Offshoring und Cloud Computing

Umbrüche im Servicemarkt

23.04.2011 von Joachim Hackmann
Cloud Computing, Social Media und Business Analytics von Mitarbeiter und Prozesse der Service-Provider heraus.
Foto: Konstantin Sutyagin, Fotolia.de

Wenn IT-Dienstleister heute über Krise reden, dann nur in der Vergangenheitsform. Allenfalls der Mangel an IT-Spezialisten dämpft ihre Laune: Fehlende Fachkräfte drohen das derzeit rasante Wachstum zu bremsen. Die euphorische Stimmung erinnert an der Situation zur Jahrtausendwende, als der Branche beflügelt durch Jahr-2000-Projekte, Euro-Umstellung und Internet-Boom, alles zu gelingen schien. Anschließend fegten die Beratungskrise, das Spardiktat der Anwender sowie der Offshoring-Trend einige Anbieter vom Markt, es kam zur Konsolidierung.

Auch heute stehen der Branche enorme Umwälzungen bevor, darüber können die gut laufende Projekt- und Auslagerungsgeschäfte nicht hinwegtäuschen. Provider, die sich nicht rechtzeitig darauf einstellen, werden mittel- und langfristig scheitern. Ein Blick zurück lässt erahnen, welche Schicksale unbeweglichen Anbietern drohen:

SaaS-Anteil wächst beständig

Die wohl tiefgreifendste Veränderung für den gesamten IT-Markt geht vom Cloud Computing aus. Die Analysten von Forrester schreiben in einer Studie über die Zukunft des IT-Servicemarktes ("The Comming Upheavel In Tech Services"), die Bereitstellungen von IT-Diensten nach Bedarf werde zur Regel. Sie verweisen auf die kontinuierlichen Zuwächse des SaaS-Anteils (Software as a Service) am Anwendungsmarkt in den USA. Er stieg in den Jahren 2006 bis 2009 von zwölf Prozent auf 21 Prozent.

Zwar erwarten Marktbeobachter nicht, dass Unternehmen sofort ihre gesamte IT in die Cloud verlagern, zumal die Infrastrukturangebote (IaaS = Infrastructure as a Service) weniger ausgereift sind als ihre Software-Pendants. Doch in den kommenden zwei bis drei Jahren werden Anwender immer mehr isolierte IT-Segmente und von Altlasten unabhängige Neuinstallationen an Cloud-Provider übertragen.

Vordergründig ähnelt das Cloud-Betriebsmodell dem herkömmlichen Outsourcing. In beiden Fällen werden IT-Services einem externen Anbieter übergeben. Insbesondere in einer extern betriebenen Private Cloud stellt der Provider dem Anwender eine geschlossene Umgebung bereit (die er möglicherweise mit Geschäftspartnern teilt) und kann ihm transparent darstellen, wo beispielsweise Daten gespeichert werden. So behält der Eigentümer die Hoheit über seine Informationen.

Private Cloud verändert das Outsourcing-Geschäft

Ananth Krishnan, CTO bei Tata Consultancy Services: "Das ökonomische Cloud-Modell unterscheidet grundlegend von dem des Outsourcings."
Foto: Tata Consultancy Services

"Private Cloud ist eine evolutionäre Weiterentwicklung des Outsourcings, ergänzt um neue Technologien etwa zur Virtualisierung und zur einfacheren Nutzung und verbrauchsabhängigen, granularen Abrechnung", betont Ananth Krishnan, Chief Technology Office (CTO) bei Tata Consultancy Services (TCS) in Chennai, Indien. "Der Unterschied lässt sich an drei besonderen Attributen festmachen", erläutert der Manager. Erstens liege der Cloud die Virtualisierungstechnik zugrunde, die völlig neue Möglichkeiten der IT-Auslastung schaffe. Zweitens werde der IT-Bedarf schnell und exakt nach Anforderung befriedigt.

Änderungen etwa bei Speichermengen und Qualitätsanforderungen können Anwender in Self-Service-Portalen selbst umsetzen. Drittens bezahlten Anwender im Cloud-Betrieb nur für tatsächlich verbrauchte IT-Ressourcen, sie kaufen beispielsweise keine IT-Ressourcen mehr auf Vorrat ein. "Damit unterscheidet sich das ökonomische Cloud-Modell grundlegend von dem des Outsourcings", fasst Krishnan zusammen.

