Die katalanische Hauptstadt Barcelona war heuer wieder einmal das Mekka der Mobilfunkindustrie. Für alle, die in der Branche Rang und Namen haben, ist die weltgrößte Branchenmesse ein Pflichttermin, selbst wenn sie - wie von Nokia erstmals praktiziert - keinen eigenen Stand gebucht haben.
Nach dem Konjunktureinbruch im vergangenen Jahr stehen die Zeichen im Mobilfunkmarkt wieder deutlich auf Wachstum. Grund dafür ist die zunehmende Popularität von Smartphones wie dem Apple iPhone, mit denen die Nutzer jetzt vermehrt auf das Internet zugreifen. Erst vor kurzem hatten die Marktforscher von Strategy Analytics gemeldet, dass der Smartphone-Markt im vierten Quartal 2009 mit 53 Millionen verkauften Geräten ein neues Rekordvolumen erreicht habe. Gegenüber dem Vorjahreszeitraum entspricht das einem Plus von 30 Prozent - wohlgemerkt zu einem Zeitpunkt, zu dem der Absatz in vielen anderen Branchen krisenbedingt bestenfalls stagnierte und das Geld bei Business- und Privatkunden generell nicht locker sitzt.
Wie nicht anders zu erwarten, standen neue Smartphone-Modelle im Mittelpunkt der Veranstaltung. Überraschenderweise stellte dabei ausgerechnet Marktführer Nokia kein einziges neues Gerät vor. Stattdessen propagierten die Finnen ihre Servicestrategie rund um die Web-Plattform Ovi und gaben bekannt, das im Smartphone-Flaggschiff "N900" genutzte "Maemo-OS" mit Intels mobilem Linux-System "Moblin" verschmelzen zu wollen. Entstehen soll daraus die neue Plattform "MeeGo", für die es ab der zweiten Jahreshälfte verschiedene Endgeräte, darunter Smartphones, Netbooks, Tablets und Internet-fähige Fernseher, geben soll.
Nokia setzt auf Linux
MeeGo kombiniere die besten Eigenschaften der bestehenden Plattformen, warben Intel und Nokia. Im Kern basiere die Software auf dem Multiprozessor-fähigen Moblin, während das mit Nokias Trolltech-Akquisition erworbene Qt-Application- und UI-Framework die Entwicklung neuer Anwendungen deutlich vereinfachen werde. MeeGo bedeutet "Softwareentwicklung auf Steroiden", so ein Nokia-Sprecher, da sich programmierte Anwendungen einfach auf andere Plattformen einschließlich des populären Symbian-Betriebssystems übertragen ließen.
Gab es im vergangenen Jahr nur wenige Android-Geräte zu bestaunen, dominierten auf dem Mobile World Congress 2010 Handys mit Googles mobilem Betriebssystem. Zu den Anbietern zählten bekannte Player wie HTC, Sony Ericsson und Motorola, aber auch Exoten wie ZTE und Huawei.
Die hierzulande eher als Lieferanten günstigen Netzequipments bekannten Chinesen kamen dieses Jahr gleich mit einer ganzen Reihe an Google-Geräten nach Barcelona. Darunter befanden sich günstige Einsteiger-Smartphones wie das Huawei-Modell "U8110", das T-Mobile im zweiten Quartal unter dem Namen "Pulse mini" auf den Markt bringen will. Das "U8800" genannte Flaggschiff-Modell ist dagegen mit Android 2.1, einer Bildschirm-Diagonalen von 9,7 Zentimetern und - als Industrie-Premiere - HSPA+-Unterstützung (bis zu 14 Mbit/s) eher für Nutzer interessant, die nicht primär auf den Preis schauen.
HTC und Acer fahren mehrgleisig
Während der US-amerikanische Hersteller Motorola mittlerweile komplett auf Android eingestellt ist, fahren andere Player wie HTC und Marktneuling Acer eine mehrgleisige Strategie. Mit dem festen Blick auf Business-Kunden bieten sie zusätzlich Geräte mit Windows-Mobile an - mit oder ohne physische Tastatur. Den Taiwanern kommt dabei nicht zuletzt der flexible Snapdragon-Chipsatz von Qualcomm entgegen, der ohne große Modifikationen für unterschiedliche Plattformen genutzt werden kann. So präsentiert Acer mit dem E400 und dem P400 optisch nahezu identische Geräte, die sich vor allem durch die darunter liegenden Betriebssysteme Android und Windows Mobile unterscheiden.
Der im Hochpreissegment ansässige Anbieter HTC achtet vergleichsweise stärker auf eine individuelle Hülle bei seinen Endgeräten. Beim neuen Android-Smartphone "HTC Legend", das die Taiwaner zusammen mit einer eigenen Version des Google Nexus One (HTC Desire) vorstellten, wurde beispielsweise das Gehäuse in einem 3D-Fräsverfahren komplett aus einem massiven Aluminiumblock geschnitten.
