Master-Data-Management

Raus aus dem Stammdaten-Chaos

31.08.2011 von Holger Reimer und Norbert Kille
Immer mehr Firmen verwalten ihre Stammdaten mit Master-Data-Management-Lösungen. Das spart Geld und optimiert Prozesse.
Foto: Artyom Yefimov - Fotolia.com

Das Thema Stammdaten wird im Mittelstand noch stiefmütterlicher behandelt als in Großkonzernen. Die Probleme reichen von ungeklärten Verantwortlichkeiten, Organisationsstrukturen und Prozessen bis zur uneinheitlichen Datenverwaltung in den Fachbereichen. So ist es in vielen mittelständischen Unternehmen noch üblich, dass jeder Vertriebsmitarbeiter seine eigenen Kunden lokal anlegt und pflegt, um jederzeit im Blick zu haben, wie sich die jeweiligen Umsätze entwickeln. Wird ein Kunde gleichzeitig von mehreren Außendienst-Mitarbeitern betreut, kommt neben den heterogenen Datenstrukturen das Problem überflüssiger Dubletten hinzu.

Fehlerhafte Rechnungen kosten Geld und Image

Doch die negativen Folgen, die fehlerhafte Stammdaten erzeugen, können gerade mittelständische Unternehmen besonders empfindlich treffen: Sind auf einer Rechnung etwa falsche Zahlungsbedingungen angegeben, geht die Zahlung eventuell erst 60 Tage später ein, für manchen Mittelständler ein enormes finanzielles Risiko. Unstimmigkeiten in den Kundenadressen können ferner dazu führen, dass ganze Warenlieferungen ihr Ziel nicht erreichen. Bei einem Chemieunternehmen kam es beispielsweise dazu, dass ein Gefahrguttransport gar nicht erst die Landesgrenze passieren durfte, das Label auf den Transporttonnen stimmte nicht mit dem Label in den Gefahrgutpapieren überein. Zu den finanziellen Einbußen kommt oft auch noch ein Imageschaden für die betroffenen Unternehmen hinzu.

Falsche Datensätze verursachen mangelhafte Prozesse

Obwohl viele Mittelständler die möglichen Folgen einer schlechten Datenqualität bereits erkannt haben, beschränkten sich die Lösungsversuche in der Vergangenheit häufig auf einzelne, zeitlich begrenzte Bereinigungsaktionen. In der Regel wurden dazu Aushilfskräfte mit der Korrektur fehlerhafter Datensätze beauftragt. Da sich die Datenqualität danach immer wieder verschlechterte und erneut viele Fehler in den Prozessen auftraten, entstand in vielen Unternehmen der Wunsch nach einem systematischen Stammdaten-Management.

Interesse an Business Intelligence wächst

Hinzu kommt, dass auch im Mittelstand das Interesse an Business-Intelligence-Lösungen wächst, wie sie in größeren Unternehmen bereits weit verbreitet sind: Jeder aussagefähige Bericht aber setzt korrekte Stammdaten voraus. Darüber hinaus werden auch mittlere Betriebe verstärkt mit Compliance-Anforderungen konfrontiert: Sie verlangen daher nach Master-Data-Management-Lösungen (MDM), mit denen sie die Einhaltung von Verhaltensmaßregeln, Gesetzen und Richtlinien im Unternehmen zuverlässig überprüfen können.

Hohe Anforderungen an das Stammdaten-Management

Besonders groß ist die Nachfrage in Unternehmen, die auf die diskrete Fertigung und das Dienstleistungsgewerbe fokussiert sind. Der Grund: In beiden Branchen setzen sich die angebotenen Produkte aus vielen unterschiedlichen Bausteinen zusammen, daher müssen zahlreiche Stammdaten, vor allem im Bereich von Materialien oder Services, gepflegt und verwaltet werden. Hohe Anforderungen an das Stammdaten-Management bestehen auch in Firmen, die ihre Produkte in komplexen Medien wie länderspezifischen Katalogen und Datenblättern abbilden.