Die Anbieter verlieren damit den Komfort fester Rahmenverträge, wie sie es im Outsourcing gewohnt sind. Sie müssen schneller reagieren und bekommen weniger Geld je IT-Einheit. Der Trend hat Auswirkungen auf das gesamte Geschäft der Betriebsdienstleister, Sie können sich dem Begehren ihre Kunden nach mehr Flexibilität und günstigeren Kosten nicht dauerhaft widersetzen. TCS virtualisiert nach und nach die Rechenzentren, die der Provider für seine Kunden betreibt.

Damit könne man dem Kunden schneller zeitweilig benötigte Installationen etwa für Testumgebungen oder geschlossene IT-Pools für die Kunden und deren Partner oder Kunden bereitstellen, wirbt Krishnan für das Modell. Darüber hinaus wendet sich der Provider mit neuen Public-Cloud-Offerten an die vielen kleine indische Firmen ohne IT-Ausstattung. "TCS ist traditionell ein Unternehmen, das sich auf Großkunden konzentriert. Mit der öffentlichen Cloud können wir völlig neue Kundengruppen erschließen", beschreibt Krishnan die Vorteile des Modells für die Dienstleister.

Cloud Computing stärkt die großen Anbieter

Der IT-Bezug aus der Wolke wird das Anbieterspektrum verändern. Weil der Aufbau entsprechender Infrastrukturen teuer ist, begünstigt der Cloud-Trend vor allem die großen Provider. Sie nehmen den Kunden das Risiko eines schwankenden IT-Bedarfs ab und gleichen Lastspitzen zwischen verschiedenen Abnehmern aus. Je mehr Anwender sich virtualisierte IT-Ressourcen teilen, desto besser gelingt das. "Cloud Computing wird zu einem Service, den die Provider anbieten müssen, mit dem sie sich allerdings auch nicht differenzieren können", blickt Carsten Rossbach, Partner bei der Roland Berger Strategy Consultants GmbH, in die Zukunft.

"Provider sollten in den Regionen Europa, Asien und Nordamerika eine Position unter den Top drei anstreben, um langfristig profitabel wachsen zu können. Daneben wird es ausreichend Platz für Spezialisten in regionalen und funktionalen Nischen geben", beschreibt Rossbach das Zukunftsszenario. "Spannend wird es sein, wie sich das Mittelfeld sortiert." Möglicherweise ergeben sich neue Ökosystems und Partnerschaften. Wichtig sei es, eine relevante Rolle in der Cloud-Nahrungskette zu besetzen.

Standardisierung gefährdet Projektgeschäft

Die Nachfrage nach klassische IT-Dienste wird ab 2012 langsam sinken. Insgesamt wächst der Markt aber weiter.
Foto: Forrester Research

Der Trend zur Cloud und zu As-a-Service-Modellen ist eine folge davon, dass sich Anwenderunternehmen häufiger mit Standardlösungen begnügen. Sie akzeptieren funktionale Einschränkungen, wenn die Installationen stattdessen pflegeleicht, weniger personalintensiv und günstig sind. Das wird vor allem die System-Integratoren treffen, die in der Vergangenheit viel Geld mit individuellen Anpassungsarbeiten verdient haben. "Früher haben wir SAP-Projekte für Großkunden betrieben, die mit beispielsweise fünf Millionen Euro dotiert werden. Wenn wir heute eine SaaS-Lösung etwa von Salesforce.com integrieren, sind das Projekte im Wert von sagen wir mal 200 000 Euro", beschreibt Paul Hermelin, CEO von Capgemini, die Veränderung.

Zwar erwartet Forrester zunächst noch einen Anstieg der Umsätze mit klassischen IT-Dienstleistungen, doch im Lauf des Jahres 2012 soll der Scheitelpunkt dieser Entwicklung erreicht sein. Der Gesamtmarkt wächst weiterhin ordentlich (siehe Grafik), die Umsätze verschieben sich aber zusehends zu On-Demand- und Cloud-Angeboten. Gefragt sind künftig Standarddienste aus dem Baukasten und der IT-Wolke. Die dann noch nötigen Integrationsaufgaben haben nicht mehr die Anpassung von ERP- und CRM-Software an die Prozesse der Anwenderunternehmen zum Ziel, sondern die Anbindung von Public- und Private-Cloud-Diensten an vorhandene IT-Installationen. Dafür müssen die Beratungshäuser rechtzeitig ihr Portfolio umbauen und Know-how bei den Mitarbeitern aufbauen.

