Big Data Analytics

Machine Learning bei Allianz, Boeing und GfK

02.12.2015 von Johannes Klostermeier
Zuerst analysierten lernende Maschinen das Nutzerverhalten in Suchmaschinen, um passende Werbung anzuzeigen. Heute optimieren sie Verkehrsflüsse, die Stahlherstellung und planen die Flugzeugwartung. Experten von Allianz, Trip Advisor, GfK und Boeing erklären, wie ihnen Machine Learning hilft.
  • Mit der TU München hat die Allianz App entwickelt, die eine Vielzahl von Gegenständen über Sensoren vernetzt
  • GfK nutzt Machine Learning, um Social-Media-Daten zu analysieren sowie Marktanteile und Marktperformance vorherzusagen
  • Boeing hilft Airlines mit Big Data und Machine Learning, Treibstoffkosten zu senken und Piloten bei schlechtem Wetter zu unterstützen

Bei der Münchener Allianz Versicherung ist Andreas Braun, Head of Global Data and Analytics, zufrieden mit den Ergebnissen seiner Experimente mit den neuen Analytics-Ansätzen aus der künstlichen Intelligenz. "Wir haben bei uns ein Ökosystem aus verschiedenen Bestandteilen im Einsatz. Big-Data-Technologien und Machine Learning bieten uns bessere Möglichkeiten, mit unseren Daten umzugehen, und liefern konsistent gute Ergebnisse", sagte er auf der Konferenz der Yandex Data Factory zum Thema "Machine Learning andBig Data" in Berlin.

Zum Beispiel im Gebäude-Management: Zusammen mit Studenten der TU München hat die Versicherung eine App entwickelt, die eine Vielzahl von Gegenständen über Sensoren vernetzt. "Das System kalibriert sich selbst, lernt normales Verhalten im Haus, und kann so einen Einbruch von anderen ungewöhnlichen, aber unkritischen Vorfällen unterscheiden." Außerdem wollen die Experten die Bilderkennung weiter verbessern. Eingereichte Fotos sollen bei Versicherungsschäden automatisch durch Maschinen beurteilt werden.

Bei Machine Learning geht es vor allem darum, menschliches Verhalten vorherzusagen. Doch wegen der hohen Komplexität und den großen Datenmengen kann man nie genau nachvollziehen, wie die Ergebnisse zustande gekommen sind. Deshalb sollte man in der Praxis mit den Empfehlungen experimentieren.
Foto: Lightspring - Shutterstock.com

Trip Advisor implementiert Machine Learning in Geschäftsprozesse

Die Experten, die der russische Suchmaschinen-Anbieter Yandex nach Berlin eingeladen hatte, tauschten sich unter dem Motto "Business Challenges" auch über die Schwierigkeiten und Risiken rund umMachine Learning aus. Jeff Palmucci, Director of Machine Intelligence beim Reiseportal Trip Advisor, schilderte, wie sein Unternehmen maschinelles Lernen in die Geschäftsprozesse implementiert. So hilft die Technik, Restaurants und Hotels automatisiert mit passenden Tags wie "romantisch" oder "charmant" zu versehen, damit Suchende schnell das richtige Angebot finden. Auch um Betrug etwa bei den Bewertungen rasch zu erkennen, setzt das Portal Machine Learning ein.

Menschliches Verhalten vorhersagen

Machine Learning stellt Unternehmen vor vielfältige Herausforderungen. Nicht alle Branchen eignen sich gleich gut, erklärte Jane Zavalishina, CEO der Yandex Data Factory: "Es geht vor allem darum, menschliches Verhalten vorherzusagen." Bei Ergebnissen, die auf Machine Learning basieren, könne man aber durch die hohe Komplexität und die großen Datenmengen nie genau nachvollziehen, wie sie zustande gekommen sind. In der Praxis müsse man mit den Empfehlungen experimentieren, um herauszufinden, ob sie der bisherigen Vorgehensweise überlegen sind. Das gehe aus ethischen und praktischen Gründen allerdings nicht immer.

