KI-Washing

Softwareanbieter pimpen ihre Produkte und bedienen den Hype

21.07.2017 von Martin Bayer
Nahezu jeder Softwareanbieter heftet heute seinen Produkten das Label KI an. Gartner moniert, die Anwender würden oft getäuscht. Der Fokus müsse auf konkrete Problemlösungen im Business gelegt werden.

Die Analysten prognostizieren, dass Technologien rund um künstliche Intelligenz (KI) bis 2020 Teil fast jedes neuen Softwareprodukts oder -service sein werden. Der Hype um das Thema sowie das wachsende Interesse vieler Anwenderunternehmen bringen etablierte Softwareanbieter dazu, KI in ihre Produktstra­tegie zu integrieren. Doch dabei entsteht erheb­liche Verwirrung, konstatieren die Experten des IT-Research- und Beratungsunternehmens.

Nahezu jedes Softwareprodukt enthält Künstliche Intelligenz - das verwirrt die Anwender.
Foto: agsandrew - shutterstock.com

"Viele Softwareanbieter wollen ihren Claim im größten Goldrausch der letzten Jahre abstecken", sagt Jim Hare, Research Vice President bei Gartner. Die künstliche ­Intelligenz biete tatsächlich spannende Möglichkeiten, doch leider konzentrierten sich die meisten Anbieter nicht darauf, die Bedürfnisse, den potenziellen Nutzer und den Mehrwert für ihre Kunden zu identifizieren. Lieber bauten sie einfach irgend­welche auf KI-basierenden Produkte, um auf der Hype-Welle mitzusurfen.

Interesse der Anwender

Das Interesse am Thema KI sei geradezu explodiert – Gartner erkennt das auch an den Sucheingaben auf der eigenen Website. Tauchte der Suchbegriff "Artificial Intelligence" im Januar noch nicht einmal unter den 100 häufigsten Suchbegriffen auf, rangierte er im Mai 2017 bereits auf Platz sieben. Die Marktauguren werten diese Entwicklung als Hinweis, dass die Anwenderunternehmen verstehen wollen, welche Rolle KI im Rahmen ihrer digitalen Transformation spielen kann oder sollte. Gartner geht davon aus, dass KI bis zum Jahr 2020 für rund ein Drittel aller CIOs weltweit unter den obersten fünf Investitionsprioritäten zu finden sein wird.

Künstliche Intelligenz aus der Cloud
Microsoft Machine Learning
Azure Machine Learning ist ein vollständig verwalteter Cloud-Dienst, mit dem Anwender Predictive Analytics-Lösungen generieren und bereitstellen können.
Microsoft Cognitive Services
Die Cognitive Services von Microsoft enthalten unter anderem Dienste für Bildanalyse und Gesichtserkennung.
Amazon ML
Amazon Machine Learning unterstützt den Anwender bei der Fehleranalyse von Vorhersagemodellen.
Amazon Bot
Mit Amazon Lex können Chatbots beispielsweise für Verbraucheranfragen erstellt werden.
Google API
Über APIs lassen sich Google AI-Services in eigene Anwendungen integrieren.
Google Tensorflow
Das von Google stammende Open-Source Framework Tensorflow ist die Basis von Cloud ML.
IBM Bluemix
IBM bietet auf der Cloud-Plattform Bluemix zahlreiche Watson-basierte AI-Anwendungen.
IBM ML
IBM Machine Learning ermöglicht die Entwicklung und den Einsatz selbstlernender Analysemodelle in der Private Cloud.
HPE Haven
Mithilfe der Gesichtserkennungs-API von HPE können Entwickler in Fotos gefundene Daten importieren, extrahieren und analysieren.
Salesforce Einstein
Salesforce Einstein: Predictive Content liefert Kunden auf Basis von maschinellem Lernen eine individuelle Empfehlung für das beste Produkt.

Damit Anwender aber die Chancen wirklich ergreifen können, muss sich die Art und Weise ändern, wie die Anbieter an den Markt herangehen, fordern die Analysten. Mehr als 1000 Hersteller von Applikationen und Softwareplattformen bezeichnen sich ­heute als KI-Anbieter oder behaupten, ihre Produkte enthielten KI, so die Marktforscher. Dieses plötzliche Aufkommen angeblicher Experten, die KI-Produkte im Portfolio zu haben behaupten, nerve die Anwender zusehends. Dazu komme, dass viele Hersteller das Label willkürlich und unüberlegt an ihre Produkte hefteten.

