Erste Lumia-Smartphones mit WP8

Nokia setzt für sein Smartphone-Comeback auf Fotos und Karten

09.09.2012
"Es ist das innovativste Smartphone der Welt", lobt Nokia sein neues Flaggschiff-Modell Lumia 920. Der einstige Handy-Primus muss dringend den Absatz seiner Smartphones verbessern - bisher beherrschen Android und iPhone den Markt.

Nokia will mit neuen Kartendiensten und einer stark verbesserten Kamera verlorenen Boden im boomenden Smartphone-Markt zurückgewinnen. Der einstige Handy-Marktführer stellte am Mittwoch in New York sein neues Smartphone-Flaggschiff Lumia 920 mit dem kommenden Betriebssystem Windows Phone 8 von Microsoft vor. Das Gerät soll den Abstand bei den Verkäufen zu Samsung mit seinen Android-Smartphones und Apples iPhone verringern. Microsoft-Chef Steve Ballmer trat persönlich auf die Bühne, um dem Partner den Rücken zu stärken.

"Das ist das innovativste Smartphone der Welt", verkündete die verantwortliche Nokia-Managerin Jo Harlow bei der Vorstellung in New York. Die Börsianer waren davon nicht besonders überzeugt: Noch während der großen Präsentation sackte die Aktie in Helsinki um rund 15 Prozent auf 1,95 Euro ab. Das Papier hatte Mitte Juli allerdings noch ein Allzeit-Tief bei 1,33 Euro erlebt.

Nokia konzentrierte sich bei der Präsentation in New York auf zwei große Schwerpunkte: Bilder und Karten. Unter dem Markennamen PureView bekommt das Lumia 920 eine Kamera, die nach Angaben des Konzerns fünf Mal mehr Licht aufnehmen kann als üblich. Das soll bessere und vor allem schärfere Bilder ermöglichen, zum Beispiel auch bei schlechten Lichtverhältnissen. Die Fotos sollen auf dem großen gewölbten Bildschirm mit einer Diagonalen von 4,5 Zoll (11,4 cm) und 1280 x 768 Pixel Auflösung bei 332 ppi besonders gut dargestellt werden. Es sei die beste Kamera in einem Smartphone überhaupt, versprach Harlow. Elop schwärmte von einer "Wunderkamera".

Die Karten erweitert Nokia mit neuen Funktionen: Die Augmented-Reality-Software "City Lens" etwa zeigt im Displays Informationen zu Geschäften an, wenn man die Kamera auf eine Straße richtet. Der Akku des Telefons lässt sich zudem kabellos per Induktion aufladen. Das Modell Lumia 820 enthält viele Funktionen des großen Bruders - und zudem kann man die Gehäuse-Rückseite wechseln.

Microsoft-Manager Joe Belfiore stellte in New York weitere Einzelheiten zum neuen Betriebssystem Windows Phone 8 vor. Es lässt sich stärker personalisieren, hat Nokias Kartendienste noch tiefer integriert und bietet verbesserte Funktionen zur Bildbearbeitung wie eine Gesichtserkennung. Belfiore verriet außerdem erstmals, dass man durch gleichzeitiges Drücken von Power- und Home-Taste einen Screenshot anfertigen und teilen kann (iOS und Android können das schon länger). Nokia setzt große Hoffnungen in die Plattform, um die immer noch schwächelnden Smartphone-Verkäufe anzukurbeln.

Von den aktuellen Lumia-Modellen mit Windows Phone 7 wurden im vergangenen Quartal vier Millionen Geräte verkauft. Das ist zwar eine deutliche Steigerung - aber bei weitem nicht genug, um vorne mitzumischen. Samsung setzte im gleichen Zeitraum rund 50 Millionen Smartphones ab. Apple kam auf rund 26 Millionen iPhones, obwohl viele Kunden schon auf das nächste Modell warteten, das kommende Woche vorgestellt werden dürfte.