In Echtzeit Web-Inhalte zu personalisieren oder Vorhersagen zu treffen, ist für die russische Suchmaschine Yandex nichts Neues. Das Wissen des Konzerns, das aus der Suchtechnik und dem kontextuellen Einspielen passender Werbung entstanden ist, und die dafür entwickelten Algorithmen stellt sie seit 2014 auch extern zur Verfügung. Zunächst probierte das Tochterunternehmen Yandex Data Factory, das Firmensitze in Moskau und Amsterdam unterhält, die Techniken maschinellen Lernens in der Wissenschaft aus - zum Beispiel, um Big-Data-Probleme des europäischen Kernforschungszentrums CERN zu lösen.

Big Data: Neue Berufsbilder
Big Data: Neue Berufsbilder
In den teilweise euphorischen Einschätzungen von Markforschern und IT-Unternehmen ist immer wieder die Rede von neuen Berufsbildern, die Big Data mit sich bringen soll. Dazu zählen unter anderem folgende Tätigkeiten:
Data Scientist
Er legt fest, welche Analyseformen sich am besten dazu eignen, um die gewünschten Erkenntnisse zu erzielen und welche Rohdaten dafür erforderlich sind. Solche Fachleute benötigen solide Kenntnisse in Bereichen wie Statistik und Mathematik. Hinzu kommen Fachkenntnisse über die Branche, in der ein Unternehmen beziehungsweise tätig ist und über IT-Technologien wie Datenbanken, Netzwerktechniken, Programmierung und Business Intelligence-Applikationen. Ebenso gefordert sind Verhandlungsgeschick und emotionale Kompetenz, wenn es um die Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen geht.
Data Artist oder Data Visualizer
Sie sind die "Künstler" unter den Big-Data-Experten. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, die Auswertungen so zu präsentieren, dass sie für Business-Verantwortliche verständlich sind. Die Fachleute setzen zu diesem Zweck Daten in Grafiken und Diagramme um.
Data Architect
Sie erstellen Datenmodelle und legen fest, wann welche Analyse-Tools Verwendung finden und welche Datenquellen genutzt werden sollen. Auch sie benötigen ein umfassendes Know-how auf Gebieten wie Datenbanken, Datenanalyse und Business Intelligence.
Daten-Ingenieur
Diese Aufgabe ist stark auf die IT-Infrastruktur ausgerichtet. Der Dateningenieur ist das Big-Data-Analysesystem zuständig, also die Hard- und Software sowie Netzwerkkomponenten, die für das Sammeln und Auswerten von Daten benötigt werden. Eine vergleichbare Funktion haben System- und Netzwerkverwalter im IT-Bereich.
Information Broker
Er kann mehrere Rollen spielen, etwa die eines Datenhändlers, der Kunden Informationen zur Verfügung stellt, oder die eines Inhouse-Experten, der Datenbestände von unterschiedlichen Quellen innerhalb und außerhalb des Unternehmens beschafft. Außerdem soll er Ideen entwickeln, wie sich diese Daten nutzbringend verwenden lassen.
Data Change Agents
Diese Fachleute haben eine eher "politische" Funktion. Sie sollen bestehende Prozesse im Unternehmen analysieren und anpassen, sodass sie mit Big-Data-Initiativen kompatibel sind. Nur dann lässt sich aus solchen Projekten der größtmögliche Nutzen ziehen. Wichtig sind daher ausgeprägte Kommunikationsfähigkeiten, Verständnis für Unternehmensprozesse sowie Kenntnisse im Bereich Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement (Six Sigma, ISO 9000).

