Praxistest

Nokia E75 - der Business-Versteher

11.05.2009 von Manfred Bremmer
Mit dem neuen E75 könnte es Nokia gelingen, an den Erfolg der Communicator-Serie und des schmucken Barren-Handys E71 anzuknüpfen.

Bereits mit dem E71 ist es dem Handy-Riesen Nokia gelungen, vielen Nutzern ein Symbian-Smartphone als Alternative zu Blackberry- und Windows-Mobile-Geräten schmackhaft zu machen. Basierend auf der Rezeptur elegante Hülle, technische Vollausstattung und solider Software plus einen Hauch Multimedia versuchen die Finnen nun, den Trick mit dem E75 zu wiederholen. Ob das gelingt? Die COMPUTERWOCHE hat das neue Topmodell einem genauen Test unterzogen.

Der erste Eindruck

Thematisch als Nachfolger der Communicator-Reihe eingestuft, hat Nokia bei dem E75 (und dem Consumer-Handy 5730 Xpress Music) einen neuen Formfaktor abgeschaut, äh eingeführt: Ähnlich wie das Sony Ericsson Xperia X1 oder das HTC Touch Pro weist es eine seitlich ausziehbare Volltastatur auf. Der Effekt: Zusammen geschoben fällt das Business-Smartphone deutlich schmaler aus wie das E71 und braucht kaum mehr Platz als ein normales Handy. Gleichzeitig liegt es gut in der Hand, was insbesondere beim Telefonieren Vorteile bietet. Im offenen Zustand profitiert der Nutzer von dem relativ großen Keyboard, wenn es zum Schreiben von E-Mails, SMS oder anderer Texte geht. Natürlich geht die Unterbringung der Qwertz-Tastatur auf Kosten der Statur des Smartphones, die Dicke ist mit 16 Millimetern aber noch erträglich. Ähnliches gilt für das stattliche Kampfgewicht von 141 Gramm. Das E75 ist damit zwar schwerer als das E71 (127 Gramm), kommt aber noch nicht an den "kleinen" Communicator 9300 (169 Gramm), geschweige denn an den klobigen E90 (210 Gramm) heran.

Einen Gutteil des Übergewichts verdankt das Gerät dem Umstand, dass es sich nicht um einen reinen "Plastikbomber" handelt. Mit seiner glänzenden Metallrückseite und dem Chromrahmen auf der Vorderseite wirkt das in den Farben Schwarz/Silber und Rot erhältliche Smartphone alles andere als billig und fügt sich gut in die Reihe der übrigen Nokia-E-Series-Modelle ein. Sogar der Federmechanismus der ausziehbaren Tastatur macht einen guten Eindruck und gab im Test keinen Grund zu Beanstandungen. Ob er wirklich so robust ist, wird sich aber erst im Dauereinsatz beim Nutzer zeigen.

Praktische Volltastatur

Als Schreibgerät geeignet: Mit dem E75 lassen sich nach etwas Übung zügig Texte verfassen.
Foto: Nokia

Die Qwertz-Tastatur selbst überrascht durch ihre Handlichkeit. Material und Form der Tippfelder sind zunächst gewöhnungsbedürftig, mit etwas Übung lassen sich jedoch zügig E-Mails und andere Texte verfassen. Positiv fällt auf, dass Nokia neben den generell großen Tastenfeldern praktischerweise auch an Platz für Umlaute und das @-Zeichen gedacht hat. Schade nur, dass die Leertaste relativ kurz ausfällt und der Ziffernblock sowie die Navigationsknöpfe der Handlichkeit geopfert wurden. Da letztere unter dem Display auf der oberen Schale angebracht sind, muss man zudem beim Arbeiten mit ausgezogener Tastatur häufig umgreifen.