Nokia und Elop stehen massiv unter Druck. Der einstige Microsoft-Manager hat bei Nokia voll auf die Windows-Phone-Karte gesetzt und muss nach fast zwei Jahren an der Spitze größere Fortschritte vorweisen. Der finnische Handy-Konzern schreibt Quartal für Quartal hohe Verluste, die Aktie steckt tief im Keller fest, die großen Rating-Agenturen stuften die Bewertungen auf Ramsch-Niveau herab.

Auch Microsoft muss dringend die Marktposition seiner Windows-Phone-Plattform verbessern. Im vergangenen Quartal haben die Lumia-Smartphones zwar nahezu im Alleingang den Marktanteil des Systems erstmals deutlich steigen lassen - es war aber nur eine Verbesserung von 1,6 auf 2,7 Prozent, wie die Marktforscher von Gartner berechneten. Das Google-Betriebssystem Android dominiert den Markt mit mehr als 60 Prozent.

Microsoft-Chef Ballmer warb um Software-Entwickler: Mit 400 Millionen Geräten von Windows 8 und Windows Phone 8, die laut Prognosen pro Jahr verkauft werden dürften, biete sich eine große Chance. Für Windows-Telefone gibt es bisher deutlich weniger Apps als für iPhone oder Android.

Nokia und Microsoft machten am Mittwoch den Anfang für eine ganze Welle von Neuheiten in der Branche. Wenige Stunden später kündigte der inzwischen zu Google gehörende Konkurrent Motorola neue Geräte an (s.u.). Heute wird vom Online-Einzelhändler Amazon die nächste Generation seines Tablets Kindle Fire erwartet. Und Apple verschickte am Dienstag Einladungen zu einem Termin am 12. September und deutete darin die Vorstellung des nächsten iPhone an.

Nokias letzte Hoffnung: Ein gelbes Windows-Telefon

Nein, ein Steve Jobs ist Stephen Elop wahrlich nicht. Als der Nokia -Chef am Mittwoch in New York die Bühne betritt (Webcast-Aufzeichung, Silverlight benötigt), um sein neues Handy-Flaggschiff Lumia 920 und das kleinere Lumia 820 vorzustellen, brandet nur verhaltener Applaus bei den anwesenden Journalisten aus aller Welt auf. Es will einfach keine rechte Stimmung aufkommen, auch wenn sich Elop sichtlich müht, locker zu erscheinen: in weißem Hemd ohne Krawatte, dunklem Sacko und Jeans.

"Wir sind der Überzeugung, dass wir den Leuten eine Alternative bieten können", sagt Elop und beschwört geradezu: "Nokia hebt sich ab." Der Konzern setzt anders als die breite Masse der Konkurrenten massiv auf das kommende Handy-Betriebssystem Windows Phone 8. Die Finnen sind mit dem Entwickler Microsoft eine enge Partnerschaft eingegangen, während der Großteil der Branche auf Googles Android-System wettet - und damit bislang recht gut fährt. Vor allem Samsung, die neue Nummer eins beim Smartphone-Absatz.

Nokia dagegen steckt in einer tiefen Krise: Die Marktführerschaft ist verloren, hohe Verluste laufen auf, Erfolgsmodelle fehlten bisher. "Wir machen Fortschritte", versichert Elop und sagt den Lieblingssatz eines jeden Managers, der in der Klemme steckt: "Wir haben eine klare Strategie." Nur scheint ihm das die Börse jedenfalls nicht abzunehmen: Kaum sind die ersten Details des Lumia 920 bekannt, rauscht der Aktienkurs fast acht Prozent in den Keller.

Was für ein Unterschied zu Steve Jobs, dem vor einem Jahr verstorbenen Apple -Chef. Seine Produktvorstellungen enthielten oft eine kleine Sensation: iPod, iPhone, iPad. In Rollkragenpulli und Bluejeans zeigte er dem begeisterten Auditorium die neuesten Gimmicks seiner Geräte. Elop verlässt nach neun Minuten erst einmal die Bühne und überlässt das Feld einer Mitarbeiterin. Sie stellt das vielleicht wichtigste Handy in Nokias Geschichte vor.

