Microsoft-Software für Collaboration und Portale setzt IBM unter Zugzwang

Microsoft Sharepoint wird strategische Plattform und bedrängt IBM

28.03.2008
Mit "Sharepoint Server" liefert Microsoft Unternehmen ein Werkzeug für viele Zwecke, vom Erzeugen kollaborativer Applikationen bis zum Bau von Internet-Sites. Das Produkt dümpelte lange Zeit vor sich hin, könnte sich aber zu einer der wichtigsten Lösungen des Konzerns entwickeln.

Zwar ist Sharepoint nicht neu, doch erst mit der Version 2007 scheint das Produkt so richtig abzuheben. "Ich habe nichts Vergleichbares gesehen, seitdem Lotus Notes auf den Markt gekommen ist", so Mike Gotta, Analyst beim Beratungs- und Marktforschungsunternehmen Burton Group gegenüber der amerikanischen CW-Schwesterzeitschrift "Network World". Als das heutige IBM-Produkt vor vielen Jahren auf den Markt kam, schienen die Möglichkeiten der neuen Technik grenzenlos. Geht es nach dem Analysten, dann zeigen sich Firmen heute vom Microsoft-System begeistert: "Unternehmen messen Sharepoint eine strategische Bedeutung bei und nehmen das Produkt als Middleware wahr", so der Analyst weiter.

Sharepoint ist gefragt wie nie

MOSS (Microsoft Office Sharepoint Server) 2007 (http://wiki.computerwoche.de/doku.php/sharepoint_server_2007/plattform) verzeichnet Zuwächse wie kein anderes Microsoft-Produkt. Ein Grund dafür ist seine Vielseitigkeit (http://www.computerwoche.de/it_strategien/it_management/1856723/). Zu den sechs Kernfunktionen zählen:

Die Suchfunktion bietet Microsoft mittlerweile auch als eigenständiges Produkt MOSS for Search. Unlängst hat der Konzern eine Hosting-Version des Produkts freigegeben. Ohnehin nutzt Microsoft Sharepoint-Funktionen für seine On-Demand-Angebote rund um Office Live. Die Hosting-Variante des Produkts dürfte Experten zufolge dessen Verbreitung beschleunigen, da Unternehmen nach kostengünstigen Funktionen für Content-Management, Portale und Collaboration suchten, die zugleich in Microsofts Office-Suite eingebunden sind.

Anfangs gemächlicher Marktauftritt von Microsoft

Der Erfolg des Produkts war anfangs nicht absehbar. Als Microsoft das damals noch als "Sharepoint Portal Server" genannte Produkt im Jahr 2001 vorstellte, war das Interesse gering. Im Jahr 2003 brachte der Konzern Teilfunktionen der Software als kostenfreie Dreingabe des Betriebssystems Windows Server 2003 R2 ("Windows Sharepoint Services") auf den Markt. Das Ziel dabei: Anwender sollten auf einfache Weise die Funktionen und Umgebungen für Arbeitsgruppen bauen, die sich dann später zu unternehmensweiten Installationen ausdehnen sollten. Die Strategie scheint nun aufzugehen.

Sharepoint ist bei Partnern beliebt

In diesem Jahr präsentiert sich Sharepoint als Plattform sowohl für kleine und mittelständische Firmen als auch für große Anwenderunternehmen. Darüber hinaus bietet das Produkt unabhängigen Softwarehäusern und Systemintegratoren viele Möglichkeiten, eigene Lösungen auf Basis von Sharepoint aufzulegen. Ihnen kommt die Popularität der Microsoft-Software zugute. Partner, die ihre Werkzeuge für das Verzeichnis-Management, für Single-Sign-on und für die digitale Archivierung an Sharepoint angepasst haben, freuen sich eigenen Angaben zufolge über steigende Umsätze.