Begriff KI sorgfältig verwenden

"Es wäre gut, wenn die Anbieter den Begriff KI in ihren Vertriebs- und Marketing-Unterlagen sorgfältiger verwendeten", empfiehlt Gartner-Analyst Hare. Aus den Produktbeschreibungen müsse klar hervorgehen, was die jeweilige KI-Komponente ausmache, welches Problem sie löse und wie sie sich von ­konkurrierenden Produkten unterscheide. ­Geschürt werde die Verunsicherung im Markt auch dadurch, dass weitere Buzzwords wie beispielsweise Deep Learning ebenfalls um sich griffen. Auch hier machten die Hersteller nicht verständlich, worin der Mehrwert dieser Technologien liege.

Machine Learning - Technologien und Status quo
Bilderkennung ist wichtigstes Anwendungsgebiet für Machine Learning
Heute kommen Machine-Learning-Algorithmen vor allem im Bereich der Bildanalyse und -erkennung zum Einsatz. In Zukunft werden Spracherkennung und -verarbeitung wichtiger.
Machine Learning im Anwendungsbereich Customer Experience
Heute spielt Machine Learning im Bereich Customer Experience vor allem im Bereich der Kundensegmentierung eine Rolle (hellblau). In Zukunft wird die Spracherkennung wichtiger (dunkelblau).
Machine Learning in den Bereichen Produktion und Prozesse
Unternehmen erhoffen sich im Bereich Produktion/Prozesse heute und in Zukunft (hell-/dunkelblau) vor allem im Bereich Prozessoptimierung positive Effekte durch Machine Learning.
ML im Bereich Kundendienst und Support
Sentiment-Analysen werden eine Kerndisziplin für Machine Learning im Bereich Kundendienst und Support
Auch IT-Abteilungen profitieren
Schon heute wird Machine Learning für die E-Mail-Klassifizierung und Spam-Erkennung genutzt. In Zukunft (dunkelblau) werden Diagnosesysteme wichtiger.
Was Management, Finance und HR von Machine Learning erwarten
Heute und in Zukunft ist in diesem Bereich das Risikomanagement eine vorrangige ML-Disziplin. In Zukunft soll auch das Talent-Management beflügelt werden.
Massive Effekte für Einkauf und Supply Chain Management
Machine Learning wird sich auf verschiedenste Bereiche des Procurements und des Supply Managements auswirken (hellblau = heute; dunkelblau= in Zukunft)
Diese Lernstile sind bekannt
Beim bekanntesten Lernstil, dem Überwachten Lernen (Supervised Learning), werden Bildern oder Dokumenten von Hand eine gewisse Menge an Tags oder Labeln zugewiesen. So werden die ML-Algorithmen trainiert.
Diese Lernstile verwenden Branchen
Während Autobauer eher auf "Semi-supervised Learning" setzen, sammeln andere Branchen mit Supervised Learning Erfahrung.
Machine-Learning-Algorithmen
Die meisten Unternehmen setzen auf einen Mix von Verfahren, um ihre vielfältigen Aufgaben zu lösen.
Einsatz von Machine-Learning-Algorithmen nach Branchen
Neuronale-Netzwerk-Algorithmen finden vor allem im Automotive-Sektor Verwendung - und natürlich in der ITK-Branche selbst.
Diese Programmiersprachen und Frameworks kommen im ML-Umfeld zum Einsatz
Mit knapp 70 Prozent Einsatzgrad ist Java die führende Programmiersprache im Bereich ML. Allerdings holen speziellere Sprachen und Frameworks auf.
Deep-Learning- und Machine-Learning-Packages
DeepLearn Toolbox, Deeplearning4j, das Computational Network Toolkit und Gensim werden auf Dauer die führenden Pakete sein.
Zielinfrastruktur für ML-Workloads
Die Deployments von Machine Learning gehen zunehmend in die Breite und erreichen auch die Cloud und das Internet der Dinge. Auf die Unternehmen kommt mehr Komplexität zu.
Bedenken und Herausforderungen
Datenschutz und Compliance-Themen machen Anwender am meisten zu schaffen, geht es um den Einsatz von Machine Learning. Außerdem vermissen viele einen besseren Überblick über das Marktangebot.
Machine Learning ist Sache der BI- und Analytics-Spezialisten
Die organisatorische Einführung von ML obliegt meistens den BI- und IT-Profis. Viele Anwender holen sich aber auch externe Hilfe.
Wo Externe helfen
Datenexploration, Skill-Aufbau und Implementierung sind die Bereiche, in denen Machine-Learning-Anfänger am häufigsten externe Hilfe suchen.

Unternehmen suchen heute vor ­allem nach KI-Lösungen, die Geschäftsentscheidungen unterstützen und Prozesse automatisieren, will Gartner im Rahmen einer Umfrage herausgefunden haben. Dabei bevorzugen sie integrierte Lösungen beziehungsweise speziell für bestimmte Problemstellungen geschnürte Pakete. Softwareanbieter sollten sich daher darauf konzentrieren, mit ihren KI-Lösungen konkrete Business-Probleme anzugehen, statt nur irgendwelche technischen Highlights herauszustellen, rät Hare.