Das Gerät in ihrer Hand ist gelb, hat nach Nokias Bekunden die weltbeste Kamera, ein superstabiles Gehäuse, ein tolles Display, eine kabellose Ladeeinrichtung und einzigartige Kartendienste. Die Zuschauer bleiben beunruhigend sprachlos, wissen nicht ganz, was sie mit dem nach Eigenwerbung "innovativsten Smartphone der Welt" anfangen sollen. Die Aktie fällt weiter auf minus 13 Prozent.

Die Präsentation ist von Pannen begleitet: Bei der Videopräsentation des Lumia 920 bricht der Ton ab, die Bildschirm-Inhalte des Vorzeigehandys lassen sich erst nach dem Eingreifen der Techniker auf die Leinwand projezieren und das Gerät verweigert zunächst die Verbindung zur mitgebrachten Musikanlage.

Dabei geht es für Nokia um alles oder nichts. "Switch to Lumia" lautet die fast schon verzweifelt anmutende Botschaft der Finnen. "Wechsle zu Lumia". Denn Altkunden gibt es kaum: Wer heute ein Smartphone besitzt, nutzt ein iPhone, ein Android-Gerät oder vielleicht noch ein Blackberry. Der Marktanteil von Nokias erster Lumia-Baureihe, vorgestellt vor einem Jahr in London und mit Windows Phone 7 ausgestattet, ist vergleichsweise gering.

Im zweiten Quartal kamen alle bisherigen Windows-Phones zusammen auf einen Marktanteil von gerade mal 2,7 Prozent. Das kommende Betriebssystem Windows Phone 8 soll die Wende bringen. Das Lumia 920 ist eines der ersten Smartphones, das die Technik nutzt. Microsoft-Chef Steve Ballmer lässt es sich nicht nehmen, persönlich zu erscheinen: "Das ist ein sehr wichtiger Meilenstein", sagt er. Es zeige sich hierin die "unglaubliche Kraft der Partnerschaft".

Der Erfolgsdruck auf Nokia ist gewaltig: Im vergangenen Jahr lief ein Verlust von 1,2 Milliarden Euro auf, im ersten Halbjahr 2012 waren es schon 2,3 Milliarden Euro. Sollten die neuen Modelle den Abwärtstrend nicht aufhalten können, wird es für Nokia-Chef Elop eng. Er hat alles auf die Windows-Karte gesetzt. Die Kunden werden am Ende entscheiden, ob es die richtige Karte war.

Hinweis: Die obige Infografik stammt von http://de.statista.com/themen/783/betriebssysteme/infografik/139/androiden-auf-dem-vormarsch/

Motorola vergrößert Familie an Razr-Smartphones

Kurz nachdem Nokia seine neue Smartphones vorgestellt hatte, legte der Rivale Motorola Mobility nach: Das mittlerweile zum Internetkonzern Google gehörende Handy-Urgestein präsentierte am Mittwoch in New York drei neue Modelle seiner Razr-Baureihe: Die größeren "Droid Razr HD" und "Droid Razr Maxx HD" sowie das etwas kleinere "Droid Razr M".

Motorola verspricht bei allen drei Modellen besonders lange Batterielaufzeiten, hochauflösende Bildschirme und eine schnelle LTE-Datenübertragung. Unklar ist allerdings, ob die Geräte auch in Europa zu kaufen sein werden. In den USA werden sie exklusiv über den größten Netzbetreiber Verizon Wireless angeboten.

Das Razr M startet mit Zweijahresvertrag bei 99 Dollar - die Hälfte des Preises eines Apple iPhone 4S. Motorola verspricht, dass das Modell kaum größer sei als ein iPhone, aber über einen größeren Bildschirm verfüge: 4,3 Zoll (10,9 Zentimeter) zu 3,5 Zoll. Das Razr HD hat ein 4,7 Zoll großes Display, genauso wie der mit einer größeren Batterie versehene Bruder Razr Maxx HD. Hier stehen die Preise noch nicht fest. (dpa/tc)