Zukunftsstudie

Reisen ohne digitalen Begleiter ist Zeitverschwendung

14.04.2014
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.
Weltweit prägen sich mobile Gesellschaften aus, die nicht nur vom technischen Fortschritt, sondern auch von Trends wie Globalisierung, Urbanisierung und Klimawandel beeinflusst werden. Der Münchner Kreis hat sich mit den Mobilitätsbedürfnissen der Menschen beschäftigt.
Foto: Ilja Masik, Fotolia.com

Räumliche und virtuelle Mobilität hängen eng zusammen. Die technischen Möglichkeiten, die sich durch mobile Endgeräte mit schnellem Internet-Anschluss ergeben, haben Auswirkungen auf die Art und Weise, wie Menschen leben, arbeiten und sich fortbewegen. Persönliche Kommunikation, Unterhaltung, Arbeit, berufliche Kontakte - vieles von dem, was uns umtreibt, steckt heute in Form eines Smartphones oder Tablets in der Jackentasche und ist allgegenwärtig. Das wirkt sich auf die Lebensgewohnheiten aus, wie die Zukunftsstudie "Innovationsfelder der digitalen Welt. Bedürfnisse von übermorgen" zeigt.

Mit den Chancen, die mobile Endgeräte bieten, verändert sich die Haltung der Menschen zur räumlichen Mobilität. Insbesondere die jüngere Generation, so eine wesentliche Erkenntnis der Untersuchung, sieht Reisezeit heute tendenziell als "verlorene Zeit", wenn es nicht gelingt, sie sinnvoll zu füllen. Die Menschen wollen demnach "Zeit für andere Aktivitäten", wenn sie unterwegs sind. Dabei möchten sie private, berufliche oder soziale Zwecke verfolgen. Oder wie es in der Studie heißt: Reisen wird zu einer "Multipurpose-Aktivität".

Ob das gewählte Verkehrsmittel etwas später am Ziel ist, spielt nicht mehr die große Rolle. Sicher muss es sein, komfortabel - und idealerweise sollte es einen ungestörten Raum bieten, in dem die Reisenden kommunizieren, lesen, im Internet surfen, ausruhen, Mahlzeiten zu sich nehmen oder arbeiten können. Die Anbieter und Planer von Verkehrsmitteln werden sich also vor allem mit diesem Megatrend beschäftigen müssen, wollen sie auf Dauer erfolgreich sein.

Zug und Bus, aber auch das Auto haben laut Studie das Potenzial, dieses Bedürfnis zu erfüllen, wobei die Schiene nicht schlecht abschneidet. Der Reisende fühlt sich sicher, er gelangt sorglos von A nach B - und er hat genügend Raum, um Bedürfnissen wie Arbeiten, Ausruhen oder Essen nachzugehen. Lediglich der Wunsch "ungestört zu telefonieren" sowie die Sehnsucht nach Privatsphäre werden nicht ganz erfüllt.

Die Studie

Gemeinsam mit einem Netzwerk von Partnern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Medien und Politik – darunter auch die COMPUTERWOCHE - untersucht der Münchner Kreis e.V seit 2008 aus verschiedenen Perspektiven die „Zukunft und Zukunftsfähigkeit der Informations- und Kommunikationstechnologien und -medien“. Jährlich erscheinen neue Zukunftsstudien, die den Nationalen IT-Gipfelprozess unterstützen sollen und jeweils unterschiedliche Fragestellungen sowie methodische Ansätze verfolgen. Der soeben erschienene 5. Band der Studie beschäftigt sich explizit mit den Bedürfniswelten der Internet-Nutzer und basiert auf einer Befragung von 7278 Web-Nutzern im Alter zwischen 18 und 70 Jahren.

Die Marktforscher haben sich dabei auf sechs Länder konzentriert, wobei Deutschland den europäischen Kontinent repräsentiert, die USA und Brasilien für Amerika stehen und China, Indien und Südkorea den asiatischen Raum vertreten. Die repräsentative Untersuchung konzentriert sich auf die Abfrage typischer Bedürfnismuster(siehe Bilderstrecke unten: „Die Bedürfnismuster im Bereich Mobilität“), die zuvor von einer Expertengruppe nach einem wissenschaftlichen Verfahren identifiziert wurden. Die Mobilität ist dabei eines von vier Untersuchungsgebieten, bei den drei anderen Themenfelder handelt es sich um Arbeit, Medien und E-Government.

Spannend ist vor diesem Hintergrund die Frage, was aus des Deutschen liebstem Verkehrsmittel wird, dem Auto. Die Analyse zeigt, dass der Wagen - es muss nicht unbedingt der eigene sein - das Bedürfnis nach Flexibilität und einem individuellen Raum beziehungsweise einer Privatsphäre besonders gut erfüllt. Auch die Kommunikation mit Familie und Freunden wird optimal unterstützt. Von Nachteil ist jedoch, dass sich der Fahrer weder ausruhen noch beruflich oder privat mit elektronischen Gadgets beschäftigen kann. Laut Studie sind das aber die Bedürfnisse, die über kurz oder lang tradierten Kundenbindungsaspekten wie Marke und Emotionalisierung den Rang ablaufen werden.

Die Macher der Studie glauben, dass Unternehmen wie Google, die sich heute intensiv mit Visionen des autonomen, "fahrerlosen" Fahrens beschäftigen, auf dem richtigen Weg sind. "Zukünftige Autos müssen automatisch fahren, um für jüngere Leute attraktiv zu sein", resümieren die Markforscher. Am Ende dieses Entwicklungsprozesses stünden Fahrzeuge, die mit den heutigen nicht mehr vergleichbar seien. Das individuell genutzte Auto werde zu einem Arbeits-, Entspannungs- und Kommunikationsraum. In Sachen ausfallsicherer, leicht bedienbarer Technik seien jedoch noch "gravierende Herausforderungen" zu meistern. Solche Fahrzeuge werde es nicht "vor Ablauf der nächsten zwanzig Jahre" geben.

