Reif für den Unternehmenseinsatz

Open Source - nicht nur für die Großen

25.09.2002
In vielen Unternehmensbereichen leistet quelloffene Software bessere Dienste als vergleichbare kommerzielle Produkte. Besonders die Stabilität und Sicherheit machen die frei verfügbaren Programme für den professionellen Einsatz interessant.

MIT DEM ERFOLG des Internet erlebte Open-Source-Software einen beispiellosen Boom. Das WWW erleichtert den Vertrieb und die Entwicklung der frei verfügbaren Software, die durch ihre wenig kommerzielle Natur in der Regel über keine umfangreichen Vertriebsstrukturen verfügt. Mit der zunehmenden Verbreitung entdeckten auch Institutionen und Unternehmen die Vorteile solcher Programme für sich: Mit ihrem offen gelegten Quellcode, der von jedem Anwender eingesehen und an die individuellen Bedürfnisse angepasst werden kann, läuft die Open-Source-Software in der Regel stabil, kostengünstig und sicher.

Die Fakten sprechen für sich: Im betrieblichen Umfeld erobert sich Open- Source beständig Marktanteile. So belegt eine aktuelle Studie des Marktforschungsunternehmens Berlecon Research, dass mittlerweile rund 44 Prozent der deutschen Unternehmen und Institutionen mit mehr als 100 Mitarbeitern quelloffene Software anwenden. Ganz oben auf der Liste der Einsatzgebiete rangieren Server: 31 Prozent aller befragten Organisationen nutzen bereits nicht proprietäre Programme oder planen die Installation innerhalb des nächsten Jahres. Dabei spielt die Firmengröße kaum eine Rolle. Selbst IT-Abteilungen großer Unternehmen rüsten ihre Systeme mit der frei erhältlichen Software auf: Daimler-Chrysler, Ikea, Sixt - kaum ein bekannter Konzern, der nicht Open-Source-Produkte im Einsatz hat. Dank der großen Nachfrage verkaufen IT-Branchenriesen wie IBM, Hewlett-Packard oder Fujitsu- Siemens seit mehreren Jahren Server mit quelloffener Software. Die großen Computerfirmen treiben auch die Entwicklung aktiv voran.

Die Großen geben Geld

Durch das Internet ist die Zusammenarbeit von verschiedenen Entwicklern an einem Open-Source-Vorhaben recht einfach. Große Projekte arbeiten oft mit einem harten Kern aus Entwicklern und einer großen fluktuierenden Masse an Gelegenheitshelfern. Die Programmierer selbst beschäftigen sich in der Regel in ihrer Freizeit mit den Projekten und verdienen höchstens indirekt durch Support oder Publikationen an der Software. Institutionen und Firmen bezuschussen häufig die Entwicklung und den Vertrieb. Allein IBM gibt nach eigenen Angaben zur Förderung des Betriebssystems Linux, dem wohl bekanntesten Vertreter der frei zugänglichen Software, europaweit in den nächsten vier Jahren rund 200 Millionen Euro aus. Auch staatliche Institutionen, wie das Bundeswirtschaftsministerium fördern zwischenzeitlich Open-Source-Projekte, zum Beispiel das Projekt GnuPG (GNU Privacy Guard). Es befasst sich mit einer patentfreien Verschlüsselungsmethode für den E-Mail-Verkehr. Das kostenlose Verschlüsselungsprogramm ist besonders für Firmen interessant: Firmen-EMails unverschlüsselt zu verschicken gleicht, so betonen Sicherheitsexperten, dem Versenden von vertraulichen Informationen auf Postkarten.

Die Software kann sich jeder kostenlos von www.gnupp.de herunterladen. Die vom Wirtschaftsministerium ins Leben gerufene Initiative „Sicherheit im Internet“ adressiert in erster Linie kleinere und mittelständische Unternehmen. Dabei betont sie besonders die grundlegende Bedeutung quelloffener Software für sichere Geschäftsprozesse im Internet.

Indianer im Web

Neben Sicherheitslösungen gibt es unzählige Anwendungen, die fast alle Bereiche moderner IT- und Arbeitsprozesse abbilden. Viele freie Produkte sind auf einzelne Aufgaben spezialisiert. So etwa der Web-Server „Apache“, auf dem ein großer Teil des Internet basiert: Die Internet-Analysten von Netcraft berichten in der Studie „Web Server Survey“, in der monatlich rund 37 Millionen Web-Seiten abgefragt werden, dass im Juli 2002 knapp 65 Prozent aller aktiven Web-Seiten auf Servern mit der Apache-Software liefen.

