Communities

Macht das Web 2.0 die User Groups überflüssig?

14.05.2008 von Karin Quack
Internet-Communities können einen weit effizienteren Informations- und Meinungsaustausch ermöglichen als Anwendergruppen. Wirklich? Um das herauszufinden, lud die COMPUTERWOCHE prominente Mitglieder der wichtigsten User Groups zum Roundtable ein.

User Groups muten an wie ein Relikt aus der Vor-Internet-Ära. Hier treffen sich Menschen noch persönlich zu Jahrestagungen und Work-Group-Konferenzen, zwischendurch rufen sie sich an oder schicken E-Mails, die angesichts von Social Networks und Blogs beinahe schon Uralt-Technik darstellen. Zudem bilden die Anwendervereinigungen mit ihren straffen Organisationen quasi einen Gegenentwurf zu den lockeren Web-Communities, wo der herrschaftsfreie Dialog gepflegt wird - zumindest theoretisch.

"Wozu eine User Group, wenn ich die Lösungen für meine Probleme auch im Internet finde?" - Mit dieser Frage wird auch Jürgen Zirke, Vorstand der Deutschen Notes User Group e.V. (DNUG), häufig konfrontiert. Die Antwort geht dem hauptberuflichen Vorstandsmitglied des Software- und Serviceanbieters Pavone mittlerweile geschmeidig von den Lippen: "Wenn ich genug Zeit mitbringe, finde ich diese Lösungen vielleicht. Aber das ist nicht effektiv."

Von links: DSAG-Geschäftsführer Mario Günter, Danone-CIO Michael Kollig, DOAG-Vorsitzender Fried Saacke und Michael Weiß von der GSE.
Foto: Joachim Wendler

Böswillige werden Zirke jetzt Eigeninteresse unterstellen. Aber er bekommt überraschende Schützenhilfe von neutraler Seite. Harald Berger, CIO der Freudenberg Haushaltsprodukte KG, Mannheim, ist eigenen Angaben zufolge "noch in fünf bis sechs anderen Communities vernetzt". Doch die User Group - konkret: die Deutsche SAP Anwendergruppe (DSAG) - sei "eindeutig der Schwerpunkt" seiner Networking-Aktivitäten. "In technischer Hinsicht finde ich allein über Google heute wahnsinnig viel", räumt er ein, "aber als CIO sehe ich meine Aufgaben mehr im Bereich Geschäftsprozesse und Organisation, und was will ich da mit Web 2.0?" Über das Web könne er höchstens einen Kontakt herstellen: "Aber am Ende kommt es auf das persönliche Gespräch an."

"Selbst für Internet-geeignete, also technische Fragen ist es gut, wenn man eine moderierte Plattform hat", pflichtet ihm Michael Kollig bei. Der IS-Direktor für Ost-, Zentral- und Nordeuropa beim Lebensmittelproduzenten Danone Group (siehe auch: "CRM-Anwender wollen mehr Performance") registriert auch die Schwächen der Informationsbeschaffung im Web: "Gebe ich in Google einen technischen Begriff ein, bekomme ich 100 Millionen Hits und arbeite mich anschließend durch 500 000, die absolut nicht relevant sind."

Schriftlich ist weniger vertraulich

Die Themen User Group und Web-Community sind aus Kolligs Sicht komplementär zu betrachten: "Sie können nicht jeden Themenbereich im Web 2.0 abhandeln." Gehe es um technisch orientierte Fragen, so seien Internet-Communities, Blogs etc. "sicher eine gute Plattform", und die User Groups sollten sich überlegen, derartige Angebote in ihr Portfolio aufzunehmen. "Aber wo es sich um Management-Fragen dreht, ist das keine Alternative für den persönlichen Austausch", konstatiert der Danone-Manager. "Wenn man abends zusammensitzt, kann man auch mal vertraulich über Dinge sprechen, die öffentlich kein Thema wären."

