Teilen hat Grenzen. Das hat das Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) demoskopisch belegt. Um das aktuelle Phänomen "Shareconomy" etwas genauer zu ergründen, hat der schweizerische Think Tank in einer repräsentativen Umfrage 1121 Personen in Deutschland, Österreich und der Schweiz gefragt: Was würden Sie teilen und was nicht? Schaut man sich die Ergebnis der GDI-Umfrage genau an, lässt sich Unterhaltsames entdecken, zum Beispiel: "Unterwäsche teile ich nicht!" Vorhersehbar ist, dass Musik sehr wohl geteilt wird. Bemerkenswert: "Wissen teile ich gerne".
Ausgangspunkt der Erhebung war die seit geraumer Zeit intensiv geführte Diskussion darüber, inwiefern sich die Kultur des Teilens, getrieben durch veränderte Prioritäten in den jungen Generationen, in der heutigen Gesellschaft bereits etabliert hat.
Junge Menschen denken anders
"Die junge, ins Berufsleben drängende Generation ist mit dem Internet und der Computertechnik aufgewachsen. Sie denkt anders, sie denkt per se in Richtung Teilen", sagte unlängst Heike Simmet, Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Bremerhaven, im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE. Für die Studenten sei es völlig normal, Projekte über moderne Medien zu betreiben, ohne ein persönliches Wort zu wechseln.
Grundlage der Shareconomy sind demnach die neuen Möglichkeiten leistungsstarker und ständig verfügbarer IT- und Kommunikationstechniken. Smartphone, Flatrate, 3G-Netze und WLANs schaffen ständigen Zugang zum Internet und zu sozialen Plattformen, wo Informationen, Meinungen, Neuigkeiten, Bilder und Musik geteilt und getauscht werden.
Teilen? Alles schon mal da gewesen.
Ob die verfügbare Technik tatsächlich einen Sinneswandel herbeigeführt hat, oder ob sie lediglich dem ohnehin in der Gesellschaft und im Menschen verankerten Hang zur Gemeinsamkeit und zum gemeinschaftlichen Nutzen neue Wege bereitet, ist zumindest umstritten. Kritiker des übermäßigen Hypes um die Shareconomy verweisen auf die schon Ende des 19. Jahrhunderts gegründeten Genossenschaften für landwirtschaftliche Betriebe, auf Nachbarschaftshilfe und auf gemeinschaftliche Rechenzentren.
Die heutigen IKT-Lösungen machen das Ganze lediglich einfacher sowie unabhängiger von Zeit und Ort. "Das sind zweifelsohne interessante Geschäftsmodelle, die einen Nerv der Zeit treffen", antwortete Thomas Eger, Professor für ökonomische Analyse des Rechts an der Universität Hamburg, im Interview mit dem Wirtschaftsmagazin "Brand eins" auf die Frage nach Sharing-Modellen bei Autos und Wohnungen. "Doch ich kann daran nichts Revolutionäres entdecken." Anders sehe es in der nichtphysischen Welt aus, wo die Digitalisierung mächtige Veränderungen herbeigeführt habe.
Abseits der anhaltenden Diskussion, ob die Shareconomy evolutionäre Veränderungen oder revolutionäre Umbrüche bewirkt, ist sie auf jeden Fall ein Thema, für das sich auch die professionelle IT in den Unternehmen interessieren muss.
Hohe Erwartungen...
So zeigte die Studie "Social Collaboration in Deutschland, Frankreich und Großbritannien 2013", für die PAC 253 Fachbereiche mit mehr als 500 Mitarbeitern befragt hat, das große Interesse, mit Hilfe von Social-Media-Tools Prozesse zu verbessern und Mitarbeiter intensiver zu vernetzen. Besonders in der Identifikation von Experten und Wissen (66 Prozent), der gemeinsamen Dokumentenbearbeitung (61 Prozent) und der Förderung der interdisziplinären Vernetzung (57 Prozent) sehen die Fachbereiche enormen Handlungsbedarf. Ziel der Initiativen ist es zumeist, die Produktivität und Innovationsfähigkeit der Unternehmen zu erhöhen.
Die Voraussetzungen dafür, mit einer optimalen internen Vernetzung das im Unternehmen vorhandene Know-how besser auszuschöpfen, sind gut. Denn in der Regel sind Menschen bereit, ihr Wissen zu teilen, wie auch die GDI-Umfrage zeigt.
