Phänomen "Shareconomy"

Teilen schafft Mehrwert

17.06.2013 von Joachim Hackmann
Die Shareconomy macht sich die Bereitschaft der Menschen zum Teilen zunutze. Für Unternehmen ergeben sich im besten Fall Kosten- und Wettbewerbsvorteile.

Teilen hat Grenzen. Das hat das Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) demoskopisch belegt. Um das aktuelle Phänomen "Shareconomy" etwas genauer zu ergründen, hat der schweizerische Think Tank in einer repräsentativen Umfrage 1121 Personen in Deutschland, Österreich und der Schweiz gefragt: Was würden Sie teilen und was nicht? Schaut man sich die Ergebnis der GDI-Umfrage genau an, lässt sich Unterhaltsames entdecken, zum Beispiel: "Unterwäsche teile ich nicht!" Vorhersehbar ist, dass Musik sehr wohl geteilt wird. Bemerkenswert: "Wissen teile ich gerne".

Ausgangspunkt der Erhebung war die seit geraumer Zeit intensiv geführte Diskussion darüber, inwiefern sich die Kultur des Teilens, getrieben durch veränderte Prioritäten in den jungen Generationen, in der heutigen Gesellschaft bereits etabliert hat.

Junge Menschen denken anders

"Die junge, ins Berufsleben drängende Generation ist mit dem Internet und der Computertechnik aufgewachsen. Sie denkt anders, sie denkt per se in Richtung Teilen", sagte unlängst Heike Simmet, Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Bremerhaven, im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE. Für die Studenten sei es völlig normal, Projekte über moderne Medien zu betreiben, ohne ein persönliches Wort zu wechseln.

Grundlage der Shareconomy sind demnach die neuen Möglichkeiten leistungsstarker und ständig verfügbarer IT- und Kommunikationstechniken. Smartphone, Flatrate, 3G-Netze und WLANs schaffen ständigen Zugang zum Internet und zu sozialen Plattformen, wo Informationen, Meinungen, Neuigkeiten, Bilder und Musik geteilt und getauscht werden.

9 interessante Sharing-Portale
Wer hätte gedacht, dass die CeBIT, das Ende des Besitzes ausrufen würde. Genau das hat sie jetzt getan unter dem Schlagwort "Shareconomy". Zumindest ein bisschen.
Airbnb vermittelt Zimmer ...
... und ganze Wohnungen weltweit von privat zu privat. Hübsch und persönlich nächtigen in London, Berlin oder Wien? Einfach die App auf dem Smartphone anwerfen, in Tausende von Wohnungen blicken, Preise und Standorte vergleichen, Bewertungen lesen.
Car2Go
Autos sind teuer und stehen 90 Prozent der Zeit rum. Nicht so bei Car2Go, der Carsharing-Plattform von Daimler und Europcar: Hier sind die blauweißen Smarts immer in Bewegung, weil sie zwanzig Minuten von diesem Kunden und dann wieder ein Viertelstunden von jenem gefahren werden.
DriveNow
Konkurrenz dazu ist DriveNow von BMW/Mini, die ein fast identisches Konzept in Düsseldorf, München, Köln, Berlin und San Francisco umgesetzt haben.
Alles und noch viel mehr gibt es bei leihdirwas.de. ...
... Bohrmaschine, Nintendo, Beamer, Stehleiter, Grill, Kettensäge. Unendlich viele Produkte in unendlich vielen Kategorien. Sachen, die jeder nur 1-2 Mal im Jahr braucht, eine Biertischgarnitur zum Beispiel. Viele Dinge also, die sonst von Profis verliehen werden. Wer sich hier umsieht, stellt sich zwangsläufig die Frage, was man überhaupt noch unbedingt besitzen muss.
mandao
Natürlich kann man auch Garderobe aller Art leihen. Entweder vom Profi auf www.mandao.de, oder ...
... von privat an privat auf www.mietmeile.de.
Wer abgesehen vom Abendkleid auch eine Mischmaschine, einen Kran oder einen Kompressor braucht, kriegt den hier auch.
Auf tamyca verleihen Privatleute ...
... ihre Autos an andere. Und, erstaunlich, hier finden sich mitnichten nur Opel Corsas von 1998, sondern auch Mini Cabrio, Porsche Boxter etc. Vermietet wird mit Versicherung, den Preis bestimmt der Autobesitzer selbst.
Bei Whyown.it kommt es nicht ...
... darauf an, was jemand leihen will, sondern von wem. Denn das Weitergeben soll hier nur zwischen Freunden geschehen. Wobei sich die Bedeutung dieses Begriffs in unserer Zeit ja noch mehr verschoben hat als der des Besitzes. Die Losung lautet: "Leihe von deinen Freunden und triff sie mal wieder. Auf einen Kaffee, ein Abendessen oder ein Bier."
WLAN TO GO
Ja, tatsächlich, auch seinen Internetanschluss kann man verleihen. Oder besser gesagt mit anderen tauschen. Organisiert wird das Ganze von der Deutschen Telekom, die bei fon, einen Provider für offene WLANs, eingestiegen ist.

