Ovum untersucht die neuen Desktop-Arten

Thin Client ist nicht gleich Thin Client

28.11.1997

Das Marktforschungsunternehmen Ovum hat nun eine Studie über Netzwerkrechner vorgelegt, die die Chancen und Risiken der neuen Desktops beschreibt. Die Analysten fanden heraus, daß die Mehrheit der befragten Unternehmen bislang nicht nach einer neuen Client-Architektur sucht, und stellten sich damit in Gegensatz zu den Kollegen des ebenfalls britischen Analystenteams von Bloor Research (siehe Grafik).

Nach den Ovum-Ergebnissen bemühen sich die IT-Chefs eher darum, bestehende PCs einfacher verwalten zu können; neuartige Geräte werden allerdings für die Bearbeitung von dediziert Host-basierten Applikationen gesucht: Unabhängig von der Frage nach der Art der Client-Rechner wünschen die DV-Verantwortlichen nämlich, daß die Mehrheit der Benutzer Zugang zu den Intranets der Firmen bekommt und Win- dows-Anwendungen nutzen kann.

Weitgehend Einigkeit herrscht in der IT-Industrie darüber, daß die als "stateless" bezeichneten Desktops, die alle Daten auf dem Server speichern, einfach zu verwalten sind. Die Verwendung solcher Geräte hat den Vorteil, daß der Anwender an jeder Maschine arbeiten kann und immer "seine" Arbeitsumgebung vorfindet. Zudem vereinfacht dieses Konzept der zentralen Datenhaltung Backup und Recovery. Die nachfolgend diskutierten neuen Desktops folgen alle diesem Prinzip und erlauben zudem den Einsatz von Smart Cards, die Daten über die benutzerspezifischen Konfigurationen enthalten und an jedem beliebigen Rechner im Netz bereitstellen.

Ovum konstatiert eine Renaissance für Terminals und teilt den Markt - neben den herkömmlichen zeichenbasierten - auf in Intranet- und Windows-Terminals. Letztere verwenden als grafische Benutzeroberfläche Windows beziehungsweise den "Internet Explorer", während die Intranet-Terminals dafür den Browser von Netscape nutzen. Die Analysten definieren die beiden abgespeckten Maschinen als "Geräte, die nur den Zugang zu den Server-zentrierten Computerressourcen erlauben". Die ganze Rechenarbeit eines solchen dünnen Clients bestehe in der grafischen Darstellung der Informationen, die er über das Netz erhält. Gerade diese Präsentationslogik unterscheidet ihn aber von den alten zeichenbasierten Terminals.

Die Terminalhersteller reagieren auf die gestiegenen Bedürfnisse und bieten dazu entweder zeichenorientierte Einstiegsgeräte an, die sich aufrüsten lassen, wenn grafische Funktionalität benötigt wird (Boundless, Neoware), oder sie bieten für ihre Grafikoberflächen Schnittstellen für textbasierte Terminals (Wyse, IBM).

Intranet-Terminals basieren auf der Hypertext Markup Lan- guage (HTML), arbeiten mit einem Browser und wurden für TCP/IP-Netze entworfen. Die meisten Anbieter erlauben aber auch eine Ethernet-Vernetzung, IBM bietet zusätzlich Token Ring an. Meist besteht bei diesen Geräten die Möglichkeit, den Browser auch auf dem Server abzulegen, der die Browser-Software beim Booten auf den Client überspielt. Der Vorteil dabei ist, daß sich neue Versionen des Browsers oder zusätzliche Java-Applets einfach verteilen lassen.

Als Vorteile der Intranet-Terminals sehen die Analysten den einfachen und kostengünstigen Zugang der Informationssuchenden zu den unternehmenseigenen Netzen sowie die Kombination aus Rückwärts-Kompatibilität (zu zeichenorientierten Anwendungen) und Zugang zu Web-basierten Daten. Da diese Geräte aber weder über einen eigenen Massenspeicher verfügen noch die Rechenoperationen selbst ausführen, ist ein robustes Netzwerk dringend erforderlich. Zudem greifen sie auf alle Anwendungen nur über den Browser zu, so daß die Abarbeitung von Programmen länger dauern kann.

Insgesamt betrachten die Analysten die Intranet-Terminals als Ersatz für die zeichenorientierten Geräte und erwarten von den Herstellern, daß sie entsprechende Terminalemulationen als Standardbestandteil mitliefern. Einige Anbieter wie etwa Wyse installieren im Produkt darüber hinaus einen Independent-Computing-Architecture-(ICA-) Client, der die Abarbeitung von Windows-Programmen erlaubt.

Ein Augenmerk sollte auch dem Browser zukommen. Meist wird Netscapes "Navigator" unterstützt, der allerdings teurer ist als einige andere Produkte. Wird im Unternehmen generell Microsofts Internet Explorer verwendet, schränkt das die Auswahl an passenden Intranet-Terminals ein. Für die Integration mit Legacy-Anwendungen muß entweder ein Zwischenprodukt für die Konvertierung der 5230-, 3270-, DB2- oder R/3-Tags in HTML sorgen, oder die Host-Applikation wird konvertiert.

