Deutscher Markt für Enterprise Content Management

Verwirrung im ECM-Markt

24.09.2008 von Sascha Alexander
Der Markt ist hart umkämpft, konsolidiert sich aber nur langsam. Angesichts dessen, was Unternehmen bisher in punkto ECM machen, gibt es noch ein großes Umsatzpotenzial.

Seit Analysten den Terminus Enterprise-Content-Management (ECM) erschufen, um dem bisherigen Dokumenten-Management eine weitergehende Bedeutung zu geben, wird philosophiert, welche Produktgruppen jenseits der klassischen Software für Archivierung und Dokumentenverwaltung dazugehören.

Ebenso fällt es schwer, verlässliche Marktzahlen beizubringen, da die Herstellerlandschaft insbesondere hierzulande extrem fragmentiert ist und viele, die sich selbst als ECM-Anbieter bezeichnen, nicht börsennotiert sind. Hinzu kommt, dass Produkte über indirekte und direkte Vertriebskanäle gehen, so dass sich die Umsätze oft schwer zuordnen lassen (siehe zur bisherigen Marktentwicklung auch den Beitrag "2007: Der Markt für Enterprise-Content-Management- vom Hype zur Lebensader").

Dargestellt sind laut Gartner die Umsätze in Deutschland mit Software für das Dokumenten-Management und zum Aufbau dokumentenzentrierter Prozesse, die zusammen die Bestandteile einer ECM-Suite bilden.

Hersteller

Umsatz 2007 (in Millionen Dollar)

Marktanteil 2007 (in Prozent)

Open Text

88,4

31,8

IBM

72,0

25,9

EMC

26,0

9,3

Interwoven

10,3

3,7

Microsoft

3,4

1,2

Vignette

2,9

1,1

Oracle

1,0

0,3

Andere

74,1

26,6

Gesamtmarkt

278,0

Marktvolumen schwer zu schätzen

Die Berater von Zöller und Partner hatten es letztes Jahr dennoch mit einer Berechnung für den deutschsprachigen Markt versucht. Auf Basis der Umsatzzahlen der Hersteller beziehungsweise Schätzungen (das Unternehmen fragt in seinen Ausschreibungen regelmäßig die Umsatzzahlen über die vergangenen drei Jahre ab) ergab sich für 2007 ein Gesamtvolumen von 1,2 Milliarden Euro, das man laut Geschäftsführer Bernd Zöller mittlerweile auf etwa 1,5 Milliarden Euro nach oben revidiert hat. Nur ein Teil davon sind Lizenzeinnahmen, denn die meisten Hersteller erzielen mehr als die Hälfte ihrer Umsätze mit Wartung und Support. Hinzu kommen zu einem "nicht unerheblichen Umsatzanteil" Projektdienstleistungen.

Zahlen zum deutschen Markt liefern zudem die Analysten von Gartner (siehe Tabelle "Der ECM-Markt"). Trotz der geschilderten Schwierigkeiten kommen sie zu einem klaren Ranking für 2007, nach dem Open Text die Nummer eins nach Lizenzumsatz war (kürzlich kaufte der Hersteller den Posteingangsspezialisten Captaris). Zugleich fällt der Softwareanteil am Gesamtumsatz mit 278 Millionen Dollar (etwa 175 Millionen Euro) noch wesentlich geringer aus als nach den Schätzungen von Zöller und Partner.

Der härteste Markt der Welt

Eine Konsolidierung auf Anbieterseite, wie sie derzeit beispielsweise der Softwaremarkt für Business Intelligence erlebt, ist trotz mancher kleiner Übernahmen im letzten Jahr nicht erfolgt -zumindest nicht unter den Generalisten. Zwar finden sich hierzulande die großen, international aufgestellten Hersteller IBM/Filenet, EMC/Documentum und Open Text, doch sind diese trotz vermehrter Anstrengungen (zumindest von IBM) bisher nicht zu einer mächtigen Konkurrenz für die stark auf den Mittelstand und Branchen ausgerichteten lokalen Anbieter geworden. So sagt man den hiesigen Anbietern nach, dass sie dank ihrer größeren Kundennähe und besserer Reaktionsfähigkeit eher davon profitieren, wenn die Großen die ECM-Trommel rühren. Laut dem Verband Organisations- und Informationssysteme (VOI) bieten derzeit über 50 Hersteller im deutschsprachigen Raum umfangreiche Dokumenten-Management-Systeme an, die sich teilweise funktional durchaus mit den Branchenriesen messen können (siehe auch die VOI-Marktübersicht zu Dokumenten-Management in Deutschland). Manche Analysten rechnen damit, dass in den nächsten Jahren sogar weitere Anbieter auf den hiesigen Markt drängen. Schon heute dürfte der deutsche Markt der wettbewerbsintensivste der Welt sein, so Zöller.

