Macromedia will Fassaden für Web-Services bauen

08.05.2002 von Wolfgang Miedl
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Macromedia hat unter dem einheitlichen Suffix „MX“ seine komplett überarbeitete Produktpalette vorgestellt. Neben dem populären Web-Design-Tool „Dreamweaver MX“ soll die Server-Umgebung „Coldfusion MX“ als universelle Integrationsplattform sowohl in Microsofts .NET-Umgebung als auch in der J2EE-Welt Verbreitung finden.

Macromedia war bisher am Frontend zu Hause - als Anbieter von bekannten Multimedia- und Web-Design-Tools wie „Director“, „Flash“ oder „Dreamweaver“. Mit der nun vollzogenen Integration der von Allaire zugekauften Produktpalette ins eigene Portfolio will sich der Hersteller in eine neue Position manövrieren: als Anbieter einer integrierten Entwicklungsumgebung, die vom Seitendesign bis zur Anwendungsentwicklung am Server alles abdeckt. Das Komplettpaket „Macromedia Studio MX“ unterstützt alle gängigen Anwendungsplattformen, ob Java/J2EE, JSP, Microsofts ASP und ASP .NET oder PHP. Bestandteil dieses Bundles sind das bereits erschienene „Flash MX“ (siehe CW 11/02, Seite 28), „Dreamweaver MX“, „Fireworks MX“, „Freehand 10“ sowie die Developer Edition von „Coldfusion MX“.

Vor allem das Java-Lager kann davon profitieren, wie auch die soeben verkündete Zusammenarbeit mit Sun und IBM zeigt. Der bisher proprietäre Coldfusion-Scripting-Server, Kernprodukt der Allaire-Übernahme, arbeitet als Coldfusion MX nun mit den gängigen J2EE-Application-Servern wie Beas „Weblogic“, IBMs „Websphere“ oder Suns „Iplanet“ zusammen. Es wird dabei für jede der großen Plattformen eine eigene Variante von Coldfusion MX geben. Die Macromedia-Tools können eine breite Palette von Funktionen der Java-Plattformen nutzen, etwa Portale, Workflow oder Orchestration-Tools. Unter anderem lassen sich in Coldfusion Java-Klassen importieren und per Script

wie Coldfusion-Komponenten aufrufen. Aber auch COM- und Corba-Objekte können auf vergleichbare Weise eingebunden werden.

Dreamweaver MX wächst im Verbund mit Coldfusion von einem Wysiwyg-HTML-Editor zu einer umfassenden Entwicklungsumgebung. Der Hersteller unterstreicht dabei vor allem das verbesserte Code-Editing, neue Deployment-Fähigkeiten, Debugging, visuelles Layout sowie Prototyping. Die bisherigen Produkte Dreamweaver Ultradev und Coldfusion Studio wurden dadurch überflüssig.

Erwartungsgemäß legt Macromedia nun auch einen Schwerpunkt auf Web-Services. Durch die Integration von Apaches Axis-Soap-Engine können beispielsweise Coldfusion-Komponenten als Web-Service angeboten werden. Bei einem Client-Aufruf erzeugt die Engine dabei automatisch eine entsprechende WSDL (Web Services Description Language)-Datei, die der aufrufenden Anwendung eine Beschreibung der Funktionen übermittelt. Entfernte Web-Services können mit den Coldfusion-Sprachen CFML und CFScript konsumiert werden.

Auch Flash MX kommt durch die Erweiterung um Web-Services ein neuer Stellenwert zu. Bisher fand das Multimedia-Tool im Web vor allem bei bunten Unterhaltungs- und Werbeanimationen Verbreitung. Macromedia möchte sich allerdings mit dieser Nische nicht zufrieden geben und preist Flash MX als Programmier- und Designwerkzeug für Web-Anwendungen an. Hilfreich ist hierbei die integrierte Script-Sprache „Action Script“, die eine Untermenge von Java/ECMA-Script darstellt. Flash-Scripts können nun dazu verwendet werden, mit Web-Services und anderen Komponenten zu kommunizieren, die auf J2EE- oder .NET-Servern gehostet werden. Flash-Remoting ist Bestandteil von Coldfusion MX und unterstützt sowohl .NET als auch J2EE.

Flash als Web-Service-Frontend

Durch seine mittlerweile starke Position im Markt und die große Entwicklerschar kommt Flash aber auch ganz allgemein als Frontend-Technik für Anwendungen aller Art ins Gespräch. HTML hat sich zwar als Standard etabliert, doch sind hierbei die Möglichkeiten für GUI-Anwendungen (GUI = Graphical User Interface) im Vergleich zu Plattformen wie Windows sehr bescheiden. Macromedia könnte dabei die Lücke der Rich-Client-Internet-Anwendungen schließen, was auch Microsoft bisher nicht vermochte. Im Zusammenspiel von Web-Services und Rich Clients sieht auch Kevin Lynch, Chief Software Architect bei Macromedia, ein Zukunftsmodell: „Ein Entwickler erstellt dabei beispielsweise eine Anwendung mit Flash, die die lokale Rechenleistung des PC nutzt und mit einer Anwendung auf dem Server via Web-Services kommuniziert.“ 

Kein datenlastiger HTML-Refresh

Lynch macht die Vorteile dieser Architektur an einem Beispiel bei Etrade.com anschaulich. Eine frühere Börsenticker-Anwendung löste dort bei jeder Kursanfrage einen Neuaufbau der HTML-Seite mit einem Datenvolumen von 100 KB aus. Mit dem neuen, in Flash programmierten Börsenticker ist kein Seiten-Refresh mehr nötig, da die Flash-Anwendung lediglich im Hintergrund eine kleine Abfrage mit 1 KB ausführt.

Die Produktentwicklung bei Macromedia spiegelt laut Lynch auch die seit einigen Jahren stattfindende Verschmelzung von Design und Anwendungsentwicklung im Web-Bereich wider. Die von ihm so genannten „Designer-Entwickler“ beschäftigen sich neben Scripting zunehmend mit Anwendungsintegration am Server. Gleichzeitig entdecken die Entwickler von Web- und Middleware-Software die Bedeutung, die die Frontends für die Anwender haben. Usability-Fragen rücken mehr und mehr in den Vordergrund, wenn es um die Akzeptanz von Anwendungen geht.

Das Komplettpaket „Studio MX“ schlägt mit 959 Euro zu Buche, die Bestandteile können aber auch einzeln erworben werden. Der Coldfusion MX Server Professional Edition kostet 959 Euro, der Preis der Enterprise Edition beträgt 5989 Euro.