Vom Zero zum Heroe

So schaffen Unternehmen den Turnaround in der Digitalisierung

20.11.2017 von Thorsten Beckmann
Glaubt man Wirtschaftsforschern, ist ein Krisenstatus geradezu der Normalfall in den Unternehmen. Hier lesen Sie, wie Sie Krisen in der aktuellen digitalen Transformationsphase bewältigen und Mitarbeiter und Kunden dabei mitnehmen.

Nach Angaben des Wirtschaftsforschers Christoph Lymbersky geraten innerhalb von zehn Jahren 80 Prozent aller Firmen einmal in eine Krise, alle 20 Jahre sogar in eine, die die Existenz der Firma massiv bedroht. Und wir können angesichts der Herausforderungen der digitalen Transformation und der so genannten VUCA-Welt wohl mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass sich die Lage nicht eben beruhigt, sondern dass in der Realität jeden Tag mehr Firmen um ihr Weiterbestehen kämpfen. Manche weithin erkennbar - manche unterhalb des Radars der Wirtschaftspresse oder des lokalen Marktes.

So weit muss es nicht kommen. Ein gutes Krisenmanagament ist schwierig, aber machbar.
Foto: Joseph Sohm - shutterstock.com

Einige von ihnen wie Osram, Ströer und in der Vergangenheit auch spektakuläre Fälle des Tech- und IT-Sektors wie Dell, Apple, Nokia und Sony schaffen den Turnaround und sind danach stärker als zuvor. Sie haben den Weckruf gehört, sie haben die Zeichen der Zeit erkannt und gelernt. Gelernt, dass man bei den ersten Krisenanzeichen reagieren und sein Geschäftsmodell den volatilen Märkten und disruptiven Geschäftsmodellen, die die eigene Branche durcheinanderwirbeln, anpassen muss.

Mehr als nur "bessere Zahlen"

Doch das ist nur die quasi "technische" Seite, die den Weg von "Zero to Hero", von der Null zurück zum Held ebnet. Mindestens ebenso wichtig wie Zahlen und Marktfaktoren sind Menschen und organisationale Faktoren. Denn kein Turnaround gelingt, wenn Kunden und Lieferanten, wenn Führungskräfte und eigene Mitarbeiter kein Vertrauen und Engagement mehr ins Unternehmen setzen.

Wir können viel über die Faktoren eines gelungenen Turnarounds lernen, wenn wir uns anschauen, warum Firmen wirklich in die Krise schlittern. Nach einer Untersuchung aus 2014 liegen "menschliche Faktoren" wie

weit vor den nachrangigen - vielleicht auch in Teilen daraus erwachsenden - monetären Faktoren wie mangelnde Liquidität, schlechte Neukundenakquise und nicht ausreichender Cash Flow. Noch eindeutiger das Ergebnis, wenn man aktuelle Studien heranzieht, die sich auf die internen Gründe für ein Scheitern fokussieren. Veraltete Strategien, mangelhafte Adaption an Marktentwicklungen, Visionslosigkeit des Managements gerade auch angesichts der Herausforderungen der digitalen Transformation und mangelnde interne Kommunikation stehen ganz weit oben auf dem Holzhaufen des Scheiterns.