Im März ließ Firmengründer Bill Gates wissen, dass 100 Millionen Lizenzen für Sharepoint verkauft worden seien, und zwar an insgesamt 17 000 Unternehmenskunden. Die damit erzielten Einnahmen beliefen sich auf eine Milliarde Dollar. Auch wenn nicht alle Beobachter die Anzahl der verkauften Lizenzen für realistisch halten, bestätigen sie dennoch die hohe Sharepoint-Nachfrage.

Unternehmensweite Nutzung der Microsoft-Plattform

In einer Umfrage aus dem Jahr 2007 erfuhr das Marktforschungsunternehmen IDC, dass von 300 befragten Sharepoint-Anwendern 61 Prozent das Microsoft-System derzeit unternehmensweit ausrollen. Und 28 Prozent von den Nutzern, die das Produkt heute nur abteilungsweit verwenden, rechnen damit, dass innerhalb der nächsten zwölf Monate das gesamte Unternehmen die Software einsetzt.

Problem: Skalierbarkeit von Sharepoint

Von dem Vermarktungserfolg sollten sich Anwender jedoch nicht blenden lassen, denn Sharepoint hat auch Defizite. Zu den kritischen Punkten zählt die Skalierbarkeit. Sharepoint speichert Daten in der Microsoft-Datenbank SQL Server (http://www.computerwoche.de/produkte_technik/software/592531), und zwar in einer großen Tabelle. Das kann bei großen Datenmengen problematisch werden. Microsoft empfiehlt daher maximal 2000 Einträge pro Liste. Hier kann die Konkurrenz nur müde lächeln. Zum Vergleich: IBM Websphere gestattet viele Millionen Listeneinträge. Das nächste Sharepoint-Release soll hier Verbesserungen bringen. Vermutlich kommt es nächstes Jahr auf den Markt. Weitere Merkmale der nächsten Version verrät Microsoft noch nicht.

Altbacken: Social Networking

Wenig begeistert sind Experten zudem von den Social-Networking-Werkzeugen in der Sharepoint-Portaloberfläche. Diese seien nur rudimentär vorhanden und kaum für den unternehmensweiten Einsatz geeignet. Hinzu kommt, dass Microsoft selbst für diese Basisfunktionen auf Partnerprodukte zurückgreift: Module für RSS-Feeds stammen von Newsgator, und Atlassian stellt die Wiki-Technik. Konflikte sind hier vorprogrammiert, wenn Sharepoint für diese Aufgaben künftig eigene Funktionen erhält. "Verglichen mit dem Stand der Technik muten Microsofts Web-2.0-Werkzeuge alt und statisch an und sind schwer zu bedienen", kritisiert Oliver Young, Analyst beim Marktforschungsunternehmen Forrester Research. Young sieht dies jedoch nicht als grundsätzliches Problem an, das den Einsatz der Lösung ausschließt.

Sharepoint-Anwender: Workflows statt Papierkram

Zu den Nutzern von Sharepoint zählt die Firma Bowen Family Homes in Duluth im amerikanischen Bundesstaat Georgia. IT-Leiter Brad Marshall war anfangs wenig begeistert von den Windows Sharepoint Services. Später entwarf die Firma auf der Grundlage eines gehosteten "Sharepoint Portal 2003" eine Workflow-Applikation, die den Vertrieb von Eigenheimen deutlich vereinfacht. Statt mit Papierdokumenten arbeiten die Anwender nun mit elektronischen Formularen. "Was früher schon mal zwei Tage in Anspruch nahm, geht heute in einer Stunde", so Marshall.

Mittlerweile nutzt Bowen Family Homes eine Reihe weiterer Anwendungen, die auf Sharepoint entwickelt wurden. Dazu zählen Leistungsbeurteilungen und eine Urlaubsverwaltung. Marshall kam jedoch nicht ohne Anpassungen aus und griff hier auf ein Spezialwerkzeug des Herstellers Corasworks zurück. "Hätten wir nur die Out-of-the-Box-Funktionen gehabt, würden wir Sharepoint heute vermutlich nicht verwenden."

