Revolution im Rechenzentrum

Sieben halbe Wahrheiten über Virtualisierung

25.08.2009 von Thomas Pelkmann und Jon Brodkin
Virtualisierung revolutioniert die Rechenzentren. Aber keine Revolution kommt ganz ohne Stolperfallen aus: Probleme beim Management, der Sicherheit, dem ROI oder Energieverbrauch kann Virtualisierungsprojekte zu Fall bringen, wenn der Einsatz nicht sorgfältig geplant wird.
Virtualisierung kann das Leben leichter machen, wenn Sie die vielen Halbwahrheiten rund um das Thema kennen und wissen, wie Sie damit umgehen müssen.

"Virtualisierung hat das Potenzial, immens Kosten sparen zu helfen und für großen technischen Nutzen zu sorgen", schätzt Laura DiDio, Analystin bei Information Technology Intelligence. Konsolidierte Server und die Reduktion von Speicher- und Energiebedarf ließen solche Effekte erwarten - "allerdings nicht automatisch", wie DiDio in einem Beitrag für die Computerwoche-Schwesterpublikation Computerworld warnt.

Damit Ihr anstehendes Virtualisierungsprojekt erfolgreich verläuft, sollten Sie die folgenden sieben Halbwahrheiten kennen und ihre Auswirkungen auf den Umbau Ihrer IT-Infrastruktur beachten.

1 Virtualisierung macht das Leben leichter

Das Virtualisieren von Servern wird die Zeit dramatisch reduzieren, die Sie brauchen, um neue Workloads aufzuspielen. Manch ein IT-Dienstleister brüstet sich damit, neue virtuelle Maschinen (VM) in nur 30 Minuten ans Laufen zu kriegen - eine Sache, die in der richtigen Welt wesentlich länger dauert.

Das Versprechen, dass Virtualisierung die IT wesentlich vereinfacht, stimmt zwar in mehrerlei Hinsicht. Aber Virtualisierung ist auch eine Herausforderung für das Management von IT, die man nicht ignorieren sollte. So braucht die IT beispielsweise genaue Policies und eventuell Unterstützung durch Third-Party-Tools, um einen Wildwuchs an virtuellen Servern zu vermeiden.

Aber selbst wenn das Ergebnis Ihres Virtualisierungsprojekts weniger physischen Maschinen ist, kann sich die Anzahl der zu verwaltenden Einheiten aufgrund der Hypervisors sowie der riesigen Zahl an VM sogar erhöhen, wie Chris Wolf, Analyst der Burton Group, warnt.

Vorsicht bei Lizenzen in virtuellen Umgebungen

Während viele Benutzer vermuteten, dass sich die Zeit für die Administration verringern würde, sei zu beachten, dass die virtuelle Infrastruktur selbst auch verwaltet werden müsse, pflichtet Martijn Lohmeijer, Berater bei TriNext, bei. Dafür bedürfe es unter Umständen auch eines neuen, zentral verwalteten Storage-Systems, gibt der Consultant zu bedenken.

Frustrierenderweise sei auch der Support für Anwendungen, die auf virtuellen Maschinen laufen, nicht so umfassend, wie für Software, die auf physischen Maschinen arbeitet. Zwar hat Microsoft im vergangenen Jahr bereits einige Lizenzbestimmungen vereinfacht. Analysten kritisieren aber andere Hersteller wie Oracle, die das noch nicht getan haben. Auch sonst kann die Berechnung der Lizenzkosten in virtuellen Systemen komplizierter sein, als in physischen Umgebungen, wo es mitunter schon kompliziert genug zugeht.

"Nicht alle Lizenzen für Server-Virtualisierungen gleichen sich", warnt Laura DiDio. "Also ist es nötig, sich die Bestimmungen und Konditionen unterschiedlicher Anbieter sehr genau anzuschauen".

2 Es ist einfach, Konsolidierungen durchzuführen

Das erste Ziel eines CIOs, der seine Server virtualisiert, ist in der Regel eine Konsolidierung der Infrastruktur: Wer dieselbe Anzahl von Workloads auf zehn Servern betreiben kann, für die er im Moment noch 100 Maschinen benötigt, wird so schnell wie möglich diese Virtualisierung vorantreiben.

