fallen die Entscheidungen zugegebenermaßen weniger dramatisch aus. Hier werten Algorithmen zum Beispiel Produktkäufe aus und erstellen für jedes Kundenprofil individuelle Prioritätenlisten mit Produktvorschlägen. Diese spielt selbstlernende Marketingsoftware autark via personalisierter E-Mail oder im Online-Shop aus. Solche Engines berücksichtigen Produkt-Bundles automatisiert und schließen auf Basis der Vorhersagemodelle Saison- sowie Promotion-Artikel mit ein.

Zum Video: Vom Dashbutton zum Decision Making

Es tut sich was …

Wer die Aufgaben und Möglichkeiten betrachtet, von denen die oben erwähnten Elemente nur einen kleinen Auszug darstellen, der kommt schnell zur Erkenntnis, dass KI-gestütztes Marketing nicht ohne Experten erfolgreich sein kann. Die Branche braucht neben Kreativen zunehmend auch Marketing-Mitarbeiter, die sich als Datenanalysten verstehen. Menschen, an der Schnittstelle zwischen IT, Marketing und Forschung, die sich auf maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz verstehen und sich darauf fokussieren. Fließen diese Kompetenzen an zentraler Stelle zusammen, ergibt sich ein hoher Mehrwert für Marketers. Die Herausforderung besteht darin, den personellen und finanziellen Invest einzuschätzen und gegen den Nutzen abzuwägen, den KI-getriebenes Marketing mit sich bringt. Branche, Unternehmensgröße, Kundenstruktur sowie der konkrete Einsatzbereich von KI bilden dabei maßgebliche Faktoren.