Während die Digitalisierung in etlichen Unternehmensbereichen bereits Einzug gehalten hat und teilweise schon fest verankert ist, hinkt sie im Einkauf vielerorts noch hinterher. Den Verantwortlichen fällt es schwer, den Überblick über alle digitalen Trends zu behalten. Einkäufer fragen, welche Technologien sie einsetzen sollen, um ihre digitale Transformation voranzutreiben: Wie lassen sich die aktuellen Anforderungen an Einkaufsfunktionen mit vorhandenen Lösungsmöglichkeiten zusammengeführen?
Vielen fällt die Antwort nicht leicht. Doch vor dem Wandel in Richtung Einkauf 4.0 wird sich kein Unternehmen verschließen können. Die anstehenden Veränderungen spiegeln sich auch im Anforderungsprofil des Einkäufers wider. Hat dieser in der Vergangenheit bereits den Wechsel vom operativen zum strategischen Einkäufer vollzogen, der direkt im Wertschöpfungsprozess mit eingebunden ist, wird sich diese Entwicklung weiter fortsetzten. Der Einkäufer wird immer mehr zum Schnittstellenmanager, sowohl von internen, als auch von externen Kontakten und Prozessen. Denn diese Abläufe sind es, die zukünftig immer komplexer und enger miteinander verknüpft werden. Um die Aufgabe als Schnittstellenmanager zu bewältigen, darf er auch deshalb nicht den Anschluss an Unternehmensbereiche verlieren, die in ihrer digitalen Entwicklung schon weiter vorangeschritten sind.
Kategorisierung der Einkaufsfunktionen
Doch wie können sich Einkaufsabteilungen der Digitalisierung annähern, wenn sie sich zuvor noch nicht mit solchen Themen auseinandergesetzt haben? Eine Möglichkeit ist es, den Fokus nicht nur auf die technologischen Lösungsmöglichkeiten, sondern auch auf die Aufgabenbereiche zu legen, die für den Einkauf relevant sind. Einkaufsabteilungen müssen ihr Aufgabenportfolio definieren und die einzelnen, spezifischen Bereiche identifizieren, die digital transformiert werden müssen. So lassen sich aus einer großen Herausforderung kleinere, einfacher zu lösende Aufgabenpakete schnüren.
Ausgangspunkt sind in diesem Modell nicht spezielle Technologien, wie Big Data oder Predictive Analytics, sondern Anforderungsprofile der einzelnen Einkaufsbereiche. Im zweiten Schritt kann dann das Matching vorgenommen werden, welches die Anforderungsprofile mit möglichen am Markt verfügbaren Systemen abgleicht. Dabei muss gewährleistet werden, dass diese Systeme die Anforderungsprofile mit Hilfe der zuvor genannten Technologien erfüllen können.
Darüber hinaus ist zu empfeheln, die verschiedenen Einkaufsfunktionen individuell zu kategorisieren. Wie eine branchenübergreifende Kategorisierung des Einkaufs mit ausgewählten Best-Practise Ausprägungen der Digitalisierung aussehen kann, ist im Folgenden dargestellt. Je nach Branche und Unternehmen sind die einzelnen Bereiche jedoch mehr oder weniger stark ausgeprägt.
Operativer Einkauf: eProcurment zeichnet sich durch eine fortschreitende Autonomisierung des Procure-to-Pay Prozesses (P2P) aus. Dieser bildet den gesamten Ablauf des überwiegend indirekten Materials von der Bedarfsanforderung bis hin zur elektronischen Rechnungsübermittlung ab. Bedarfsanforderungen werden dabei im Self-Service in Auftrag gegeben, die Artikel im indirekten Material über elektronische Lieferantenkataloge bereitgestellt. So lassen sich optimale Preise für den Einkauf gewährleisten. Die Rechnungen entsprechender Bestellungen können bei übereinstimmenden Daten ohne Eingriff des Einkaufs freigegeben werden.
Strategischer Einkauf: Im eSourcing wird überwiegend direktes Material mit elektronischen Ausschreibungen beschafft. Dabei kann neben einer RfX-Variante auch die finale Vergabe in einer eAuktion enden. In Multistage-Vergaben werden dabei zunächst die relevanten Lieferanten identifiziert und in darauffolgenden Schritten durch elektronische Ausschreibungen die besten Preise erzielt. So kann zum Beispiel bei einer Auktion der Verhandlungsprozess auf die Lieferanten selbst verlagert werden.
Ausgabentransparenz: Vor allem im Controlling des Einkaufs sind sowohl operative, als auch strategische Analysen der Ausgaben wichtig. Mit Hilfe von Big Data lassen sich sogenannte Spend Cubes und Bedarfsprognosen erstellen. Die Echtzeitverfügbarkeit von Daten, auch im Zusammenhang mit ERP-Daten und anderen Einkaufsbereichen ist dabei entscheidend.
