Microsofts Hausputz - oder die schöne neue Services-Welt

28.09.2005
Microsoft hat angekündigt, sich organisatorisch in die drei neue Business-Einheiten "Platform Products & Services" (Windows, Tools, MSN), "Business Division" (Office, Geschäftsapplikationen) und "Entertainment & Devices" (Xbox, Embedded and Wireless Systems) aufzuteilen. Unsere Kollegen von der US-Schwesterpublikation Computerworld hatten Gelegenheit, darüber mit Martin Taylor, Microsofts General Manager für die Plattform-Strategie, zu sprechen.

CW: Was wird sich in der für das Windows-System verantwortlichen Platform Divison ändern, wenn die Verantwortung von "Techie" Jim Allchin an Vertriebsprofi Kevin Johnson übergeht? (Der Bereich Platform Products & Services wird bis Ende nächsten Jahres von beiden gemeinsam geführt, dann überlässt Allchin Johnson das Ruder, Anm. d. Red. Siehe auch: "Webtrends zwingen Microsoft zu radikalem Umbau") Taylor: Entschuldigen Sie, wenn ich ein wenig lachen muss. Diese Diskussion ist nämlich nicht ganz neu für mich. Als ich für Steve Ballmer gearbeitet habe und einige Untersuchungen zur Kundenzufriedenheit angestellt habe, legte ich Profile von einer Vielzahl unterschiedlicher Firmen an, die nur zum Teil aus der IT-Branche stammten. Ich ermittelte schließlich die 25 Unternehmen mit der höchsten Kundenzufriedenheit weltweit.

Als ich in die tiefe Analyse einstieg, fand ich heraus, dass in fast allen Fällen die Manager der einzelnen Unternehmensbereiche auf irgendeiner Ebene mit direkter Kundenansprache zu tun hatten. Es gab nur ganz wenige Firmen, deren Abteilungsverantwortliche nicht unmittelbaren Kundenkontakt hatten.

Ich habe daraufhin zu Ballmer gesagt: "Hey, vielleicht sollten wir mal sicherstellen, dass man in unserem Senior-Management nur dann Karriere machen kann, wenn man irgendwann für eine gewisse Zeit enger mit Kunden zu tun hatte." Es muss sicher nicht das einzige sein, was unsere Topleute getan haben sollten, aber sie sollten einen Kundenkontakt aufbauen, sich in die hineinversetzen und ihre Bedürfnisse verstehen können.

CW: Es gab in letzter Zeit viele Diskussionen darüber, ob Microsoft noch so flink ist wie einige seiner Wettbewerber. Haben Sie das Gefühl, dass ausufernde Bürokratie für Microsoft zu einem Thema geworden ist? Und falls es so ist: Wird die Reorganisation etwas daran ändern? Taylor: Natürlich wollen wir immer schneller und besser als die anderen sein. Wenn es nicht gelingt, weiß ich nicht, inwieweit das mit zu viel Bürokratie oder unbeweglichen Organisationsstrukturen zusammenhängt, ob es einfach nur unserer Größe geschuldet ist oder welche Faktoren sonst dafür verantwortlich sind.

Ich bekam mal eine Email von einem Kunden, der sagte: "Wir haben gewechselt! Wir sind von Linux auf Windows umgestiegen." Ich habe sofort eine Notiz an mein Team weitergeleitet und gefragt: "Können wir das nicht als Anzeige veröffentlichen?" Als sie mir sagten, wie lange es dauern würde, aus dieser Email eine brauchbare Werbung zu machen, wollte ich schon aufgeben. Ich glaube nicht, dass wir ein Bürokratieproblem haben. Wir sind einfach nur ein großes Unternehmen mit verschiedenen, sich bewegenden Bestandteilen. Die Reorganisation wird uns erlauben, in einzelnen Bereichen tiefer integriert zu agieren. Die Geschäftseinheiten werden besser zusammenarbeiten als in der Vergangenheit.

CW: Warum sind Sie da so sicher? Taylor: Wenn früher die in unterschiedlichen Geschäftseinheiten untergebrachten Windows-Platform- und Windows-Server-Leute miteinander rangen, wer welche Aufgaben übernimmt, musste sich am Ende oft Steve Ballmer mit diesen Fragen auseinandersetzen oder Jim Allchin, wenn es um technische Details ging. Jetzt, mit Kevin Johnson in der Verantwortung, werden diese Dinge eine Ebene unter Ballmer geregelt. Das Unternehmen wird damit ein bisschen beweglicher.

CW: Google und Yahoo machen Microsoft als Konkurrenten zu schaffen. Betrifft das ausschließlich das Privatkundensegment? Taylor: Heute stoßen wir vor allem im Consumer-Bereich mit Google zusammen. Aber wir glauben nicht, dass das der einzige Ort ist, wo wir Google auf Dauer sehen werden. Der Email-Dienst Gmail richtet sich an Privatkunden, aber es zeigt sich langsam, das einige kleinere Firmen ihre Software in bestimmter Weise auf Gmail aufsetzen können.