Interview Paul Hermelin
Paul Hermelin, CEO der Capgemini-Gruppe
Paul Hermelin, CEO der Capgemini-Gruppe, sprach mit CW-Redakteur Joachim Hackmann darüber, welche Herausforderungen Cloud Computing, Business Analytics, Mobility und der Fachrkräftemangel für IT-Service-Provider bereit halten.
Paul Hermelin über das Cloud Computing
Mit dem Cloud-Modell können Unternehmen den IT-Einsatz und die dadurch entstehenden Kosten transparent darstellen. Deswegen wird es einen großen Hunger nach Private-Cloud-Installationen geben.
Paul Hermelin über das Cloud Computing
Wir haben uns natürlich die Frage gestellt: Steigen wir in das Geschäft mit Infrastruktur-Leistungen aus der Cloud ein, oder konzentrieren wir uns auf die Rolle als Cloud-Broker? Angesichts der enormen Investitionen in Cloud-Dienste erschien es anfangs als unausweichlich, dass Capgemini sich auf die Rolle als Cloud-Broker konzentriert.
Paul Hermelin über das Cloud Computing
Es hat sich aber herausgestellt, dass wir Server von großen Anbietern wie HP, Cisco und IBM zu solch günstigen Konditionen einkaufen können, dass wir Cloud-Service absolut wettbewerbsfähig betreiben können.
Paul Hermelin über das Cloud Computing
Bevor Cloud Computing und on-Demand auf dem Markt kamen, haben Unternehmen für jeden Euro, den sie für eine Softwarelizenz bezahlten, weitere vier Euro für die Integration ausgegeben. Nun lautet die entscheidende Frage für uns: Was bleibt uns vom Kuchen?
Paul Hermelin über künftige Integrationsprojekte
Es zeigt sich, dass Bereiche innerhalb eines Unternehmens unabhängig voneinander SaaS-Lösungen anschaffen. Durch diese Entwicklung ergeben sich neue Integrationsaufgaben, da die unterschiedlichen Applikationen irgendwann wieder unter einem Dach zusammen geführt werden müssen.
Paul Hermelin über künftige Integrationsprojekte
Je mehr SaaS-Lösungen angeschafft werden, desto mehr Projekte fallen an. In Summe wächst also der Bedarf. Ich betrachte die Entwicklung in der IT-Servicewelt alles andere als pessimistisch.
Paul Hermelin über künftige Integrationsprojekte
Eine weitere große Triebfeder für Integrationsprojekte ist heute Mobility. Mehr und mehr Mitarbeiter haben heutzutage beispielsweise einen iPad. Für uns und unsere Kunden geht es darum, die Mobility Anforderungen richtig umzusetzen und einen Nutzen daraus zu ziehen.
Paul Hermelin über Business Analytics
Gerade in Deutschland wird Business Analytics durch den Vorstoß den SAP mit seiner in-Memory-Appliance „Hana“ heftig diskutiert. Es gibt so viele ungenutzte Daten in der IT-Welt. Wenn Anwender nicht vor der Datenflut kapitulieren wollen, brauchen Sie derartige Funktionen.
Paul Hermelin über den Fachkräftemangel
Wir brauchen mehr Absolventen, mehr Absolventen, mehr Absolventen. Für die europäischen Länder stellt sich die Herausforderung, mehr in Ausbildung zu investieren. Hier hat Europa enorme Defizite. In Indien verlassen jedes Jahr 350 000 IT-Spezialisten die Universität. In Deutschland nehmen zurzeit gut 38 000 Schulabgänger ein Informatik-Studium auf.

Insgesamt reduziert der Schwenk zu Standarddiensten den Aufwand für Einführungs- und Anpassungsarbeiten erheblich, und auch der Betreuungsaufwand wird mittelfristig schwinden. Forrester schätzt, dass die Maintenance-Kosten im SaaS-Umfeld um 60 bis 70 Prozent unter denen von traditionellen Softwarelösungen liegen.