Die - anstatt aus einzelnen Tasten - aus vier Plastikstreifen zusammengesetzte, numerische Tastatur wirkt etwas billig (war sie vermutlich auch). Ansonsten gibt es aber nichts an ihr auszusetzen. Oberhalb der Zahlenfelder hat es Nokia geschafft, sage und schreibe acht Bedienfelder unterzubringen - dazu zählen drei Kurztasten für Startbildschirm, Kalender und Mailbox sowie je eine zum Initiieren von Telefonaten und zum Beenden von Anwendungen. Als Novum fungiert letzte beim E75 auch als Ein- beziehungsweise Ausschaltknopf. In der Mitte des Ganzen sitzt die obligatorische Vierfachwippe zum Steuern des Cursors.

Nicht ganz unproblematisch: Das kleine Display des E75 und die Lage der Steuerungstasten.
Foto: Nokia

Ganz ohne Kritik geht es auch beim Display nicht: Zwar zeigt der inzwischen millionenfach verbaute 320 mal 240 Pixel große TFT-Bildschirm (QVGA) mit bis zu 16 Millionen Farben Bilder und Texte gestochen scharf an und funktioniert auch bei direkter Sonneneinstrahlung gut. Angesichts des aktuellen Trends im Smartphone-Lager und der steigenden Nutzung des mobilen Internets könnte Nokia aber allmählich auch der E-Series-Reihe größere Displays spendieren, von einem Touchscreen ganz zu schweigen.

Umfangreiches Zubehör

Wie es sich für ein Mobiltelefon der gehobenen Preisklasse gehört, wird der Käufer eines E75 mit reichlich Zubehör verwöhnt. Wie bereits beim E71 zählen dazu neben dem obligatorischen Ladegerät ein mittelmäßiger Kopfhörer, ein USB-Kabel und eine 4GB MicroSD-Karte. Auf eine praktische Ledertasche wie beim E71 wurde dagegen - unverständlicherweise - verzichtet. Auf der Speicherkarte sind unpraktischerweise bereits die PC-Suite zur Synchronisierung von Inhalten mit dem Computer sowie die lokalen Karten (DACH-Region) für Nokia Maps vorinstalliert. Die dazugehörige sprachgestützte Navigation kann der Nutzer drei Monate lang kostenlos testen. Weitere Gratisbeigabe ist ein Fünf-Euro-Gutschein für den Nokia Music Store, auch ein N-Gage-Spiel ("Bounce") darf sich der Käufer für lau auf sein Gerät laden. Außerdem befinden sich neben dem obligatorischen Benutzerhandbuch und der Kurzanleitung noch ein Zettel über Recycling im Beipack sowie Werbeblätter für die verschiedenen Dienste und für die Ovi-Plattform.

Die Software

Das Menü des E75 ist aufgeräumt - untergliedert sich allerdings in etliche Untermenüs.

Mit der soliden Symbian-S60-Plattform (Version 3.2) ausgestattet, ist die Software über alle größeren Zweifel erhaben. Obwohl das E75 nur über einen - im Branchenvergleich relativ kleinen - 369-Megahertz-Prozessor verfügt, läuft sie stabil und ohne Hänger. Positiv zu erwähnen sind die zahlreichen Einstellungsmöglichkeiten, was Telefonie, Datenzugriff, VPN etc. anbelangt. Die Menüführung ist dabei einigermaßen klar strukturiert und übersichtlicher als bei Windows Mobile, etwas Aufräumen könnte jedoch nicht schaden. So reicht die beim Apple iPhone gerühmte Intuition allein bei der Bedienung nicht aus. Wer die vielen Möglichkeiten des Betriebssystems ausschöpfen will, kommt um das Studium des 138 Seiten dicken Benutzerhandbuchs nicht herum.

Der E-Mail-Wizard hilft beim Einrichten von Mail-Konten.