Lieferantennetzwerk: Eine derartige Business-Plattform dient als Verknüpfung aller Geschäftsbeziehungen zwischen Käufern und Verkäufern. Komplexe Prozesse mit einer hohen Anzahl an transferierten Dokumenten, wie sie im operativen Einkauf anfallen, lassen sich dabei effizienter gestalten. Eine Vielzahl von Lieferanten, Geschäftsdokumenten und Informationen werden so in einem zentralen Netzwerk gesteuert.
Vertragsmanagement: Bei den heutigen globalen und komplexen Lieferketten wird es immer wichtiger, seine laufenden Verträge im Blick zu behalten. Mit Hilfe von Einkaufslösungen können dabei die Vertragserstellung und Überwachung vereinfacht werden. Wichtige Termine, wie auslaufende Verträge werden dem Einkäufer automatisch vom System zum richtigen Zeitpunkt gemeldet.
Lieferantenmanagement: In einem zentralen System werden Lieferanten mit einem definierten Prozess registriert und für bestimmte Warengruppen qualifiziert. Im laufenden Geschäft erfolgt eine konstante Überprüfung der Performance durch einschlägige Kennzahlen. Informationen, wie die Sperrung eines Lieferanten lassen sich anschließend an die übrigen Einkaufsbereiche weitergeben.
Die Untergliederung des Einkaufs nach spezifischen Einkaufsfunktionen ist eine Option, die digitale Transformation transparenter zu machen. Die verschiedenen Technologien ordnen sich unter diesen Bereichen in einzelne Softwarelösungen ein. Je nach Einkaufsfunktion werden verschiedene Eigenschaften gefordert: Soll die Transparenz im Einkaufscontrolling erhöht werden, muss die Lösung Big Data abbilden können. Wird ein Risikomanagement gebraucht, benötigt man Predictive Analytics.
Gretchenfrage: Einzellösungen oder Systemlösung
Softwarelösungen zur digitalen Transformation für den Einkauf sind bereits vielfältig und in ausgereifter Form vorhanden. Diese können in zwei Varianten unterteilt werden. In Softwarelösungen, die einzelne Einkaufsfunktionen abdecken und in ganzheitliche Einkaufssysteme, die Anforderungen aller Einkaufsbereiche abdecken. Bei letzterer Variante sind für Einkaufsabteilungen besonders Systemlösungen interessant, die modular aufgebaut sind. Dabei ist eine sukzessive Digitalisierung möglich.
Der Vorteil ganzheitlicher Systemlösungen liegt in der geringeren Anzahl an System-Schnittstellen. Vor allem im Bereich des Einkaufscontrollings ist dies von Vorteil. Informationen aller Einkaufsbereiche sind in Systemlösungen bei Spend-Analysen und Reportings einfacher zugänglich und auszuwerten. Der Austausch von Informationen erfolgt ohne Medienbrüche. Ein entscheidendes Kriterium bildet dabei die Real-Time Verfügbarkeit der Daten.
Doch nicht nur die Daten aus den Einkaufsbereichen, sondern auch ERP-Daten müssen für eine ganzheitliche Analyse vorliegen. Dieser Punkt ist bei vielen Softwarelösungen noch nicht zufriedenstellend gelöst und bedarf der besonderen Zuwendung bei der Auswahl von Einkaufslösungen. In der optimalen Lösung werden Informationen so von einzelnen Einkaufsfunktionen an andere Bereiche weitergebeben. Lieferanteninformationen können zum Beispiel vom Lieferantenmanagement mit dem operativen und strategischen Einkaufsgeschäft geteilt werden. Wird ein Lieferant als unqualifiziert bewertet, wäre er in diesem Modell nicht mehr für das operative und strategische Geschäft auswählbar.
Roadmap muss sich an den Prozessen orientieren
Szenarien für die digitale Transformation gibt es viele. Welches Modell für ein Unternehmen am besten geeignet ist, muss durch eine klar strukturierte Roadmap ermittelt werden. Die Roadmap sollte dabei zwei Faktoren beachten. Auf der einen Seite muss sie individuell auf den Einkauf abgestimmt sein und auf der anderen Seite kompatibel zur digitalen Vernetzung entlang der Lieferkette sein. In dieser Lieferkette gibt es dabei vorgelagerte Prozesse - zum Beispiel intern beim Lieferanten - aber auch nachgelagerte Prozesse, die im eigenen Unternehmen abgebildet werden, wie zum Beispiel die weitere Produktion von Industriegütern oder das ERP-System.
Vor allem hinsichtlich des zuletzt genannten Aspekts muss die Einkaufslösung in die unternehmensweite Digitalisierungstrategie eingebunden sein. Die Kompatibilität des Einkaufssystems mit anderen Systemen, wie dem ERP-System steht dabei im Vordergrund. Vergleichbar mit einem Puzzle, werden in die Roadmap dann die ausgewählten Bausteine der Einkaufsfunktionen in das Gesamtbild des Unternehmens eingefügt. Denn der Weg zum Einkauf 4.0 erfordert eine strukturierte Planung, die zu einer nachhaltigen Strategie führt.