ERP-Zufriedenheit

Hat das klassische ERP noch eine Zukunft?

19.10.2018
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Die aktuelle ERP-Zufriedenheitsstudie von Trovarit zeigt altbekannte Schwachpunkte von ERP-Systemen auf. Zwar dürfte das ERP auch in Zukunft Dreh- und Angelpunkt vieler Prozesse in Unternehmen bleiben. Ob es eine zentrale Rolle in der digitalen Transformation spielen wird, ist aber fraglich.

"Die ERP-Welt ist im Umbruch. Schuld ist die Digitalisierung." So bringt es der mittelständische ERP-Anbieter Assecco Solutions in seiner Kommentierung der Ergebnisse der diesjährigen Trovarit-Zufriedenheitsstudie auf den Punkt. Gerade angesichts der massiv ansteigenden Datenmengen stiegen die Ansprüche an die Stabilität und Leistungsfähigkeit von ERP-Lösungen. Von diesen Kriterien hänge nicht nur die Wahl des richtigen ERP-Systems, sondern auch die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen ab.

"Mit Themen wie Digitalisierung, Industrie 4.0 oder künstliche Intelligenz befindet sich der ERP-Markt derzeit in einer sehr starken Umbruchphase", erklärt Markus Haller, Vorstand der Asseco Solutions. Die vernetzte Technik eröffne Anwendern völlig neue, ungeahnte Möglichkeiten, ihre Effizienz und Produktivität zu steigern. Doch dafür sei auch eine stabile, solide ERP-Basis unerlässlich.

Ob dem klassischen ERP eine sonnige Zukunft bevorsteht, ist fraglich.
Ob dem klassischen ERP eine sonnige Zukunft bevorsteht, ist fraglich.
Foto: Gustavo Frazao - shutterstock.com

Dieser Spagat zwischen neuen Anforderungen und dem Wunsch nach einem stabilen und verlässlichen ERP-Kern spiegelt sich auch in den Ergebnissen der Trovarit-Studie "ERP in der Praxis 2018/19" wider. Seit mittlerweile 14 Jahren erfassen die Aachener Marktforscher im Zweijahreszyklus das Stimmungsbild der ERP-Nutzer. In die diesjährige Untersuchung flossen über 2200 Bewertungen von Geschäftsführern, IT-Leitern sowie ERP-Fachverantwortlichen aus europäischen Unternehmen aller Branchen und Größen ein. Anhand von 39 Merkmalen wurde nach deren subjektiver Zufriedenheit mit ihrem ERP-System gefragt.

Im Zentrum der Befragung standen dabei der Nutzen, den die Unternehmen aus dem System ziehen, sowie die Herausforderungen, die sich ihnen im Rahmen der Einführung und während des Einsatzes der Lösung stellen. Auch aktuelle Trends und künftige Entwicklungen haben die Studienteilnehmer beurteilt.

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Grundsätzlich hätten die Ergebnisse der Studie gezeigt, dass ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Anwenderzufriedenheit und dem Nutzen einer ERP-Lösung für den Anwender besteht, schreiben die Studienautoren. Daher stelle auch die Anwenderzufriedenheit eine zentrale Mess- und Steuerungsgröße sowohl für ERP-Anwender als auch für ERP-Anbieter dar: Aus Anwendersicht repräsentiere sie einen wichtigen Indikator für den Nutzen und auch die Wirtschaftlichkeit des ERP-Einsatzes.

Gute Noten für ERP-Systeme

Insgesamt gaben die Anwender den ERP-Systemen wie auch den Softwarepartnern gute Noten. Im Vergleich zu 2016 hätten die meisten Systeme ihre bereits positiven Ergebnisse weitgehend bestätigen können, hieß es. Allerdings seien bei einigen auch deutliche Unterschiede aufgefallen. Die Lösungen Infor ERP LN, FOSS, ALPHAPLAN und ams.erp erzielten im Vergleich zur vorangegangenen Umfrage sowohl im Hinblick auf die Zufriedenheit mit der Software als auch mit den Dienstleistungen des Anbieters signifikante Verbesserungen. Gegenüber 2016 deutlich verschlechtert hätten sich jedoch MegaPlus, business express und rs2.