Prozesse und Daten im Visier

MDM-Einführungen im Mittelstand unterscheiden sich deutlich von MDM-Projekten in Großunternehmen. Zwar verfügen Mittelständler häufig über eine homogenere IT-Systemlandschaft und müssen daher keinen so hohen technischen Aufwand für die Integration einer MDM-Plattform betreiben. Bei den vorgelagerten Stammdaten-Prozessen jedoch haben die meisten Konzerne bereits einheitliche Regeln für die Datenverwaltung aufgestellt, der Mittelstand eher nicht. Hier müssen bei einer MDM-Einführung neben der vorhandenen IT-Infrastruktur die bestehenden Stammdaten-bezogenen Prozesse und Daten betrachtet werden: Welcher Mitarbeiter legt wie und wann welche Stammdaten an? Welche Daten werden benötigt, wie gestaltet sich der Datenfluss? Wie werden Stammdaten geändert, mit wem muss sich der Mitarbeiter dazu abstimmen? Ziel dieser Analyse ist ein Organisations- und Prozesskonzept, das die Rollen, Verantwortlichkeiten und Abläufe für die Anlage und Pflege von Stammdaten exakt regelt. Dabei kann es sich um eine länder- oder standortbezogene Organisationsstruktur handeln, je nach Größe und Geschäftsanforderungen des Unternehmens.

MDM-Produkte von IBM, Oracle, SAP und Stibo im Test

Im nächsten Schritt muss die geeignete MDM-Plattform ausgewählt werden. Um den Mittelständlern eine Orientierungshilfe zu geben, fertigte Camelot Management Consultants gemeinsam mit dem Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen 2010 die "Branchenstudie Stammdaten-Management" an. In der Fachstudie werden unter anderem die Produkte von IBM InfoSphere, Oracle Customer Hub, SAP Netweaver MDM und Stibo Systems unter die Lupe genommen. Von besonderem Interesse waren die Funktionen für die Initial Loads, die integrierten Workflow-Funktionen sowie das operative und analytische Daten-Handling und die Datenbereinigung. Wie die Untersuchung ergab, sind all diese Lösungen mit zumindest hinreichenden Funktionen für ein reibungsloses Stammdaten-Management ausgestattet, allerdings vor allem auch aus Kostengründen für den Mittelstand teilweise überdimensioniert.

Microsoft Dynamics wird mit Katalog-Management zur MDM-Lösung

Für mittelständische Unternehmen, die Microsoft Dynamics einsetzen, bietet es sich an, für das MDM eine Microsoft-Lösung zum Katalog-Management zu wählen. Dieses Werkzeug stellt zwar keine ausdrücklichen MDM-Funktionen bereit, kann aber mit einigem Programmieraufwand entsprechend erweitert werden. Für die MS-Nutzer bietet diese Lösung den Vorteil, dass sie ihre Word- und Excel-Funktionen nahtlos integrieren können. Überdies ist die Lösung relativ kostengünstig zu erwerben.

SAP bietet mit Netweaver eine neue Alternative

Eine interessante Alternative stellt die neue Version von SAP Netweaver MDM 7.1 dar. Diese Lösung enthält alle wichtigen MDM-Funktionen und hat zudem den Vorteil, dass sie sich optimal mit ERP-Systemen aller Art verträgt, natürlich besonders gut mit SAP-ERP-Systemen. Darüber hinaus ist die Software äußerst flexibel in heterogenen Systemlandschaften einsetzbar. Mit der Komponente Business Process Management (BPM) können Workflow-Prozesse modelliert werden. Ein Nachteil ist die bereits erwähnte preisliche Komponente, allerdings bieten die SAP MDM Quick Starter einen kostengünstigeren Ansatz, da sie auch für den Mittelstand dimensioniert sind und vorkonfigurierte Workflows sowie Prozesse für gängige Stammdatenobjekte wie Material oder Lieferant enthalten.