Diesem ist unter anderem zu entnehmen, dass mit dem Featurepack 2 neue Funktionen auf Basis des Beschleunigungssensors hinzugekommen sind. So lässt sich beispielsweise festlegen, dass die Bildschirmansicht automatisch mit der Drehung des Geräts in die Waagrechte wechselt. Außerdem hat der Besitzer als Novum jetzt die Möglichkeit, Anrufe abzuweisen oder einen Alarm auszuschalten, indem er das Gerät umdreht oder auf das Display klopft. Praktisch ist auch der Wizard für die Einrichtung von E-Mail-Accounts über einen Server bei Nokia, dazu genügen bei Mail-Anbietern wie Yahoo oder Web.de in der Regel Adresse und Passwort. Außerdem unterstützt das E75 bereits den neuen Pushmail-Dienst "Nokia Messaging". Für Corporate-Nutzer steht zudem das bereits installierte Programm "Mail for Exchange" zur Verfügung. Notes-Nutzer können immerhin den "IBM Lotus Notes Traveller" nachrüsten.

In Nokia Contacts for Eseries, neudeutsch Adressbuch genannt, lassen sich jetzt alle Kommunikationsoptionen einer Kontaktperson (Telefonat, Mitteilung, Video-Call, Audio-Message) bündeln. Neu ist auch die Möglichkeit, über die Angabe des Firmennamens zu suchen. Der Kalender erhielt eine neue grafische Oberfläche mit Monats-, Wochen- und Tagesübersichten. Zusatzdetails werden über ein Pop-up-Fenster angezeigt.

Security für alle

Positiv zu erwähnen sind außerdem die neuen Security-Features, die - bislang nur für Corporate-Szenarien gedacht - nun der breiten Nutzerschaft zur Verfügung stehen. Dazu zählt die Möglichkeit, die Daten im internen Speicher und auf der MicroSD-Card (hot swappable) verschlüsseln. Für den Fall, dass das Gerät samt sensiblen Daten verloren oder gestohlen wurde, unterstützt das E75 die Funktion "Remote Wipe": Mit ihr kann der Nutzer das Smartphone über eine spezielle Kurzmitteilung sperren - nach drei Fehlversuchen, den Code zu knacken, wird sämtlicher Inhalt gelöscht.

Quickoffice ermöglicht das Lesen, Erstellen und Bearbeiten von Dokumenten.

Der Webkit-basierte Browser ist wie bei allen Nokia-Smartphones grundsolide und unterstützt selbstverständlich Java und Flash. Die Seiten bauen sich dank WLAN- und HSDPA-Unterstützung relativ schnell auf und werden gut und übersichtlich dargestellt. Bei komplexeren Websites helfen Zoom-Funktion und Übersichtseite bei der Orientierung über die Schwächen des kleinen Displays hinweg. Die Bedienung durch den virtuellen Cursor ist passabel.

Wie bei allen E-Series-Geräten ist das E75 mit einer Reihe von vorinstallierter Zusatzsoftware ausgestattet. Neben dem bereits erwähnten Navigationsprogramm Nokia Maps findet man unter anderem einen Barcode-Scanner, einen Zip-Manager sowie einen PDF-Reader. Im Business-Kontext ist vor allem das Office-Paket Quickoffice (Version 4.1) hervorzuheben. Es ermöglicht das Lesen, Erstellen und Bearbeiten von Word-, Excel- und Powerpoint-Dokumenten. Wer Office 2007 einsetzt, guckt allerdings in die Röhre, dieses wird erst ab der (längst erschienenen) Folgeversion 5 unterstützt.

Beliebt und deshalb auch im E75 zu finden: Die Möglichkeit, zwei Startbilschirmen festzulegen.

Wie bereits beim E71 bietet das Smartphone die Möglichkeit, zwei individuelle Startbildschirme (Modi) mit separatem Thema (Wallpaper, Töne und Ähnliches) und vorkonfigurierten Elementen zu definieren. Dabei empfehlen sich für den privaten Bereich etwa Shortcuts zur Bildergalerie, Internet-Browser oder zum Musik-Player. Nokia trägt damit der Tatsache Rechnung, dass auch Manager ein Privatleben haben. Leider ist diese Idee aber noch nicht zu Ende gedacht, denn beispielsweise Kontakte und Kalendereinträge lassen sich nicht in beruflich und privat trennen.