Erst einmal Big Data Analytics überhaupt verstehen

Inzwischen besprechen die Datenexperten mit Firmen, die viele Kunden und große Datenmengen haben, wie sich deren Services, Prozesse und Produkte ver­bessern lassen. "Die Anwendungsmöglichkeiten für maschinelles Lernen in Unternehmen sind fast unbegrenzt", sagte Zavalishina. "Viele Unternehmen befin­den sich aber noch an dem Punkt, an dem sie versuchen, Big Data Analytics überhaupt zu verstehen."

Eine der ersten Firmen, die Wissen und Technologie von Yandex nutzte, war die russische Straßenverwaltungsbehörde Rosavtodor, die Vorhersagen zur Verkehrsdichte und zu Unfällen benötigte. Im Stahlwerk Magnitogorsk Iron and Steel Works optimieren heute Algorithmen die Stahlproduktion. Zu wenige Zusätze ergeben eine schlechte Qualität, zu viele treiben die Kosten in die Höhe. Bisher nutzten die Stahlkocher für ihre Mischungsvorhersagen komplizierte Modelle. Yandex Data Factory verwendete zur Optimierung historische Daten aus den zurückliegenden zehn Jahren. Vergleichsweise einfach scheint es dagegen, mit Machine Learning Websites zu optimieren und Online-Werbung auszusenden.

Bei GfK läuft ein "komplett datengetriebenes Business"

"Wir sind ein komplett datengetriebenes Business", sagt Norbert Wirth, Global Head of Data and Science beim Marktforschungsinstitut GfK, "Machine-Learning-Algorithmen sind für uns ein Werkzeug im Kanon mit anderen, das aber für die Vorhersage und für Klassifizierungsprobleme zunehmend wichtiger wird." GfK nutzt es derzeit vor allem für die Analyse von Social-Media-Daten und um Marktanteile und Marktperformance vorherzusagen.

Jane Zavalishina, CEO von Yandex Data Factory: Viele Unternehmen befinden sich aber noch an dem Punkt, an dem sie versuchen, Big Data Analytics überhaupt zu verstehen.
Foto: Yandex

"Wir setzen es ein, wenn nicht die Frage nach dem Warum entscheidend ist, sondern die Qualität der Vorhersage", so Wirth. Sind Aussagen über eine Marke tendenziell eher positiv oder negativ? Und um welche Themen geht es? Bei kleineren Datenbeständen könne man das noch selbst herausfinden, wird es jedoch umfangreicher, seien die Algorithmen "extrem spannend - und sie werden immer leistungsfähiger". Das sei kein Hype, sagt der Marktforscher, "Machine Learning wird an Bedeutung zunehmen. Mit wachsender Computerpower kann man damit jetzt wirklich arbeiten." Die eine Sache sei ein toller Algorithmus, die andere, ob man die dafür nötigen Maschinen auch am Start habe.

Privacy, Stabilität und Qualität der Daten

In Zukunft werden Analysten laut Wirth zusätzliche Daten verwenden, um Algorithmen zu trainieren und die Modelle leistungsfähiger zu machen. "Es geht in die Richtung, im Analyseprozess mit mehreren Datenquellen zu arbeiten. Natürlich mit solchen, die auch legal genutzt werden dürfen." Data Privacy sei ein sehr wichtiges Thema rund um Machine Learning - aber auch die Stabilität und die Qualität der Daten.

Boeing will Services und interne Produktion verbessern

Der Flugzeughersteller Boeing nutzt Machine Learning, um seine Services und die interne Produktion zu verbessern, berichtete Sergey Kravchenko, President Russia and CIS von Boeing. Das Flugzeug 787 verfüge über mehr als zehntausend mit dem Internet verbundene Sensoren, die den Mechanikern am Boden schon während des Fluges melden, wenn zum Beispiel eine Lampe oder eine Pumpe ausgetauscht werden muss. So können Fluggesellschaften ihre Wartungskosten reduzieren und im Betrieb effizienter arbeiten.