(Erneute) Kampfansage an das Lager IBM/Lotus

Die hohe Aufmerksamkeit, die Sharepoint genießt, dürfte insbesondere IBM hellhörig werden lassen. Der Grund: Da die Sharepoint-Software eng mit anderen Microsoft-Produkten wie dem E-Mail-Server "Exchange", den Office-Programmen nebst Teamfunktionen sowie den Kommunikationswerkzeugen integriert ist, könnte der Konzern IBM/Lotus Kunden abjagen. Der Wettbewerb zwischen Sharepoint und Lotus Notes/Domino währt schon seit einiger Zeit, verschärft sich nun aber deutlich.

Quickr und Lotus Connections gegen Sharepoint, Lotus Notes gegen Outlook

"Ich bin gespannt, wie IBM auf das Sharepoint-Phänomen reagieren wird", meint Harry Wong, Gründer und Vorstandsvorsitzender der Firma Casahl Technology, die Microsoft-Nutzern hilft, auf die Lotus-Plattform umzusteigen und umgekehrt. "Mit Sharepoint hat Microsoft ein schlagendes Argument, IBM/Lotus-Nutzern einen Umstieg auf Exchange Server und die übrigen Collaboration-Werkzeuge schmackhaft zu machen." Doch die Konkurrenz schläft keineswegs: IBM/Lotus verfügt mit Quickr über ein vergleichbares Produkt, und mittlerweile gibt es davon auch eine kostenlose Version, was dem Microsoft-Ansatz mit den kostenfreien "Windows Sharepoint Services" etwa gleichkommt. Das Produkt Lotus Connections enthält neben den Mitarbeiterprofilen und dem Social-Bookmark-System auch Anwendungen zur Organisation von Aktivitäten und Communities. Die von Benutzern als "Tags" eingegebenen Metainformationen, beispielsweise um Websites zu beschreiben oder ihre Blog-Texte zu kategorisieren, sollen helfen, Experten im Unternehmen ausfindig zu machen.

Um Erfolg zu haben, müsse IBM nach Wongs Worten Quickr deutlicher gegen Sharepoint positionieren. Lotus Notes 8 verfügt über ein an Outlook angelehntes Frontend, ist mit dem Instant-Messaging-Werkzeug "Lotus Sametime" integriert und gestattet es dem Nutzer, Widgets etwa von Google sowie RSS-Feeds in die Oberfläche einzufügen. Ferner kann der Anwender individuelle Portalseiten einrichten. "Vor allem größere Firmen muss IBM davon überzeugen, dass der Domino Server und das auf J2EE aufsetzende Quickr besser skalieren als Sharepoint", meint Wong. Gelingen könne dies aber nur, wenn der Microsoft-Konkurrent schnell und aggressiv agiert.

Sharepoint setzt BI- und Content-Management-Anbieter unter Druck

Auch die zahlreichen Anbieter von Business-Intelligence- und Enterprise-Content-Management-Lösungen dürften Sharepoint als Bedrohung wahrnehmen. Die anfangs nur sehr beschränkten Dokumenten-Management-Funktionen des Microsoft-Produkts wurden noch belächelt. Mittlerweile verfügt das Produkt jedoch über Web-Content-Management, Dokumenten- und Records-Management, Workflow inklusive Genehmigungsverfahren, elektronische Formulare, Volltextsuche und Mail-Archivierung. Microsoft bezeichnet MOSS 2007 darüber hinaus als "BI-Portal und Report-Zentrale für Endanwender". Mit Hilfe von mitgelieferten Webparts lassen sich Berichte aufbereiten oder Dashboards zur Visualisierung von Kennzahlen einrichten.

Die einzelnen Disziplinen deckt das Microsoft-Produkt sicher nicht immer so breit ab wie Konkurrenzlösungen, dennoch setzt der Funktionsumfang der Plattform die Marktbegleiter unter Druck. (fn)