Angstfrei im Job: Chefs
1. Behandeln Sie Ihre Mitarbeiter ...
... freundlich - unabhängig von der Tagesform.
2. Respektieren Sie Ihre Mitarbeiter ...
... als Menschen mit eigenen Zielen und Wünschen, die Beruf und Privatleben in Einklang bringen müssen.
3. Kontrollieren Sie nur da, wo Kontrolle nötig ist.
Lassen Sie Verantwortung und Kompetenz beim Mitarbeiter.
4. "Deckeln" Sie Ihre Mitarbeiter nicht!
Seien Sie offen für konstruktive Kritik und schaffen Sie ein Forum für den fairen Meinungsaustausch.
5. Lassen Sie Ihre Mitarbeiter wissen, woran sie sind.
Informieren Sie offen über die Lage des Unternehmens und im Einzelgespräch auch, wie Sie die Leistung des Einzelnen einschätzen.
6. Ein guter Chef ist ein gerechter Chef.
Verteilen Sie Aufgaben, Lob und Kritik gemäß nachvollziehbarer Maßstäbe.
7. Führen Sie Protokoll ...
... über Ihre Entscheidungen und Arbeitsaufträge. Nur konsistente Entscheidungen schaffen eine gute Grundlage für die Zusammenarbeit.
8. Stören Sie Ihre Mitarbeiter nicht!
Sie haben Ihre Mitarbeiter ausgewählt, weil diese Experten für ihren jeweiligen Aufgabenbereich sind. Lassen Sie die Experten ihre Arbeit tun und beschränken Sie sich auf Unterstützung und Beratung.
9. Sorgen Sie für eine angstfreie Atmosphäre, . . .
... in der die Mitarbeiter Fehler und Probleme eingestehen können, ohne Angst vor Strafe zu haben.
10. Bleiben Sie menschlich!
Wer als Chef die Größe hat, einen beruflichen Fehler zuzugeben, wächst in der Achtung der Mitarbeiter und ist zugleich Vorbild.

Was macht die Turnaround-Kultur aus?

Sehr oft hapert es ann einer Turnaround-Kultur. Denn selbst nach der Sicherung der Liquidität sehen sich dann vom Überlebenskampf ausgelutschte Führungskräfte einer manchmal über Jahre getäuschten und häufig enttäuschten Anspruchshaltung wütender oder zukunftsängstlicher Mitarbeiter gegenüber. Oder alte und neue Führungskräfte beharken sich in einem endlosen Machtkrieg gegenseitig im Kampf um Schuldzuweisungen oder künftige Pfründe. Ganz abgesehen davon, dass sowohl der Kundenrückzug als auch der Brain Drain gerade der besten Mitarbeiter, die vor allem in diesen Zeiten des Fachkräftemangels überall unterkommen, weitergeht.

Lesetipp: Wenn Veränderung zum Dauerzustand wird

Ein erfolgreiches Maßnahmenbündel muss also meiner Auffassung nach zusätzlich umfassen:

1. Das Ausrufen einer erkennbaren Turnaround-Kultur im Unternehmen
Ein Aufbruch zum Besseren braucht immer auch eine Zäsur, einen Startpunkt. Und der braucht klare Sprache, Leitlinien und Symbolik. Kein Weiterwurschteln wie bisher und Überspielen, sondern ein offenes Bekenntnis von der Unternehmensführung über alle Führungsebenen zu einer neuen Turnaround-Kultur - die aber auch definiert sein muss. Definiert über beispielsweise einen neuen Wertekatalog, eine präzise definierte neue Unternehmenspositionierung mit einer klar beschriebenen Vision und einer mitreißenden Mission, eine neue Kommunikationskultur, klare Leitlinien für das "Anders-Machen" und Wieder-Motivation-Aufbauen.

2. Die Etablierung von Vertrauensmanagern
Ja, natürlich sollten die Führungskräfte immer auch vertrauenswürdige Ratgeber und Instanzen für die Mitarbeiter sein. Aber sind wir ehrlich: das sind sie sehr oft nicht. Und schon gerade gar nicht in Zeiten heftiger Krisen. Oft gehören in solchen Situationen Schwiegen und Verschweigen, Überspielen, Tarnen und Täuschen zum Verhaltensrepertoire leitender Mitarbeiter ihren Teams gegenüber.