Das Unternehmen setzt zwar auf Windows Mobile, doch es ist ein offenes Geheimnis, dass schon bald eine Android-Version des Flaggschiff-Modells "HD2" auf den Markt kommen soll. In Barcelona beschränkte sich HTC darauf, mit dem "HD2 Mini" eine verkleinerte Version vorzustellen. Der größte Unterschied zum großen Bruder besteht in dem auf 3,2 Zoll geschrumpften Display und dem auf knapp 420 Euro reduzierten Preis.
Auch Sony Ericsson hat den von Nokia mit dem N97 mini eingeleiteten Schrumpftrend aufgegriffen. Das Unternehmen zeigte auf der Messe gleich zwei kleinere Ableger auf Basis des Android-Smartphones "Xperia X10", das im November 2009 vorgestellt worden war. Die "X10 Mini" und "X10 Mini Pro" genannten Geräte sind deutlich kleiner und zudem schwächer ausgestattet als ihr großer Bruder X10. Dafür werden sie zum annähernd halben Preis (320 bis 350 Euro) angeboten. Wesentlicher Unterschied der Mini-Geräte ist die ausziehbare Qwertz-Tastatur der Pro-Version, die dann auch ein paar Gramm mehr auf die Waage bringt.
Dem japanischen Hersteller Toshiba hätte eine Schrumpfkur seiner Smartphone-Flunder TG01 - in der Branche zynisch als Knäckebrot bezeichnet - sicher auch gut getan. Stattdessen verwendete er beim TG02 im Zuge der Modellpflege ein kapazitives AMOLED-Display und führte eine neue Benutzeroberfläche ein. Business-Kunden können sich freuen: Mit dem K01 bekam das Windows-Mobile-Gerät (Version 6.5.3) von Toshiba außerdem ein Brüderchen mit ausziehbarer Volltastatur an die Seite gestellt - dieses verfügt jedoch über ein einfaches TFT-Display.
Gute Ideen von Else
Dass die Branche trotz iPhone-Neid und Touchscreen-Euphorie nach wie vor innovativ sein kann, demonstrierte die Else Ltd. (früher Emblaze). Die israelische Designfirma hat ein Smartphone-Konzept von der Pieke auf neu entwickelt, das ganz auf die Bedienung mit einer Hand ausgelegt ist. Ziel sei es, die Nutzung so intuitiv wie möglich zu machen - ohne Altlasten, wie sie andere Plattformen durch ihre Vergangenheit aufwiesen, erklärte CTO Eldad Eilam gegenüber der COMPUTERWOCHE.
Auf dem vorgestellten Smartphone "First Else" sind beispielsweise die drei Grundkategorien für Telefonie, Kommunikation und Medien in einem Halbkreis aufgereiht und können so bequem mit dem Daumen angesteuert werden. Durch Drücken wird eine Funktion ausgewählt, und bei Bedarf öffnen sich weitere Sub-Menüs. Die Smartphone-Nutzung vereinfachen dürften auch das ständige Backup von SMS, E-Mails oder gar Aufzeichnungen von Telefonaten über die Luftschnittstelle.
Außerdem wird beim Klingeln des Handys automatisch die letzte Korrespondenz mit dem Anrufer angezeigt - ideal für Außendienstler, aber auch für vergessliche Ehemänner. Die Israelis planen, das auf der Access Linux Platform (ALP) 3.0 basierende Gerät samt zugehöriger Infrastruktur Mitte des Jahres im Rahmen einer Carrier-Kooperation auf den Markt zu bringen.
Smartphone meets Wii
Schon bald könnte die dreidimensionale Gestensteuerung von Smartphones keine Zukunftsmusik mehr sein. Mittel zum Zweck ist ein als "Gyroskop" bezeichneter Chip des amerikanischen Startups Invensense, der Informationen eines integrierten dreidimensionalen Bewegungssensors in digitale Daten umwandelt. Der zugrunde liegende MEMS-Chip (Micro Electro Mechanical System) findet bereits in der Erweiterung der Fernbedienung für die Wii-Konsole Verwendung (WiiMotion Plus) und wird in Kameras zur Bildstabilisierung verwendet.
Wie ein Vertreter der Company am Beispiel eines präparierten Android-Geräts demonstrierte, kann die Technik in einem Smartphone nicht nur für ein realistischeres Spielerlebnis sorgen. Auch Szenarien wie das biometrische Sperren und Entsperren über eine mit dem Smartphone in die Luft geschriebene Signatur sind möglich.