Microsoft: Monopol gegen Open Source

08.02.2006 von Wolfgang Sommergut 
An Open Source könnte der Desktop-Monopolist endlich scheitern, hoffen seine Kritiker. Wirtschaftlich eilt das Unternehmen jedoch von Erfolg zu Erfolg.

Seit etwa zehn Jahren kämpft Microsoft nicht nur mit dem schlechten Ruf des ruppigen Monopolisten, sondern auch mit einem weiteren Image-Problem. Bei vielen Meinungsführern gilt das Unternehmen als Vertreter eines veralteten Ansatzes, der primär auf dem Lizenzgeschäft mit konfektionierter Desktop-Software beruht. Seit Bill Gates Anfang der 90er Jahre die Entstehung des kommerziellen Internets verschlafen hat, scheint jeder neue IT-Trend eine Entwicklung gegen Microsoft zu sein. Das war beim Siegeszug des Web der Fall, ebenso beim Aufstieg von Open Source wie auch nun beim Trend zu Software als Service.

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wieso trotz ständig neuer Rekordergebnisse für Microsoft Open Source die zentrale Bedrohung ist;

wie das Java-Lager das Lizenzgeschäft bei Server-Software aushöhlt;

warum das Desktop-Monopol gegen freie Software weitgehend resistent bleibt;

mit welchen Schwierigkeiten Microsoft bei Windows Vista und Office 12 rechnen muss.

Angeblich hält Bill Gates die IBM für seinen schärfsten Rivalen. Ginge er nach der Entwicklung der Börsenkurse, müsste er mehr auf Google aufpassen.

Ganz entgegen derartigen Prognosen übertrifft Microsoft Quartal für Quartal seine eigenen Rekordergebnisse und fährt immer wieder aufs Neue fette Gewinne ein. Je mehr die Zeichen der Zeit auf einen Abstieg des Desktop-Riesen deuten, umso besser scheint es ihm zu gehen. Das Paradoxe daran ist freilich, dass die prognostizierten Schwierigkeiten für Microsoft keineswegs bloßes Wunschdenken von Neidern und Gegnern sind, sondern zumeist auf intelligenten und sorgfältigen Analysen beruhen. Der vorhergesagte Bedeutungsverlust des Desktop ist ebenso eingetroffen wie die ökonomische Entwertung von Software durch das Open-Source-Phänomen oder auch der Vormarsch werbefinanzierter Online-Dienste.

Schlagseite in Richtung Desktop

Betrachtet man die Geschäftszahlen des Jahres 2005, so gibt die Aufgliederung nach Sparten klare Hinweise darauf, wie Microsoft den genannten Bedrohungen widerstehen konnte und wo es dem Softwareriesen gelang, sich gegen diese Trends zu behaupten. Trotz einer erheblichen Ausweitung des Produktportfolios und der Geschäftsbereiche stammen immer noch mehr als zwei Drittel des Umsatzes aus den kombinierten Lizenzeinnahmen des Windows-Clients und aus Office. Bei den Gewinnen vor Steuern sind die Ergebnisse noch einseitiger: Die beiden Desktop-Goldesel werfen mehr als viermal so viel ab wie alle anderen Sparten zusammen. Mit Margen von über 70 Prozent repräsentieren sie das oft kritisierte Monopolgeschäft der Redmonder.

Microsoft feiert bereits Windows Vista, das fünf Jahre nach XP auf den Markt kommt. Die Kunden dürfte es nicht in eine ähnliche Euphorie versetzen wie seinerzeit Windows 95.

Bereits in den 90er Jahren machten die Analysten von Bloor Research die Zukunft von Microsoft davon abhängig, ob die Company in der Lage sein würde, den Schwerpunkt ihres Geschäfts vom Client auf das Server-Business zu verlagern. In der Studie "The Enterprise by other Means" sagten sie eine Rezentralisierung der Unternehmens-IT vorher, die maßgeblich durch die Architektur von Web-Anwendungen verursacht werde. Seit damals ist es Microsoft gelungen, ein veritables Geschäft mit Server-Software aufzubauen, dessen Umsätze Jahr für Jahr um zweistellige Prozentzahlen zunahm und das für fast 30 Prozent der Gesamteinnahmen verantwortlich ist. Aus den ehemaligen "Backoffice"-Servern erwuchs das "Windows Server System", das mit rund 15 Produkten ein breites Spektrum von System-Management, Security über Enterprise Application Integration (EAI) und Datenbank bis hin zu Messaging und Collaboration abdeckt.

