Suites und Office-Pakete/ Trotz vieler Verbesserungen fehlen wesentliche Elemente

01.09.1995

Wenige Wochen nach der Freigabe von Windows 95 will Microsoft neue Versionen seiner "Office"-Pakete anbieten. Neben der Unterstuetzung der neuen Windows-Standards zeichnen sich die Updates der Einzelprogramme durch Funktionserweiterungen aus. Es fehlt ihnen jedoch immer noch eine Groupware im Hintergrund und eine einheitliche Skriptsprache.

Von Harald Roeder*

Es wird weiterhin zwei Versionen von MS-Office geben: In "Office Standard" finden sich Word, Excel und Powerpoint, in Office Professional ausserdem die Datenbank Access. Die neue Version des Terminplaners Schedule+ wird in beide Pakete aufgenommen. Die MS- Mail-Lizenz, bislang in jedem Office-Buendel enthalten, entfaellt, weil der Exchange-Client in Windows 95 bereits die Mail-Funktion abdeckt.

Die aktuellen 16-Bit-Versionen der genannten Applikationen bleiben unveraendert, so dass es weiterhin die Versionen 4.2 und 4.3 von MS- Office geben wird. Sie haben ihre Dateiformate an Word 95 und Excel 95 vererbt, und beide Access-Versionen koennen Access- Datenbanken lesen. Lediglich Powerpoint 95 erhielt ein neues Dateiformat, weshalb Microsoft einen Konverter fuer alte 16-Bit- Praesentationen mitliefert.

Die neuen 95er Ausgaben unterstuetzen lange Dateinamen, Verknuepfungen und die Aktenkoffer-Funktion, die besonders fuer Notebook-Besitzer von Interesse ist: Sie dient dem automatischen Abgleich von Daten auf dem mobilen PC mit denen auf dem Rechner daheim oder im Buero. Access 95, das fuer November geplant ist, wird diese Funktion noch um Datenreplikation erweitern, wie sie bereits in der Notes-Umgebung von Lotus ueblich ist. Aehnlich wie in Lotus 1-2-3, Version 5.0, ist es jetzt auch in Excel 95 moeglich, Analysedaten nach geografischen Gesichtspunkten darzustellen.

Speicherbedarf ist gesunken

Alle Anwendungen nutzen Multitasking wie auch Multithreading, um gleichzeitig mehrere Aufgaben ausfuehren zu koennen, also etwa Suchen und Ersetzen, waehrend gleichzeitig eine andere Datei gedruckt wird. Leider waren in der getesteten Beta sowohl die Interaktion der Anwendungen als auch das Multithreading noch instabil, so dass sich hierzu keine gueltigen Aussagen ueber die Qualitaet und die Geschwindigkeit machen lassen.

Immerhin haben die Anwendungen einen geringeren Speicherbedarf: Excel etwa laedt Visual Basic fuer Applikationen (VBA) und andere Module nicht gleich beim Start, sondern erst, wenn sie benoetigt werden. Ausser auf Windows 95 laufen die 95er Versionen auch auf Windows NT 3.51, das seit Ende Juli verfuegbar ist.

Nachdem VBA bereits Excel und Project zugute gekommen ist, darf kuenftig auch Access 95 davon profitieren. Powerpoint 95 hingegen bietet zwar ein VBA-Objektmodell, doch kann der Anwender nicht in der Applikation selbst programmieren. Es dient wohl eher der Zugaenglichkeit fuer OLE 2.0.

Aehnliches gilt fuer Word 95: Auch hier ist die Steuerung ueber OLE- Automation moeglich, doch VBA ist noch Zukunftsmusik, so dass sich Anwendungsentwickler mit dem vertrauten Word-Basic zufriedengeben muessen. Zur VBA-Zukunft von Schedule+ macht Microsoft keine Angaben.

Aehnlich wie beim Ami-Pro-Nachfolger Word-Pro von der Konkurrenz Lotus hat der Benutzer von Office 95 die Moeglichkeit, Fragen in Umgangssprache an das Hilfesystem zu stellen. Ihm antwortet dann ein Assistent, beispielsweise indem er das entsprechende Hilfethema darstellt oder einen Ratgeber aufruft. Die Fragen muessen allerdings einer bestimmten Syntax folgen, so etwa "Wie kann ich ...?" Aber auch Fachbegriffe wie "rechtsbuendig" oder "unterstrichen" sind dem System nicht fremd.

Der Assistent laesst sich in allen fuenf Office-Anwendungen inklusive Schedule+ aufrufen. Er deckt auch uebergreifende Funktionen ab, wie die Clipart-Gallery und den ehemaligen Office Manager (MOM), der nun noch ein Dasein als Short-cut-Liste fristet. Sie taucht als Symbolleiste auf dem Desktop auf und ist anpassbar.