Was Microsoft nicht kann, macht Citrix

Windows-Terminals nutzen das für Windows geschriebene Präsentationsprotokoll ICA von Citrix. Es residiert auf dem NT-Server, auf dem auch das Win- dows-Programm abläuft, und stellt dem angeschlossenen Client lediglich die Präsentations-Logikzur Verfügung.

Citrix hat dem NT-Kernel Multiuser-Erweiterungen hinzugefügt und als fertiges Produkt unter dem Namen "Winframe" an andere Hersteller lizenziert. Einige dieser Firmen fügten der Software noch die Unterstütztung für das X-Protokoll hinzu. Microsoft hat sich Mitte des Jahres nach langen Verhandlungen dazu bereit erklärt, die Multiuser-Erweiterungen von Citrix und der französischen Prologue in NT unter dem Codenamen "Hydra" zu integrieren und die eigene Arbeit an der Multiuser-Fähigkeit von NT einzustellen. Damit ist Winframe in NT eingegangen, Citrix wird aber das ICA-Protokoll weiterhin an andere Hersteller lizenzieren. Microsoft konkurriert mit dem hauseigenen Protokoll "T.Share/T.120" in einigen Bereichen mit ICA.

Mit Windows-Terminals ist es nach Ansicht der Analysten möglich, Anwendungen unter dem Microsoft-Betriebssystem kostengünstig und gut verwaltbar im Netz zugänglich zu machen. Der Nachteil der Lösung - neben der Forderung nach einem robusten Netzwerk - sind die relativ hohen Investitionen in leistungsstarke NT-Server.

Ovum empfiehlt den Einsatz von Windows-Terminals für aufgabenorientierte Informationsnutzer, die traditionell die "grünen" Terminals vor Augen hatten. Anwendungsfelder dafür sind die Transaktionsverarbeitung und monolithische Geschäftsapplikationen wie R/3 (unter NT) sowie andere spezialisierte vertikale Windows-Anwendungen. Der Intranet-Zugang ist gewährleistet, da Microsofts Internet Explorer Bestandteil der Windows-Umgebung ist. X-Terminals lassen sich über Softwareprogramme - beispielsweise "Ntrigue" von Insignia, "Win DD" von Tektronix oder NCDs "Wincenter" - weiterverwenden.

Die Analysten weisen ausdrücklich darauf hin, daß man beim Umstieg vom PC auf Windows-Terminals sicherstellen muß, daß alle Benutzer-Files von der Festplatte auf den NT-Server geschafft werden. Außerdem sollte im Unternehmen technisches Know-how zur Verfügung stehen, um die Leistung der NT-Server sowie die Lastverteilung sowohl des Netzes als auch der Server zu optimieren. Für heterogene Umgebungen raten die Forscher, beim ICA-Protokoll zu bleiben. Nutzt ein Unternehmen ausschließlich die Windows-Umgebung, könnte Hydra eine interessante Alternative werden.

Neben den Terminals bieten sich die Network Computer (NCs) und die Net PCs als Desktop-Variation an. Einer der Hauptunterschiede liegt in der Benutzeroberfläche. NCs verwenden dafür wie die Intranet-Terminals einen Browser, in der Regel Netscapes Navigator. Die im Sommer 1996 von Oracle, Sun, IBM, Netscape und Apple angekündigten Minimalanforderungen an einen NC sehen vor, daß so ein Gerät zudem Java-Applikationen und Internet-Protokolle verarbeiten kann und die meisten Daten und Anwendungsprogramme von einem Server holt, eine Festplatte also nur optional enthalten soll.

Net PC eine Kuriosität ohne Überlebenschance

Wahlfreiheit herrscht hinsichtlich der CPU und des Betriebssystems, was die Analysten zusammen mit dem gegenüber PCs niedrigeren Preis und der leichteren Verwaltung als Hauptvorteil der NCs ansehen. Nachteilig wirkt sich aus, daß es an Applikationen fehlt.

Eine richtige Kaufempfehlung wollen die Marktforscher nicht aussprechen, außer "Ihre Firma ist ein Technikpionier, der eine größere technische Umstellung der Gesamt-DV inklusive Entwicklung neuer Applikationen und Überarbeitung aller wichtigen Anwendungen plant".

Net PCs unter Windows sind die Antwort von Intel und Microsoft auf die NC-Initiative, die von Oracle angezettelt wurde. Der Net PC, der über keine Erweiterungs-Schnittstellen und nur eine kleine Festplatte verfügt, wurde positioniert als Rechner für große Organisationen, deren Netzverwaltung sich immer schwieriger gestaltet. Er soll gleichberechtigt neben herkömmlichen PCs und Workstations agieren. Für die Ovum-Forscher ist der Net PC eine "kuriose Gestalt", der keine Überlebenschance gegeben wird, da er einerseits nicht die Vorzüge eines Thin Clients aufweise und andererseits aber bereits im kommenden Jahr alle PCs mit vielen Funktionen des Net-PCs ausgestattet sein werden.