Internet-Explorer hat kräftig aufgeholt

Netscape und Microsoft: Der Kampf der Browser

13.09.1996

In den wenigsten Unternehmen existiert heute schon ein Intranet oder ein firmenweiter Internet-Zugang einzelne Mitarbeiter sind stolze Besitzer eines Modems und "dürfen" im Netz der Netze surfen. Vor allem die Sorge um die Sicherheit der sensiblen Unternehmensdaten, die durch Öffnung der internen Netze nach außen theoretisch angreifbar werden, und das Wissen um die hohen Folgekosten bedingen diese Zurückhaltung. Die rapide Entwicklung der Technologie aber - und sicher auch der kräftige Medien-Hype - sorgen dafür, daß die IT-Abteilungen immer stärker unter Druck der Mitarbeiter und des Managements geraten. Schließlich will niemand den Anschluß verpassen.

Zuallererst sollten die Systemumgebung und die geplanten Einsatzgebiete bestimmen, welche Internet-Zugangssoftware für den Einsatz in einem Unternehmen geeignet ist. Vier Fragen können hier bereits im Vorfeld helfen, Fehlentscheidungen zu vermeiden (siehe Kasten).

Wo aber im Internet-Bereich Neuland betreten wird oder die Infrastruktur keine eindeutigen Präferenzen vorgibt, fällt die Entscheidung höchstwahrscheinlich zwischen dem "Internet Explorer" und dem "Navigator". Bei annähernd gleichem Funktionsumfang unterscheiden sich die beiden Programme im Look and Feel und in bestimmten Detailbereichen.

Die aktuellen Versionen der rivalisierenden Produkte basieren in wesentlichen Teilen auf 32-Bit-Technik. Gerade im Unternehmensumfeld sind aber die 16-Bit-Windows-Versionen noch immer am stärksten verbreitet. Die Internet-Programmiersprache Java von Sun Microsystems, die von beiden Browsern unterstützt wird, erfordert Multithreading und kann unter Windows 3.x somit nicht eingesetzt werden. Zwar hat die IBM eine Implementierung einer Java Virtual Machine auch für 16-Bit-Systeme angekündigt ob diese aber auch im "wirklichen Leben" einsetzbar sein wird, muß die Zukunft zeigen.

Für Windows 3.x kommt ohnehin nur der Navigator 3 in Betracht, denn der Explorer ist in diesem Bereich erst bei Release 2.1 angelangt. Allerdings bietet auch das 16-Bit-Netscape-Produkt kein vollwertiges Java, sondern nur die Skriptsprache "Javascript". Wer davon träumt, Anwendungen in der C++-verwandten Sprache zu entwickeln und einzusetzen, muß rechtzeitig für den Umstieg auf ein 32-Bit-Betriebssystem sorgen. Der Trend geht ohnehin in diese Richtung. Nach Ansicht von Analysten werden Windows 95 und NT 4.0 die 3.x-Versionen innerhalb der kommenden zwei Jahre auch im Unternehmensumfeld zu einem Großteil ablösen.

Entscheidend für eine firmenweite Anschaffung von Browser-Software sind vor allem die "Costs of Ownership". Microsoft verteilt derzeit kostenlos den Internet Explorer (ebenso wie ein passendes Administrator Kit, mit dem sich das Programm individuell anpassen läßt, und den "Internet Informa- tion Server") und bietet auch 90 Tage freien Support. Die kommende Version 4.0 (Codename "Nashville) wird aber nicht mehr kostenlos zu haben sein, sondern ähnlich dem "Plus!"-Paket als Ergänzung verkauft werden. Längerfristig soll die Internet-Software im Windows-Betriebssystem aufgehen - eine Entscheidung für den Explorer wird so zu einer Entscheidung für Windows 95/NT und Microsoft.

Netscape stellt seinen Browser für eine 90tägige Testzeit kostenlos zur Verfügung. Danach muß der Navigator für rund 70 Mark erworben werden. Die unterschiedlichen Internet-Server und das Administrator Kit zur Anpassung des Navigator müssen ebenfalls bezahlt werden. Netscape setzt auf offene Standards und bietet seine Programme für zahlreiche Betriebssysteme an. Neben allen Windows-Varianten gehören dazu auch Mac-OS und etliche Unix-Derivate, OS/2 folgt demnächst. Und nicht nur das: Alle Versionen bieten identische Funktionalität - Microsoft kann da nicht mithalten. Der Explorer ist für den Macintosh bisher nur in der Version 2.1 zu haben, eine erste Unix-Portierung hat die Gates-Company für Ende 1996 angekündigt.

Was können Explorer und Navigator?