Bindet der Anwender das Startmenue mit saemtlichen Anwendungen ein, so erstellt Office daraus mehrere Kategorien, zum Beispiel "Programme" oder "Favoriten", persoenliche Lieblingsdokumente. Die Symbole der Kategorien lassen sich wie Akten in einem Regal verschieben und die zugeordneten Programme etc. oeffnen.

In der Version fuer Windows 95 ist der Kalender von Schedule+ wesentlich flexibler: Zum Beispiel lassen sich Tages-, Wochen- und Monatsuebersichten kombiniert darstellen. Freiberufler werden sich ueber die Moeglichkeit freuen, in einer einstellbaren Skala auch An- und Rueckfahrten genau abzurechnen.

Wie in Symantecs Act! 2.0 erlaubt auch in Schedule+ eine Adressdatenbank die optimale Kontaktpflege. Der Benutzer kann einem Kontakt zum Beispiel mehrere Adressen samt Telefonnummern etc. zuordnen.

Die Sortierung ist nach mehreren Feldern wie Firmenname oder Postleitzahl moeglich. Um einen guten Datenaustausch zu gewaehrleisten, lassen sich Schedule+-Daten aus beziehungsweise nach ASCII (Tab-separierter Text) und CSV (Komma-separierter Text) im- und exportieren. Verbreitete Datenbanken wie Dbase sowie Tabellenkalkulationen wie Excel werden ebenfalls zugaenglich. Die Excel-Unterstuetzung ist wohl ein Muss, wenn Schedule+ in MS-Office heimisch werden soll.

Natuerlich muss auch die Verwaltung von Projekten und Gruppenterminen realisierbar sein. In der Projektverwaltung von Schedule+ lassen sich Aufgaben koordinieren, Ablaeufe festlegen und Termine ueberwachen.

Aufgaben lassen sich mit dem persoenlichen Kalender abgleichen und Aktivitaeten nach ihrem Status (zu erledigen, in Arbeit, beendet) analysieren und anzeigen. Auf einem Notebook uebernimmt Schedule+ den automatischen Abgleich von Daten, die im Aussendienst eingegeben wurden, also eine Aktenkoffer-Funktion, wie man sie auch in Windows 95 findet.

Arbeitsgruppen hilft der Meeting-Assistent bei der schrittweisen Vorbereitung einer Besprechung, waehrend Auto-Pick auf Wunsch das naechste Zeitfenster liefert, das sich fuer eine Besprechung festgelegter Teilnehmer eignet. Schedule+ verwaltet verschiedene Zugriffsrechte. Ueber MS-Mail kann der Benutzer Termine und Aufgaben weitergeben beziehungsweise erhalten, Adressdaten aus Access oder Excel uebernehmen und mit Hilfe der integrierten Adressverwaltung Serienbriefe oder -faxe mit Word erstellen.

In Excel hat Microsoft ein neues Feature integriert: Auto-Complete vervollstaendigt sich wiederholende Eingaben selbstaendig auf sinnvolle Weise. Durch Auto-Calculate stehen in der Statusleiste drei Ergebnisse pro Spalte zur Verfuegung (Summe, Durchschnittswert, Anzahl der Werte), die sich durch einen Mausklick einfuegen lassen.

Bei Word hat Microsoft die automatische Fehlerkorrektur ausgebaut. Das Programm wartet endlich mit einer Online-Rechtschreibpruefung auf, die im Hintergrund laeuft und sofort unbekannte neue Woerter rot unterkringelt. Ein bunter Marker hilft, wichtige Woerter zu unterstreichen, und aus einem Adressbuch - zum Beispiel aus Schedule+ oder Exchange - lassen sich Adressen und Namen bequem in Dokumente einfuegen. Winword verwaltet statt bisher 30 nun sogar 512 Filialdokumente, so dass die haeufigen Speicherfehlermeldungen ab sofort der Vergangenheit angehoeren sollten.

Powerpoint hat ebenfalls von den Verbesserungen profitiert: Das Anbringen von Redner- und Publikumsnotizen wurde vereinfacht (Write-up mit Word), und der Pack-and-go-Assistent komprimiert eine Praesentation so, dass sie reisefertig auf mehrere Disketten passt. Fuer mobile Menschen ist auch die Excel-aehnliche Sammelmappe Office Binder gedacht: Hier finden Dateien unterschiedlicher Herkunft nebeneinander Platz, und zwar in einem einzigen Dokument.

