Systems Management kontra Outsourcing

Systemview: IBM definiert neues Rollenspiel zwischen PC und Host

06.11.1992

DALLAS/STUTTGART (gh) - Bisher von Kritikern als visionäres Konzept ohne verfügbare Produkte gescholten, scheint Big Blues Systemview-Architektur nun durch ein ganzes Bündel von Ankündigungen endlich Gestalt anzunehmen. Dabei hat die IBM offensichtlich das LAN für sich entdeckt: Management verteilter Umgebungen heißt jedenfalls die Devise, mit der die Armonker ihre Mainframe-Clientel bei der Stange halten wollen.

Bereits im September 1990 hatte die IBM Systemview als neue System-Management-Lösung propagiert: Vom Großrechner aus sollte die gesamte DV eines Unternehmens - weitgehend mit automatisierten Verfahren - überwacht und gesteuert werden können. Neben der RZ-Automation zielte Systemview dabei vor allem auch auf Bereiche wie Konfigurations-, Anwendungs- und Netzwerk-Management. Als Bestandteil der System-Anwendungs-Architektur SAA sah das Konzept zudem die Integration aller IBM-Hardwareplattformen vor, angefangen von der Großrechnerebene über das Midrange-System AS/400 bis hin zu den PS/2-Rechnern und den RS/6000-Unix-Workstations.

Betrachtet man das bisherige Echo in der Branche, so haftete dem vermeintlich großen strategischen Wurf bisher eher der Ruf eines Rohrkrepierers an - jedenfalls herrschten in Anwenderkreisen Skepsis und Ablehnung gegenüber Big Blues Systemview-Strategie vor. Der Grund: Für das als systemübergreifend angepriesene Konzept blieben die Armonker bis dato verfügbare Produkte schuldig, zudem rief der Mainframeorientierte Ansatz angesichts vielfach vorangetriebener Downsizing-Projekte nicht gerade Begeisterungsstürme hervor.

Bereits im Frühjahr dieses Jahres hatten die Verantwortlichen des Marktführers deshalb die Notbremse gezogen und ihr Systemview-Konzept kurzerhand auf den Kopf gestellt. Die dem Markt nicht mehr vermittelbare Großrechner-Ausrichtung wurde weitgehend ad acta gelegt, eine neue LAN-basierte OS/2-Plattform für Systemview angekündigt. Als Ergebnis ihres Kurswechsels präsentierten die blauen Strategen nun eine Systemview-Hierarchie, in der der Host zwar nicht ausgedient hat, deren Schwerpunkt jedoch eine offene, LAN-orientierte Management-Plattform bilden soll. Aus diesem Grund spricht man, wie Al Olbert, IBMs Personal Systems Programing Director of LAN Systems, auf der Networld in Dallas skizzierte, bei Mother Blue künftig auch im Bereich des lokalen Networkings von einer Systemwelt, deren Eckpfeiler neben dem OS/2 LAN Server 3.0 als Netzwerk Betriebssystem die beiden Systemview-Produktfamilien "Lanfocus Management/2" und "Datahub" bilden. Ziel von Systemview ist es primär, so der Chef der IBM-LAN-Division, auf der Basis von SNMP- und CMIP-Lösungen Anwendern eine Grundsatzentscheidung zu ermöglichen, "von welcher Ebene aus der unternehmensweite Rechnerverbund verwaltet werden soll".

Die Tools der Steuerungssoftware Lanfocus Management/2 können nach IBM-Angaben sowohl in einer Stand-alone-LAN-Umgebung als auch in Strukturen, in der LANs über Netview mit /370- oder /390-Systemen verbunden sind, eingesetzt werden. Ein Netzadministrator ist dann in der Lage, von einer zentralen Workstation aus andere Workstations im LAN zu steuern, sofern diese unter OS/2 2.0, DOS 5.0 beziehungsweise Windows 3.1 betrieben werden. Im übrigen seien, wie es bei Big Blue heißt, die Produkte des Lanfocus-Paketes durch die Verwendung entsprechender Industriestandards so konzipiert, daß sie die Interoperabilität mit allen Systemen auf der Basis von OSI-Protokollen ermöglichen.

Lanfocus Management/2 soll deshalb auf Architekturen aufbauen, die auch in X-Open- und DME-Umgebungen Verwendung finden. Innerhalb von Systemview wird laut IBM das X/Open-Management-Protokoll XMP eingesetzt, um dadurch eine "offene Schnittstelle" für die Unterstützung heterogener Umgebungen bereitzustellen. Als Hardwarebasis beziehungsweise Server-Plattform für den Einsatz der Steuerungssoftware sind zunächst PS/2-Rechner mit OS/2 2.0 als Betriebssystem sowie HPs "Openview" vorgesehen.

Mit Datahub will die IBM eine Antwort auf die Herausforderungen bei der Steuerung eines komplexen Datenbank-Umfeldes geben. Als Plattform für das Management verteilter Datenbanken stellt die Systemview-Lösung nach Angaben von Big Blue eine Reihe integrierter Verwaltungsfunktionen für relationale Datenbanken auf allen SAA-Ebenen - also MVS und VM, OS/400 sowie OS/2 - zur Verfügung. Der Anwendungsbereich erstreckt sich dabei auf Features wie Benutzerautorisierung, Tabellenaktualisierung sowie die Datensicherung und -verteilung in heterogenen verteilten Datenbanken - allerdings auf Basis der IBM Distributed Relational Database Architecture.