Die folgende Gegenüberstellung anhand wichtiger vergleichender Faktoren zeigt, wo die Stärken und Schwächen beider Browser liegen.

Bedienung: Der Explorer ist intuitiv bedienbar, die Elemente seiner Werkzeugleiste lassen sich mit der Maus verschieben und in der Größe ändern. Vielgenutzte Links können als Icons abgelegt werden. Es ist sogar möglich, direkt einen Web-Editor mit der gerade aktiven Seite zu starten. Die dargestellten Seiten werden weich gescrollt. Allerdings ist die Menüstruktur wenig einheitlich und teilweise unlogisch aufgebaut. Hier kann der Navigator glänzen: Ob WWW, Usenet-News oder E-Mail - alle drei Bestandteile gleichen sich, und alle drei Komponenten können voll formatierte HTML-Seiten anzeigen. Beide Programme bieten vereinfachte Eingabemöglichkeiten für URLs: Auf das vorangestellte "http://" kann verzichtet werden, der Navigator akzeptiert sogar bei Adressen der Form "www.name.com" die bloße Eingabe von "name". Dafür leitet der Explorer nach Eintippen von "find name" den gesuchten Begriff an die Suchmaschine Yahoo weiter und liefert sofort das Ergebnis.

HTML-Unterstützung: Der Explorer hat hier knapp die Nase vorn er unterstützt den aktuellen Standard 3.2 und vor allem die sogenannten Style Sheets, die De- signern erweiterte Möglichkeiten bieten. Auf diesen Stand wird Netscape seinen Navigator erst mit der Version 4 (Codename "Galileo") bringen. Leider verwenden beide Hersteller proprietäre Erweiterungen von HTML, die eine korrekte Darstellung der Seiten mit Hilfe des Konkurrenzprodukts verhindern. Auf die Verwendung solcher HTML-Elemente sollte nach Möglichkeit verzichtet werden.

Java und Skriptsprachen: Suns plattformunabhängige Internet-Programmiersprache wird von den 32-Bit-Versionen beider Browser unterstützt. Unter Windows 95 oder NT beinhalten die Produkte einen Just-in-time-(JIT-)Compiler, der Java-Applets erheblich beschleunigt. Neben Java lassen sich beide Browser auch über eigene Skriptsprachen steuern. Netscape setzt auf die Eigenentwicklung "Javascript", deren Spezifikationen noch nicht vollständig veröffentlicht wurden. In der Version 3.0 ist "Live Connect" dazugekommen. Mit dieser Architektur wird eine Interaktion zwischen Java, Javascript und Plug-ins möglich. Auch Microsoft unterstützt Javascript nach Kräften, erreicht aber nicht die volle Funktionalität. Als Konkurrenzprodukt bietet die Gates-Firma dafür ihr "VBScript", das auf Visual Basic basiert.

Erweiterungen: Mit dem Plug-in-Konzept, das Netscape seit dem Navigator 2.0 bietet, und Microsofts "Active X" gehen beide Konkurrenten hier gänzlich verschiedene Wege (siehe Thema der Woche). Praktisch alle existierenden Erweiterungen sind systemabhängig. Der Explorer kann fast alle Netscape-Plug-ins direkt nutzen (Ausnahme: Live-Connect-Erweiterungen). Der Navigator unterstützt Active X teilweise über ein Plug-in der Firma Ncompass.

Geschwindigkeit: Der Net- scape Navigator ist beim Laden von Seiten (insbesondere bei fast vollem Speicher- und Platten-Cache) schneller als der Explorer. Die Vorzüge des Microsoft-Browsers hingegen liegen in der Abarbeitung von Java-Applets, dem Aufbau großer Grafiken und dem Wiederaufbau von Seiten, die sich bereits im lokalen Cache befinden.

Intranet-Eignung: Der Explorer ist (Windows 95 oder NT vorausgesetzt) klar im Vorteil. Er ermöglicht die Einbindung anderer Microsoft-Applikationen - ein Klick auf ein Word-Dokument auf einer Web-Seite zum Beispiel startet das Programm innerhalb des Browsers. Das kostenlose Administrator-Kit, mit dem sich der Explorer an die Unternehmens-DV anpassen läßt, ist ein weiterer Vorteil. Allerdings bietet der "Navigator Gold" mit seinem integrierten Editor die Möglichkeit, direkt HTML-Dokumente zu verfassen und im Firmen-LAN verfügbar zu machen.