Somit laesst es sich leicht im Team bearbeiten und ueber das Netzwerk verteilen. Die Aktualisierung kann beispielsweise ueber die Aktenkoffer-Funktion erfolgen. Fuer Excel-, Word- und Powerpoint- Dokumente stehen zudem jeweils Betrachter in Office bereit, so dass die Weitergabe dieser Dokumente auch an Zeitgenossen ohne Office erfolgen kann.

Mit dem Boom der Online-Dienste wurde die Integration des Internet-Zugangs unvermeidlich. In Word 95 soll man einen Browser fuer das World Wide Web erhalten sowie die Moeglichkeit, Dokumente fuer WWW-Seiten zu formatieren und zu verteilen. Die Formatsprache heisst Hypertext Markup Language (HTML) und arbeitet mit Hyperlinks. Solche Links kann der Benutzer vom WWW holen und in seine Seite einfuegen. Vom HTML-Konverter, dem Browser und dem Internet-Zugang war - anders als in Word-Pro - in der getesteten Beta noch nichts zu sehen.

Die Arbeit mit Office macht nur auf einem System Spass, das mindestens einen 486DX/33-Prozessor mit 8 MB RAM (besser 16 MB) und nach Moeglichkeit ein CD-ROM-Laufwerk vorweisen kann. Auf der Festplatte benoetigt das Bueropaket rund 100 MB Platz.

Die Installation von CD-ROM beginnt mit einem Kahlschlag: Selbst wenn ein anderes Verzeichnis als das urspruengliche MS-Office- Directory als Kopierziel gewaehlt wurde, loescht das Setup eine ganze Menge Programmdateien aus dem Urverzeichnis, unter anderem Excel.exe. Das erinnert an die Zehn Gebote: "Ich bin der Herr, Dein Gott... Du sollst neben mir keine anderen Goetter haben."

Mit Schedule+ ist Microsoft nun in der Lage, ein ebensogrosses Leistungsangebot wie Lotus in seiner Smartsuite anzubieten, in der ja der Organizer 2.0 seinen Dienst versieht. Jedoch hat Lotus mit Script 3.0 im Gegensatz zu VBA eine Skriptsprache, die uebergreifend allen Applikationen der Smartsuite 95 beziehungsweise Notessuite zur Verfuegung steht. Gegenueber den Office-Suiten von Lotus und Novell bietet also MS-Office 95 immer noch keine applikationsuebergreifende Programmiersprache fuer alle Anwendungen des Pakets.

Ein weiterhin bestehender Mangel von MS-Office 95 ist die fehlende Anbindung an eine Groupware wie Notes FX, dessen Datenbankfelder zum Beispiel in verschiedene Anwendungen integrierbar sind. Die Groupware-Anbindung durch ein Microsoft-Produkt kann erst der Exchange Server bringen, der fuer Fruehjahr 1996 geplant ist.

Vorerst wird das Office-Paket von den Anwendungen des MS- Backoffice unterstuetzt: der Datenbank SQL Server 6.0, dem SNA Server fuer die Verbindung zu IBM-Systemen und dem System Management Server. Da MS-Office 95 zudem auch auf Windows NT 3.51 laeuft, ist es auch fuer RISC-Workstations und den Power-PC interessant.

Fuer Drittanbieter von Programmen wie etwa Corel oder Micrografx ist MS-Office 95 als eine Art Basissystem fuer den Buerobetrieb interessant. Daher passen solche Softwarefirmen ihre Anwendungen daran an. Ein wichtiges Kriterium ist dabei die Unterstuetzung der Office-Sammelmappe (des Binders) sowie von OLE 2.0 inklusive Automation und In-place-Editing.

Das parallel zur US-Version entwickelte deutsche Office 95 Standard duerfte bereits um den 15. September auf den Markt kommen. Die Preise werden - mit geringen Schwankungen je nach Anbieter - wie folgt aussehen: Vollversion 1349 Mark, Update 800 bis 900 Mark, Schulversion zirka 550 Mark (gilt jeweils auch fuer die CD- Version).

Vom 15. Juli bis zum 31. Dezember 1995 veranstaltet Microsoft eine Sonderaktion, bei der das Update einer ab dem 15. 7. gekauften 4.x-Office-Version nur 49 Mark kostet. (Eine MS-Werbeanzeige hat bereits dazu gefuehrt, dass viele Leute faelschlicherweise meinen, alle Updates von Office wuerden nur 49 Mark kosten.) Die Professional-Version soll erst Ende des Jahres erscheinen, wenn Access 3.0 - oder 7.0, um die Konsistenz zu wahren - fertiggestellt ist.

* Harald Roeder ist DV-Fachautor in Muenchen.