Jenseits von Bitcoin

Private und Permissioned Blockchains in der Praxis

09.04.2019 von Thomas Maurer
Nach dem Hype um Bitcoin und Co. erforschen viele Branchen weitere Einsatzmöglichkeiten der Blockchain. Erfahren Sie, welche Anwendungsszenarien aktuell entwickelt werden.

Die Blockchain verbraucht Unmengen an Strom, verarbeitet nur wenige Transkationen pro Sekunde und ist anfällig für Betrug - das meinen zumindest viele ihrer Kritiker. Doch Blockchain ist nicht nur Bitcoin. Das eigentliche Potenzial der Technologie liegt in nicht öffentlichen Blockchain-Lösungen.

Blockchain ist nicht gleich Blockchain. Je nachdem, wie offen oder begrenzt die Schreib- und Leseberechtigungen konzipiert sind, ergeben sich verschiedene Einsatzszenarien.
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Dabei können zwei Unterkategorien unterschieden werden:

Über den dezentralen Distributed Ledger-Ansatz verspricht eine Permissioned Blockchain kostengünstiger, schneller und robuster gegen Fälschung und Betrug zu sein, als ein zentraler Ansatz. Auch für die IT-Security und digitale Identitäten werden Einsatzmöglichkeiten ausgelotet.

Dokumentation, Automatisierung und Manipulationsschutz

Die Logistik-Branche testet die Technologie bereits in einigen Anwendungsszenarien. Beispielsweise entwickelt das Blockchain-Projektteam des ITK-Anbieters DB Systel derzeit verschiedene Lösungen, um Fracht- und Güterverkehr lückenlos zu dokumentiert oder Reisende mit einer digitalen Identität abzubilden.

Darüber hinaus arbeitet DB Systel gemeinsam mit DB Netz an Smart Contracts, um manuelle Verrwaltungsaufgaben zu automatisieren. Tritt ein bestimmtes Ereignis ein, sollen sie in der Blockchain autark geschlossen, ausgeführt und archiviert werden. Zum Beispiel soll das System in Echtzeit erfassen, an welchen Stationen ein Zug hält und die zugseitigen mit den stationsseitigen Informationen abgleichen. Das schließt auch ungewöhnliche Zweifelsfälle mit ein, wie einen technisch bedingten Halt ohne Aus- und Zustieg der Fahrgäste oder kurzfristige Umleitungen. Bislang müssen die Kosten solcher Ausnahmen aufwändig manuell geklärt werden. Mit der Blockchain ließe sich das vermeiden.

Abseits der Schiene etwickeln Bosch und der TÜV Rheinland eine Blockchain-Anwendung, die Tacho-Manipulationen in Autos verhindern soll. Sie basiert auf einem digitalen Fahrtenbuch, das in der verteilten Datenbank gespeichert wird. Dazu überträgt das Auto regelmäßig seinen aktuellen Tachostand. Per Smartphone-App soll der Autobesitzer oder der potentielle Käufer den echten Kilometerstand prüfen und mit der Tacho-Anzeige im Auto abgleichen können.

Fälschungssicherheit, transparente Lieferkette und Zertifizierungen

Viele Banken und Versicherungen wollen die Blockchain nutzen, um internationalen Zahlungsverkehr, Handelsfinanzierungen und das Privatkundengeschäft abzuwickeln. Damit soll bespielsweise vermieden werden, Verrechnungsstellen und andere Drittparteien einbinden zu müssen. Zudem ermöglicht es, mit Unbekannten Handelsverträge einzugehen oder smarte Verträge im Investmentmarkt anzubieten.

Mit Hilfe der Technologie sollen sich auch Produkt-Fälschungen leichter erkennen lassen. So hat der Pharmakonzern Merck gemeinsam mit dem Kölner Blockchain-Unternehmen CryptoTec eine Lösung gegen Medikamenten-Fälschungen auf Basis der Blockchain entwickelt. Die Software protokolliert dabei jeden Schritt der Lieferkette von der Herstellung bis zur Auslieferung des Produkts. Alle Beteiligten, inklusive Krankenhäuser und Apotheken, können per Scan der Medikamentenverpackung jederzeit die Echtheit der Arzneimittel prüfen.