Datenanalyse-Tools als Einstiegsvariante

Ein erster günstiger Schritt in Richtung Stammdaten-Management kann für mittelständische Unternehmen der Einsatz eines Datenqualitäts- und Datenanalyse-Tools sein. Hier gibt es mehrere Anbieter auf dem Markt, zum Beispiel die niederländische Firma Every Angle, SAP mit dem Produkt Business Objects Data Services inklusive der Komponenten Data Integrator und Data Quality oder auch IBM mit dem Produkt Infosphere QualityStage. Diese Lösungen unterstützen Mittelständler von Anfang an bei Datenintegrations- und Datenqualitätsaufgaben: Sei es, dass sie Probleme mit Kundenduplikaten in ihrem ERP-System haben, eingehende Materialdaten werteabhängig validieren oder Daten aus ihrem CRM-System und diversen Excel-Tabellen bereinigt in ein Data Warehouse laden wollen. Aufgrund einfacher Zugriffsmöglichkeiten auf ERP-Datenquellen ermöglichen diese Lösungen ein wirksames Prozess-Monitoring und -Management. Zudem können Anwender damit auch Business-Intelligence-Funktionen verwirklichen.

Kosten-Nutzen-Analyse ist das A und O

Welche MDM-Lösung ein Mittelständler wählen sollte, hängt von den individuellen Anforderungen ab und sollte im Rahmen einer Kosten-Nutzen-Analyse geklärt werden. Unabhängig von der Auswahl ist es gerade in mittleren Unternehmen wichtig, dass jedes MDM-Projekt die volle Rückendeckung der Geschäftsleitung hat und die Abteilungsleiter in alle wichtigen Entscheidungen einbezieht. Denn MDM-Projekte sind immer mit Kosten verbunden und binden über einen gewissen Zeitraum hinweg zum Teil beträchtliche personelle Ressourcen.

Management und Anwender frühzeitig integrieren

Darüber hinaus müssen die Anwender in den Fachbereichen frühzeitig ins Boot geholt und zu ihren Bedürfnissen und Wünschen befragt werden. Denn nur so kann die IT-Abteilung den Mitarbeitern MDM-Systeme und -Prozesse zur Verfügung stellen, die exakt auf ihre fachlichen Anforderungen zugeschnitten sind. Um die Anwender von Beginn an für das Projekt zu motivieren, sollte die Aufmerksamkeit zunächst den größten Schwachstellen im Umgang mit Stammdaten und ihrer Beseitigung gewidmet werden: Ein frühes Erfolgserlebnis für die Mitarbeiter kann entscheidend für den Fortgang des gesamten MDM-Projektes sein.

Zentrale Datenhaltung erhöht die Informationsqualität

Ein funktionierendes Stammdaten-Management bietet Unternehmen zahlreiche Vorteile. Zwar muss ein Vertriebsmitarbeiter nach wie vor seine Kunden selbst anlegen. Mit einem MDM-System wird dieser Vorgang jedoch deutlich beschleunigt und dadurch kostensparend gestaltet. Integrierte Freigabeprozesse stellen sicher, dass Kunden nicht mehr mehrfach im System angelegt und kostenträchtige Dubletten produziert werden. Durch die zentrale Datenhaltung und -pflege steigt die Qualität der Informationen, während die Fehlerquote in den Prozessen sinkt.

Hochwertige Stammdaten sind auch die Grundlage für Business-Intelligence-Anwendungen, wie sie im Mittelstand immer stärker nachgefragt werden, um die Entscheidungen des Managements zu verbessern. So lassen sich mit zuverlässigen Stammdaten und Kennzahlen automatische Auswertungen über Kunden und Zulieferer vornehmen, die als Grundlage für gezielte Vertriebsaktionen und ein strategisches Lieferanten-Management dienen.