Kundenwünsche steigen

Jenseits der Definitionen und Umsatzschätzungen geben sich die Anbieter hierzulande optimistisch, wie zuletzt die Branchenmesse DMS Expo in Köln und Umfragen des VOI zeigten. Und tatsächlich profitiert der ECM-Markt seit längerem von einer Reihe von Entwicklungen: die wachsende Dokumentenflut und mit ihr steigende Verwaltungs- und Personalkosten, Compliance-Anforderungen in Bezug auf eine revisionssichere Archivierung und Dokumentation sowie der Wunsch nach einer stärkeren Automatisierung und Prozessorientierung bei der Dokumentenverarbeitung sind nur einige davon (Lesen Sie auch den Ratgeber zum Thema E-Mail-Archivierung). Zugleich beginnen derzeit Anwender mit einer Vielzahl an Content-Systemen ihre Anwendungslandschaft zu bereinigen, berichtet Zöller. Ziel sei eine Migration der reinen Archivsysteme zu Komplettlösungen, die unterschiedliche fachliche Anforderungen abdecken können, inklusive Postkorb/Workflow, Aktenverwaltung, Microsoft Office, File-System- und Mail-Archivierung, Portalintegration etc.

ECM wird Teil der Infrastruktur

Viele Unternehmen rechnen ECM-Produkte heute zum festen Bestandteil ihrer IT-Infrastruktur, da sich ohne diese Systeme die ehemals analogen und digitalen Dokumente und Unterlagen nicht mehr ordnungsgemäß verwalten lassen. "Immer mehr Firmen sehen ein, dass die traditionelle Ablage und Recherche allein keine signifikante Verbesserung der Unternehmenssituation ermöglicht", bringt es Martin Böhn, Analyst beim Business Application Research Center (Barc) in Würzburg, auf den Punkt. Zugleich steigen die Anforderungen der Firmen an die Produkte und Anbieter, was den Entwicklungsaufwand in die Höhe treibt (Lesen Sie auch den Ratgeber zur Auswahl von ECM-Systemen). So wünschen sie sich Lösungen für die automatische Dokumentenklassifikation, elektronische Formularanwendungen, die Einbindung in Portalumgebungen und Wissens-Management-Lösungen, automatisierte Abläufe (Dunkelverarbeitung, Workflow) sowie eine tiefere Integration der ECM-Lösung in die heterogene Anwendungslandschaft.

Größere Client-Vielfalt

Damit einher geht laut Analyst Böhn auch die Nutzung bisheriger ECM-Clients. Statt wie bisher "einen Client für alle" Endbenutzer einzuführen, bekommt nun jede Anwendergruppe ihre eigene Benutzeroberfläche. Dies betrifft sowohl die Ausgestaltung der Masken (verfügbare Funktionen, angezeigte Indexfelder etc.) als auch die Art des Clients. So nutzen Anwender mit einem hohen Anteil an dokumentenorientierten Arbeiten und entsprechenden Anforderungen klassische "Fat Clients" (als Windows- oder Web-Anwendung). Anderen Anwendern ist vor allem eine gute Integration in bestehende ERP- und Office-Anwendungen wichtig. Anbieter haben auf diese Wünsche reagiert, wobei insbesondere die Einbindung des ECM-Systems in den "Windows Explorer" von Microsoft Office zu den größten Neuerungen vieler Produkte in den letzten 18 Monaten gehörte, so Böhn.

Microsoft und SAP beleben den Markt

Interessant dürfte in der kommenden Zeit auch die Resonanz auf den "Microsoft Office Sharepoint Portal Server 2007" und SAPs ECM-Strategie sein, die derzeit intern neu formuliert wird. Diese Initiativen fordern laut Böhn die etablierten Hersteller heraus. Um nicht in einen schwer zu gewinnenden Konkurrenzkampf zu geraten, da viele potenzielle Kunden die Produkte dieser Hersteller bereits im Einsatz haben, positionierten die Anbieter ihre Software als Ergänzungsprodukt und versuchten durch eine (tiefe) Integration und den Aufbau von Lösungen auf diesen Plattformen einen Kundenmehrwert zu schaffen. Damit komme neuer Schwung in das Thema Unternehmensportale.