Ähnlich argumentiert Michael Weiß, Region Manager der IBM-Anwendervereinigung Guide Share Europe (GSE): "Persönliche Kontakte sind zehnmal mehr wert als jeder digitale Austausch", so seine Überzeugung: "Sie dürfen die Bedeutung der Vertrauensbasis nicht vergessen. Auf einer User Group-Veranstaltung trinkt man auch mal zusammen einen Kaffee oder ein Bier. Da reden die Kollegen sicher offener miteinander, als sie es schriftlich im Internet tun würden."

Wie Zirke beteuert, haben die deutschen Notes-User schon vor zwei Jahren im Rahmen ihres Projekts "DNUG 2010" definiert, wie sie mit der Koexistenz von Web 2.0 und persönlichem Erfahrungsaustausch umgehen wollen: "Wir haben eine Web-2.0-Plattform aufgebaut, die die IBM mittlerweile als Kommunikationsmedium zu den deutschen Anwendern nutzt", berichtet er stolz. "Aber auch eine aktive Community wird niemals die persönlichen Kontakte ersetzen."

Diese Ansicht vertritt auch Mario Günter, Geschäftsführer der SAP-Anwendergruppe DSAG e.V. Der unmittelbare Vorteil der User- Group-Mitgliedschaft liege in der Netzwerk-Bildung und im täglichen Erfahrungsaustausch über die mehr als 150 Arbeitsgremien der DSAG: "Das Internet kann nur ein Teil des Angebots sein."

Hauptaufgabe ist das Vernetzen

Michael Weiß, Region Manager der GSE.
Foto: Jo Wendler

GSE-Manager Weiß betont die Vorteile, die User Groups beim Auffinden geeigneter Ansprechpartner bieten: "In einem persönlichen Netzwerk kann ich viel schneller und gezielter auf das Know-how zugreifen." Darüber hinaus spaltete sich die Anwendervereinigung in kleine Arbeitsgruppen auf, in denen sich bestimmte Interessen bündeln ließen."Solche fokussierten Gruppen finden sich nicht zufällig", weiß Fried Saacke, Vorsitzender der Deutschen Oracle Anwendergruppe (DOAG), "es muss einen Prozess geben, der das organisiert." Und das sei die Aufgabe der User Groups: "Wir sind diejenigen, die die Leute zusammenbringen. Wir beherrschen das Vernetzen. Den Content bringen unsere Mitglieder mit."

Die offiziellen, in Work-Groups organisierten Sachdiskussionen sowie die Möglichkeit zum inoffiziellen Vieraugengespräch sehen die Mitglieder denn auch als den Hauptvorteil der User Groups. Dazu der Freudenberg-CIO Berger: "Für mich ist der offene Erfahrungsaustausch wichtig - jenseits des Schaulaufens auf Kongressen. Gerade Mittelständler können voneinander viel lernen."

Vor allem für kleine und mittlere Firmen

Die Anwendervereinigungen selbst begreifen sich allerdings auch als Vermittler zwischen Kunden und Anbieter. Wie GSE-Manager Weiß erläutert, sind unter den 450 Mitgliedern der IBM-Anwender-Vereinigung nicht nur Großunternehmen, sondern auch kleinere und mittlere Firmen. Und die täten sich nicht so leicht damit, Anforderungen an den Hersteller zu äußern. "Der Großkunde hat seinen Ansprechpartner, den er antanzen lassen kann, wenn er ein Problem hat. Seine Anforderungen werden dann auch schnell umgesetzt; die der weniger bekannten Unternehmen werden zwar aufgenommen, aber zunächst auf die lange Bank geschoben." Hier könne die User Group Abhilfe schaffen: "In den Arbeitsgruppen werden die Anforderungen gemeinschaftlich beschlossen, priorisiert und in einem automatisierten Prozess, dem Requirement-Verfahren, an die IBM weitergeleitet." Der Hersteller sei dann in der Pflicht, eine Rückmeldung an die GSE zu geben.