"Unglücklicherweise aber", so George Pradel, Direktor für strategische Allianzen bei Vizioncore, endeten viele Virtualisierungsprojekte, die auf die Schnelle gestartet wurden, sehr viel später als geplant. Es sei leicht zu sagen, dass jeder neue Workload auf eine virtuelle Maschine wandern solle, so Pradel. Aber das Umziehen alter Workloads von einer physischen auf eine virtuelle Maschine sei nicht immer eine leichte Aufgabe, warnt der Stratege.

Für "P-to-V", also für das Umwandeln physischer in virtuelle Maschinen, sollten Sie die schwarze Kunst beherrschen, meint Pradel. Die Konversion finde nicht im luftleeren Raum statt, sondern auf der Grundlage unterschiedlichster Fahrpläne einzelner Geschäftsbereiche. Zudem sollten Sie es aushalten, wenn Ihre System vorübergehend ganz ausfällt.

3 Virtualisierung reduziert automatisch den Energieverbrauch

Es ist möglicherweise etwas voreilig, nach der Konsolidierung Ihrer Server-Landschaft davon zu sprechen, dass Ihre Energieprobleme nun gelöst seien. Zwar haben Sie die Anzahl ihrer Maschinen wahrscheinlich deutlich reduziert. Allerdings benötigen die verbliebenen Gerätschaften umso mehr Strom, weil sie unter höherer Auslastung fahren und daher pro Gerät mehr Strom verbrauchen als bisher.

Virtualisierung kann Stromverbrauch sogar erhöhen

An der Brandeis Universität in Massachusetts zum Beispiel führte ein Virtualisierungsprojekt tatsächlich zu einem Anwachsen des Stromverbrauchs, wie Netzwerk- und Systemdirektor John Turner zu berichten weiß. Obwohl die Universität die Zahl der Server deutlich senkte, biete das Rechenzentrum nun wesentlich mehr Services an, "weil das Aufspielen neuer VMs so leicht ist". Jeder neue Workload aber verursacht zusätzlichen Energieverbrauch.

Ebenfalls zu berücksichtigen: Schalten Sie eine große Anzahl von Servern ab, müssen Sie Ihr Rechenzentrum neu konfigurieren, um zu vermeiden, dass die alte Kühlung ins Leere bläst. "Die Notwendigkeit wächst, Energieverbrauch und Kühlung bei Virtualisierungsprojekten zu berücksichtigen", meint dazu der CTO von APC, Jim Simonelli. "Nur virtualisieren, ohne die Infrastruktur anzupassen, ist wesentlich ineffizienter, als es sein könnte", warnt auch Simonelli.

4 Virtualisierung erhöht die Sicherheit

Die Möglichkeit, virtuelle Maschinen zu klonen und von einem Server zum nächsten zu migrieren, eröffnet ganz neue Möglichkeiten des Disaster Recovery. Das wiederum bewahrt Ihr Unternehmen vor Datenverlusten und Ausfallzeiten.

Allerdings bringt Virtualisierung unter Umständen auch neue Sicherheitsrisiken mit sich, die Datensicherheit und Verfügbarkeit der Systeme auch bedrohen können. Virtualisierung sorgt für neue Angriffsflächen und erhöht das Risiko für Betrieb und Verfügbarkeit. "Wer viele Anwendungen auf einem einzigen physischen Server lagert, riskiert Datenverlust schon bei einem einzigen Ausfall", so noch einmal Laura DiDio von Information Technology Intelligence.

Virtualisierung bietet neue Angriffsflächen

Dazu kommt, das Hypervisors keine Datenverschlüsselung betreiben, was als Einladung für Man-in-the-middle-Angriffe zu verstehen ist, bei denen unverschlüsselte Daten abgefangen werden, die zwischen virtuellen Geräten hin- und hergeschickt werden. Nein, diese Gefahren sind kein Grund, Ihr Virtualisierungsprojekt zu stoppen. Aber sie sollten Anlass genug sein, um darüber nachzudenken, mit überschaubaren Systemen zu starten und sich langsam zu Mission-Critical-Applikationen vorzuarbeiten.