...und Enttäuschungen
Die Sache hat nur einen Haken: In der unternehmerischen Praxis fehlt es immer noch an den geeigneten Werkzeugen, wie eine Studie des amerikanischen Instituts Prescient Digital Media zeigt. Die Erfahrungen der Befragten sind ernüchternd:
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43 Prozent der Mitarbeiter bewerten ihre internen Social-Media-Werkzeuge als schlecht oder sehr schlecht.
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Unter den Verantwortlichen ist die Enttäuschung noch größer. 48 Prozent stellen den Tools schlechte Noten aus.
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Lediglich 19 Prozent der Befragten zeigen sich zufrieden. Sie berichten von guten oder sehr guten Erfahrungen.
"Die meisten Organisationen flirten nur mit sozialen Plattformen", lautet die Interpretation von Toby Ward, CEO und Gründer von Prescient Digital Media. "Soziale Medien in den Großteil der täglichen Arbeit zu integrieren bedeutet für die Unternehmen nach wie vor einen Sprung, den sie erst in einigen Jahren schaffen werden."
Die Gründe dafür sucht Ward in der dürftigen Investitionsbereitschaft. Seiner Umfrage zufolge hat fast die Hälfte der befragten Unternehmen weniger als 10.000 Dollar in den Aufbau der Plattformen investiert. Eine sparsame Installation bringe eben auch nur sparsame Ergebnisse, warnt der Marktforscher.
Es gibt aber weitere Randbedingungen, die eine breite Akzeptanz und eine effektive Nutzung der Social-Business-Plattformen erschweren. Axel Oppermann, IT-Marktanalyst bei dem auf Shareconomy-Themen spezialisierten Beratungshaus Avispador, glaubt, dass sich Firmen generell ändern müssen: "Mitarbeiter sind heute in der Regel in Linien- oder Matrixorganisationen eingebunden und arbeiten in klar umrissenen Aufgabenfeldern. Natürlich kann man über solche Organisationen Social Business und Collaboration stülpen, es wird nur nichts bringen. Nur wenige Kollegen bringen die Motivation auf, ihre Arbeitsweise zu ändern und innovative Konzepte zuzulassen."
Teilen heißt ändern
Wenn Unternehmen wirklich vom verteilten Wissen ihrer Mitarbeiter profitieren wollen, müssen sie bereit sein, eine vernetzte und agile Organisationsform einzuführen, meint Oppermann.
Sein Fazit: Daten und Wissen bleiben ohne geschäftlichen Nutzen, wenn die Mitarbeiter und Teams nicht so vernetzt werden, dass ihr Knowhow dem gesamten Unternehmen zur Verfügung steht.
Aber auch abseits der IT gibt es Erfolgsmodelle der Shareconomy. Besonders eindrucksvoll haben dies die Amerikaner Brian Chesky, Joe Gebbia und Nathan Blecharczyk gezeigt, die mit ihrem Startup AirBNB die weltweite Buchung und Vermietung von privaten Unterkünften als Alternative zu Hotels und Ferienwohnungen etabliert haben.
Auch in Deutschland gibt es vielversprechende Shareconomy-Projekte. Die Automobilhersteller Volkswagen (Quicar), BMW (DriveNow) und Daimler (car2go) haben mit ihren Carsharing-Angeboten das traditionelle Geschäftsmodell des Autoverkaufs um Mobilitätsservices erweitert. Die Deutsche Bahn bietet in einigen Städten sowohl eigene Mietautos (Flinkster) als auch Mietfahrräder (Call a Bike) an. Mobile Informationstechnik rund um Smartphones, 3G-Netz und GPS liefert die Daten und Infrastrukturen für das Buchen, Orten, Abrechnen und Zurückgeben der Autos.
Als technische Voraussetzung, um ein Geschäftsmodell an der Shareconomy auszurichten, sieht Oppermann sechs Technologien und Services:
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Collaborative Supply-Chain-Management als Basis für Informations- und Datenaustausch sowie gemeinschaftliche Abstimmungsprozesse.
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Near Field Communication (NFC, RFID), um Objekte via Internet zu verwalten.
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Big Data/Business Analytics zur Datenauswertung.
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Cloud Computing als Basisinfrastruktur.
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Mobilitätskonzepte, um Services und Informationen überall verfügbar zu machen.
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Social CRM für den engen Kundenkontakt.
Oppermann bilanziert: "Diese Technologien verbinden Menschen mit Menschen, mit Daten, Informationen, Wissen, mit physischen Dingen und Maschinen, und zwar auf eine effizientere und intelligentere Weise als bisher." (mhr)