"In unserer weltweiten Supply-Chain gibt es erste Anzeichen dafür, dass der Höhepunkt im Auslagern dieser traditionellen Mustern folgenden Softwarelösungen möglicherweise überschritten ist", formuliert es Gregor Pillen, Leiter der Unternehmensberatung IBM Global Business Services Deutschland, vorsichtig. "Reine ERP-Integrationsaufgaben werden weniger, weil immer mehr Shared Services und Cloud-Dienste nachgefragt werden. Die Auswirkungen schlagen sich vor allem bei den nachgefragten Skills unserer Mitarbeiter nieder. Wir müssen unsere Ressourcen zunehmend zu Themen wie Smarter Planet und Smarter Grid verschieben."

Globalisierung öffnet neue Märkte

Peter Schumacher, CEO der Value Leadership Group: "Deutsche IT-Dienstleister haben jegliches Risiko - was Offshoring betrifft - gescheut."
Foto: Value Leadership Group

Im Servicemarkt wird die Globalisierung in der Regel synonym zum Offshoring verwendet. Oft gehört es schon zum Alltag, IT-Projekte gemeinsam mit indischen, rumänischen, ägyptischen oder chinesischen Kollegen zu stemmen. Preisdruck und drohender Fachkräftemangel sind starke Argumente für ein Offshoring, das Verlagern von Aufgaben in entfernte Kompetenzzentren wird von Anwendern akzeptiert. Viele Dienstleister haben darauf reagiert und entfernte Niederlassungen aufgebaut beziehungsweise Partnerschaften mit Near- oder Offshore-Spezialisten vereinbart. Umgekehrt breiten sich vor allem die etablierten indischen Provider in Deutschland aus, und ihr Einfluss auf das hiesige Geschäft ist erheblich.

"Obwohl Offshoring in Deutschland vielleicht nur zwei Prozent Marktanteil hat, beeinflusst es durch den Preisdruck doch 25 Prozent des Marktes", schätzt Peter Schumacher, President und CEO des Beratungshauses Value Leadership Group. Oft gelangen sie in den Ausschreibungen der Unternehmen auf die Short List, um den Konkurrenten einzuheizen. "Deutsche IT-Dienstleister haben jegliches Risiko - was Offshoring betrifft - gescheut. Dadurch spielen sie im internationalen Wettbewerb keine bedeutende Rolle mehr", zieht Schumacher eine ernüchternde Bilanz.

Doch das ist nur die eine Seite der Globalisierungs-Medaille. Sie steht dafür, Niedriglohn-Länder in die Lieferketten zu integrieren. Nicht minder interessant ist der Blick auf die Chancen, die eine starke Präsenz in aufstrebende Märkte wie China, Indien und Brasilien bietet. Deutsche Unternehmehn sind dort aktiv, und sie erwarten von ihren IT-Dienstleister, ebefalls Flagge zu zeigen und internationale Projekte zu begleiten. "Zu den wichtigen Aufgaben der kommenden fünf Jahren zählen Transformationsprojekte, die unsere Kunden betreiben, um sich als global integrierte Unternehmen zu positionieren", beschreibt Pillen die Veränderung.

Als besondere Herausforderung empfindet der Manager, der IBMs Servicesgeschäft in Osteuropa sowie in Asien, Afrika und dem mittleren Osten von Dubai aus aufgebaut und einige Jahre geleitet hat, die Eigenheiten der verschiedenen Märkte zu verstehen und gut ausgebildete einheimische Experten zu finden. "Früher war für jeden IBMer ein Jahr in der Zentrale in Armonk Pflicht. Heute muss ich darauf achten, dass meine Berater zumindest zeitweilig in Projektarbeiten in Indien, China und Afrika stark eingebunden sind, damit sie erfahren, wie es dort läuft."

Mobilty und Social Media verändern Investitionsströme

Anwender ziehen heute anders Wertschöpfung aus der IT als noch vor ein paar Jahren. Früher waren es die Backend-Systeme, die für Effizienz in den internen Prozessen gesorgt haben, doch "betriebswirtschaftliche Standardsoftware und Systeme für das Rechnungswesen haben an Wichtigkeit verloren", beobachten die Forrester-Analysten. Die Aufmerksamkeit der Anwender konzentriere sich nun auf neue Wege im Marketing und aktuelle Formen der Kollaboration mit Kunden und Partnern.

"Die Investitionen für einen verbesserten Marktzugang gehen über die reine Sales Force Automation hinaus", so die Forrester-Analysten. Die Unternehmen bedienten sich der Möglichkeiten von Smartphones und Social Media, um Kunden im Verkauf und Service zu erreichen, oder um die Kommunikation und das Wissen der eigene Mitarbeiter über mehrere Niederlassungen zu kanalisieren.

