Studie

Unternehmen unterschätzen Transformationsprojekte

18.08.2023 von Martin Bayer
Der Umstieg auf neue Prozesse, Systeme und Plattformen ist komplex und wird von vielen Betrieben noch immer unterschätzt. Das hat eine aktuelle Umfrage von NTT Data und Natuvion ergeben.
Sich zu transformieren ist nicht einfach. Allerdings führt kein Weg daran vorbei. Aussitzen oder Abwarten ist jedenfalls keine sinnvolle Alternative.
Foto: Darkdiamond67 - shutterstock.com

Politische Instabilitäten, Handelskonflikte, Pandemie und Krieg - Krisen prägen unsere Zeit. Dabei werden Schwachstellen in den Unternehmen schonungslos offengelegt, seien es Löcher in den Lieferketten, die ganze Produktionslinien lahmlegen können, oder mangelnde Flexibilität, wenn es darum geht, die Belegschaft remote arbeiten zu lassen.

Umso wichtiger wird die digitale Transformation. Allerdings haben die Unruhen der vergangenen Jahre die damit verbundenen Projekte in vielen Unternehmen kräftig durchgeschüttelt. Nur knapp drei von zehn Unternehmen, die im Rahmen der Transformationsstudie 2023 von NTT Data und Natuvion befragt wurden, haben erklärt, an ihrem Fahrplan festzuhalten. 35 Prozent haben Projekte priorisiert und vorgezogen. Allerdings werden angesichts wirtschaftlich schwierigerer Zeiten und mauer Konjunkturaussichten auch Projekte verschoben (19 Prozent) oder sogar ganz gestrichen (18 Prozent).

Digitale Transformation - hier bleiben Sie auf dem Laufenden

Für die Studie wurden Vertreter aus 630 mittelständischen und großen Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz (DACH), in Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden (Nordics) sowie aus Großbritannien und den USA befragt. Alle Befragten gaben an, ein Transformationsprojekt entweder aktuell durchzuführen oder innerhalb der vergangenen beiden Jahre abgeschlossen zu haben. Das sind die wichtigsten Fragen und Antworten.

Warum überhaupt transformieren?

Als Hauptgrund für ihre Transformation nennen 46 Prozent der Befragten organisatorische Anpassungen und Restrukturierungen in ihren Betrieben. Darüber hinaus spielen mit jeweils 36 Prozent der Nennungen Kostensenkungen und die Verbesserung des Kundenservice wichtige Rollen.

Als weitere Motivatoren folgen die Einführung neuer Geschäftsmodelle sowie die Flexibilisierung der eigenen Organisation, um schneller auf Markterfordernisse reagieren zu können. Das sagen etwa drei von zehn befragten Unternehmen.

Veränderungen der Organisation und Kostensenken sind die Hauptgründe für Transformationsprojekte.
Foto: NTT Data / Natuvion

Regional gibt es deutliche Unterschiede. Während in den USA die Verantwortlichen mit ihren Transformationsanstrengungen vor allem auf organisatorische Anpassungen und einen besseren Kundenservice abzielen, steht in der DACH-Region das Thema Kostensenkungen ganz oben auf der Prioritätenliste. Auffällig an dieser Stelle: Gerade einmal ein Viertel der befragten Betriebe nennt die Steigerung der eigenen Innovationsfähigkeit als Motivationsgrund für die Transformation. Offensichtlich vertraut man eher dem Althergebrachten und Bewährten, mit dem man in der Vergangenheit sein Geld verdient hat.

Das Geld spielt auch aus einem anderen Blickwinkel eine zentrale Rolle. Auf die Frage, was passiert wäre, wenn die Transformation nicht stattgefunden hätte, antworteten mehr als 40 Prozent, dies hätte zu höheren Kosten geführt. Inkompatibilitäten zu neuen Technologien, langsame Geschäftsentscheidungen und umständliche Prozessanpassungen wären für rund ein Drittel der Befragten die Folgen einer nicht erfolgten digitalen Transformation. Gut 30 Prozent befürchteten gar den Verlust der eigenen Wettbewerbsfähigkeit.

Was kostet die Transformation?

Nicht verwunderlich: Je größer das Unternehmen, desto größer das Budget für die Transformationsprojekte. Die Hälfte der befragten Betriebe hat sich das Transformationsvorhaben zwischen 100.000 und einer Million Euro kosten lassen - nicht eingerechnet die damit verbundenen Softwarekosten. Gut jeder fünfte hat dafür zwischen einer und fünf Millionen Euro budgetiert, rund jeder siebte zwischen fünf und 20 Millionen Euro. Jeweils acht Prozent kamen entweder mit weniger als 100.000 Euro aus beziehungsweise haben richtig tief in die Tasche gegriffen und mehr als 20 Millionen Euro für die digitale Transformation ausgegeben.