Boeing arbeitet mit Big Data und Machine Learning, um den Fluggesellschaften mit den während eines Flugs gesammelten Daten zu helfen, Treibstoffkosten zu senken und die Piloten bei schlechtem Wetter zu unterstützen. Nun werden die Daten auch in der Produktion verwendet, um etwa für bestimmte Prozesse die besten Ingenieure zu finden. Daten der Personalabteilung würden genutzt, um zu verstehen, wie die Lebensdauer und die Qualität der Flugzeuge mit dem Training und der Mischung der Menschen im Produktionsteam korrelieren. Gibt es bei Prozessen, die aufwendige Nacharbeiten erfordern, Zusammenhänge mit den bereitgestellten Werkzeugen oder mit dem Team? Kravchenko will mit Big-Data-Analysen den gesamten Zyklus von Design, Produktion und Wartung verbessern.

Ein neues Big-Data-Projekt ist die Flight Training Academy, die 2016 eröffnet werden soll. Hier werden Daten der drei Flugsimulatoren gesammelt und ausgewertet, um die Gestaltung des Cockpits und das Design der Flugzeug­software zu verbessern. Kravchenko will seinen russischen Kunden auch anbieten, in Zukunft Daten auszutauschen und sie gemeinsam auszuwerten.

Experten müssen zusammenpassen

Die Fertigungsindustrie stehe bei der Anwendung von Machine Learning - verglichen etwa mit Telcos und dem Handel - noch am Anfang. Sie werde aber schnell von ihnen und auch von Firmen wie Amazon und Google, lernen. Wer Erfolg haben wolle, müsse die besten Flugzeug- und IT-Experten zusammenbringen. Das Problem: "Die kommen von verschiedenen Planeten."

Die Zusammenarbeit kann dennoch gelingen - wenn sich alle auf eine gemeinsame Terminologie einigen. "Die Datenexperten müssen etwas mehr von Flugzeugen und Airlines verstehen und die Flugzeugspezialisten mehr über Data Analytics lernen. Sie müssen sich die Werkzeuge teilen, sich gegenseitig vertrauen und ein gemeinsames Team aufbauen", sagt der Flugzeugbauer.

Ein weiteres Problem sei die Relevanz der Daten. "Hier muss die Industrie ihre riesigen Datenmengen anschauen und entscheiden, welche Daten wirklich wichtig sind, um bestimmte Probleme zu lösen. Das ist nicht einfach, dafür brauchen wir Zeit, Trial and Error, und wir müssen von anderen Branchen lernen." Die richtige Auswahl der Daten und die Interpretation der Ergebnisse seien dabei wichtiger als der Algorithmus selbst.

Gartner Big Data Survey 2015
Big Data 2015
Zur Praxis von Big Data hat der US-Marktforscher Gartner 437 Teilnehmer seines eigenen Panels ("Gartner Research Circle") befragt. Die Ergebnisse dokumentiert das Papier "Practical challenges mount as Big Data moves to mainstream".
Adaption
Hatten 2012 noch 58 Prozent der Teilnehmer von bereits getätigten oder geplanten Investitionen gesprochen, sind es jetzt 76 Prozent. Gartner bezeichnet das als "Adaptionswelle".
Initiatoren
Gartner wollte auch wissen, wer Big Data-Initiativen anstößt. Hier zeigt sich eine deutliche Verschiebung zuungunsten der IT-Entscheider.
Ziele
In den vergangenen Jahren hat sich herauskristallisiert, welche Ziele die Unternehmen mit Big Data verbinden. An oberster Stelle steht die Kundenerfahrung (Customer Experience). Das war auch 2013 der Spitzenreiter, allerdings mit 55 Prozent der Nennungen.
Messung des ROI
24 Prozent derer, die bereits in Big Data-Lösungen investieren, messen den ROI (Return on Investment) nicht. Die anderen orientieren sich entweder an finanziellen Kennzahlen, an der Steigerung der Effizienz oder besserer Entscheidungsfindung.