IBM erzielt Durchbruch

Quantencomputing wird zuverlässiger

16.06.2023 von Heinrich Vaske
Forscher von IBM beschreiben in einem wissenschaftlichen Artikel, wie sie durch die gezielte Manipulation des Quantenrauschens immer bessere Ergebnisse im Quantencomputing erzielen.
IBM betritt mit seinen Quantencomputern Neuland.
Foto: IBM

Quantencomputer sind heute noch wenig zuverlässig und haben eine vergleichsweise geringe Rechenkapazität. Führen Nutzer dieselbe Berechnung immer wieder durch, werden sie höchstwahrscheinlich jedes Mal andere Antworten erhalten. Der Vorteil dieser Rechner besteht eher darin, dass sie viele Berechnungen parallel vornehmen und so massive Datenmengen gleichzeitig und besonders schnell bearbeiten können (lesen Sie auch: Wie Quantencomputer funktionieren).

IBM-Forscher haben nun bekannt gegeben, dass sie eine Methode entwickelt haben, mit der die Unzuverlässigkeit besser beherrschbar werden soll. Rechenoperationen könnten so zu zuverlässigeren und nützlicheren Antworten führen. "Was IBM hier gezeigt hat, ist ein erstaunlich wichtiger Fortschritt beim Entwickeln ernsthafter Quantenalgorithmen", urteilt Dorit Aharonov, eine Professorin für Informatik an der Hebräischen Universität Jerusalem, gegenüber der New York Times.

Neue Ära des Quantencomputing

"Wir treten beim Quantencomputing nun in die Ära der Verwertbarkeit ein", sagt Jay Gambetta, Vice President bei IBM Quantum. Sein Wissenschaftler-Team hatte die jüngsten Durchbrüche in der Zeitschrift Nature veröffentlicht.

Konventionelle Computer arbeiten heute bekanntlich nach dem binären System, die Daten werden in Bits gespeichert, die nur zwei Zustände kennen: 1 und 0. Ein Quantencomputer führt Berechnungen dagegen mit Quantenbits ("Qubits") durch, die beide Zustände gleichzeitig annehmen können ("Superposition"). Damit lassen sich besonders komplexe Zustände von Information erfassen. Bekannt ist das Gedankenexperiment Schrödingers Katze von Erwin Schrödinger, dem österreichischen Physiker und Begründer der Quantenmechanik.

Wartungsarbeiten an einem IBM-Quantencomputer.
Foto: IBM

Darin postuliert der Nobelpreisträger, dass eine Katze in einem Quantenzustand sein könne, der sowohl tot als auch lebendig sei. Immer, wenn ein System zwei verschiedene Zustände einnehmen könne, bestehe die Möglichkeit, dass es weitere Zustände gebe, die durch kohärente Überlagerung der beiden erkannten Zustände zustande kommen. Das System nimmt erst dann einen der beiden ursprünglich festgestellten Zustände an, wenn eine Messung vorgenommen wurde, um diese beiden Zustände zu unterscheiden.

Die Extra Computer GmbH bringt ein Beispiel auf ihrer Website: Demnach kann ein Quantencomputer mit 20 Qubits 1.048.576 Zustände (2 hoch 20) annehmen, ein Gerät mit 50 Qubits schafft bereits eine 16-stellige Zahl von Zuständen (2 hoch 50). Diese Superposition können die Qubits aber nur so lange halten, bis sie gemessen werden - dann nehmen sie, wie Bits, den Zustand 1 oder 0 an.

Die Quantenbits werden in Register eingefügt, über die Rechenoperationen ausgeführt werden. Sind die Qubits miteinander verbunden, reagieren sie wie eine Einheit. Wird ein Qubit gemessen, verändert es sich selbst und alle, die damit verbunden sind. Durch diese Verschränkung der Teilchen können mehrere Rechnungen nicht nur linear sondern parallel angestellt werden.

Quantencomputer zeichnen sich also dadurch aus, dass sie viele Berechnungen gleichzeitig in einem Durchgang vornehmen können, während digitale Computer Berechnungen einzeln und nacheinander durchführen. Dadurch rechnen Quantencomputer erst einmal ungenau, dafür aber besonders schnell und im großen Maßstab. Präzise Ergebnisse entstehen durch viele Wiederholungen in einem Annäherungsverfahren.

Schon bald sollen sich mit Quantencomputing besonders komplexe Aufgaben in Bereichen wie Chemie und Materialwissenschaften lösen lassen. Es gibt allerdings auch eine dunkle Seite: Vor Quantenalgorithmen werden viele Passwörter und auch verschlüsselte Kommunikation nicht mehr sicher sein.

Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen IBM und Google

Im Bereich des Quantencomputing liefern sich Google und IBM seit ein paar Jahren ein Kopf-an-Kopf-Rennen. 2019 behaupteten Google-Forscher, ihr Quantencomputer könne in drei Minuten und 20 Sekunden eine Berechnung durchführen, für die ein herkömmlicher Supercomputer auf dem neuesten Stand der Technik etwa 10.000 Jahre benötigen würde.

