TechEd

SAP definiert Netweaver neu

13.10.2010 von Martin Bayer
Mit dem auf der TechEd vorgestellten Release 7.3 kommt Bewegung in SAPs Netweaver. Lesen Sie alles über die Neuerungen.
„Stack-Kriege sind Unsinn“, so der SAP CTO.
Foto: SAP

Vishal Sikka will seine Kunden für mehr Innovation begeistern. Neue Technik aus Walldorf soll sich reibungslos und ohne Systemunterbrechungen implementieren lassen, verspricht der CTO von SAP. Die Basis dafür soll der Netweaver-Stack bilden, den der Hersteller neu in Position bringt.

„Stack-Kriege sind Unsinn“, verkündete Sikka zum Auftakt seiner Keynote anlässlich der diesjährigen TechEd in Berlin. Derzeit werde im Markt viel über Zukäufe diskutiert. Dabei gehe es oft darum, wer den komplettesten Software-Stack vorweisen könne, erläuterte der oberste Technikchef SAPs vor den rund 4000 Besuchern von SAPs Technikkonferenz und spielt damit auf die regen Übernahme-Aktivitäten von Wettbewerbern wie IBM und Oracle an. Das gehe aus Sicht von Sikka jedoch an den Anforderungen der Anwender vorbei. „Kein Kunde sucht einen Stack – Kunden suchen nach Lösungen.“

Details zu Netweaver 7.3

SAP hat zur diesjährigen TechEd mit Release 7.3 eine neue Version von Netweaver angekündigt. Die Plattform soll ab dem ersten Quartal 2011 auf dem Markt verfügbar sein. Bis dato habe SAP gutes Feedback aus dem Beta-Programm erhalten, berichtete SAPs Technikchef Vishal Sikka. Der Manager verwies auf Verbesserungen in Sachen Skalierbarkeit, Performance und Usability. Bei gleicher Hardwareausstattung könnten bis zu 40 Prozent mehr User auf die aktuelle Netweaver-Plattform zugreifen. SAP zufolge wurden für die neue Version zentrale Netweaver-Komponenten komplett aktualisiert. Dazu zählen das Netweaver Portal, Netweaver Mobile, das Netweaver Composition Environment (CE) und Netweaver Process Integration (PI). Zu den weiteren Entwicklungen gehören:

  • Das neue Release unterstützt Upgrades der Business Suite ohne Störung des laufenden Betriebs.

  • Eine verbesserte Unterstützung von Java: Neben einer Zertifizierung für Java EE 5 gibt es einen Enterprise Service Bus (ESB) für Java.

  • Wiederverwendbare Geschäftsregelsätze mit Microsoft Excel-Integration.

  • Verbesserte Standardunterstützung: WS Policy 1.2, SOAP 1.2, WS Trust 1.3, Java SE 6, JSR 186/286, WSRP 1.0, SAML 1.0/2.0.

  • Ein erweitertes Identity Management durch SAML 2.0 und ein Web-basiertes Single-Sign-on.

  • Zusätzliche Collaboration- und Produktivitäts-Funktionen für Mitarbeiter und Teams durch „Enterprise Workspaces“ und „Duet Enterprise Software“.

Ohne dass es die SAP-Verantwortlichen so recht zugeben wollen, positioniert sich der größte deutsche Softwareanbieter mit seinen Infrastrukturkomponenten neu im Markt. 2002 war man in Walldorf mit der Integrationsplattform Netweaver angetreten, um den großen Middleware-Suiten Oracles und IBMs Paroli zu bieten. Davon ist heute längst nicht mehr die Rede. Von einer Kapitulation will Frank Niemann, Director von Pierre Audoin Consultants (PAC), zwar nicht sprechen. Allerdings lägen die Schwerpunkte heute klar anders als noch vor wenigen Jahren. „SAP konzentriert sich in Sachen Infrastruktur sinnvollerweise auf das, was sie am besten kann: eine Applikations-nahe Middleware, die offen ist für eine Koexistenz mit den Plattformen anderer Anbieter.“ Grundsätzlich sei es jedoch bemerkenswert, dass SAP seiner Infrastrukturplattform wieder zu mehr Geltung verhilft, stellt der Analyst fest: "Es ist wichtig, dass SAP, wie auf der TechEd geschehen, die Rolle von Netweaver sowie dessen Weiterentwicklung deutlich macht. Hier gab es in letzter Zeit Verunsicherungen."

