Linux - nicht ohne Services

18.04.2002 von Joachim Hackmann
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Je tiefer das Open-Source-Betriebssystem Linux in die Unternehmens-IT vordringt, desto gefragter sind begleitende, professionelle Serviceleistungen. Die Branche zieht mit dem Markt mit und versucht, die gesamte Servicepalette für freie Software abzudecken.

Immer mehr Anwender prüfen die Einsatzmöglichkeiten von Open-Source-Produkten und speziell von Linux in der Unternehmens-IT. Eine wichtige Voraussetzung für den Mission-Critical-Betrieb jeder Lösung ist jedoch, dass professionelle Dienstleistungen wie bei den etablierten Plattformen verfügbar sind. Große und kleine IT-Serviceanbieter haben diesen Markt erkannt und besetzt. Dabei kommt ihnen zugute, dass Linux nicht mehr als Betriebssystem für Informatikstudenten und „Tekkies“ angesehen wird. Die Anwender haben mittlerweile akzeptiert, dass Services auch bei einem frei verfügbaren System ihren Preis haben. Das Potenzial dieses Markts scheint groß: Eine Untersuchung von Gartner prognostiziert für den Linux-Dienstleistungsmarkt in Europa einen Umsatz von 429 Millionen Dollar im Jahr 2004.

Alan Mac Neela, Gartner: „Wir sehen Linux-Dienstleistungen im Moment noch nicht als großes Geschäftsfeld.“

Linux als Betriebssystem besetzt eine Marktnische“, konstatiert Alan Mac Neela, Principal Analyst bei Gartner in England. Bislang hätten sich viele Anwender gegen Linux gesperrt, da die Services nicht ausgereift waren. Mac Neela ist davon überzeugt, dass sich Linux-Services den Dienstleistungen für proprietäre Unix-Derivate allmählich annähern werden. Zurzeit sieht der Gartner-Mann Linux-Services noch nicht als großes Geschäftsfeld. Der Markt werde sich aber langfristig entwickeln.

Übergang von Test auf Produktionssystem

Die großen Serviceanbieter haben diesen Zukunftsmarkt bereits für sich entdeckt und ihr Dienstleistungsangebot um Linux erweitert. Beim Branchenriesen IBM, der sich seit einiger Zeit stark für Linux engagiert, folgt auch die Dienstleistungssparte Global Services den Konzernvorgaben. Laut Dirk Standfuss, verantwortlich für die Serviceentwicklung im Bereich Intel-basierender Systeme bei IBM Global Services, kann sein Haus bereits das gesamte Serviceportfolio vom Consulting über Implementierung und Migration bis hin zum Operating und Outsourcing bereitstellen.

Allerdings seien die Kunden in Sachen Linux noch nicht so weit. Zurzeit erbringe der Dienstleister vor allem reine Consulting-Services, so Standfuss. Besonders nachgefragt sei die konzeptionelle Beratung („Proof of Concept“): „Viele Kunden sind in der Testphase.“ Die Anwender prüfen noch, inwiefern Linux als Plattform ihren Anforderungen entspricht. Einige Kunden begännen aber schon, von Test- auf Produktionssysteme umzustellen. „Dann kommen natürlich auch die anderen Komponenten der Servicekette zum Tragen“, reibt sich der IBM-Mann die Hände. Vor allem die Großrechnernutzer fragen Linux-Dienstleistungen bei IBM Global Services nach. Hier geht es nach Standfuss‘ Einschätzung in erster Linie um Server-Konsolidierung und darum, Middleware-Komponenten auf das Host-System zu verlagern.

IBM pflegt enge Partnerschaften mit Linux-Distributoren wie Suse oder Red Hat. Da diese Häuser ihre Einnahmen auch aus Dienstleistungen erzielen, stehen die Serviceanbieter und die Distributoren zumindest theoretisch in Konkurrenz. Aus Sicht von Standfuss differenziert sich der IBM-Servicebereich jedoch von den Distributoren dadurch, dass die gesamte Dienstleistungskette lösungsbezogen und plattformunabhängig angeboten werden kann.