Viele Firmen nehmen viel Geld für ihren digitalen Wandel in die Hand.
Foto: NTT Data / Natuvion

Auffällig dabei: Nur gut jeder Zehnte hat sich nicht verschätzt und ist innerhalb des selbst gesteckten Budgetrahmens geblieben. Rund 55 Prozent der befragten Betriebe haben die geplanten Kosten um bis zu 20 Prozent überschritten, ein knappes Viertel lag zwischen 20 und 50 Prozent über dem angepeilten Budget. Das restliche Zehntel dürfte den eigenen Finanzchef mit einer deutlichen Budgetüberschreitung von bis zu 100 Prozent ziemlich geärgert haben.

Wer entscheidet über Transformationsvorhaben?

Maßgeblich bestimmen in den meisten Unternehmen (jeweils über die Hälfte) die Geschäftsführung beziehungsweise die IT-Abteilungen über Transformationsvorhaben. Aber auch Fachabteilungen haben ein gewichtiges Wörtchen mitzureden, in erster Linie die Finanzabteilung (30 Prozent) und das Personalwesen (20 Prozent). Dagegen sind Vertrieb und Marketing in nur gut jedem zehnten Betrieb in solche Transformationsvorhaben involviert.

Dabei wollen die meisten kein Risiko eingehen. Transformationsprozesse betreffen Geschäftsabläufe und Systeme, die in aller Regel für die betroffenen Unternehmen kritisch sind. Sicherheit geht vor, sagt daher fast jeder zweite Befragte. Diese Gruppe versucht vor allem, Risiken zu minimieren, egal ob das damit verbundene Transformationsvorhaben dann länger dauert. Ein gutes Viertel der Befragten ist dagegen bereit, für einen potenziell schnelleren oder größeren Projekterfolg höhere Risiken in Kauf zu nehmen. Der Rest erklärte, eine möglichst ausgewogene Balance zwischen Sicherheit und Risiko zu suchen.

Dazu passt das Vorgehensmodell. Fast die Hälfte der befragten Unternehmen entschied sich für eine schrittweise Transformation über einen längeren Zeitraum, um Risiken zu minimieren und ein kontrolliertes Vorgehen zu gewährleisten. 43 Prozent der Befragten bevorzugten mehrere größere Etappen. Lediglich jede/r Zehnte organisierte die eigene Transformation in einem "Big Bang" zu einem bestimmten Stichtag.

Was wird im Zuge der Transformation ausgewechselt?

Wer sich transformiert und Geschäftsabläufe sowie Technologien modernisiert, muss sich zwangsläufig irgendwann die Systemfrage stellen - auch in Sachen ERP. Doch nur rund ein Viertel der Befragten hat im Rahmen der eigenen Transformation tatsächlich seinen ERP-Anbieter gewechselt. Drei Viertel blieben beim Hersteller ihrer Wahl.

Es gibt allerdings deutliche regionale Unterschiede. Während in den USA gut die Hälfte erklärte, ERP-System und -Hersteller ausgewechselt zu haben, waren es in der DACH-Region gerade einmal 17 Prozent. Schlusslicht mit gerade einmal zwölf Prozent ERP-Wechslern war SAP-Land Deutschland.

Interessante Erkenntnis an dieser Stelle: Unternehmen, die den ERP-Anbieter gewechselt haben, sind weniger zufrieden mit ihrem Transformationsprojekt und bestätigen seltener, dass sie alle ihre Transformationsziele vollständig erreicht haben. Betriebe, die ihrem Anbieter treu blieben, sind tendenziell zufriedener mit dem Erfolg ihrer Transformation und haben die Ziele, die sie sich gesetzt haben, überwiegend erreicht.

Etliche Systeme sind schon deutlich in die Jahre gekommen - gerade in Deutschland.
Foto: NTT Data / Natuvion

Der Löwenanteil - knapp die Hälfte - der im Zuge von Transformationsvorhaben ausgewechselten Softwaresysteme war zum Zeitpunkt der Ablösung zwischen sechs und zehn Jahre alt. Auffällig an dieser Stelle: IT-Systeme in der DACH-Region waren zum Zeitpunkt der Auswechslung zumeist älter als in den anderen Regionen. Speziell deutsche Unternehmen halten länger an ihren Softwarelösungen fest, schreiben die Studienautoren.