5 Durch Desktop Virtualisierung sparen Sie unmittelbar Geld

Virtualisierung erleichtert es, neue Desktop-Anwendungen auszurollen, Patches aufzuspielen und andere Wartungsarbeiten zu erledigen. Auch auf lange Sicht kann Desktop-Virtualisierung beim Sparen helfen, etwa wenn Sie PCs durch billigere und robustere Thin Clients ersetzen. Allerdings fallen nicht nur durch die Anschaffung dieser Thin Clients Kosten an, sondern auch durch die dadurch möglicherweise nötigen neuen Server im Backend, PC Blades oder für zusätzlichen Netzwerkspeicher.

Forrester Research hat herausgefunden, dass Unternehmen rund 605 Euro pro Anwender für ein Desktop-Virtualisierungsprojekt ausgeben. Dazu kommen die Kosten im Backend. Schon das zeigt, dass die Virtualisierung für kurzfristige Spareffekte kaum geeignet ist. Um einen ROI zu erreichen, sollten Sie ein paar Jahre im Betrieb einplanen.

6 Virtualisierung ist dasselbe wie Cloud Computing

Virtualisierung ist ein Wegbereiter für Cloud Computing. Aber das Virtualisieren einzelner Maschinen bedeutet noch nicht, dass Sie damit Ihre private Cloud gebastelt haben. Dazu benötigen Sie zusätzlich Techniken zur Automatisierung der Services und ein Interface für Self-Service, um neue Ressourcen beschaffen zu können.

Die Cloud ist der Computer

Virtualisierung ist ein Baustein für Cloud Computing, meint zum Beispiel Reuven Cohen, Gründer des Cloud-Startups Enomaly. Aber der Schlüssel dazu sei die Abstraktion auf jeder Ebene des IT-Stapels "bis zu dem Punkt, wo die Plattform selber keine Rolle mehr spielt".

"Dann", schreibt Cohen in seinem Blog, "ist die Infrastruktur immer verfügbar und maximal fehlertolerant". Er rät: "Verabschieden Sie sich von dem Modell der Desktop-Anwendungen aus der Vergangenheit", so Cohen: "Denken Sie mehr an das Vertriebsmodell der iPhone-Apps. Es werden die Firmen überleben, die dieses Internet-zentrierte Hybrid-Modell annehmen. Oder - einfacher ausgedrückt: Die Cloud ist der Computer."

7 Virtualisierung ist keine reine Technologiefrage

Diese Halbwahrheit wird IT-Veteranen kaum erstaunen: Manchmal sind es die Menschen, nicht die Technologie, die einer neuen Entwicklung im Wege stehen. Oder, um es mit dem IBM-Sicherheitsexperten Joshua Corman zu sagen: "Menschen und Prozesse sind nicht immer bereit für die neuen Herausforderungen der Virtualisierung".

Selbst wenn Ihr Virtualisierungsprojekt ein Hit sein sollte, könnten Sie noch Opfer des eigenen Erfolgs werden. Wenn Ihre Anwender erst einmal begriffen haben, wie einfach es ist, eine virtuelle Maschine ans Laufen zu bringen, werden sie mehr davon fordern. Sie werden dann weniger Zeit haben, sich um andere Dinge zu kümmern.

Andersherum könnte es passieren, dass Ihre Anwender weiter an den physisch vorhandenen Arbeitsgeräten hängen. Diese Befindlichkeiten bezeichnet George Pradel, Direktor für strategische Allianzen bei Vizioncore, als "achte Ebene" des Netzwerk-Stapels. "Die politischen Implikationen sind die schwierigsten, mit denen Sie umgehen müssen, wenn Sie die Virtualisierung vorantreiben. Sie werden in ihrer Firmenumgebung Menschen finden, die ich als "serer huggers" bezeichnen würde. Das sind die Menschen, die ihre physischen Maschinen noch umklammert halten werden, auch wenn sie direkt von Virtualisierungen profitieren könnten. Die gilt es zu überzeugen".