Teilservices sind selten

Ganz ähnlich stellt sich die Situation bei Siemens Business Services (SBS) dar. Linux und Open-Source-Software spielen im Bereich E-Business und E-Commerce des Dienstleisters eine wichtige Rolle, erläutert Peter Ruckmann, Leiter der E-Business-Abteilung bei SBS. Sein Mitarbeiter Jörg Wehling ergänzt: „Der Großteil der Kunden wünscht Linux.“ Das gelte besonders für Anwender, die auf der grünen Wiese neue Strukturen aufbauen.

Auch SBS ist laut Ruckmann in der Lage, den gesamten Wertschöpfungsprozess bei Linux-Dienstleistungen abzudecken. Die Kunden fragen in der Regel die komplette Implementierung an, Teilunterstützung sei eher die Ausnahme, so Ruckmann. Im Geschäft mit Linux- und Open-Source-bezogenen Serviceangeboten beobachtet SBS eine merkliche Zunahme. „Open Source hat in den letzten ein bis zwei Jahren eine starke Eigendynamik entwickelt“, führt Wehling aus. Für Ruckmann liegen die Gründe für das Wachstum nicht zuletzt in den Linux-Engagements großer IT-Firmen wie IBM: „Die Hersteller-Commitments spielen hier eine maßgebliche Rolle.“ Doch auch die guten Erfahrungen, die die Anwender mit Linux gemacht hätten, belebten die Nachfrage nach Services.

Manfred Leu, Winterthur Versicherungen: „Wenn man den IT-Betrieb outsourcen möchte, braucht man einen Provider, der das Gesamtkonstrukt anbieten kann.“

SBS sieht sich nur am Rand als Konkurrent der Linux-Distributoren. Man sei bereits in der Phase der Prozessanalyse und -gestaltung beim Kunden im Boot, während die Distributoren eher eine plattform- und technikspezifische Sichtweise hätten. Ein Problem für die Dienstleister besteht für Ruckmann eher in der Offenheit, die Open-Source-Lösungen generell auszeichnet. Die Kunden müssen sich nicht wie bei proprietären Systemen an einen Dienstleister binden. Ruckmann ist der Meinung, dass Verträge in diesem Bereich möglicherweise nicht mehr so langfristig geschlossen werden.

In der Offenheit liege aber ein wesentlicher Vorteil für die Kunden. Laut Wehling ist die Möglichkeit, relativ einfach den Service-Provider zu wechseln, ein Argument für den Einsatz quelloffener Lösungen: „Der Investitionsschutz bei Open Source ist um ein Vielfaches höher als bei proprietären Produkten.“

Zumindest was Linux betrifft, sehen das nicht alle Marktbeobachter so. Laut Gartner-Mann Mac Neela sei die Möglichkeit eines Anbieterwechsels bei proprietären Betriebssystemen wie den verschiedenen Unix-Derivaten oder Windows genauso gegeben. Zudem existierten zwischen den einzelenen Linux-Distributionen deutliche Unterschiede, die einen Wechsel zum Beispiel von Suse auf Red Hat erschwerten. Dem stimmt ein Anwender aus der Metallindustrie zu, der anonym bleiben möchte. Für den IT-Profi ist die Annahme, Anwender wollten möglichst leicht ihre Servicepartner wechseln können, „eher praxisfremd“. Zu den Unterschieden der Linux-Versionen, die einen schneller Anbieterwechsel erschwerten, komme noch hinzu, dass das Unternehmen generell an langfristigen Beziehungen zum Dienstleister interessiert sei. Aus seiner Sicht ist es auch nicht nachteilig, sich zum Beispiel mit den AIX-Systemen an IBM zu binden.