Im Großen und Ganzen sind die Anwender mit den von ihnen eingesetzten ERP-Systemen zufrieden.
Im Großen und Ganzen sind die Anwender mit den von ihnen eingesetzten ERP-Systemen zufrieden.
Foto: Trovarit

Alle Systeme erhielten gute Noten für die Aspekte "Funktionalität" und "Stabilität des Systems", das "Engagement" und der "Support des Implementierungspartners" im Projekt sowie die "Erreichung der Projektziele". Wie in den Jahren zuvor gab es aber auch 2018 wieder deutliche Kritik. Nach wie vor monieren die Anwender Schwächen bei der mobilen Einsetzbarkeit von ERP-Systemen - auch wenn sich in der diesjährigen Umfrage zumindest eine leichte Verbesserung abzuzeichnen scheint. Die aktuell im Einsatz befindlichen ERP-Lösungen täten sich schwer, wenn es beim ERP-Einsatz heißt "zu jeder Zeit, an jedem Ort und über jedes Endgerät", schreiben die Studienautoren.

Eine erforderliche Umstellung von ERP-Software auf eine App-artige Nutzungscharakteristik bringe offenbar eine Vielzahl technologischer Herausforderungen mit sich - Plattformunabhängigkeit, kontext-sensitive Benutzeroberfläche, Use Case-spezifische "App-lifizierung" umfassender Business Software-Lösungen, führen die Marktbeobachter an dieser Stelle an.

Schwachstellen bleiben Schwachstellen

Weiter Anlass zur Kritik bietet auch der Aspekt "Dokumentation der ERP-Systeme". Da die Lösungen umfassender und ihre Bedienung damit anspruchsvoller würden, stiegen in der Folge auch die Anforderungen an die technische Dokumentation sowie die Schulung der Endanwender, konstatiert Trovarit. Gleichzeitig erhöhten sich Innovationsfrequenz und -umfang seitens der Anbieter. Der Schulungs- und Informationsbedarf wachse dadurch insgesamt deutlich.

Die großen ERP-Schwachstellen bleiben wie in den vergangenen Jahren die mobile Einsetzbarkeit sowie die Dokumentation.
Die großen ERP-Schwachstellen bleiben wie in den vergangenen Jahren die mobile Einsetzbarkeit sowie die Dokumentation.
Foto: Trovarit

Probleme bereiten ferner die "Internationale Einsetzbarkeit" der ERP-Software sowie deren Möglichkeiten im Hinblick auf "Formulare & Auswertungen". Luft nach oben bietet auch der Service der ERP-Anbieter, insbesondere wenn es um deren "Schulungs- & Informationsangebot", die "Beratung zur Optimierung des Software-Einsatzes" sowie die "Schnelligkeit des Supports" geht. Und schließlich werden "Personalaufwand" und "Budgettreue" von ERP-Projekten relativ kritisch beurteilt.

Gefragt nach dem ERP-Nutzen führen die Anwender an erster Stelle die Beschleunigung und Vereinfachung von Unternehmensprozessen (64 Prozent) ins Feld. Darüber hinaus machen sich die Systeme vor allem im Handling von Informationen nützlich. 53 Prozent der Umfrageteilnehmer betonen eine einfache und schnelle Bereitstellung von Informationen, 43 Prozent sagen, das ERP helfe weiterführende Informationen bereitzustellen, und 42 Prozent verwiesen auf den Nutzen durch die Rückverfolgbarkeit von Informationen. Einen signifikanten Beitrag des ERP bei der Automatisierung von Prozessen sieht dagegen mit 36 Prozent nur gut ein Drittel der Befragten. Schlecht kommt an dieser Stelle auch die standort- beziehungswiese länderübergreifende Zusammenarbeit weg, für die nur gut jeder siebte eine Unterstützung durch das ERP identifizieren kann.