Teilen? Alles schon mal da gewesen.

Ob die verfügbare Technik tatsächlich einen Sinneswandel herbeigeführt hat, oder ob sie lediglich dem ohnehin in der Gesellschaft und im Menschen verankerten Hang zur Gemeinsamkeit und zum gemeinschaftlichen Nutzen neue Wege bereitet, ist zumindest umstritten. Kritiker des übermäßigen Hypes um die Shareconomy verweisen auf die schon Ende des 19. Jahrhunderts gegründeten Genossenschaften für landwirtschaftliche Betriebe, auf Nachbarschaftshilfe und auf gemeinschaftliche Rechenzentren.

Die heutigen IKT-Lösungen machen das Ganze lediglich einfacher sowie unabhängiger von Zeit und Ort. "Das sind zweifelsohne interessante Geschäftsmodelle, die einen Nerv der Zeit treffen", antwortete Thomas Eger, Professor für ökonomische Analyse des Rechts an der Universität Hamburg, im Interview mit dem Wirtschaftsmagazin "Brand eins" auf die Frage nach Sharing-Modellen bei Autos und Wohnungen. "Doch ich kann daran nichts Revolutionäres entdecken." Anders sehe es in der nichtphysischen Welt aus, wo die Digitalisierung mächtige Veränderungen herbeigeführt habe.

Abseits der anhaltenden Diskussion, ob die Shareconomy evolutionäre Veränderungen oder revolutionäre Umbrüche bewirkt, ist sie auf jeden Fall ein Thema, für das sich auch die professionelle IT in den Unternehmen interessieren muss.

Hohe Erwartungen...

So zeigte die Studie "Social Collaboration in Deutschland, Frankreich und Großbritannien 2013", für die PAC 253 Fachbereiche mit mehr als 500 Mitarbeitern befragt hat, das große Interesse, mit Hilfe von Social-Media-Tools Prozesse zu verbessern und Mitarbeiter intensiver zu vernetzen. Besonders in der Identifikation von Experten und Wissen (66 Prozent), der gemeinsamen Dokumentenbearbeitung (61 Prozent) und der Förderung der interdisziplinären Vernetzung (57 Prozent) sehen die Fachbereiche enormen Handlungsbedarf. Ziel der Initiativen ist es zumeist, die Produktivität und Innovationsfähigkeit der Unternehmen zu erhöhen.

Die Voraussetzungen dafür, mit einer optimalen internen Vernetzung das im Unternehmen vorhandene Know-how besser auszuschöpfen, sind gut. Denn in der Regel sind Menschen bereit, ihr Wissen zu teilen, wie auch die GDI-Umfrage zeigt.

...und Enttäuschungen

Die Sache hat nur einen Haken: In der unternehmerischen Praxis fehlt es immer noch an den geeigneten Werkzeugen, wie eine Studie des amerikanischen Instituts Prescient Digital Media zeigt. Die Erfahrungen der Befragten sind ernüchternd:

"Die meisten Organisationen flirten nur mit sozialen Plattformen", lautet die Interpretation von Toby Ward, CEO und Gründer von Prescient Digital Media. "Soziale Medien in den Großteil der täglichen Arbeit zu integrieren bedeutet für die Unternehmen nach wie vor einen Sprung, den sie erst in einigen Jahren schaffen werden."

Die Gründe dafür sucht Ward in der dürftigen Investitionsbereitschaft. Seiner Umfrage zufolge hat fast die Hälfte der befragten Unternehmen weniger als 10.000 Dollar in den Aufbau der Plattformen investiert. Eine sparsame Installation bringe eben auch nur sparsame Ergebnisse, warnt der Marktforscher.

Es gibt aber weitere Randbedingungen, die eine breite Akzeptanz und eine effektive Nutzung der Social-Business-Plattformen erschweren. Axel Oppermann, IT-Marktanalyst bei dem auf Shareconomy-Themen spezialisierten Beratungshaus Avispador, glaubt, dass sich Firmen generell ändern müssen: "Mitarbeiter sind heute in der Regel in Linien- oder Matrixorganisationen eingebunden und arbeiten in klar umrissenen Aufgabenfeldern. Natürlich kann man über solche Organisationen Social Business und Collaboration stülpen, es wird nur nichts bringen. Nur wenige Kollegen bringen die Motivation auf, ihre Arbeitsweise zu ändern und innovative Konzepte zuzulassen."