"Social Media der ersten Generation ist vergleichbar mit Collaboration. Die zweite Generation in den Unternehmen integriert Geschäftsanwendungen mit Funktionen der sozialen Netze", beschreibt TCS-Manager Krishnan die aktuelle Entwicklung. Damit ließen sich interne wie externe Social-Media-Plattformen für die Kommunikation ebenso wie für Marktforschung, Recherche und als Feedback-Kanal nutzen.

Produkt- und Produktions-IT bieten große Chancen

Carsten Rossbach, Partner von Roland Berger Strategy Consultants:"Produktions- und Embedded-IT ist gerade in Deutschland ein enorm großer Markt, den die Provider noch nicht vollständig erschlossen haben."
Foto: Roland Berger Strategy Consultants

Eine wichtige Rolle für die Geschäftsentwicklung der Anwenderunternehmen spielen zudem intelligente Geräte wie Sensoren, Kameras und Ortungssysteme. Sie bilden die Grundlage für Neuerungen in der Lagerhaltung, in der Energievorsorgung und in der Medizin. "Früher haben sich die Service-Provider auf die klassische Backend-IT konzentriert. Daneben gibt es noch die Produktions- und Embedded-IT. Das ist gerade in Deutschland ein enorm großer Markt, den die Provider noch nicht vollständig erschlossen haben", meint Roland-Berger-Partner Rossbach. Die Voraussetzungen, um in diesem Geschäft erfolgreich zu sein, haben sich zuletzt erheblich verändert, denn die vormals in sich geschlossenen Produktionssysteme öffnen sich dem Internet Protocol (IP).

Hier erwartet Rossbach eine Entwicklung, die zehn Jahre zuvor schon die klassischen TK-Boxen aus dem Keller gefegt hat. "Heute ist die TK-Anlage ein Stück Software auf einem Standard-Server. Wir sehen heute bereits, wie der Erfolg des Internet Protocols dafür sorgt, die verschiedenen Schichten in der Produktions-IT zu entkoppeln. Einzelne Branchen und Unternehmen benötigen nach wie vor sehr spezifische Anwendungen, die immer häufiger auf Standard-Servern laufen", weiß Rossbach.

Mit der Öffnung kommen neue Aufgaben etwa in der Integration und Abschottung gegen Malware auf Produktions-IT zu. Hier haben klassische Provider enormen Erfahrungen und Geschäftsmöglichkeiten, wenn sie sich mit ihrem Know-how richtig aufstellen. Ein bemerkenswertes Indiz für die Bedeutung und Ausbreitung der IT in die Kernbereiche der Automobilbranche war beispielsweise der Auftritt von Ford-CEO Alan Mulally auf der CeBIT 2011.

Obwohl zeitgleich der Genfer Autosalon lief, ließ es sich der Top-Manager nicht nehmen, das neue Infotainment-System in den Ford-Autos auf der IT-Messe in Hannover anzukündigen, das auf Microsofts Betriebssystem "Windows Embedded Automotive" basiert. "Ford ist kein Anbieter von Consumer-Elektronik", betonte der weltweite Ford-Chef in einem Pressegespräch, daher arbeite man eng mit IT-Anbietern und -Dienstleistern zusammen.

Datenanalyse ist ein Muss

Die verschobenen Investitionsschwerpunkte zeigen, dass das Interesse der Unternehmen an Verarbeitung und Analyse von Daten enorm an Gewicht gewonnen hat. Früher boten die Software- und Prozesskompetenz Service-Providern die Chance, Kunden zu erreichen, künftig werden es nach Forrester-Einschätzung Business Analytics und Data Management sein.

"Die Anforderungen der Kunden konzentrieren sich zunehmend auf Speicherung, Management und Analyse von Daten. Das ist eine enorme Herausforderung", pflichtet Capgemini-CEO Hermelin bei. "Aus Kundensicht schafft Business Analytics völlig neue Möglichkeiten. Sie verknüpfen externe Daten, analysieren die Informationen um Vorhersagen über Marktentwicklungen zu treffen und haben dann eine Grundlage für Geschäftsentscheidungen."