Konflikte zwischen Mitarbeitern moderieren
Konflikte zwischen Mitarbeitern moderieren
Wo Leute zusammenarbeiten, bleiben Konflikte nicht aus. Wie sich Führungskräfte dabei verhalten sollten, erfahren Sie hier:
1. Schritt: Das Ziel klären
Erklären Sie den Konfliktparteien, worum es bei der Konfliktmoderation geht: um ein Lösen des Konflikts. Jedoch nicht in der Form, dass wie in einer Therapie alle Emotionen und Erfahrungen in der Vergangenheit aufgearbeitet werden; auch nicht in der Form, dass wie in Betrieben oft üblich, der Konflikt ignoriert oder durch formale Regelungen zugedeckt wird. Nein, die Arbeitsbeziehung soll neu ausgehandelt und so geregelt werden, dass beide Mitarbeiter gut damit leben und ihren Job besser machen können. Dabei lautet die Maxime: Kein Beteiligter muss einer Lösung zustimmen, die ihn zum Verlierer macht.
2. Schritt: Regeln festlegen
Definieren Sie mit den Konfliktpartnern Regeln für die Moderation. Zum Beispiel:<br><br> - Beide stellen Forderungen an das Verhalten des jeweils anderen.<br> - Diese werden nach dem Prinzip "Geben und Nehmen" ausgehandelt.<br> - Die Absprachen werden schriftlich fixiert.<br><br>Vereinbaren Sie mit den Konfliktpartnern auch, worüber Vertraulichkeit gewahrt und worüber mit Dritten gesprochen werden darf. Klären Sie zudem Ihre Aufgaben als Moderator.
3. Schritt: Wünsche und die dahinterstehenden Bedürfnisse sammeln
Sind die Formalien geklärt, können Sie die Beteiligten zum Beispiel bitten, auf einem Formblatt folgende Fragen zu beantworten: <br><br> "Es würde mir helfen, effektiver zu arbeiten, wenn Sie folgendes häufiger/anders tun würden: .... weil…" <br> "Es würde mir helfen, effektiver zu arbeiten, wenn Sie folgendes seltener/nicht mehr tun würden: ....weil…" <br> "Behalten Sie folgende Aktivitäten bei, die mir helfen, effektiv zu arbeiten: ...."
4. Schritt: Verständnis klären
Die ausgefüllten Formblätter können Sie entweder kopieren oder so aufhängen, dass sie jeder lesen kann. Bitten Sie die Konfliktpartner, die Forderungen/Wünsche des jeweils anderen mit eigenen Worten laut zu formulieren. "Sie wollen, dass ich ..." Der andere soll die Aussage entweder bestätigen oder korrigieren. Bitten Sie als Moderator sofern nötig, um Beispiele für das gewünschte Verhalten, um das Verständnis sicherzustellen.
5. Schritt: gemeinsam Lösungen suchen
Hier ist das Brainstorming die Technik der Wahl, denn sie ermöglicht es allen Beteiligten, optimal zur Lösung beizutragen. Zudem sollte das Suchen und Sammeln der möglichen Elemente einer Lösung frei von (vorschnellen) Bewertungen erfolgen.
6. Lösungen bewerten und aushandeln
Nach dem Sammeln können beide Konfliktparteien anhand ihrer Forderungen die Lösungsvorschläge markieren, die ihnen am ehesten geeignet erscheinen. Bitten Sie die Konfliktparteien anschließend, sich wechselseitig Angebote zu machen.
7. Schritt: Absprachen treffen und Protokoll erstellen
Notieren Sie alle getroffenen Absprachen. Dass beim Aushandeln der künftigen Arbeitsbeziehung auch mal die Emotionen hochkochen und schmerzhafte Erlebnisse aus der Vergangenheit geschildert werden, ist denkbar. Das sollten Sie zulassen, damit der Druck aus dem Kessel weicht. Dabei müssen Sie aber Fingerspitzengefühl zeigen und darauf achten, dass sich kein Druck aufbaut.
8. Schritt: Abschließen und Folgetermin vereinbaren
Die bei Konfliktmoderationen getroffenen Vereinbarungen erscheinen Außenstehenden oft unbedeutend. Für die Beteiligten sind sie aber wichtig, weil Emotionen daran hängen. Folglich muss die Umsetzung der Abmachungen auch nachhaltig sichergestellt werden, damit alte Wunden nicht erneut aufgerissen werden. Vereinbart werden sollte auch, was geschieht, wenn Absprachen nicht eingehalten werden.