Nachdem es lange Zeit ruhig um Netweaver geworden war, scheint nun mit dem neuen Release 7.3 wieder Bewegung in die SAP-Plattform zu kommen. „Mehr denn je ist Netweaver die strategische Plattform für SAP“, beteuerte Sikka. Mittlerweile gebe es 62.000 produktive Netweaver-Systeme. Damit sei deren Zahl seit 2006 jährlich um durchschnittlich 20 Prozent gestiegen. Das Interesse der Kunden bestehe in erster Linie darin, ihre existierenden Systeme möglichst effizient zu nutzen und die vorhandenen Möglichkeiten auszuschöpfen. Darüber hinaus liege ein weiterer Fokus der Anwender darauf, ihre Landschaften auszubauen. Diese Innovationen sollen sich Sikka zufolge auf Basis von Netweaver einfach integrieren und vor allem ohne Unterbrechungen des laufenden SAP-Betriebs implementieren lassen.

SAPs Strategie, seinen Kunden technische Neuerungen weitgehend unterbrechungsfrei und ohne aufwendige Upgrade-Projekte zu ermöglichen, wertet Niemann als wichtiges Signal. „Das ist eine Botschaft nicht an den Wettbewerb, sondern in erster Linie an die eigenen Kunden.“ In der Vergangenheit waren Anwender oft gezwungen, ihre SAP-Systeme mit mehr oder weniger großem Aufwand auf den neuesten Stand zu bringen, wenn sie Innovationen aus Walldorf nutzen wollten. Die Folge: Viele Kunden scheuten vor den damit verbundenen Investitionen zurück, gaben sich mit ihrer bestehenden Softwarelandschaft zufrieden und erteilten den SAP-Visionären eine Absage.

Das soll sich in Zukunft ändern – unter anderem mit Netweaver. Die neue Generation der Technikplattform verschaffe Unternehmen Anschluss an wichtige Innovationsfelder, versprechen die SAP-Verantwortlichen. Sikka präsentierte in Berlin einen bunten Strauß verschiedenster Innovationen rund um In-Memory, Cloud Computing und Mobility, die nach und nach in die Plattform integriert werden sollen.

In-Memory:

SAP verspricht seinen Kunden mit In-Memory-Computing Echtzeitanalysen transaktionaler Daten aus dem ERP-System. Damit ließen sich die bestehenden Applikationen rund um das Business Warehouse sowie das BusinessObjects-Portfolio deutlich beschleunigen und wesentlich größere Datenmengen verarbeiten. Darüber hinaus biete die Technik das Potenzial, komplett neuartige Analyseanwendungen rund um Simulationen, Forecasting und Business-Planning zu entwickeln, stellte Sikka seinen Kunden in Aussicht. Der SAP-CTO sprach von einer „neuen Dimension, wie Unternehmen künftig mit Daten umgehen können“. Konkreter werden die In-Memory-Visionen mit der SAP High-Performance Analytic Appliance (Hana). Der dediziert für In-Memory-Computing ausgelegte Rechner soll sich SAP zufolge parallel zu herkömmlichen relationalen Datenbanken betreiben lassen. Anwender könnten so ohne jedes Risiko erste Erfahrungen mit der neuen Technik sammeln. Die Ramp-up-Phase für Hana startet Ende November. Ab dem kommenden Jahr soll die Appliance zu haben sein. Langfristig sei es das Ziel, herkömmliche Datenbanken mit der In-Memory-Technik abzulösen, kündigte Sikka an. Das werde allerdings noch dauern, sagte der CTO, ohne sich zeitlich festlegen zu wollen.

Mobility:

Vishal Sikka: „Wir befreien die Applikationen aus der Tyrannei des Desktops“
Foto: SAP

„Wir befreien die Applikationen aus der Tyrannei des Desktops“, verkündete Sikka schmunzelnd auf der TechEd-Bühne. Basis dafür bilde die mit der Sybase-Akquisition übernommene „Unwired Platform“, die künftig in den Netweaver-Stack integriert werden soll. Damit möchte der Softwarehersteller über kurz oder lang sämtliche SAP-Applikationen mobilisieren. Aktuell arbeiten die Entwickler in Walldorf dafür an dem Projekt „Gateway“. In diesem Rahmen soll eine Netweaver-basierende Technik mit offenen, standardisierten Schnittstellen entstehen, mit deren Hilfe SAP-Daten von jeder beliebigen Anwendung beziehungsweise jedem Gerät abgerufen werden könnten. In Verbindung mit der Unwired Platform seien Entwickler so in der Lage, Unternehmensdaten auf verschiedenen mobilen Endgeräten zugänglich zu machen. Ein entsprechendes Software Developer Kit (SDK) kündigte Sikka für die erste Hälfte des kommenden Jahres an.