Ähnliche Mechanismen haben auch die anderen Benutzergruppen etabliert. "Jeder vernünftige Hersteller hat ein Interesse daran, zu wissen, was der Markt braucht", stellt Saacke in den Raum: "Aber die Anforderungen müssen selbstverständlich gebündelt werden. Dazu haben wir die International Oracle Usergroup Community (IOUC) gegründet, einen weltweiten Zusammenschluss der großen Oracle-User Groups, in dessen Board die DOAG direkt vertreten ist." Allerdings seien die Prozesse in einem derart großen Netzwerk träge: "Das braucht alles seine Zeit, bis es im Oracle-Headquarter ankommt."

Rückhalt in Zeiten der Unsicherheit

Mario Günter, Geschäftsführer der DSAG.
Foto: Jo Wendler

Eine wichtige Funktion kommt der User Group auch dann zu, wenn Veränderungen des wirtschaftlichen Umfelds oder Fusionen und Akquisitionen des Herstellers die Kunden verunsichern. So beispielsweise, als SAP den Business-Intelligence-Spezialisten Business Objects übernahm (siehe auch: "SAP stellt bisherige Strategie auf den Kopf"). "Das hat unter unseren Mitgliedern schon für Verunsicherung gesorgt", berichtet DSAG-Geschäftsführer Günter: "Wir haben die Fragen aufgegriffen und eine Themengruppe im Arbeitskreis Business Intelligence und Corporate Performance Management ins Leben gerufen, in der diese Themen diskutiert und Bedenken gegenüber SAP geäußert werden können. Ziel ist es, die Produktpositionierung aus Sicht der Anwender zu begleiten."

Mechanismen der Preisfindung offenlegen

Wenig Erfolg versprechen sich die User Group-Verantwortlichen hingegen von dem Versuch, direkten Einfluss auf die Firmenpolitik des Anbieters zu nehmen - beispielsweise auf das Thema Preisfindung: "Den Preis muss der Markt regulieren", klärt Saacke auf, "das ist wesentlich effizienter als die Intervention einer User Group." Der DOAG gehe es mehr darum, "Transparenz zu schaffen und dadurch Ungerechtigkeiten zu verhindern". Hier könne sie "gegen bestimmte Mechanismen Stellung beziehen". (Hierzu siehe auch: "SAP macht den ERP-Support teurer".)

Beim hochsensiblen Pricing-Thema suchen die Anwender durchaus Rat in ihrer User Group. Denn hier verbietet sich ein öffentlicher Austausch über das Internet schon deshalb, weil er die Vertrauensbasis zwischen Kunde und Anbieter erschüttern würde.

Gerade hier sieht Freudenberg-CIO Berger die Anwenderorganisationen in der Pflicht: "Mein persönlicher Eindruck ist, dass SAP bei der Preisgestaltung jeden Kunden einzeln wiegt. Das Ergebnis ist eine Mischung zwischen der offiziellen Preisliste und dem individuellen Discount. Bisweilen hat man den Eindruck, dass man beispielsweise beim Support quasi durch die Hintertür von 17 auf 20 Prozent angehoben wird, aber dafür keine Mehrleistung bekommt." Hier sollte sich die Anwendergruppe "schon deutlich artikulieren". (Siehe auch: "SAP macht den ERP-Support teurer".)

Michael Kollig, IS-Direktor bei der Danone Group.
Foto: Jo Wendler

"Ich bin ebenfalls der Ansicht, dass die Höhe der Preise über den Markt reguliert wird", meldet sich Danone-CIO Kollig zu Wort, "aber die Mechanismen, nach denen sie sich berechnet, sollten auch für kleinere Unternehmen durchschaubar sein." Als großer Kunde ist Danone sicher in einer besseren Verhandlungsposition als ein Mittelständler, und Kollig wird seine Softwarenutzungs- und -wartungskonditionen sicher in keiner User Group publik machen. "Aber wir hätten sicher keine Probleme, die Mechanismen zu diskutieren, denen die Preisfindung gehorcht", beteuert er.

