Eine Plattform für Innovation

SAP will Taktgeber für den digitalen Umbau werden

22.03.2019 von Martin Bayer
Wie nahezu alle Unternehmen wollen auch SAP-Kunden derzeit mit Macht digitale Innovationen vorantreiben. Der Softwarehersteller hat sich vorgenommen, diese Chance zu nutzen – so zeigte die Kundenveranstaltung SAP Now in Berlin.

SAP will ein Taktgeber für digitale Innovationen sein. Das wurde auf der zweitätigen Veranstaltung SAP Now in Berlin Tempelhof deutlich. Die rund 1400 Teilnehmer sollten im alten Flugzeughangar den "Innovation Beat" zu spüren bekommen, versprach Deutschland-Chef Daniel Holz zum Auftakt der Veranstaltung. Erfolgreiche Unternehmen würden in Zukunft ganz anders aussehen als heute.

Auf der SAP Now in Berlin bemühte sich SAP, sich als Innovationstreiber zu inszenieren.

Als Beispiel führte Holz Tesla an. Der amerikanische Pionier für Elektrofahrzeuge baut derzeit sein Vertriebskonzept radikal um. Weniger Shops und weniger Sales-Personal, heißt die Direktive. Das Internet als Vertriebskanal hat nun höchste Priorität. Interessierte Kunden können einfach im Netz ein Fahrzeug für eine einwöchige Testphase ordern und dann entscheiden, ob sie es kaufen wollen.

Laut Holz dient das Internet Tesla nicht mehr nur für die Vertriebsunterstützung, es ist der einzig strategische Vertriebskanal. Dass Tesla-Chef Elon Musk diesen Schritt wohl auch gegangen ist, weil ihm das Wasser bis zum Hals steht und er die dringend die Kosten senken muss, war auf der SAP Now allerdings nur am Rande ein Thema.

Wie schafft man eine Innovationskultur?

Chief Technology Officer (CTO) Jürgen Müller, der zuvor als Chief Innovation Officer bei den Walldorfern arbeitete, verwies auf den Innovationsfokus des eigenen Unternehmens. Die rund 30.000 Entwickler beschäftigen sich demnach auch mit exotischen Themen wie Quanten-Computing, deren Nutzen und Mehrwert noch nicht hundertprozentig abzuschätzen sei. Das geschehe immer vor dem Hintergrund, Kunden dabei zu unterstützen, Innovationen in ihren Geschäftsbetrieb zu implementieren und damit zu skalieren.

Aus Sicht von Daniel Holz, Geschäftsführer von SAP in Deutschland, lässt sich ein Digital Mindset nicht verordnen.
Foto: SAP Deutschland SE & Co KG

Um dahin zu kommen, brauche es eine ausgeprägte Innovationskultur in den Betrieben, sagte Holz. Ein kontinuierlicher Austausch zwischen der IT und den Fachabteilungen sei dafür selbstverständlich. Die Technik sei heute weitgehend verfügbar, sie müsse nur Eingang in die Unternehmen finden. Ein Digital Mindset lasse sich nicht verordnen, so der SAP-Manager, Methoden wie Design Thinking könnten aber helfen, die Schritte richtig zu lenken.

Tatsächlich suchen viele Anwender noch nach Wegen, wie sie kontinuierlich Innovationen entwickeln und in den betrieblichen Alltag integrieren können. Die Design-Thinking-Workshops auf der SAP-Veranstaltung waren denn auch alle gut besucht. Auch zeigten die vielen Publikumsfragen im Rahmen der Praxisvorträge, dass etliche SAP-Kunden noch nicht den Königsweg gefunden haben, um Innovations- und Transformationsprojekte in die Spur zu setzen. Da dreht es sich beispielsweise darum, überhaupt den passenden Startpunkt zu finden und die Frage, wie man im Vorfeld am besten das Commitment des eigenen Managements für einen Umbau der grundlegenden Unternehmens-IT einhole und vor allem wie man Führungspersonal und Mitarbeiter bei der Stange halte.

Evonik Industries mistet Customizing radikal aus

"Das Business mitzunehmen ist eine der Kernaufgaben in so einem Projekt", bestätigt Thomas Meinel, Senior Vice President und Head of Global IT Application Management bei Evonik Industries. Das werde nur mit der vollen Rückendeckung des Top-Managements gelingen. Meinel empfiehlt, sich im Vorfeld gute Argumente zu überlegen, warum die Transformation sinnvoll und wichtig für das eigene Geschäft ist. Und natürlich müsse das Timing stimmen.