Integration als Trumpf

Ein wesentliches Merkmal dieser Produkte ist, dass sie ausschließlich auf dem hauseigenen Server-Betriebssystem laufen. Microsoft begründet diese Politik mit seinem Vorhaben, eine möglichst eng integrierte Softwareplattform zu schaffen, bei der alle Komponenten die reichhaltige Infrastruktur des Windows Server nutzen. Gleichzeitig bemüht sich das Unternehmen, die Updates der Produkte so zu synchronisieren, dass diese untereinander möglichst konfliktfrei koexistieren können. Insgesamt soll eine produktübergreifend konsistente Installation, Administration und Bedienerführung die Unterhaltskosten so gering halten, dass Microsoft bei den Total Cost of Ownership gegenüber freier Software die Nase vorne hat. Regelmäßig von Redmond publizierte Studien wollen diesen Vorteil belegen. Hinzu kommt aus Entwicklersicht, dass mit Visual Studio ein Werkzeugkasten zur Verfügung steht, mit dessen Hilfe sich alle Bausteine der Microsoft-Plattform programmieren lassen.

Bei allem Ehrgeiz, eine möglichst konsistente Softwareplattform zu schaffen, schenkte Redmond der Interoperabilität mit Systemen anderer Hersteller lange Zeit relativ wenig Aufmerksamkeit. Mit Web-Service-Standards soll diese Lücke im Angebot geschlossen werden. Redmond ist eine treibende Kraft hinter den einschlägigen Standards. Trotzdem bestechen die Vorzüge der aufeinander abgestimmten Produkte vor allen in einer reinen Microsoft-Welt, in heterogenen Umgebungen verlieren sie ihren Glanz. Gegen die starke Abhängigkeit der Microsoft-Produkte untereinander wird häufig auch ein anderer Einwand vorgebracht: Selbst für eine überschaubare Lösung zieht der Kauf einer Software den Einsatz einer ganzen Kette anderer Microsoft-Tools nach sich. Neben dem unvermeidlichen Windows zählen dazu meist das Active Directory, der SQL Server, der Internet Explorer oder Office.

Gegenmodell Open Source

Office 12 hält zwar neue Bequemlichkeitsfunktionen für die persönliche Produktivität bereit, aber Microsoft positioniert es vor allem als das Frontend in einer SOA-Welt.

Auch wenn sich Microsoft bis dato erfolgreich gegen freie Software behaupten konnte, so wird diese zunehmend die Grundlagen des Softwaregeschäfts bestimmen. Open Source ist längst keine Graswurzelbewegung mehr, die von uneigennützigen Individuen getragen wird. Neuere Analysen zu den ökonomischen Grundlagen quelloffener Programme versuchen zu zeigen, dass das Internet Rahmenbedingungen geschaffen hat, die die Kosten der Produktion und Distribution von Software nach unten treiben. John Walker verweist in seinem kürzlich erschienen Aufsatz "There is no Open Source Community" auf das global nutzbare kollektive Wissen, das im Vergleich zu den vergangenen Jahrzehnten enorm zugenommen hat, wodurch die Softwareentwicklung immer mehr die Aura einer schwarzen Magie verliert. Frei verfügbare Frameworks und Tools entwerten die Programmiertätigkeit zusätzlich.

Open-Source-Verteran und Debian-Gründer Bruce Perens vertritt in "The Emerging Economic Paradigm of Open Source" die These, dass der Druck von freier Software auf kommerzielle Anbieter dort besonders groß ist, wo Computerprogramme Aufgaben erfüllen, bei denen sich Firmen keine Vorteile gegenüber ihren Konkurrenten verschaffen können. Dies trifft beispielsweise auf Betriebssysteme oder Middleware zu, die Microsoft in seinem Server-System bündelt. Perens favorisiert für derartige "Enabling Technology" freie Software gegenüber konfektionierter Ware, weil Letztere für diesen Zweck weit weniger effizient sei. Im Schnitt flössen nur zehn Prozent des Geldes, das der Anwender dafür bezahlt, schlussendlich in die Entwicklung. Hingegen benötige Open Source weder Marketing, noch sei es gewinnorientiert.