Multimedia für Manager

Der im E75 integrierte MP3-Player bietet viele Einstellmöglichkeiten.

Für die multimediale Freizeitgestaltung ist das E75 zumindest auf dem Papier gut ausgerüstet. Neben einem MP3-Player mit vielen Einstellmöglichkeiten und der Spieleplattform N-Gage befindet sich auf dem Gerät auch der Real Player. Dieser eignet sich zum Abspielen von MP4-Videos im Vollformat, wer Formate wie DivX und XviD bevorzugt, findet bei Drittanbietern geeignete andere Player. Positiv zu erwähnen ist, dass sich neue Smartphone - wie bereits das Nokia E63 - dank des 3,5-Millimeter-Anschlusses für normale Kopfhörer eignet. Die Bildergalerie ist nicht unbedingt berauschend, stellt jedoch in den wenigsten Fällen ein entscheidendes Kaufkriterium dar. Wenig Glanz verleiht dem Gerät auch die integrierte 3,2 Megapixel-Kamera. Obwohl die dazugehörige Software zahlreiche Einstellungen (unter anderem ein Viewfinder) bietet, hilft dies nur wenig, das Ausgangsprodukt zu veredeln. Als Barcode-Scanner, für Dokumentationen oder für Schnappschüsse von Geschäftsfreunden noch ganz passabel, sollte man zu Fotosafaris eine richtige Kamera mitnehmen.

Hardware

Bei der Hardwareausstattung lässt das E75 mit HSDPA, GPS und WLAN fast keine Wünsche offen - zumindest auf den ersten Blick. Bei genauerer Betrachtung der Spezifikationen stellt man jedoch fest, dass Nokia hier geknausert, oder - positiv formuliert - Wert auf praxiserprobte, erschwingliche Bauteile gelegt hat. Als Beispiele sind neben dem relativ kleinen Display die HSDPA-Unterstützung nur bis 3,6 Mbit/s oder die billige 3,2 Megapixel-Kamera zu nennen. Damit nicht genug ist der Akku mit 1000 mAh klar unterdimensioniert - das ähnlich ausgestattete E71 besitzt eine 1500mAh-Batterie. Derart ausgestattet ist es kein Wunder, wenn das Smartphone - wie im Test erlebt - bereits nach etwas GPS- und WLAN-Nutzung und ein paar Telefonaten am Abend wieder an das Ladegerät muss.

Fazit

Mit dem E75 ist es Nokia erneut gelungen, ein gutes, grundsolides Business-Smartphone herauszubringen, das sich auch nach Feierabend sehen und vor allem nutzen lassen kann. Der Fokus liegt dabei auf gute Telefonie-Eigenschaften gepaart mit der Möglichkeit, schnell eine Mail zu beantworten oder im Internet zu recherchieren. Dabei wird das E75 vermutlich vor allem für die Nutzer interessant sein, die bereits mit dem E71 geliebäugelt haben, sich allerdings an der breiten Form stießen. Ungerechtfertigt ist allerdings der relativ hohe Preis für das neue Business-Flaggschiff: Im Online-Shop von Nokia Deutschland werden 469 Euro für das E75 aufgerufen, während das vor knapp einem Jahr vorgestellte E71 bei nahezu gleicher (selber?) Technik nur 322 Euro kostet. Ein ähnliches Verhältnis besteht bei den - zugegeben - niedrigeren Straßenpreisen. Auch wenn das E75 damit günstiger wie so manches Windows-Mobile- oder Blackberry-Smartphone ist, wäre es kein Wunder, wenn Nokia schon bald bei der Preisgestaltung Korrekturen vornehmen muss.