Schnelle Prozesse und einfacher Informationszugriff - das sind aus Anwendersicht die wichtigsten Nutzenbeiträge des ERP zum Business.
Schnelle Prozesse und einfacher Informationszugriff - das sind aus Anwendersicht die wichtigsten Nutzenbeiträge des ERP zum Business.
Foto: Trovarit

ERP als Datendrehscheibe

Wie im Jahr 2016 rangieren Themen wie "Daten-/Informationssicherheit" ("sehr relevant" für 55 Prozent der Teilnehmer), die Einhaltung und Unterstützung rechtlicher Vorgaben ("Compliance", 41 Prozent) sowie die "Usability / Software-Ergonomie" (37 Prozent) ganz oben bei den wichtigen ERP-Trends. Mit 42 Prozent neu in der Spitzengruppe positioniert hat sich das "Datenmanagement", das Trovarit 2018 erstmals abgefragt hat. Im Vergleich zu den Vorjahren deutlich zugelegt hat der Stellenwert des "Cloud Computing" (34,4 Prozent) - 2016 waren es neun Prozent.

Bei den ERP-Trends wird die Cloud wichtiger.
Bei den ERP-Trends wird die Cloud wichtiger.
Foto: Trovarit

"Das ERP führt die wichtigsten Stamm- und Bewegungsdaten und dient als Datendrehscheibe für die Mehrzahl der in einem Unternehmen eingesetzten Software-Anwendungen." Daraus leiten die Trovarit-Analysten die hohe Bedeutung der "Datensicherheit" sowie des "Datenmanagements" ab. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Vernetzung stiegen die Anforderungen an Mechanismen für den Datenschutz deutlich an. Damit einher gingen vielfach auch deutlich steigende Anforderungen an das Datenmanagement. Dieses etabliere sich zunehmend als zentrale Querschnittsaufgabe.

Ein Blick auf die Zahlen der Umfrage aus dem Jahr 2016 zeigt aber auch, dass die grundsätzliche Bedeutung des ERP-Systems für Anliegen wie die Daten- und Informationssicherheit schwindet. Vor zwei Jahren nannten noch 81 Prozent der befragten Anwender diesen Aspekt als wichtigen ERP-Trend. Gleiches gilt für etliche weitere wichtige Themen, die derzeit die IT-Diskussion dominieren. Themen wie Blockchain oder Big Data werden gerade einmal von rund 30 Prozent der Anwender als wichtiger ERP-Trend bezeichnet. Industrie 4.0, 2016 immerhin mit 16 Prozent der Nennungen noch auf Rang sieben der wichtigsten Trends, taucht im diesjährigen Ranking gar nicht mehr unter den Top ten auf.

Fazit

Diese Zahlen deuten darauf hin, dass das ERP zwar nach wie vor eine zentrale Rolle in der IT-Strategie vieler Unternehmen spielt. Der Fokus der IT-Verantwortlichen in den Anwenderunternehmen dürfte allerdings in erste Linie darauf liegen, einen stabilen und verlässlichen Betrieb der Kernsysteme sicherzustellen - und das so effizient wie möglich. Die IT-Musik spielt indes an anderer Stelle. Wichtige Themen für die digitale Transformation vieler Betriebe wie beispielsweise künstliche Intelligenz/Machine Learning oder Robotic Process Automation (RPA) rücken stattdessen ins Rampenlicht, berühren das ERP aber nur noch am Rande - in erster Linie wenn es um das Abfragen und Weiterleiten von Daten und Informationen geht. Die neuen Werkzeuge und Apps, sind mit dem ERP verbunden, funktionieren aber weitgehend unabhängig davon und eigenständig.

Diese Entwicklung mag der ERP-Historie geschuldet sein: In vielen Unternehmen hat sich das ERP über die Jahre oder Jahrzehnte hinweg zu einem monolithischen Legacy-System entwickelt, das sich nur schwer an neue Anforderungen anpassen lässt. Zwar bemühen sich viele Anbieter darum, ihre Systeme fit für die kommenden Anforderungen - sprich flexibler und agiler - zu machen. Erfahrungsgemäß dauert es allerdings seine Zeit bis die Anwender in ihrer ERP-Release-Praxis nachziehen. Die Frage, ob es in paar Jahren überhaupt noch ein zentrales ERP-System braucht, oder die Applikationswelt dann von einzelnen auf Mikro-Services-Architekturen beruhenden und flexibel kombinierbaren Funktionsbausteinen geprägt sein wird, dürfte aber lauter werden.