Gregor Pillen, Leiter der Unternehmensberatung IBM Global Business Services Deutschland: "Entwicklungskapazitäten, die früher in ERP-Systemen gebunden waren, werden nun häufiger in Projekten für Decision-Support-Systemen und Business Analytics and Optimization benötigt."
Foto: IBM

Das stellt die Dienstleister vor ungewohnte Aufgaben. Hermelin verweist etwa darauf, dass für solche Projekte Mitarbeiter mit entsprechenden Fähigkeiten erforderlich sein. "Die finden wir zurzeit auch ganz wesentlich in Indien", verrät der Capgemini-CEO. Zudem verfolgt das Beratungshaus die Strategie, externes Know-how zu akquirieren. Anfang April kündigte das Beratungshaus bereits die Übernahme von Avantias in Frankreich an. Wettbewerber wie Accenture haben sich hier bereits einen Vorsprung erarbeitet. Bereits Mitte 2010 wurde die Übernahme des Analytics-Spezialisten CadenceQuest abgeschlossen. Ergänzend dazu unterhält Accenture eine Kooperation mit SAS, und auch die Übernahme die deutsche CAS Computer Anwendungs- und Systemberatung AG fügt sich ins Bild. Deren Kunden aus der Konsumgüterindustrie haben traditionell ein großes Interesse an der Auswertung von Kundendaten.

Noch intensiver ist die Transformation bei IBM zu beobachten. Bis weit ins neue Jahrtausend galt das Servicegeschäft als zukunftsträchtiges Standbein, doch seit einigen Jahren investiert IBM vor allem in die Übernahmen von Softwareanbieter im Business-Analytics-Geschäft. Dem Beratungsgeschäft schadet das keineswegs: "Entwicklungskapazitäten, die früher in ERP-Systemen gebunden waren, werden nun häufiger in Projekten für Decision-Support-Systemen und Business Analytics and Optimization benötigt", beschreibt IBM-Manager Pillen die Auswirkungen.

Preise für klassische IT-Dienste fallen

Paul Hermelin, CEO von Capgemini: "Der Mangel an Fachkräften wird zum größten Hindernis der wirtschaftlichen Entwicklung in Europa."
Foto: Sümer Cetin

Insgesamt zeigt sich, dass der Wert klassischer Dienstleistungen sinkt. Cloud Computing und Standardisierung machen immer größere Bestandteile der IT zu austauschbaren Massenprodukten. Zudem lässt sich schon seit geraumer Zeit durch das Offshoring ein anhaltender Preisverfall beobachten. "Deutsche Anbieter sollten sich mittelfristig von einigen Aufgaben verabschieden", rät Roland-Berger-Berater Rossbach. "Sie werden sich kaum in einem Markt behaupten können, in dem der Wettbewerb durch den Stundensatz eines Kodierers entschieden wird."

Die Service-Provider müssen sich stattdessen intellektuelles Kapital aneignen, das nicht ohne weiteres reproduzierbar ist. Rossbach empfiehlt den Anbietern, sich neben dem Servicevertrieb ein Produktgeschäft aufzubauen: "Die Rolle von Software und einem eigenen Kernel wird für klassische Service-Provider deutlich zunehmen. Ein auf Arbeitskraft basierendes Geschäftsmodell können Anbieter aus Niedriglohnländern ohne weiteres kopieren. Mit einem Stück Software zu Steuerung einer Fertigungsanlage geht das nicht." Geistiges Eigentum schaffe mehr Wettbewerbfähigkeit.

Viel Potenzial bieten zudem Branchen etwa im Maschinenbau und in der Prozessindustrie, wo deutsche Firmen zu Weltmarktführern zählen. In Produkte und Fertigungsprozesse integrierte IT öffnet sich allgemeinen Marktstandards wie dem Internet Protocoll (IP). Das bietet Dienstleistern enorme Entfaltungsmöglichkeiten, denn mit Risiken und Integration offener Systems haben sie jahrelange Erfahrung, die sie in derartige Projekten einbringen können.

Doch es fehlt an Informatikern und Ingenieuren, die die Brücke zwischen beiden Welten schlagen können. "In Indien verlassen jedes Jahr 350 000 IT-Spezialisten die Universität. In Deutschland nehmen zurzeit gut 38 000 Schulabgänger ein Informatik-Studium auf", bilanziert Capgemini-Chef Hermelin. "Der Mangel an Fachkräften wird zum größten Hindernis der wirtschaftlichen Entwicklung in Europa."