 

Unumstrittener Star im Open-Source- Portfolio ist das Betriebssystem „Linux“. Distributoren wie Suse oder Red Hat schnüren Linux-Pakete speziell für Unternehmen und bieten Support für ihre Distribution an. Die Preise sind im Gegensatz zum dominierenden Windows- Betriebssystem moderat: Knapp 50 Euro verlangt Suse für die Desktop - Einsteigerversion.

Besonders für Firmen relevant: Je nach Linux-Distribution darf das Softwarepaket auf mehreren Arbeitsplatzrechnern eingesetzt werden - Kopien sind legal, da durch die GNU General Public Licence (GPL) erlaubt. Microsoft und andere kommerzielle Softwareanbieter arbeiten hingegen meist mit Lizenzmodellen, die von der Anzahl der Arbeitsplätze abhängen. Je mehr Arbeitsplätze im Unternehmen mit Open-Source-Software ausgestattet werden sollen, desto höher ist das Einsparpotenzial. Das betrifft besonders Firmen mittlerer Größe, die nicht von den Großkundenrabatten der Softwarehersteller profitieren können.

 

 

 

 

 

 

Gerade Microsoft sorgte mit der neuen „Software Assurance“, die seit dem 31. Juli gültig ist, für Unmut: Kunden sollen die Software von Microsoft nun per Abonnement oder zur Miete beziehen. Ansonsten verlieren die Lizenznehmer den Anspruch auf preisgünstige Updates. Ob die Microsoft-Lizenzpolitik Linux im Desktop-Bereich mehr Auftrieb gibt, bleibt abzuwarten. Viele Unternehmen zögern noch, da sie Inkompatibilitäten und unkalkulierbare Umstellungsschwierigkeiten befürchten.

Zumindest in Teilbereichen lässt sich der Wechsel bei Desktop-System aber recht einfach vollziehen. Der mittelständische Versicherungsvertrieb Henkel KG, Generalagentur der Nürnberger Versicherung, setzt zum Beispiel auf Linux und ein freies Office-Paket: Auf knapp 110 Desktop-Rechnern läuft ein maßgeschneidertes Linux vom Distributor Red Hat. Das Unternehmen verwendet herkömmliche Desktop-Systeme im Büro als Thin Clients.

Pentium-II-Rechner reichen aus

Da Linux sparsam mit den Rechnerressourcen umgeht und bei Thin-Client- Landschaften die Server die Hauptlast tragen, kann Henkel auf günstige Desktop- Systeme zurückgreifen: Ein System mit mehr als 128 MByte und einen Pentium- II-Prozessor mit 233 MHz ist für den Büroalltag nicht nötig. Statt dem teuren Microsoft Office läuft auf den Computern die bis vor kurzem kostenlose Software Star Office von Sun Microsystems. Laut Jörg Schwab, Mitarbeiter der IT-Abteilung des Unternehmens, bereitet der Dokumentenaustausch zwischen Star Office und Microsoft Office keine Probleme. Nur bei komplexen Makros kommen die Im-/Export-Filter mit Microsoft-Dateien nicht zurecht - dann ist Handarbeit angesagt.

 

 

 

 

 

 

Schwab ist von der Praxistauglichkeit von Open-Source-Lösungen überzeugt: Die Software sei stabiler, lasse sich besser auf die eigenen Bedürfnisse maßschneidern und ist obendrein kostenlos. Allerdings, so Schwab, bedeutet kostenlose Software nicht, dass keine Kosten auftreten: Bei der Migration, Implementierung und beim Support sieht er nicht viel Einsparpotenzial gegenüber kommerzieller Software. Wer schnell und möglichst reibungslos in seinem Unternehmen freie Softwarelösungen einführen will, brauche wie bei kommerziellen Lösungen das Know-how eines externen Dienstleisters. Das Gleiche gelte auch für den Support: Dank der Stabilität der Software benötige man zwar selten externen Support, aber wenn das Firmennetz ausfällt, muss umgehend professionelle Hilfe greifbar sein. (js)

* Oliver Jendro ist freier Journalist in Hamburg.