Jüngere Menschen betrachten den sicheren und schnellen Transport als selbstverständlich. Sie möchten ihr Reisezeit sinnvoll für „andere Aktivitäten“ nutzen.
Jüngere Menschen betrachten den sicheren und schnellen Transport als selbstverständlich. Sie möchten ihr Reisezeit sinnvoll für „andere Aktivitäten“ nutzen.
Foto: MÜNCHNER KREIS

Ein weiteres Ergebnis der Untersuchung ist, dass Reisende möglichst immer und überall Zugriff auf ihre persönlichen Daten, ihr privates Archiv oder den beruflichen Schreibtisch haben möchten. Dieser Wunsch ist derzeit in China und Südkorea stärker ausgeprägt als im Westen, doch Europa und Amerika dürften nachziehen. Für alle Verkehrsmittel wird es demnach wichtig, störungsfrei drahtlose Konnektivität vom Telefon bis zum komfortablen Internetanschluss zu ermöglichen. Außerdem zeigt sich, dass Mobilitäts- und Cloud-Lösungen Hand in Hand gehen: Berufliche und private Informationen müssen immer und überall Server-basiert zum Abruf bereit stehen.

Mobile Arbeit

Foto: auremar, shutterstock.com

Ein Blick auf das ebenfalls untersuchte Themenfeld "Arbeit" zeigt, dass es - wenig überraschend - vor allem ein Kernbedürfnis gibt: "Stress- und sorgenfreies Arbeiten". Interessanterweise bringen die Menschen Stress und Hektik im Beruf aber nicht zwangsläufig mit der zunehmenden Digitalisierung in Verbindung. In Deutschland zum Beispiel wünschen sich nur 26 Prozent der Befragten eine Trennung zwischen Berufs- und Privatleben. Wichtiger ist ihnen die Chance auf ein "Any-time-any-Place"-Arbeitszenario. Im Vordergrund steht dabei der Wunsch nach selbstorganisiertem, autonomem Arbeiten.

Folgerichtig ist ein sicherer, zeit- und ortsunabhängiger "personalisierter Zugang" zu den Arbeitsmitteln und deren intuitive, personalisierte Nutzbarkeit das wichtigste Muster in der Bedürfniswelt Arbeit. Mit anderen Worten: Die Menschen verlangen nach zuverlässigen und mobilen Techniken, um flexibel, ungestört und von überall aus arbeiten zu können. Die weiteren Bedürfnisse nach "effektivem Informations-Management", "beständigem Networking" sowie "intuitiven und intelligenten Arbeitsmittel" passen in dieses Bild. Hinzu kommt, dass Information Worker sich austauschen und mitgestalten wollen und Wert auf eine "gesunde Work-Life-Balance" legen.

Die Studie spricht von einer "radikalen Zäsur" in vielen Bereichen der Arbeit und stellt fest: "Nicht die industriellen Produktions- und Verwaltungsprozesse geben vor, wann und wo die erforderlichen Tätigkeiten abgewickelt werden, sondern der arbeitende Mensch möchte selbst entscheiden, wann er welche Arbeitsabläufe an welchem Ort absolviert." Der virtuelle Schreibtisch sollte nach Bedarf immer und überall verfügbar sein, und die notwendigen Techniken sollten selbstbestimmt genutzt werden können. Erstaunlicherweise ist nicht zuletzt die Generation der über 50-Jährigen einer solchen Arbeitswelt zugetan - für alternde Gesellschaften eine spannende Erkenntnis.

Wie die Studie bilanziert, fehlt es für die Arbeitswelt von Morgen noch vielfach an Standards und Durchgängigkeit, an Sicherheitslösungen und organisatorischen Regeln. Vor allem an der Infrastruktur - insbesondere dem Ausbau der Breitband-Netze - muss verstärkt gearbeitet werden. Mindestens ebenso wichtig ist aber das Anpassen beziehungsweise Aufbrechen der heute meist industriell geprägten Arbeitswelten, der Unternehmenskulturen und auch der institutionellen Rahmenbedingungen und der Arbeitsgesetze. Auch die Menschen selbst müssen erst einmal fähig und bereit sein, sich technisch und organisatorisch mit intelligenten Arbeitswerkzeugen zu beschäftigen.

Insbesondere die berufliche Nutzung des mobilen Internets nimmt permanent zu.
Insbesondere die berufliche Nutzung des mobilen Internets nimmt permanent zu.
Foto: MÜNCHNER KREIS

Es ist also ein sehr weiter Weg in die schöne neue Arbeitswelt. Aber die Bedürfnisse der Menschen zeigen, dass Privat- und Arbeitsleben immer mehr zusammenwachsen werden - so wie es in vorindustriellen Zeiten üblich war. Die Zahl der projektbasiert arbeitenden Freiberufler wächst, und auch Angestellte arbeiten zunehmend selbständig. Neben den Chancen, die im Zusammenwachsen der über Jahrhunderte hinweg künstlich getrennten Lebenswelten liegen, gibt es aber auch Risiken: Wenn jeder sein eigener Herr ist, muss er sich selbst verwalten, am Arbeitsmarkt feilbieten und vor Selbstausbeutung schützen. Wie die Studie verdeutlicht, ist es noch ein sehr weiter Weg in eine Zukunft, die keinen Unterschied mehr zwischen Privat- und Berufsleben macht und gerade deshalb von den Menschen akzeptiert wird. (mhr)