In der Berichterstattung und Diskussion um unsere Reorganisation war die Meinung weit verbreitet, Microsoft stelle sich neu auf, um besser gegen Google und Yahoo konkurrieren zu können. Was wir wirklich wollen, ist unseren Service-orientierten Ansatz zu verstärken - und das hat nicht direkt mit diesen Wettbewerbern zu tun. Vielleicht auf dem einen oder anderen Sektor, aber nicht generell. Wir schauen nur darauf, wo die künftigen Anforderungen sind.

Wir nehmen grundlegende Veränderungen vor. Ray Ozzie wird den Prozess aus einer technischen Perspektive über die verschiedenen Geschäftseinheiten hinweg steuern. (Ozzie ist Entwickler der Lotus-Notes-Plattform. Er gründete nach seinem Ausstieg bei IBM sein eigenes Unternehmen Groove Networks, das später von Microsoft übernommen wurde. Anm. d. Red.) Das hat erstmal nicht mit Google und Yahoo zu tun, sondern mit unserer grundsätzlichen Ausrichtung auf Services. Es geht um die Frage, wo Services in das gesamte Gebilde der IT sinnvoll hineinpassen. Beispielsweise können Security-Patches zentral zur Verfügung gestellt werden, ebenso bis zu einem bestimmten Level Speicher.

CW: Wo sehen Sie Google und Yahoo in diesem Entwurf? Taylor: Sie sind im Bereich Suche in bestimmter Art und Weise dabei, ebenso beim Speicher. Aber noch mal - es geht hier nicht um Google und Yahoo, sondern um unsere Vision. Wie stellen wir uns die sich ändernde Art und Weise der Bereitstellung von Software vor? Und dann, noch wichtiger: Wie stellen wir unseren Kunden Support- und Management-Techniken zur Verfügung, damit wir sie zeitgemäß online beliefern können, anstatt immer nur stur das traditionelle Modell, alles lokal vor Ort zu haben, weiterzuverfolgen?

CW: Was halten Sie vom Salesforce.com-Modell? Taylor: Ich möchte nicht alles aus der Perspektive kommentieren: Mit wem konkurrieren wir? Oder: Wem laufen wir hinterher? Es geht um die Frage, was unsere Kunden brauchen und von uns erwarten. Wie können wir sie am besten kurz- und langfristig bedienen? Und was müssen wir tun, um uns entsprechend zu verändern und in diese Richtung Fahrt aufzunehmen? Die Übernahme von Frontbridge etwa passt genau in die Strategie, unseren Kunden mehr zentrale Services zu bieten - und das hat nichts mit Google, Yahoo, Salesforce.com oder sonst wem zu tun. (Mit den Managed Services von Frontbridge kann Microsoft seinen Kunden unternehmensweites Spam-Filtering sowie Virenschutz anbieten. Anm. D. Red.)

Das ist es, womit Ray Ozzie, von einer technischen Perspektive her, seine Zeit verbringen wird. Jede Unternehmenseinheit wird darüber nachdenken müssen, welche Rolle sie in einer solchen mehr serviceorientierten Microsoft-Welt einnimmt. Hier gibt es sicher Chancen für Office, aber auch für Mobile-Computing. Nehmen Sie ein mobiles Gerät: Wenn Sie wollen, dass eine Versicherungspolice im Push-down-Verfahren zur Verfügung gestellt wird, möchten Sie auch, das die Daten gelöscht werden, wenn das Gerät verloren geht. Unsere Business-Einheiten, haben die Chance, in diesem Service-orientierten Modell stärker am Geschäft der Kunden teilzunehmen.

CW: war die treibende Kraft hinter Ihrer Reorganisation die Feststellung, dass Services eine wichtigere Rolle spielen werden? Taylor: Ich glaube, die treibende Kraft war einfach die Einsicht in die Notwendigkeit besser zu werden und zu sagen: was wollen wir künftig eigentlich tun? Wie kriegen wir die richtigen Leute so positioniert, dass wir die Geschäftsbereiche durchlässiger machen und unser Geschäft schneller vorantreiben können? Natürlich - wir glauben, die Serviceorientierung eröffnet uns neue Chancen. Und dass wir Ray Ozzie in diesen Veränderungsprozess einbinden konnten, macht die Sache spannend.

Bringen Sie unseren Ansatz bitte nicht mit dem ASP-Modell (Application Service Providing) durcheinander. Man kann nicht einfach sagen, wir nehmen Office, das bislang immer lokal gelaufen ist, und laden uns die Bits nach Bedarf aus dem Netz, wenn wir sie brauchen, und geben sie zurück, wenn wir fertig sind. Es geht erstmal darum auszuwählen, welche Dinge wir für die IT, die Entwickler und die Konsumenten zentral zur Verfügung stellen können. Das können völlig unterschiedliche Services sein. Frontbridge ist wahrscheinlich eines der besten Beispiele. (hv)