Andere Spezialisten, auch von IBM, wiesen das zurück. Google löse hier ein rein akademisches Problem, das für keine Anwendung interessant sei, hieß es. Zudem konnte ein chinesisches Forscherteam besagte Google-Berechnung auf einem Supercomputer in etwas mehr als fünf Minuten durchführen, weitaus schneller also als die vom Google-Team veranschlagten 10.000 Jahre.

Nun haben die IBM-Forscher in der neuen Studie eine Aufgabe gelöst, die für Physiker interessanter sein dürfte. Sie verwendeten einen Quantenprozessor mit 127 Qubits, um das Verhalten von 127 atomaren Stabmagneten - winzig genug, um den Regeln der Quantenmechanik zu unterliegen - in einem Magnetfeld zu simulieren (siehe auch Ising-Modell). Dieses Problem ist zu komplex, als dass eine genaue Antwort selbst auf den größten und schnellsten Supercomputern berechnet werden könnte.

2021 stellte IBM für die Fraunhofer-Gesellschaften den Quantencomputer System One bereit.
Foto: IBM

Auf dem Quantencomputer dauerte eine erste Berechnung weniger als eine Tausendstel Sekunde. Es folgten Tausende weitere Berechnungen, wobei Fluktuationen des Quantenrauschens die üblichen Fehler verursachten. Genau dieses Quantenrauschen manipulierten die Physiker, indem sie den Berechnungen immer wieder zusätzliches Rauschen hinzufügten, was die Antworten noch unzuverlässiger machte. Durch die Variation des Rauschens fanden die Wissenschaftler heraus, welche Menge von Quantenrauschen welche Auswirkungen hat.

Berechnung 600.000 Mal durchgeführt

"Wir können das Rauschen heute präzise verstärken und dann dieselbe Schaltung erneut ausführen", erläutert Abhinav Kandala, IBM-Manager und Co-Autor des Nature-Artikels. "Sobald wir die Ergebnisse der verschiedenen Rauschpegel haben, können wir zurückrechnen, wie das Ergebnis sich verändert hat." Die Forscher fanden clevere Wege, um das Rauschen nach und nach abzuschwächen und die Fehler zu reduzieren. Insgesamt führte der Computer die Berechnung 600.000 Mal durch und kam schließlich zu einer Antwort bezüglich der Gesamtmagnetisierung, die von den 127 Stabmagneten erzeugt wird.

Aber wie gut war die Antwort? Um Hilfe zu erhalten, wandte sich das Team an Physiker der University of California in Berkeley. Obwohl ein Ising-Modell mit 127 Stabmagneten zu groß ist und zu viele mögliche Konfigurationen aufweist, um mit einem herkömmlichen Supercomputer berechnet werden zu können, liefern klassische Algorithmen doch annähernde Antworten, wenn moderne Komprimierungstechniken eingesetzt werden.

Überraschend gute Resultate

Michael Zaletel, Physikprofessor in Berkeley und ebenfalls Co-Autor des Nature-Artikels, sagte, er habe geglaubt, dass seine klassischen Algorithmen besser abschneiden würden als IBMs Quantenalgorithmen. "Es ist ein bisschen anders gekommen", musste der Wissenschaftler einräumen. Bestimmte Konfigurationen des Ising-Modells hätten exakt gelöst werden können. Bei einfacheren Aufgaben seien sich die klassischen und die Quantenalgorithmen einig gewesen. Bei komplexeren lieferten der Quanten- und der klassische Algorithmus unterschiedliche Antworten, wobei der Quantenalgorithmus korrekter war.

In Fällen, in denen die Quanten- und die klassischen Berechnungen weit auseinandergingen, war es unmöglich hundertprozentig nachzuweisen, ob das Quantenergebnis präzise ist. Die Wissenschaftler haben aber Grund zu der Annahme, dass das der Fall ist, auch wenn die Beweise fehlen. Das Team versucht nun, auch den klassischen Algorithmus um ein Verfahren der sukzessiven Fehlerreduktion zu ergänzen, um so möglicherweise doch noch die Leistung der Quantenberechnungen erreichen oder übertreffen zu können.

Das Verfahren der Fehlerreduktion wird in herkömmlichen Computern und für die Datenübertragung längst eingesetzt, bei Quantencomputern ist sie dagegen noch nicht so weit fortgeschritten. Noch sind die Prozessoren, die die erforderlichen Mengen an Qubits verarbeiten können, nicht verfügbar. Aus Sicht der IBM-Wissenschaftler handelt es sich bei dem Verfahren noch eher um eine Zwischenlösung, die aber bereits für komplexere Probleme, auch jenseits des Ising-Modells, eingesetzt werden könne. (hv)