Das hat Folgen. Die meisten Transformationsprojekte (zirka drei Viertel) wurden mit einer Laufzeit von bis zu zwei Jahren geplant. Dieser Zeitraum umfasst neben der Vorbereitungs-, auch die Umsetzungs- und Nachbearbeitungsphasen des Vorhabens. Dabei rechnet etwa die Hälfte der Unternehmen in den Regionen Nordics, Großbritannien und den USA mit einem Zeitrahmen von maximal zwölf Monaten. Dagegen planen Betriebe in der DACH-Region mehr Zeit für ihre Transformation ein. Man könnte daraus schließen, dass sie vor größeren Herausforderungen stehen, heißt es in der Studie. So könnten die durchschnittlich älteren Systeme in der DACH-Region ein Grund für die längere Projektlaufzeiten sein.

In Sachen Plattform geht der Trend eindeutig in Richtung Cloud. Mehr als zwei Drittel der Befragten gaben an, im Zuge ihres Transformationsprojektes mehr Cloud-Dienste zu nutzen als zuvor. Keine größeren Bewegungen in der Plattformfrage gibt es bei etwa 20 Prozent der Betriebe. Nur gut jedes zehnte Unternehmen gab an, weniger Cloud-Services einzusetzen.

Was sind die Herausforderungen?

Zu schaffen macht den Verantwortlichen im Zuge ihrer Transformationsplanungen vor allem die damit verbundene Komplexität. Gut vier von zehn Befragten nannten diesen Punkt als größte Herausforderung. Insgesamt scheinen die Organisation und das Staffing derartiger Vorhaben keine leichten Aufgaben zu sein.

Transformationsvorhaben sind komplex.
Foto: NTT Data / Natuvion

Im Ranking der größten Herausforderungen folgen fehlende Personalressourcen (37 Prozent), ein erhöhter Abstimmungsaufwand zwischen allen Beteiligten (30 Prozent) sowie das fehlende Transformations-Know-how der Mitarbeitenden und die Analyse der bestehenden IT-Landschaft und Daten mit jeweils 28 Prozent.

Dazu passen die Antworten auf die Frage, welche Schwierigkeiten die Verantwortlichen im Zuge der Umsetzung überrascht haben. Dabei wurde die fehlende Kompetenz der eigenen Mitarbeiter als eine der größten Überraschungen identifiziert. Des Weiteren wurden offenbar Probleme mit der Datenqualität und knappe Ressourcen sowie mangelnde Erfahrung im Management und der Organisation großer Projekte nicht in dem Umfang vorausgesehen, wie sie später im Rahmen des Transformationsprozesses auftauchten.

Im Projekt selbst wurden viele Betriebe vom fehlenden Know-how ihrer Mitarbeitenden überrascht.
Foto: NTT Data / Natuvion

Die schlechte Datenqualität belegt in Deutschland mit 35 Prozent der Nennungen sogar mit Abstand den ersten Platz bei den unliebsamen Überraschungen. Das sei allerdings wenig verwunderlich, wenn man sich das Alter der Systeme vor der Transformation anschaue, heißt es in der Studie. Hier zeige sich, dass deutsche Betriebe am längsten an alten Systemen festhielten.

Angesichts dieser Ergebnisse kommen die Studienautoren zu der Erkenntnis, dass etliche Unternehmen ihr Transformationsprojekt wahrscheinlich unterschätzt haben. Beobachte man die Einschätzung einiger IT-Analysten, so dürfte sich das Thema Ressourcenknappheit und die daraus resultierenden Probleme weiter verschärfen, heißt es in der Studie.

Wie gelingt die digitale Transformation?

Aus einer technischen Perspektive bilden die Daten den Dreh- und Angelpunkt für ein Gelingen des Transformationsprozesses. Gut die Hälfte der Befragten bezeichneten die Prüfung der Datenqualität als wichtigen Faktor, weitere 42 Prozent die Steigerung der Datenqualität. Als weitere wichtige technische Maßnahmen wurden Analysen der Bestandssysteme (49 Prozent) sowie die Einrichtung von Testsystemen (39 Prozent) genannt. Diese Ergebnisse seien ein Beleg dafür, wie wichtig sogenannte "Housekeeping"-Projekte im Rahmen einer Transformation seien, schreiben die Studienautoren. Der Anschaffung neuer Software oder Hardware messen die befragten Unternehmen dagegen eine eher nachgeordnete Bedeutung zu.

Datenqualität prüfen und Bestandssysteme checken - das sind die wichtigsten technischen Maßnahmen im Vorfeld.
Foto: NTT Data / Natuvion

Organisatorisch geht es aus Sicht der Unternehmen vor allem um den Aufbau neuer Kompetenzen, das Umsortieren von Verantwortlichkeiten und das Projektmanagement. Allerdings wird Change Management nur von 15 Prozent der befragten Betriebe als wichtige organisatorische Maßnahme im Transformationsprozess genannt. Das könnte auch daran liegen, dass Change Management oft als eine Art übergeordnete Strategie betrachtet wird, die viele der anderen Maßnahmen beinhaltet, heißt es im Studienbericht.