"Die Preisgestaltung im Mainframe-Markt hängt auch - und zwar massiv - davon ab, wie geschickt die Einkäufer des Kunden verhandeln", stellt Weiß klar. "Der Mehrwert, den die GSE beisteuern kann, besteht darin, dass die Kunden nicht mehr ganz so dumm in die Verhandlungen hineingehen, denn sie können sich vorher bei Kollegen informieren, worauf sie achten sollten, und eventuell auch, was denn ungefähr so zu zahlen ist." Zudem habe der Kunde die Möglichkeit, im Rahmen der GSE-Veranstaltungen direkt an die Key-Verantwortlichen der IBM heranzugehen.

Das sagen die CIO-Circle-Mitglieder

Anonyme Statements - eingeholt von Martin Urban, CIO der Berliner Stadtreinigungsbetriebe

Der CIO Circle begreift sich nicht als Interessenvertretung der Anwender, sondern als ein Arbeitskreis, der sich für die Belange der Berufsgruppe CIO einsetzt. Trotzdem - oder gerade deshalb - arbeiten viele der dort aktiven IT-Chefs auch in den großen User Groups mit. Das CIO-Circle-Mitglied Martin Urban (siehe beispielsweise "Diese Skills helfen Ihnen weiter"), im Hauptberuf IT-Verantwortlicher der Berliner Stadtreinigungsbetriebe, hat für die COMPUTERWOCHE ein paar Einschätzungen seiner Standeskollegen gesammelt:

  • "Persönliche Kontakte machen manches möglich - auch ein besseres Verständnis für die Situation der Lieferanten."

  • "Wir sind das Volk? - Diese gesammelte Meinung der in der DSAG versammelten Anwender wird durch den Outcome leider nicht vermittelt."

  • "Die Rolle, ein Gegengewicht zu reinen Lieferanteninteressen zu bilden, können User Groups nur selten gut wahrnehmen."

  • "Wenn ich beispielsweise bei der SAP etwas bewegen will, engagiere ich mich dort direkt. Die Wege einer DSAG sind mir da zu langwierig."

  • "User Groups wie die DOAG bieten gute Gelegenheit für fachliches Networking. Die konkrete Einflussnahme auf die Produktstratgie von Oracle ist hingegen eher enttäuschend."

  • "Der Schwanz wird den Hund nicht zum Wackeln bringen - vor allem, wenn ich von den Größenverhältnissen her nur ein Floh in Schwanz des Hundes bin."

  • "Es ist wichtig, dass die Größe passt. Als Mittelständler dränge ich mich nicht in eine User Group von SAP oder Oracle."

  • "Die Arbeitsgruppen erstellen eine Top-Ten-Liste der Anforderungen und präsentieren sie dem Entwicklungschef, der sich im Jahr darauf verantworten muss. Das hat das Produkt vorangebracht."

  • "Bei uns wird aus dem Topf der Wartungsgebühren ein Budget ausgeschüttet, über das unser Anwenderkreis selbst Verbesserungen beauftragen kann."

  • "Ich möchte an dieser Stelle auf einige positive Erfahrungen im Open-Source-Umfeld verweisen. Hier kann man mit persönlichen Beiträgen tatsächlich etwas bewirken."

  • "Teilweise laufen User Group-Treffen doch relativ stark darauf hinaus, sich selbst beziehungsweise das Produkt zu feiern. Für Notes beispielsweise hatte ich diesen Eindruck."

  • "Ich habe große Zweifel an der Effizienz der Arbeit in User Groups. Ich nutze lieber andere Netzwerke."