Mail und News: Netscape hat seine bereits seit der Version 2 enthaltenen Komponenten noch weiter verbessert. Sie fügen sich einheitlich in das Gesamtpaket ein. Die Integration der Microsoft-Zusatzprogramme "Internet Mail and News" ist weniger konsistent, bietet aber ähnliche Funktionalität. Netscape kann gängige Attachments direkt darstellen, beim Explorer muß dazu ein externer Viewer gestartet werden. Beide Newsreader ermöglichen endlich Offline-Reading, das Herunterladen von mehreren Nachrichten und Lesen nach Schließen der Netzwerkverbindung.

Groupware: Beide Browser kommen mit Internet-Kommunikationsprogrammen, die vor allem Telefoniefunktionen bieten: Netscapes "Cool Talk" sowie "Netmeeting" von Microsoft. Sie unterstützen auch jeweils den Austausch schriftlicher Botschaften in einem gemeinsamen Fenster (Chat) unter Netmeeting können sogar mehrere Benutzer gleichzeitig an einem Word- oder Excel-Dokument arbeiten.

Sicherheit: Mit den Secure Sockets Layers (SSL) 2 und 3 bieten beide Programme identische Sicherheits-Level für Online-Transaktionen. Daneben sind digitale Signaturen für Personen und Web-Seiten (Personal und Site Certificates) möglich. Die US-Versionen besitzen Schlüssel von 128 Bit Länge, die aufgrund der restriktiven US-Gesetze aber anderswo nicht zum Einsatz kommen dürfen. Hierzulande müssen die Anwender mit 40-Bit-Schlüsseln auskommen. Der Explorer bietet mit der "Authenticode"-Technik die Möglichkeit, zum Herunterladen bereitgestellte Software mit einer digitalen Signatur des Autors zu versehen. Damit kann vor dem Download weitgehend ausgeschlossen werden, das die Software illegal oder virenverseucht ist.

Was bringt die Zukunft?

Schon vor der Veröffentlichung der endgültigen 3er-Versionen hatten beide Hersteller für Ende 1996 schon die nächsten Releases angekündigt. Microsoft will seinen Nashville-Explorer als Ergänzungspaket zu Windows verkaufen.

Er wird eine weitgehende Integration des Browsers in den Desktop von Windows 95 beziehungsweise NT bringen und dann einen Zugriff auf lokale und vernetzte Ressourcen gleichermaßen bieten. Microsoft hat sich allerdings noch nicht festgelegt, ob der "Active Desktop" auch auf anderen Plattformen als Windows implementiert werden soll.

Netscapes Galileo-Navigator soll ebenfalls einen Zugriff auf alle Daten, egal ob im Web oder auf der Festplatte, bieten. Dabei sollen innovative dreidimensionale Navigationstechniken zum Einsatz kommen. Das verwendete Interface soll wie bisher plattformunabhängig sein. Gerüchte, der Navigator solle ab Version 4 in mehrere Komponenten aufgeteilt werden, wurden von Netscape in einem Gespräch mit der CW nicht bestätigt.

Grundlegende Fragen:

Welcher Funktionsumfang ist nötig?

Die meisten Browser beherrschen Grundfunktionen wie Hintergrundbilder, Tabellen, die Darstellung des HTML-Sourcecodes einer Web-Seite oder das Anlegen von Bookmarks (Internet-Lesezeichen). Bereits im Vorfeld sollte feststehen, für welche Zwecke das Programm eingesetzt werden soll: Soll auch E-Mail verschickt und empfangen werden, ist der Zugriff auf eine Firmendatenbank im Intranet geplant?

Müssen die Anwender den Browser wechseln?

Wenn bereits Browser im Einsatz sind, sollte man sich überlegen, ob sich ein Wechsel auszahlt. Die Benutzer haben sich meist durch Hotlists und Plug-ins individuelle Arbeitsumgebungen geschaffen. Ein Wechsel ist dann mit erheblichem Aufwand und Ärger verbunden. Daneben ist wichtig, ob das Unternehmen bereits eigene Web-Seiten besitzt und diese für einen bestimmten Browser optimiert sind oder spezielle Features, beispielsweise die Unterstützung von Frames oder Videowiedergabe, verlangen.

Welche Plattformen müssen unterstützt werden?

Heterogene Netze mit einer Vielzahl von Anwenderplattformen erfordern eine Browser-Software, die möglichst auf allen Systemen mit vergleichbarem Leistungsstandard zur Verfügung steht.

Bietet der Hersteller ausreichenden Support?

Wegen der nötigen Unterstützung durch den Hersteller kommen nur kommerzielle Produkte für den Unternehmenseinsatz in Frage. Der Einsatz von Shareware oder Betaversionen ist nicht empfehlenswert. DV-Manager sollten zwar mit den aktuellen Betaversion ihres Browsers vertraut sein, diese aber nicht an die Anwender verteilen.