SAP plant darüber hinaus, mobile Clients für verschiedene mobile Endgeräte-Plattformen wie Android, Apples iOS, RIMs Blackberry-System, Symbian, und Windows Phone 7 zu entwickeln. Die entsprechenden Apps sollen Anwender in den jeweiligen Stores der Plattformbetreiber herunterladen können. An dieser Stelle gehe es dem Softwarehersteller zufolge um kurze Vertriebszyklen sowie eine einfache Installation und Nutzung, wie es die Anwender im Umgang mit anderen Apps gewohnt sind. Ob es einen eigenen SAP-Appstore geben wird, ließen die Verantwortlichen offen. Dies sei jedoch eine Option, über die nachgedacht werde, hieß es.

Cloud Computing:

SAP kündigte an, dass die eigene Cloud-Computing-Plattform künftig auch Netweaver-Funktionen nutzen soll. Anwender sollen damit ihre Cloud-Prozesse effizienter steuern können. Gemeinsame Basis aller SAP-Cloud-Anwendungen wird künftig ByDesign (ByD) sein, das bereits die technische Grundlage für das on-demand verfügbare Mittelstandspaket „Business ByDesign“ (BBD) bildet. Neben dieser kompletten ERP-Suite aus der Cloud arbeitet SAP derzeit an verschiedenen Cloud-Services für Großunternehmen, die als zusätzliche On-demand-Services die Business-Suite ergänzen und erweitern sollen. Sikka zufolge werden Anwenderunternehmen On-premise- und On-demand-Welten in Zukunft parallel betreiben. Viele Kunden suchten derzeit nach zusätzlichen Softwareservices, die über das Internet einfach zu implementieren und zu nutzen seien.

Mit der einheitlichen Cloud-Plattform hat SAP vor kurzem auch die Organisation seiner On-Demand-Entwicklungen zusammengefasst. Gab es zuvor zwei Abteilungen – eine für Cloud-Angebote im Konzernumfeld und eine für das Mittelstandsangebot BBD – wird sich künftig eine einzige Abteilung unter der Leitung von Peter Lorenz um die Cloud-Services von SAP kümmern. Nachdem SAP mit Release 2.5 von BBD nach langen Verzögerungen Anfang August auf den Markt gekommen ist, äußerte sich Lorenz zufrieden mit der Zwischenbilanz – ohne jedoch Angaben zu Kundenzahlen oder Umsätzen machen zu wollen. Für SAP gehe es derzeit vor allem darum, eine kritische Kundenmasse im Markt aufzubauen, um Entwicklungs- sowie Vertriebspartner für die Lösung zu begeistern. Die technische Seite habe SAP mittlerweile im Griff, nachdem Probleme rund um die Skalierbarkeit und die Multi-tenancy-Funktionalität gelöst seien. Damit lohne sich Lorenz zufolge der Betrieb von BBD. Für Ende 2010 kündigte der SAP-Manager das Release 2.6 an. Damit soll ein SDK für Partner ausgeliefert werden. Des Weiteren soll es Verbesserungen beim User Interface (UI) sowie erweiterte Funktionen für In-Memory-Computing und die Anbindung mobiler Endgeräte geben. In Release 3.0, das Mitte kommenden Jahres herauskommen soll, werden Lorenz zufolge vor allem neue Features beispielsweise für die Logistik integriert.

SAP wird allerdings noch einiges an Überzeugungsarbeit leisten müssen und vor allem belegen müssen, was seine Innovationen bringen. Eine Umfrage der deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG) hatte ergeben, dass Themen wie Cloud und In-Memory auf den Prioritätenliste ganz unten stehen. Vielmehr beschäftigt die Anwender die wachsende Komplexität der SAP-Landschaften sowie Probleme mit der Softwarequalität und Fragen rund um die Investitions- und Planungssicherheit im Umfeld der SAP-Lösungen.

Die Innovationen könnten jedoch dabei helfen, Komplexität aus den Systemen herauszunehmen, versucht Sikka der Kritik den Wind aus den Segeln zu nehmen. Beispielsweise ließen sich mit Hilfe des In-Memory-Computings direkte Abfragen auf die transaktionalen Daten aus dem SAP-System einrichten, ohne zunächst aufwendig ein Data Warehouse oder Data Marts entwickeln zu müssen. „Das macht die Landschaften einfacher.“

SAPs Technikchef kündigte an, bei der weiteren Entwicklung der Netweaver-Plattform verstärkt auf Partner zu setzen. „Es ist besser mit einem Ökosystem zusammenzuarbeiten als zuzukaufen.“ Sikka zufolge werden die IT-Landschaften bei den Kunden auch in Zukunft heterogen sein. „Es gibt keine One-Vendor-Umgebungen.“ Daher sei es sinnvoll mit Technikpartnern zu kooperieren, die in ihren jeweiligen Märkten das beste Know-how mitbringen, statt zu versuchen, sich den gesamten Stack zusammenzukaufen und dabei an der einen oder anderen Stelle Kompromisse einzugehen. „Ein Stack ist immer nur so stark wie das schwächste Glied.“