Bei der Standardisierung von objektorientierten Methoden drängt die Zeit

OMG-Gruppe befürchtet eine Zersplitterung des OOP-Marktes

12.04.1991

MÜNCHEN (CW) - Die Anhänger von Standards für objektorientierte Techniken (OOP) haben es eilig. Ihre Befürchtung: Das Rennen um Marktanteile könnte zu einer Vielzahl inkompatibler Objektvarianten führen, die den eigentlichen Vorteil dieser Technik, ihre Wiederverwendbarkeit, wieder zunichte macht.

Als Zentralisationspunkt der Bemühungen um einen OOP-Standard hat sich in den vergangenen Wochen die Objekt Management Group (OMG) herauskristallisiert, in der inzwischen über 120 Anwender und Hersteller organisiert sind. Darunter befindet sich die Prominenz der DV-Industrie von Apple und AT&T über Hewlett-Pakkard sowie Microsoft bis hin zu Sun Microsystems.

Nicht mit von der Partie sind allerdings Branchenprimus IBM und Netzwerk-Spezialist Novell. Deren Zurückhaltung könnte nach Erkenntnissen der amerikanischen PC-Zeitung "Infoworld" die Durchsetzung eines OMG-Standards verhindern. Product Manager Kai Leonhardt von Novell Deutschland versichert allerdings, daß es für die Abstinenz seines Unternehmens keinerlei strategische Gründe gebe.

Die OMG forciert zwar einen Technologiewechsel bei Herstellern wie Anwendern, will aber gleichzeitig Schnittstellen definieren, mit deren Hilfe Objekte in die bisherigen Anwendungen eingebunden werden können. Zur Ermittlung von möglichen Standards veranstaltet die Gruppe - ähnlich wie die Open Software Foundation im Open-Systems-Bereich -Technologieausschreibungen mit der Bezeichnung "Object Request Broker" (OBR).

Besonders dringlich verfolgt die OMG die eben aufgelegte Ausschreibung zur Standardisierung der Objektklassen: Hier bestehe derzeit die größte Gefahr, daß die OOP-Entwicklung unkontrollierbar auseinanderdriftet. Schon jetzt sind eine ganze Reihe von Objektbibliotheken verschiedenster Hersteller auf den Markt.

Borland hat bereits die Programmierschnittstelle (API) seiner "Object-Windows"-Bibliothek von Turbo-Pascal angeboten, mit der sich Anwendungen für Microsoft Windows entwikkeln lassen. Weitere Vorschläge werden von Microsoft selbst, von Parc Place Systems und von NCR erwartet. Eine Entscheidung ist laut OMG allerdings nicht vor 1992 zu erwarten.

Bereits abgeschlossen ist die Ausschreibung zur Interoperabilität sowohl zwischen Anwendungen auf Einplatz-Rechnern als auch in Netzen mit verschiedenen Betriebssystem-Umgebungen. Unter den fünf Vorschlägen, die dazu eingegangen sind, befinden sich solche von Bull, DEC und NCR.

Gut im Rennen liegt nach Auskunft von Branchenkennern das Gemeinschaftprojekt von Sun Microsystems und Hewlett-Packard (HP), das kürzlich wegen seiner weitgesteckten Ziele Aufsehen erregt hat (siehe auch CW Nr. 12 vom 22. März 1991, Seite 2: "HP: Die Kooperation von Sun soll den Unix-Streit beenden"). Der Vorschlag der Workstation-Anbieter vereinigt Techniken der konkurrierenden Unix-Organisationen Open Software Foundation und Unix International unter dem Dach von HPs New-Wave-Umgebung. Das Auswahlverfahren der OMG soll bis zum Spätsommer dieses Jahres abgeschlossen sein.