Kritik an Stellenkürzungen

Unruhe beim Atos-Umbau

05.08.2011 von Joachim Hackmann
Die ehemalige SIS kommt nicht zur Ruhe. Anonymen Forumsberichten zufolge tangiert der Umbau durch die neue Mutter Atos das Kerngeschäft.
Winfried Holz, CEO Atos Deutschland: "Vom Stellenabbau ist nur der indirekte Bereich in der Administration betroffen."
Foto: Atos

In einem Interview mit der COMPUTEWOCHE hatte Winfried Holz, CEO von Atos Deutschland, vor wenigen Wochen noch große Zuversicht über die Rolle des IT-Dienstleisters im europäischen Wettbewerb gezeigt (siehe "Atos schafft Aufbruchstimmung"). Mit der Integration der ehemaligen Siemens-Tochter Siemens IT Solutions and Services (SIS) könne ein bedeutender europäischer IT-Provider auf Augenhöhe mit Konkurrenten wie IBM und T-Systems entstehen, sagte der Manager. Dabei planten die beiden zusammengeführten Dienstleister von Beginn an mit Einschnitten bei der Siemens-Tochter.

Dem Zusammenschluss sollten in Deutschland 650 Stellen zum Opfer fallen. Holz kündigte an, dass nur Bereiche in der Verwaltung betroffen seien. Entsprechende Gespräche würden geführt. Die SIS-Belegschaft, die unter dem Eindruck jahrelangen Personalabbaus steht, ist offenbar nicht begeistert.

"Was derzeit passiert, kommt einem Kahlschlag nahe", schimpft ein CW-Leser im CW-Artikelforum. Anders als von Holz behauptet, würden auch Mitarbeiter im Kerngeschäft aufgefordert, "freiwillig" zu gehen. "Das schafft keine positive Stimmung. Es sorgt für Verärgerung und Unmut in der Belegschaft", beobachtet der CW-Leser mit dem Online-Pseudonym "solver". Die von Holz beschworene Aufbruchstimmung sei bereits verpufft.

Foto: Atos

Ein zweiter CW-Leser namens "Macher" formuliert seine Kritik etwas moderater, stimmt der Kritik im Grunde aber zu: "Die neue Organisation hat es nicht verstanden, die Mitarbeiter abzuholen und zu motivieren", schildert er seine Erfahrung. Ein überhasteter Umzug habe die Unzufriedenheit weiter geschürt. Zudem erwecke das Management den Eindruck, sich vor allem um Großprojekte zu kümmern. Die tägliche Arbeit für die Kunden und das Einhalten laufender Verträge bekämen nicht die erforderliche Aufmerksamkeit. "Hoffentlich wird sich das nach der Umformierung ändern, ansonsten wird der IT-Riese durch einen kleinen Stein zu Fall gebracht", warnt "Macher".

Atos betonte auf Anfrage der COMPUTERWOCHE, der Interessenausgleich sei zwischen der Geschäftsführung von Atos und dem SIS-Gesamtbetriebsrat ausgehandelt und in einer Gesamtbetriebsvereinbarung verabschiedet worden. "Ziel ist es, die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens nachhaltig zu verbessern und die Synergiepotenziale aus dem Zusammenschluss von Atos Origin und Siemens IT Solutions and Services im Verwaltungs- und Leitungsbereich zu heben", teilte Atos mit.

Dabei habe höchste Priorität, dass vertraglich vereinbarte Kundenleistungen störungsfrei erbracht werden. Erneut wies das Unternehmen darauf hin, dass der Stellenabbau sich auf Funktionen konzentriere, die nicht mit der unmittelbaren Leistungserbringung für Kunden befasst seien. Zudem entstünde im dynamischen IT-Servicemarkt auch immer wieder neuer Personalbedarf. Den werde man decken, indem man die eigene Belegschaft weiter entwickele und neue Kollegen einstelle.

Die IG Metall reagierte ebenfalls auf die Kritik der CW-Leser an der Mitarbeitervertretung. Sie stellte klar, dass der Gesamtbetriebsrat (GBR) der SIS GmbH den Interessenausgleich und Sozialplan abgeschlossen hat, nicht die IG Metall. Anlass sei der Wegfall von Headquarter-Funktionen insbesondere in München gewesen. Die Gewerkschaft versprach in ihrer Stellungnahme jedoch, den Stellenabbau zusammen mit dem GBR krtisch zu begleiten. Sie werde eingreifen, wenn etwa produktive, operativ tätige Beschäftigte abgebaut werden sollen.