Ambivalentes Verhältnis zum Hersteller

Harald Berger, CIO, Freudenberg Haushaltsprodukte.
Foto: Jo Wendler

Erfahrungsaustausch oder Herstellerkontakt - welche Funktion der Anwendervereinigung ist die wichtigere? "Das muss man differenzieren", sagt Kollig: "Für kleinere Anwender ist die User Group das Forum, um Anforderungen an den Hersteller zu bündeln. Große Unternehmen machen eher mit, weil sie den Erfahrungsaustausch mit anderen Kunden suchen, beispielsweise, weil sie wissen wollen, in welche Fallen sie schon gestolpert sind." Wie sein CIO-Kollege Berger ergänzt, hängt die Rolle der Anwendergruppe auch vom Hersteller ab: "Wenn der Hersteller im Markt sehr aktiv ist, wird der Kontakt zu ihm eine größere Rolle spielen als wenn er seine Produkte und Strategien über längere Zeit beibehält."

Anwenderorganisationen, die einen engen Kontakt zum Hersteller pflegen, geraten leicht in den Verdacht, von ihm gesteuert zu sein. DSAG-Geschäftsführer Günter schildert die "ambivalente Situation" der User Groups folgendermaßen: "Uns muss an der größtmöglichen Nähe zum Hersteller gelegen sein, damit wir vorab Informationen bekommen; gleichzeitig müssen wir, um kritisch-konstruktives Feedback geben zu können, eine gewisse Distanz bewahren."

Diese Zwickmühle sieht auch Kollig: "Die User Group sollte auf keinen Fall den verlängerten Arm der Marketing-Abteilung bilden, aber der Hersteller darf auch nicht das Feindbild sein."

Marketing-Vorträge unerwünscht

Jürgen Zirke, Vorstand der DNUG.
Foto: Jo Wendler

Aus Bergers Sicht ist hier auch der Anbieter gefordert, die Spielregeln einzuhalten: "Wir brauchen niemanden, der vom Hersteller als Kontakt zu den User Groups abgesandt wurde und dann jedes Mal seine Standardfolien herunterreißt. Ich will Fakten." Manchmal praktizierten die Hersteller auf Kongressen ein wenig konstruktives "Schaulaufen". Aber wenn man sie offen darauf anspreche, funktioniere das im Allgemeinen sehr gut.

"Ein Anbieter, der einen Marketing-Vorträge hält, tut sich keinen Gefallen", gibt Weiß zu bedenken, "da tauchen die Zuhörer ab". Im Übrigen müsse das Feedback aus den User Groups dem Anwender ja hochwillkommen sein: "Bevor er einen Umsatzeinbruch erleidet, will er doch lieber hören, was seine Kunden verärgert."

"Eigentlich sind doch die User Groups die loyalsten Anwender eines Herstellers", findet auch Zirke. Von ihnen bekomme er das ehrlichste Feedback, und deshalb müsse ihm auch an einem guten Verhältnis zu ihnen gelegen sein: "Ich bin selbst Hersteller. Und wenn ich von einem Kunden nichts höre, finde ich das gefährlich, denn der ist mit einiger Wahrscheinlichkeit irgendwann weg."

Ausgeprägtes Consumer-Verhalten

Fried Saacke, Vorsitzender der DOAG: Ein Großteil der User Group-Mitglieder legt ein ausgeprägtes Consumer-Verhalten an den Tag.
Foto: Jo Wendler

Gerüchte, wonach die Mitgliederzahlen der User Groups rückläufig seien, wollten die anwesenden Anwendervertreter nicht bestätigen. Sorgen macht den aktiven Anwendern eher die abnehmende Bereitschaft zur Mitarbeit: "Die Kunst ist nicht, neue Mitglieder zu gewinnen, sondern die Mitglieder zu motivieren, sich aktiv einzubringen", klagt der DOAG-Vorsitzende Saacke. "Ein Großteil legt ein ausgeprägtes Consumer-Verhalten an den Tag. Sie nutzen das, was wenige aktiv leisten."