In der Organisation geht es vor allem darum, neue Kompetenzen aufzubauen.
Foto: NTT Data / Natuvion

Die Umfrageergebnisse machen zudem deutlich, dass es keinen Königsweg für die Transformation gibt, der für alle Unternehmen passt. Es gibt unterschiedliche Pfade, die jeder für sich Vor- und Nachteile mit sich bringen, und auf die Anforderungen der Betriebe passen müssen. Ein Drittel der Befragten (32 Prozent) wählte eine Brownfield-Migrationsstrategie, bei der alle bestehenden Daten und Prozesse auf das neue System migriert werden. Unternehmen, die sich für diesen Weg entschieden, suchten in der Regel den schnellsten Weg für ihr Migrationsprojekt.

Was Sie über Change Management wissen müssen

Ein Greenfield-Ansatz, der einen kompletten Neuanfang auf der grünen Wiese vorsieht, wurde von 27 Prozent der Befragten bevorzugt. Etwa ein Fünftel der Befragten entschied sich für eine Kombination aus selektiver Datenmigration sowie Brownfield- oder Greenfield-Methode. Die verbleibenden 21 Prozent bevorzugten eine selektive Datenmigration, bei der nur ausgewählte Daten übertragen wurden.

Was sind die wichtigsten Erfolgsfaktoren in der Transformation?

Transformationsprozesse stehen und fallen mit dem Wissen über Daten und Prozesse. Als wichtigste Erfolgsfaktoren nannten die Befragten die Transparenz über alle Daten (37 Prozent), tiefes Know-how der eigenen Prozesse (35 Prozent) sowie das Wissen und die Dokumentation zu den bisher eingesetzten Systemen (33 Prozent).

Über die eigenen Daten und Prozesse bescheidwissen - damit steht und fällt ein Transformationsvorhaben.
Foto: NTT Data / Natuvion

Gefragt nach den wichtigsten Resultaten ihrer Transformationsprojekte, gaben 38 Prozent der Unternehmen gesteigerte Effizienz an. 28 Prozent bezeichneten Kosteinsparungen als größten Erfolg, vor mehr Transparenz (20 Prozent). Eine bessere Innovationsfähigkeit war dagegen lediglich für 14 Prozent der Befragten ein bedeutender Pluspunkt im Zuge ihres Transformationsprojektes.

Mehr Effizienz und weniger Kosten - das sind die maßgeblichen Erfolge in Transformationsprojekten.
Foto: NTT Data / Natuvion

Außerdem wollen die Unternehmen agiler und schneller werden. Rund ein Drittel der Befragten gab zu Protokoll, dass unternehmensrelevante Veränderungen in den künftigen Systemen innerhalb von ein bis drei Monaten umsetzbar sein müssten. Ein weiteres Drittel will derartige Veränderungen spätestens nach drei bis sechs Monaten umgesetzt sehen. Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung schnell anpassbarer IT-Systeme zur Umsetzung von Reaktionsschnelligkeit in einem Umfeld sich ständig verändernder Unternehmensanforderungen, lautet das Fazit der Studienautoren.

Bedenklich an dieser Stelle: Über alle Regionen hinweg gaben nur 63 Prozent der Befragten an, ihre Ziele vollständig erreicht zu haben. Für 36 Prozent wurde das Ziel zumindest teilweise erfüllt, während lediglich jede/r Hundertste beklagte, das Ziel gar nicht erreicht zu haben. Regional gibt es allerdings deutliche Unterschiede: In den USA erklärten 82 Prozent der Unternehmen ihr Ziel vollständig erreicht zu haben. In der DACH-Region waren es mit 55 Prozent nur etwas mehr als die Hälfte.

Fazit: Nach der Transformation ist vor der Transformation

Die Erfahrungen, die die Befragten mit ihrer Transformation gemacht haben, können dabei helfen, die richtigen Schlüsse für weitere vergleichbare Projekte zu ziehen. Auf die Frage, was sie bei der nächsten Transformation besser beziehungsweise anders machen würden, gab die Mehrheit der Befragten zu Protokoll, dass sie mehr Ressourcen (46 Prozent) und mehr Zeit (38 Prozent) für das Vorhaben einplanen würden. Jeweils ein Drittel erklärte, dass es sinnvoll wäre, sich früher mit der Thematik zu beschäftigen und auch wichtige Entscheider schon zu einem früheren Zeitpunkt einzubinden.

Aus Erfahrung wird man klug - beim nächsten Projekt würden die Verantwortlichen mehr Ressourcen und Zeit einplanen.
Foto: NTT Data / Natuvion