Noch deutlicher macht Manfred Leu von den schweizerischen Winterthur Versicherungen, dass der schnelle Dienstleisterwechsel illusorisch ist. Der Konzern hat sein Rechenzentrum outgesourct und betreibt zurzeit kleinere Testinstallationen von Linux auf dem Mainframe. Für Leu ist die Sichtweise, den Service-Partner bei Open-Source-Produkten einfacher als bei proprietären Lösungen wechseln zu können, unrealistisch. Speziell für den Outsourcing-Kunden Winterthur sei es - ob mit oder ohne quelloffener Software - nicht ohne weiteres möglich.

Auch im Mittelstand sind Dienstleister mit Linux-Know-how gefragt. Hier werden jedoch weniger die reinen Beratungsleistungen verlangt, wie Alexander Kitzberger von der Würzburger IT-Beratung Bitbone AG feststellt. Seinen Kunden gehe es vorrangig um das Implementieren und Pflegen von Linux-Systemen: „Es ist schwierig, reine Dienstleistungen zu verkaufen. Meist setzt man diese über ein Produkt ab.“

Mittelständische Kunden interessieren sich seiner Erfahrung nach häufig für dedizierte Linux-Server. Der quelloffene File- und Print-Server „Samba“, mit dem Linux-Server in einer Windows-Umgebung Datei- und Druckdienste bereitstellen können, liegt in der Gunst kleinerer Anwender sehr weit oben. Die Entscheidung für die Open-Source-Plattform wurde meist schon im Vorfeld von den Unternehmen gefällt. Doch für Installation und professionelle Betreuung des laufenden Betriebs fehlt kleinen Firmen in der Regel die Personalkapazität und das Know-how.

Im Gegensatz zu den großen Service-Providern sieht sich das mittelständische Unternehmen besonders bei den Support-Dienstleistungen klar in Konkurrenz zu den Linux-Distributoren. Aus Kitzbergers Sicht suchen die Kunden aber häufig einen regionalen Dienstleister, der durch die räumliche Nähe bei plötzlich anfallenden Wartungsarbeiten schnell vor Ort sein kann.

Analyst Mac Neela ist der Ansicht, dass die Serviceanbieter mittlerweile in der Lage sind, professionelle Dienstleistungen rund um Linux anzubieten. Diese Einschätzung teilen die Anwender nicht unbedingt. Leu beispielsweise differenziert: „IBM ist mit den Services noch nicht so weit wie mit den Dienstleistungen, die sie im Host-Umfeld anbieten können.“ Das Thema ist aus seiner Sicht noch zu jung. Leu rechnet aber damit, dass sich die Servicequalität bei Linux dem üblichen Dienstleistungsniveau angleichen wird.

Bei der Auswahl eines Service-Providers ist nach Mac Neelas Einschätzung zu bedenken, dass Linux meist in gemischten Systemlandschaften eingesetzt werde: „Es ist wichtig, dass der Dienstleister, für den sich ein Anwender entscheidet, nicht nur Erfahrungen im Umgang mit Linux, sondern auch mit den anderen Betriebssystemen hat.“ Leus Anforderungen gehen sogar noch weiter: „Wenn man den Betrieb allgemein outsourcen möchte, ist es schon wichtig, dass man einen Provider hat, der das Gesamtkonstrukt anbieten kann.“ Applikationen etwa würden häufig über mehrere Plattformen bereitgestellt. Betreibt man seine IT hingegen selbst, ist für Leu auch eine Best-of-Breed-Strategie mit unterschiedlichen Dienstleistern für die verschiedenen Systeminseln vorstellbar.

Entscheidend sind jedoch - wie in anderen Fällen auch - der eingeführte Name des Dienstleisters und seine Referenzen. Außerdem sollte er wirtschaftlich gesund sein und langfristig am Markt agieren - dann können sich die Anwender sicher sein, dass er über die nötige Erfahrung verfügt.