Obwohl die IG Metall die europäische Lösung für SIS, also den SIS-Kauf durch die französische Atos, nur für die zweitbeste Lösung erachtet (nach einem Verbleib im Siemens-Konzern), sieht sie den neu entstandenen IT-Dienstleister auf gutem Weg. Dafür sorge die enge Geschäftsbeziehung zwischen Atos und Siemens. "Somit gibt es sehr wohl Grund für eine Aufbruchsstimmung, was auch viele Beschäftigte so sehen", schreibt die IG Metall. Im Rahmen der Kontrollmöglichkeiten werde man zusammen mit dem GBR darauf achten, dass diese Chance nicht durch falsche Entscheidungen des Managements vertan werde. Bisher habe man das Atos-Management sowohl in Deutschland als auch in der Zentrale bei Paris als sehr qualifiziert, motivierend und offen für die Belange der Arbeitnehmer kennengelernt. (jha)

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SIS-Geschichte
SIS in Kürze
Hier finden Sie einen kurzen Abriss über die Geschichte von Siemens IT-Services and Solutions (SIS) von 1995 bis 2010.
Januar 1995:
Der SIS-Vorgänger Siemens Business Services (SBS) wird als Gemeinschaftsunternehmen von Siemens und Siemens-Nixdorf Informationssysteme (SNI) unter Leitung von Friedrich Fröschl gegründet.
Dezember 1998:
Fröschl erwägt einen Börsengang in den USA, um potenzielle Übernahmen zu finanzieren. Er strebt eine weltweit führende Position an. Ein Auftrag in Großbritannien untermauert den Anspruch. Die britischen Sparkassen lagern für eine Milliarde Pfund an SBS aus.
November 2001:
Der gewonnene Deal erweist sich als faul. Er reißt SBS tief in die Verlustzone. Das Siemens-Management zweifelt an der SBS-Entwicklung. Fröschl muss gehen. Nachfolger wird Paul Stodden, der zuvor bereits Fujitsu-Siemens Computers saniert hatte.
Dezember 2001:
Stodden führt SBS wieder in die Gewinnzone, indem er die hohen Ansprüche zurechtstutzt, erste Märkte räumt und ein straffes Kosten-Management verfolgt. Die Marge liegt unter zwei Prozent. Das Siemens-Management fordert mindestens fünf Prozent bis zum Jahr 2004.
August 2003:
Der Umsatz schrumpft, die Marge entwickelt sich nicht wie erhofft. Stodden erwägt Entlassungen, sollte sich die schwierige Marktsituation nicht bessern.
Juni 2004:
Stodden geht. Adrian van Hammerstein, zuvor CEO von Fujitsu-Siemens Computers, kommt.
März 2005:
SBS will bis Ende des Geschäftsjahres 1000 Stellen streichen. Das Management verpflichtet alle Geschäftsbereiche, IT-Services von SBS zu beziehen.
April 2005:
Der neue Siemens-CEO Klaus Kleinfeld verpflichtet SBS auf eine Marge von über fünf Prozent in genau zwei Jahren.
September 2005:
Von Hammerstein geht, Christoph Kollatz kommt.
Oktober 2005:
SBS kündigt an, innerhalb von zwei Jahren 1,5 Milliarden Euro zu sparen und 5400 Stellen zu streichen.
Oktober 2010:
Unter Oeckings Leitung wird SIS als GmbH ausgegründet.
Dezember 2010:
Siemens verkauft SIS an Atos Origin . Damit schließt der Münchner Konzern endgültig das Kapitel der Kommunikations- und IT-Lösungen aus dem eigenen Haus.
Juli 2011
Am 1. Juli 2011 wurde die Übernahme der SIS durch Atos Origin offiziell abgeschlossen. Das dadurch entstandene Unternehmen firmiert unter dem Namen Atos. Es rückt im europäischen Ranking der größten IT-Service-Provider auf Rang zwei hinter IBM vor.