Berger kann die Zurückhaltung plausibel begründen: "Die Leistungsanforderungen in der Arbeitswelt steigen, damit sinkt die persönliche Motivation für ein ehrenamtliches Engagement", so der Freudenberg-CIO, "gleichzeitig schwindet auch die Bereitschaft der Chefs, ihre Mitarbeiter für Aktivitäten in einer User Group freizustellen." Er selbst gehe jedoch einen anderen Weg: "Ich erteile meinen Mitarbeitern einen konkreten Auftrag zur Mitarbeit in User Groups. Das ist immer ein Bestandteil in der jährlichen Bonusvereinbarung. Und wenn ich aus einer User Group gefragt würde, ob jemand von uns einen Vortrag halten könnte, hätte ich sicher kein Problem, einen Referenten zu finden."

Zwischen Klassenkampf und Kaffeeklatsch

Kommentar von CW-Redakteurin Karin Quack

Bei den deutschen Oracle-Anwendern war es immer sehr unterhaltsam. Auf der Jahrestagung gaben musisch begabte Mitglieder zu vorgerückter Stunde schon einmal selbstgedichtete Chansons zum Besten - "Oh mein Oracle, du mein Debakel" (auf die Melodie von "O sole mio"), - und der tanzsportlich ambitionierte IT-Leiter führten die Datenbank-Administorin des Konkurrenzunternehmens aufs Parkett. Späterer Austausch über Workarounds und Wartungskonditionen nicht ausgeschlossen. Aber auch tagsüber ging es munter zur Sache: Die Anwender übten unverblümte Kritik an allem, was ihnen am Hersteller und dessen Produkten nicht gefiel, erstellten Mängellisten und hielten nach, welche Punkte von der Vorjahresliste immer noch nicht abgearbeitet waren. So erwarb sich die DOAG den Ruf, eine kämpferische Interessenvertretung der deutschen Oracle-Kunden gegenüber dem damals noch überschaubaren Imperium des Larry Ellison zu sein.

Die User Group moderner Prägung, ob sie nun DOAG, DSAG, GSE oder DNUG heißt, begreift sich nicht vorrangig als Kunden-Lobby, sondern als Kommunikationsforum. Sie vernetzt die Mitglieder untereinander, und sie will den Mitgliedern einen "Draht" (sic!) zu den Entscheidungsträgern des Herstellers bieten. Dagegen ist nichts einzuwenden, so lange ein paar Voraussetzungen gewahrt sind: Die Informationen müssen in beide Richtungen fließen; was vom Hersteller kommt, darf sich nicht Marketing-Folien erschöpfen; und die User Groups sollten transparente Requirement-Prozesse pflegen, die vorrangig die Interessen der kleinen und mittleren Unternehmen berücksichtigen.

Finanzielle Unabhängigkeit der Anwendervereinigung vom Marketing-Budget der Anbieter gilt dabei als Selbstverständlichkeit. Wesentlich komplizierter ist es für die User Groups, ein ausgewogenes Verhältnis zum Hersteller zu finden: Freundlich, aber distanziert, kritisch, aber konstruktiv, so lauten die Forderungen. Das sagt sich leicht. In der Praxis erfordert es einen ständigen Balance-Akt. Wer dem Hersteller so nah kommt, dass er vertrauliche Informationen erhält, läuft Gefahr, seine Kritikfähigkeit einzubüßen. Und wer ständig auf Konfrontationskurs geht, wird in die Diskussionen um neue Produkte und Lizenzmodelle kaum einbezogen werden.

In dieser Beziehung ergeht es den User Groups nicht anders als den Parteien einer parlamentarischen Demokratie oder einem verantwortungsbewussten Betriebsrat. In anderer Hinsicht haben sie es dagegen leichter als diese Mitbestimmungsorgane: Einen wesentlichen Teil ihrer Aufgabe können sie bereits dadurch erfüllen, dass sie ihre Mitglieder ausgiebig miteinander Kaffee trinken lassen.