Die Etablierung von extra ausgewiesenen und ausgebildeten Vertrauensmanagern oder Mediatoren mit besonderer Vertraulichkeitsfunktion kann helfen. Hier können Mitarbeiter nicht nur von ihren Sorgen berichten, sondern finden auch eine Anlaufstelle für ihre neuen Ideen und Wünsche finden. Das kann dazu führen, dass sie neuen Sinn in ihrer Arbeit finden und ihre Zugehörigkeit zum Unternehmen entwickeln. Ja, das ist aufwändig, aber Vertrauen ist nunmal die Basis jeden verantwortlichen menschlichen Handels. Und nur aus der Stärkung des Zugehörigkeitsgefühls kann wieder Stolz auf die Firma und die eigene Arbeit erwachsen.

3. Neue interne Kommunikation
Ein Turnaround wird nur gelingen, wenn die Führung nicht nur Dinge anders regelt, sondern auch weiß, wie sie kommunikativ das Vertrauen und Commitment der Mitarbeiter zurückgewinnen kann. Technisch war dies nie einfacher als heute, wo wir auf ständig neue zeitsynchrone und zeitasynchrone Kommunikationsmedien zurückgreifen können.

Ob firmeninterne Messenger- oder Chatsysteme oder What´s App-Gruppen - eine neue Kommunikationskultur sollte möglichst schnell auch durch neue Kommunikationsmedien unterstützt werden, um den alten Flurfunk, der in Krisenzeiten meist nur miese Nachrichten breittrat, zu ersetzen. Aber es braucht eben auch besseres und schnelleres Feedback und viel mehr Wertschätzung. Sprache formt immer auch rückwirkend die Gedanken - eine positive Turnaround-Kultur muss mit einer positiven Sprachgebung, mit positiven Wordings, mit positiver Wertschätzung verbunden sein.

Lesetipp: Messenger im Unternehmenseinsatz

Zum Video: So schaffen Unternehmen den Turnaround in der Digitalisierung

Eine neue Kommunikationskultur wird im Turnaround auch vieles aushalten müssen. Ruppige, manchmal sogar hinterhältige Umgangsformen, die sich in Krisenzeiten eingeschlichen haben. Hahnenkämpfe in Managementboards, in denen sich alte und neue Führungskräfte beharken, um die Oberhand zu gewinnen, bisherige Herangehensweisen zu rechtfertigen oder aufrecht zu erhalten, neue Marktentwicklungen zerstreiten oder Machtposition auskämpfen.
Da hilft oft nur eines: Keiner verlässt den Tisch, bis alle Streitpunkte und verborgenen Kampfhandlungen offengelegt und mindestens mit einer Lösungsabsicht versehen sind.

4. Proaktive Kommunikation nach außen
Was innen gilt, gilt auch für die Kommunikation nach außen. Die Vertrauenssicherung von Lieferanten und Kunden hat höchste Priorität. Kundenservice wird im Turnaround zum Vertrauensmanagement - jeder Mitarbeiter mit Kundenkontakt muss zum positiven Herold, zum Multiplikator der neuen Umbruch-Kultur werden. Das geht nicht nur mit motivierenden Reden - dazu gehört Schulung und Weiterbildung. Was ebenso für den proaktiven Umgang mit bisherigen Fehlern oder Krisenfaktoren und den "neuen guten Vorsätzen" gilt, denn nur eine proaktive Kommunikationsstrategie kann ein beschädigtes Markenimage im Markt und bei der Presse sowie den Kunden und Lieferanten reparieren. Ansprechen, zugeben, Neuerungen offensiv nach außen tragen. Das im gelebten Vorbild beweisen, gerade im Umgang mit kritischer Presse oder erzürnten Altkunden. Walk your Talk!