Bei Evonik scheint das gelungen zu sein. Der Spezialchemie-Spezialist steckt mitten in der Transformation seiner Backend-Systeme. Im Zuge von "Next Gen ERP" soll eine zentrale Plattform entstehen. Die IT-Landschaft sei durch Wachstum, Internationalisierung und Akquisitionen heterogen geprägt gewesen, berichtet Meinel. Zunächst habe man mehr als 20 verschiedene ERP-Systeme in einer SAP-Plattform konsolidiert. Im darauffolgenden Schritt wechselte Evonik das Datenfundament aus: SAP HANA löste Oracle ab. Mittlerweile laufen rund 30 Systeme auf der In-Memory-Datenbank von SAP - neben dem zentralen ERP auch Komponenten wie das Business Warehouse und der Solution Manager.

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Anderen Unternehmen, die den Umbau noch vor sich haben, rät der IT-Manager vor allem, individuelle Anpassungen auszumustern. Es gelte, den Custom Code in den Bestandssystemen zu identifizieren und kritisch zu hinterfragen, was davon wirklich noch gebraucht werde. Oft ließen sich die dahinterliegenden Anforderungen heute mit Funktionen aus dem Standard abbilden.

Der Schritt auf HANA machte sich für Evonik bezahlt, so Meinel. Das Volumen der Datenbank sei um zwei Drittel von 9,7 auf 3,2 Terabyte geschrumpft. Performance und Antwortzeiten hätten sich signifikant verbessert. Die kürzeren Dialogzeiten kämen bei den Anwendern sehr gut an, heute werde die IT sogar gelegentlich gelobt, berichtet Meinel mit einem Schmunzeln.

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Doch das Projekt geht noch weiter. In den kommenden zwei Jahren will Meinel auf S/4HANA umsteigen. Die Anwender sollen ein schnelleres und einfacheres System erhalten, das sie in ihrer täglichen Arbeit besser informiert und unterstützt. Nachdem im ersten Schritt die Betriebskosten um 30 Prozent gesenkt werden konnten, möchte der IT-Manager mit der neuesten SAP-Generation weitere 20 Prozent Kostenreduktion herausholen. Dieses Geld könne dann wieder in die Modernisierung des Gesamtsystems zurückfließen.

Farmers Cut expandiert über skalierende Software

Auf der Konferenz sprachen auch Neukunden, die SAP-Software erstmals eingeführt hatten, sich also anders als Evonik nicht mit Legacy-Altlasten herumschlagen mussten. Daniel Scholten, CIO von Farmers Cut, zeigte, dass auch hier immense Herausforderungen zu bewältigen sind: Bei einem Greenfield-Ansatz gelte es zunächst die Prozesse zu erarbeiten und eine Struktur für das Business zu schaffen.

Das Unternehmen hat mit Farm-to-Fork eine neue Anbaumethode für Salate, Kräuter und Kressen entwickelt. In sogenannten Klimazellen, das sind komplett geschlossene Biosysteme in Containern oder Lagerhallen, können die Pflanzen nahe beim Kunden gezogen und auf speziellen mobilen Kulturböden 'lebend' zu Abnehmern wie Restaurants, Hotels oder Kantinen transportiert werden. Zu den Kunden von Farmers Cut zählt beispielsweise der Starkoch Tim Mälzer.

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Den Gründern, die von Anfang an ihre IT-Architekur mitgedacht hätten, sei stets klar gewesen, dass die Expansion nur über eine skalierende Software funktionieren könne, berichtet Scholten. Kernkomponente dabei sei die Produktionsplanung gewesen. Schließlich müsse Klarheit darüber herrschen, mit welchem Ressourceneinsatz wann wie viele Pflanzen zur Verfügung stehen. Nach ersten Versuchen mit Excel seien schnell die Limitationen dieses Werkzeugs deutlich geworden. Farmes Cut entschied sich für die SAP Cloud Platform und für Leonardo IoT.

Auf Basis der SAP-Cloud entwarfen die Verantwortlichen ihre eigene Produktionsplanung. Die Schwierigkeit sei dabei gewesen, viele unterschiedliche Datentypen unter einen Hut zu bekommen, berichtet Scholten. Neben Sensordaten, die beispielswiese Aufschluss über Temperatur, Wassergehalt im Boden und Luftfeuchtigkeit zulassen, mussten auch Masterdaten wie Pflanzendichte, Saat und Nährstoffe integriert werden. "Das sind viele Variablen und Stellschrauben", resümierte der Manager.

Heute könne Farmers Cut mithilfe von Machine-Learning-Algorithmen genau vorhersagen, mit welchem Ressourceneinsatz und welchen Rahmenbedingen bestimmte Ernteresultate zu bestimmten Zeitpunkten zu erreichen seien, erläuterte Scholten. Ziel sei es nun, die komplette Supply Chain auf der SAP-Plattform abzubilden. Außerdem brauche man ein ERP-System, um Rechnungen zu schrieben, Lieferscheine zu ordnen und den Vertrieb zu steuern. Scholten ist klar: "Das muss alles digital sein." Außerdem lasse sich das System nur mit Hilfe der Cloud global skalieren. Famers Cut plant bereits Niederlassungen im Nahen Osten und Asien.