Professionelle Open-Source-Konkurrenz

Open Source verändert nicht nur insgesamt die Spielregeln des Marktes, sondern bedrängt durch zunehmende Professionalisierung auch das Segment von Enterprise-Software. Dies äußert sich einerseits darin, dass Integratoren wie Spikesource oder das von IBM gekaufte Gluecode integrierte Pakete von freier Infrastruktursoftware zusammenstellen und zugehörige Dienstleistungen anbieten. Besonders die mit Microsoft rivalisierende Java-Welt bewegt sich rasch auf ein Geschäftsmodell zu, das auf Lizenzeinnahmen verzichtet und sich auf Services konzentriert. Bei der IBM zeichnet sich ab, dass der J2EE-Server von Apache zukünftig Websphere ersetzen wird. Jboss baut auf Basis seines Applikations-Servers ein umfangreiches freies Middleware-Portfolio auf, das inzwischen auch HP anbietet. Und Ende letzten Jahres gab Sun bekannt, dass es seine gesamte Server-Software als Open Source freigeben werde.

Neben diesen Firmen, die sich im traditionellen Open-Source-Segment der Basissoftware betätigen, gehen in nächster Zeit eine Reihe neuer Unternehmen an den Start, die durchweg über Venture Capital finanziert wurden und diese angestammte Domäne verlassen wollen. Die Analysten der Experton Group sprechen in diesem Zusammenhang bereits von Open Source 2.0. Microsoft dürfte argwöhnisch Zimbra beobachten, das unter der Anleitung des Ex-Bea-Cheftechnologen Scott Dietzen an einer freien Exchange-Alternative arbeitet. Ähnliche Rivalen treten mit Alfresco beim Content-Management oder Pentaho bei Business Intelligence gegen kommerzielle Anbieter wie Microsoft an.

Geschäftszahlen 2005 (in Millionen Dollar)

Umsatz

Gewinn vor Steuern

Spanne (Prozent)

Client

12234

9442

77,18

Office

11013

7915

71,87

Server und Tools

9885

3259

32,97

Microsoft Business Solutions

803

-201

-25,03

MSN

2274

405

17,81

Mobile

337

-46

-13,64

Home and Entertainment

3242

391

-12,06

Insgesamt beweist das erfolgreiche Abschneiden von Microsoft gegen die Open-Source-Konkurrenz nicht, dass sich das Konzept einer eng verzahnten, proprietären Plattform unter den radikal veränderten Umweltbedingungen des Softwaregeschäfts dauerhaft behaupten kann. Die ökonomische Entwertung von Computerprogrammen dürfte die größte Herausforderung für Microsofts Lizenzgeschäft bleiben, zumindest auf dem Server.

Monopol wackelt nicht

Mit dem Windows Server System agiert Microsoft in einem Umfeld, in dem freie Software von Anfang an zu Hause war: infrastrukturnahe Software für das Backend. Außerdem forcierte das Unternehmen diesen Geschäftszweig erst zu einer Zeit, als die quelloffene Konkurrenz bereits Flagge gezeigt hatte. Auf dem Client konnte Microsoft seine Vormachtstellung hingegen viel früher erringen. Auch wenn Linux inklusive Open Office und den Mozilla-Tools eine durchaus brauchbare Windows-Alternative abgibt, so kann es nur wenig gegen die Windows-Bastion ausrichten. Viele tausend Windows-Programme sind der Trumpf in der Hand von Microsoft. Der Systemwechsel erscheint vielen Anwendern als zu aufwändig, weil sie ihre bestehende Software nicht ohne weiteres in eine neue Umgebung übernehmen können.

Auch wenn die freie Konkurrenz bis dato nicht am Windows- und Office-Monopol kratzen konnte, so muss Microsoft in diesem Segment doch einige Herausforderungen bewältigen. Eine der wesentlichsten besteht darin, die Kunden zum Update zu bewegen. Die größten Konkurrenten für eine neue Ausführung von Windows Office sind ihre Vorgängerversionen. Im Fall des Betriebssystems geschieht die Erneuerung durch das OEM-Geschäft quasi naturwüchsig, weil fast jeder neue PC mit der aktuellen Version von Windows ausgeliefert wird. Unternehmen lassen sich hingegen beim Update ihrer Clients Zeit, besonders dann, wenn die Aktualisierung keine wesentlichen Vorteile verspricht. Fünf Jahre nach Erscheinen von XP setzen noch viele Firmen Windows 2000 oder gar NT ein.

Nachdem Microsoft für Windows Vista wesentliche Funktionen gestrichen hat, dürfte es den Redmondern nicht leicht fallen, Anwender von einem baldigen Update zu überzeugen. Man muss Vista nicht gleich als "XP plus ein weiteres Service-Pack" abtun wie der amerikanische Kolumnist Robert Cringely. Aber nachdem wesentliche Teile des kommenden Windows wie das Grafiksystem "Avalon" und die Windows Communication Foundation ("Indigo") auch auf XP portiert werden, müssen potenzielle Käufer schon ziemlich genau hinsehen, um den Nutzen von Vista zu entdecken.