Als weitere Systemview-konforme Lösung kündigte Big Blue eine Produktfamilie für die automatische Verteilung und Implementierung von Software in Netzen sowie deren Konfiguration unter der Bezeichnung "Configuration Installation and Distribution" (CID) an. Wesentliche Komponente von CID ist der Distribution Manager/2, ein Programm, das das Einspielen beziehungsweise Herunterladen vorkonfigurierter Software auf unterschiedliche Workstations in heterogenen Umgebungen ermöglichen soll und ebenso wie Lanfocus Clients unter OS/2 2.0, DOS 5.0 und Windows 3.1 unterstützt.

Sowohl das Lanfocus-Paketes als auch die CID-Programme sind IBM zufolge mit der gleichen grafischen Benutzeroberfläche ausgestattet und beinhalten weitgehend eine Implementierung derselben Standards. Wie es bei der Präsentation in Dallas hieß, wird die Steuerungssoftware, die zwischen Dezember 1992 und Herbst 1993 auf den Markt kommen soll, in absehbarer Zeit auch für die Verwaltung von AIX- und Netware-Netzen einsetzbar sein. So hat LAN-Primus Novell inzwischen Unterstützung für das Lanfocus-Projekt signalisiert; beide Unternehmen arbeiten bereits, wie Novell mitteilte, an einer erweiterten Fassung der OS/2-Version des Netware Services Managers (NSM) beziehungsweise der Netware Management Map for OS/2, um Anwendern entsprechende Migrationshilfen bereitzustellen.

Trotz der nun im Rampenlicht stehenden LAN-Produkte bleibt Systemview, wie Gernot Wichmann, Leiter Kompetenzzentrum Große Systeme bei der IBM Deutschland GmbH, betonte, jedoch ein Rahmenwerk, "das lediglich das neue Rollenspiel zwischen PC beziehungsweise Workstations und den Großrechnern definiert". Darauf abzielend, daß in etwa zeitgleich mit der Auslieferung von Datahub und Lanfocus Management/2 eine Reihe von System-Management-Programmen für die VM/ESA- beziehungsweise VSE/ESA-Umgebung zur Verfügung stehen, wollte der IBM-Verantwortliche nichts von einer Degradierung des Hosts als "High-end-Server" wissen.

"Großrechner sind und bleiben in der Regel verantwortlich für das Management unternehmenskritischer Applikationen", bemerkte der ehemalige RZ-Leiter zum Thema Downsizing.

Während in Dallas fast ausschließlich von OS/2 2.0 und der zentralen Rolle des OS/2 LAN Servers innerhalb einer auf das PC-Networking ausgerichteten Systemview-Architektur die Rede war, ist die offizielle Lesart in Stuttgart offensichtlich eine andere. Outsourcing sei, so Wichmann, lediglich als Ultima ratio anzusehen, zunächst gehe es für die IBM darum, den Anwendern mit dem Systemview-Konzept "bei der Bewältigung der Komplexität der Anwendungen zu helfen". Und, um den Schulterschluß mit den Anwendern zu demonstrieren setzte der IBM-Manager noch einen drauf: "Wo immer es geht, wollen wir gemeinsam mit unseren Kunden lernen, die Vielfalt der Systeme zu beherrschen".

Neues Konzept, alte Fragen

Da haben also vorschnelle Kritiker ihre Rechnung ohne die IBM gemacht. Immerhin gab es einige, die dem Systemview-Konzept ein ähnliches Schicksal wie dem Repository Manager/MVS prophezeiten: irgendwann sang- und klanglos von der Bildfläche zu verschwinden. Systemview lebt, heißt die Botschaft, und jeder, der davon noch nicht überzeugt ist, kann Big Blue nun zumindest an konkret genannten Auslieferungsterminen messen.

Nach einem für Armonker Verhältnisse geradezu revolutionären Bekenntnis zur Interoperabilität (OSI, DME) drängt sich dennoch der Eindruck auf, daß hier eine Art eierlegende Wollmilchsau Gutes tun und bewirken soll - fragt sich nur für wen? Wenn jetzt die IBM das PC-LAN als Domäne der unternehmensweiten DV entdeckt hat gleichzeitig jedoch wie eh und je als Mainframe-Apostel alte Zeiten beschwört, bedarf dies an sich keines Kommentars. Wer auf die neuen Systemview-Plattformen setzt, ist nach wie vor an OS/2 gebunden. und dazu ist alles gesagt und geschrieben worden alles, was in den Hochglanzbroschüren über Systemview zu lesen ist, in der Anwendungspraxis innerhalb der blauen Welt funktionieren soll, zum Beispiel in Kombination mit AD/Cycle und AIX - ganz zu schweigen davon, wenn es wirklich ans "OSI-Eingemachte" geht.

Grund zur Skepsis? Mitnichten, Big Blues Kunden haben ja einen Partner zur Hand, der nicht nur liefert und installiert sondern über Systems Management bis hin zum Outsourcing in allen Belangen des täglichen (DV)-Lebens Pate steht. Reicht dies nicht aus, ist man laut IBM neuerdings auch bereit, gemeinsam mit den Anwendern zu lernen. Noch Fragen? gh