Daimler Trucks baut an der Reporting Factory

Einen Masterplan für die Digitalisierung zu finden, treibt aber nicht nur Startups um. Bei Daimler überlegt Mario Böhme, verantwortlich für Process Development, Data Management & Analytics im Truck-Segment, wie er ein so trockenes Thema wie das Finanz-Controlling mit Hilfe digitaler Technologien besser aufstellen kann. Dafür hat der Manager ein klares Ziel vor Augen: eine "Reporting Factory".

Böhme hatte 2015 damit begonnen, seinen Finanzbereich zu transformieren. Ein strukturiertes und vor allem zielorientiertes Vorgehen war ihm dabei besonders wichtig: "Fail fast ist spätestens nach dem zweiten Mal nicht mehr lustig", sagte der Manager. Transformation müsse nachhaltige Ergebnisse und einen Mehrwert für's Business liefern, sonst bleibe alles eine Luftblase.

Böhme setzt zwei Schwerpunkte: Finance Analytics, um zu besseren Entscheidungen zu kommen, und Finance Automation, um die Effizienz und Produktivität im Finanz-Controlling zu verbessern. Eine Herausforderung dabei sei es, Daten verfügbar und transparent zu machen. Das sei viel Arbeit, räumt der Daimler-Mann ein. Analytische Funktionen sollen künftig überall in die Prozesse mit einfließen.

Wie Anwender Analytics-Projekte anfgehen, lesen Sie in der CW-Studie "Predicitve Analytics 2018"

"Analytics in Everything", nennt Böhme das. Das kann ganz unterschiedliche Facetten haben. Demzufolge sei das Truck-Geschäft sehr lokal geprägt - in Brasilien beispielsweise von der Landwirtschaft. "Mehr Kaffee - mehr Trucks", lautet die einfache Rechnung. Wenn es nun gelinge, über Simulationen die Ernten genauer zu prognostizieren, lasse das auch Rückschlüsse auf den potenziellen Truck-Absatz zu.

Viel Potenzial sieht Böhme auch im Bereich Automation. "Alles, was eine Maschine tun kann, sollte sie auch tun", so sein Credo. Die Controller sollten sich nur um Dinge kümmern, die Maschinen heute noch nicht erledigen können. Es sei eine Verschwendung von Ressourcen, wenn Fachleute Excel-Tabellen zusammenfrickelten.

SAP verspricht bessere Integration auf seiner Plattform

SAP will die Nöte der Anwender erkannt haben und entwickelt sein Portfolio entsprechend weiter. CTO Müller verwies auf den Kauf von Qualtrics. Mit acht Milliarden Dollar habe man keineswegs zu viel für den CX-Spezialisten gezahlt, widersprach er Zweiflern, die das Volumen des Deals kritisiert hatten. Mit Hilfe der Qualtrics-Lösung könnten Unternehmen alle digitalen und realen Kontaktpunkte mit dem Kunden im Blick behalten. "Am Ende werden die Unternehmen überleben, die nah am Kunden sind", prognostizierte der SAP-Manager.

Auch in Sachen Prozessautomatisierung sollen Anwender mehr Möglichkeiten bekommen. SAP hat dafür unter anderem den französischen RPA-Spezialisten Contextor übernommen. Müller versprach seinen Kunden mehr Produktivität. Gerade die Machine-Learning-Funktionen auf SAPs Leonardo-Plattform könnten für mehr Effizienz sorgen. Beispielsweise habe die Bank BMP Paribas mit Hilfe von Automatisierung den Prozess einer Kontoeröffnung von 25 auf fünf Minuten verkürzen können.

In der zukünftigen IT seiner Kunden will SAP weiter ein gewichtiges Wörtchen mitreden.

Damit sich Potenziale dieser Art heben lassen, wird allerdings auch SAP noch einige Hausaufgaben erledigen müssen - vor allem in Sachen Integration. Anwendervertreter hatten in der Vergangenheit wiederholt kritisiert, dass die zahlreichen Cloud-Angebote, die SAP in den vergangenen Jahren zugekauft hatte, ein Eigenleben führten und zu wenig im SAP-Kosmos verankert seien.

SAPs Chief Technology Officer Jürgen Müller will Integrationsanstrengungen verstärken.
Foto: SAP

SAP will das nun ändern. Müller, der den vor kurzem aus dem SAP-Vorstand ausgeschiedenen Bernd Leukert als Technikchef für die Software- und Cloud-Plattform beerbt hatte, werde sich vorrangig um die Integration der verschiedenen Software- und Servicebausteine auf der SAP-Plattform kümmern, versprachen die Manager.