6 Wege zu besserer Zusammenarbeit
Mit einem Appell zu "Extreme Collaboration" rufen die Analysten zu intensiverer Kommunikation auf - etwa mittels Crowdsourcing und Social-Media-Analysen.
1. Web-basierter Collaboration einen Platz verschaffen:
Der Einsatz virtueller und web-basierter Collaboration im Arbeitsalltag der Mitarbeiter sollte nach Gartner-Einschätzung aktiv befördert werden. Die Analysten raten dabei zum Experimentieren. Ein Ansatz sei die gezielte Auswahl einer bislang auf traditionellem Wege – also durch persönliche Meeting oder E-Mail – erledigten Aktivität. Die Mitarbeiter sollten dazu ermuntert werden, diese Tätigkeit künftig möglichst via web-basierter Collaboration zu erledigen.
2. Near-Real-Time-Communication nutzen:
Stimuliert werden sollte laut Gartner auch die fast in Echtzeit verlaufende Kommunikation in den sozialen Netzwerken – also das Bloggen, Twittern oder Updaten von Facebook-Seiten. „Das Etablieren von Real-Time Communication-Gewohnheiten am Arbeitsplatz ermöglicht einen freieren Informationsfluss und proaktivere Mitteilungen, so dass die Leute schneller auf unerwartete Ereignisse und Störungen antworten können“, so die Analysten.
3. Crowdsourcing und populäre Social-Media-Tools nutzen:
Als Trigger für einen dynamischen Gedankenaustausch zu einem aktuellen Problem empfiehlt Gartner, einen “Tweet Jam” ins Leben zu rufen. Man müsse nur einen Zeitrahmen und ein Thema festlegen und die Mitarbeiter zur Teilnahme am Brainstorming animieren. „Anders als bei Diskussionen im Meeting Room wird die Kommunikation festgehalten“, so Gartner.
4. Belohnungssysteme verändern:
Statt alleine individuelle Leistungen und punktuelle Erfolge zu honorieren komme es bei XC darauf an, auch kollaboratives Handeln im Team zu belohnen, das zur Lösung komplexer Probleme beiträgt. „Der Einsatz von Collaboration-Technologien macht es auch einfacher, gemeinschaftliches Verhalten nachzuverfolgen und direkt mit den erreichten Resultaten zu verknüpfen“, so Gartner.
5. Messungen mit Social Network Analysis:
Mit Social Network Analysis (SNA) und manchen Social-Media-Seiten lässt sich der Einfluss bestimmter Menschen in sozialen Netzwerken beobachten. Eine XC-Kultur basiere auf Offenheit, Vertrauen und gegenseitigem Respekt, erläutert Gartner. SNA sei eine Technik, die bei der Identifizierung starker sozialer Netzwerke mit dieser Grundlage helfe.
6. Kick-Start durch Gruppen-Events:
Mit Hilfe weniger einfacher Schritte kann man laut Gartner Mitarbeiter aus der Komfortzone holen und zum Ausprobieren neuer Arten von Collaboration und Interaktion bewegen. Ein Beispiel sei es, interne Experten via mobiler Videos in Meetings zu holen. E-Mail könnte für eine bestimmte Zeitspanne intern abgeschaltet werden. Auch Gamification – also der Einsatz Computerspiel-basierter Techniken – sei eine Möglichkeit, alte Gewohnheiten aufzubrechen, so Gartner.

Teilen heißt ändern

Wenn Unternehmen wirklich vom verteilten Wissen ihrer Mitarbeiter profitieren wollen, müssen sie bereit sein, eine vernetzte und agile Organisationsform einzuführen, meint Oppermann.

Sein Fazit: Daten und Wissen bleiben ohne geschäftlichen Nutzen, wenn die Mitarbeiter und Teams nicht so vernetzt werden, dass ihr Knowhow dem gesamten Unternehmen zur Verfügung steht.

Aber auch abseits der IT gibt es Erfolgsmodelle der Shareconomy. Besonders eindrucksvoll haben dies die Amerikaner Brian Chesky, Joe Gebbia und Nathan Blecharczyk gezeigt, die mit ihrem Startup AirBNB die weltweite Buchung und Vermietung von privaten Unterkünften als Alternative zu Hotels und Ferienwohnungen etabliert haben.

Foto: tovovan, Shutterstock.com

Auch in Deutschland gibt es vielversprechende Shareconomy-Projekte. Die Automobilhersteller Volkswagen (Quicar), BMW (DriveNow) und Daimler (car2go) haben mit ihren Carsharing-Angeboten das traditionelle Geschäftsmodell des Autoverkaufs um Mobilitätsservices erweitert. Die Deutsche Bahn bietet in einigen Städten sowohl eigene Mietautos (Flinkster) als auch Mietfahrräder (Call a Bike) an. Mobile Informationstechnik rund um Smartphones, 3G-Netz und GPS liefert die Daten und Infrastrukturen für das Buchen, Orten, Abrechnen und Zurückgeben der Autos.

Als technische Voraussetzung, um ein Geschäftsmodell an der Shareconomy auszurichten, sieht Oppermann sechs Technologien und Services:

Oppermann bilanziert: "Diese Technologien verbinden Menschen mit Menschen, mit Daten, Informationen, Wissen, mit physischen Dingen und Maschinen, und zwar auf eine effizientere und intelligentere Weise als bisher." (mhr)