Ein ähnliches System wollen Zulieferer von Automobil- und Flugzeug-Herstellern nutzen, um die Echtheit der Ersatzteile nachzuweisen. Selbst Juwelier De Beers will seine Diamanten mit der Blockchain nachverfolgen. Die kollaborative Plattform Tracr soll für die gesamte Diamanten-Industrie offen sein. Ziel ist es, das Vertrauen der Öffentlichkeit zu stärken, dass die Diamanten nicht illegal gehandelt werden.

In der Nahrungsmittelindustrie ließe sich mit der Blockchain etwa in der Herstellung einer Tiefkühlpizza nachweisen, wo jeder Rohstoff herkommt und wie er verarbeitet wurde. Die entsprechende Zutatenliste könnte dann per QR-Code auf der Verpackung verfügbar sein inklusive sämtlicher Hersteller und Zwischenhändler des Produkts.

In einem weiteren Schritt könnten auf diesem Wege auch die bisherigen Bio-Siegel ergänzt werden. In der Regel basieren sie auf Zertifizierungen, die meist nur einmal im Jahr oder alle zwei Jahre erfolgen. Wenn ein Bauer die Bedingungen zwar zum Zeitpunkt der Prüfung einhält, danach aber nicht mehr, kann er nach heutigem Stand trotzdem bis zum Ablauf der Zeitspanne das Siegel nutzen. Diese mögliche Lücke würde die Blockchain schließen, da hier jederzeit die Produktionsbedingungen nachgewiesen werden. Zudem würde sie mögliche Fehler bei der Zertifizierung vermeiden.

Identity und Access Management

Im Security-Bereich kann Blockchain-Technologie die Basis bieten, um ein System für selbstbestimmte Identitäten (Self-Sovereign Identity Management) zu etablieren. Damit ließe sich folgendes Problem lösen: In der digitalen Welt haben Anwender nicht nur eine Identität, sondern mehrere - etwa für diverse Online-Shops, Gaming-Seiten oder Newsfeeds. Diese Identitäten möchten sie auch getrennt nutzen. Über Metainformationen lassen sich diese "Persönlichkeiten" aber sammeln, abgleichen und zu einem Gesamtbild des echten Nutzers zusammenfügen.

Self-Sovereign Identity Management soll eine solche Aggregation der Identitäten verhindern, für Datenminimierung sorgen sowie volle Datenhoheit der Anwender gewährleisten.

Die Blockchain bildet einenr wichtigen Bestandteil der Gesamtlösung. Sie stellt die Infrastruktur für die Darstellung der Beziehungen (die digitalen Identitäten der Person) und speichert fälschungssicher das kryptographische Material (den aus der Information generierten Hash) sowie die zu der digitalen Identität gehörigen Service-Endpunkte. Dabei ist eine unerwünschte Nachverfolgung oder Datenaggregation nicht möglich, da es weder zentrale Systeme noch einen zentralen Angriffspunkt oder die Festlegung auf eine Technologie gibt. Zudem erhält der Nutzer die vollständige Datenhoheit und kann eine aktiv gegebene Erlaubnis jederzeit widerrufen.

Dies kann den Zugang auf verschiedene Systeme erleichtern, indem die Autorisierung durch die Person und eine dritte Identität (zum Beispiel dem Arbeitgeber) in der Blockchain bestätigt wird. Denkbar ist auch, dass Banken, Versicherungen, Firmen oder Hersteller als "Autorität" erlangte Zertifizierungen bestätigen.

Ein Beispiel: Angenommen, die deutschen Automobilhersteller bauen eine gemeinsame Permissioned Blockchain auf, um Qualifikationen von Fachkräften zu verwalten. Ein Administrator hat sich bei einem Autobauer für die Wartung bestimmter Fabrikanlagen zertifiziert. Diese Qualifikation wird in der Blockchain festgehalten. Wechselt er nun zu einem anderen Hersteller, muss er nicht noch einmal den Zertifizierungsprozess durchlaufen, sondern kann gleich die Admin-Tätigkeit mit den entsprechenden Rechten und Beschränkungen aufnehmen.

Fazit

Die Einsatzmöglichkeiten der Blockchain-Technologie sind vielfältig und reichen von fälschungssicheren Nachweisen in der Lieferkette über das Aufdecken von Manipulationen bis zu automatischen Abrechnungen. So stehen viele Unternehmen eher vor dem Problem, das richtige Einsatzszenario auszuwählen, als die Technologie grundsätzlich zu nutzen.