Die beiden genannten Komponenten sind Bestandteil des neuen Programmiermodells WinFX. Microsoft vollzieht mit Vista den Wechsel von den Win32-Programmier-Schnittstellen (Win32 API) zu .NET. In seinem viel beachteten Aufsatz "How Microsoft Lost the API War" beschreibt Joel Spolsky, welche Implikationen der Umstieg zu einem nicht abwärtskompatiblen Interface haben könnte. Die Kontrolle über das Win32-API war bisher Microsofts Trumpf gegenüber Linux, weil darauf aufbauende Software auf keinem Konkurrenzsystem ablaufen kann. Das Unternehmen gibt diese Karte aus der Hand und vertraut darauf, dass die Entwicklergemeinde den Schwenk in Richtung WinFX mitmacht.

Office im Wandel

Nach dem Wunsch von Microsoft soll 2006 nicht nur das Jahr von Windows Vista, sondern auch von Office 12 werden. Die Redmonder unterwerfen auch das Büropaket einem wesentlichen Wandel. Die kommende Ausführung soll die mit Office 2003 eingeleitete Neupositionierung vollenden. Die Produkte unter dem Office-Banner definieren sich zukünftig nicht mehr in erster Linie als Werkzeuge zur Verbesserung der persönlichen Produktivität, sondern als Frontend für beliebige Web-Services. In diesem Zusammenhang dient die Kooperation mit SAP namens "Mendocino" als Musterbeispiel. Word, Excel & Co. sollen sich nicht nur auf kaufmännische Anwendungen beschränken, sondern zu universellen Clients für alle möglichen Applikationen werden. Microsoft selbst weist den Desktop-Boliden die Rolle der offline-fähigen Clients im Rahmen einer überarbeiteten Portalstrategie zu. Als Novum führt Office 12 mehrere Server-Komponenten ein, unter anderem einen Excel- und einen Formular-Server.

Wie bei Windows setzen viele Unternehmen noch alte Ausführungen ein und schrecken oft nicht davor zurück, dass Microsoft den Support nach einem vordefinierten Lebenszyklus einstellt. Wenn Firmen Office primär für die klassischen Büroaufgaben laufen haben, dann gab es schon in der Vergangenheit relativ wenige Gründe, beispielsweise Geld für das Update von Office 2000 auf XP auszugeben. Microsoft bedenkt mit der Version 12 auch jene Anwender, die das Büropaket noch nicht gemäß der neuen Ausrichtung nutzen wollen. Eine völlige neue Bedienerführung sowie eine Reihe von zusätzlichen Wizards, etwa in Powerpoint, soll diese Kundschaft von den Vorteilen eines Updates überzeugen.

Gerade kleinere und mittlere Unternehmen dürften der Neupositionierung von Office 12 als Client-seitiger Dreh- und Angelpunkt in einer SOA-Welt nicht so viel abgewinnen können. Für sie wäre Open Office in vielen Fällen eine kostengünstige Alternative. Für Nutzer alter Microsoft-Versionen brächte ein solcher Umstieg vermutlich weniger Schulungsaufwand mit sich als jener auf Office 12. Aber wie bei Windows hält auch bei Office der große Bestand an Software viele Anwender bei der Stange. Im Fall der Büro-Applikationen sind das Millionen von Makros und Scripts, die sich nicht automatisch in alternative Produkte übernehmen lassen, sondern in der Mehrzahl dort neu geschrieben werden müssten.

Insgesamt gilt für Microsofts Desktop-Geschäft, dass die Firma selbst ihr größter Konkurrent ist. Wenn mit Vista nach fünf Jahren ein neues Windows-Release auf den Markt kommt und sich dessen wesentlicher Nutzen nicht mit wenigen Sätzen beschreiben lässt, dann wird sich die Mehrzahl der Anwender nicht gerade auf das Update stürzen. Eine Begeisterung wie bei Windows 95, dessen Auftrag noch klar und deutlich war, wird es bei Vista nicht geben. Ganz ähnlich sieht es bei Office 12 aus. Wer die Software für die herkömmlichen Aufgaben einsetzt, braucht längst keine neuen Features mehr, davon hatte er schon vor fünf Jahren genug. Für Microsoft selbst ist es deshalb wichtig, neue Einsatzgebiete für seinen Goldesel zu erschließen.