Wofür Karstadt die Happy-Digits-Karte braucht

Kundenbindung mit Erfolgskontrolle

11.04.2003
Wenn die Karstadt Warenhaus AG, Essen, ihren Stammkunden einen pauschalen Rabatt einräumt, tut sie das nicht ohne Hintergedanken: Mit jeder Benutzung der "Happy-Digits"-Karte oder eines anderen Kundenbindungssystems erhält der Einzelhandelskonzern wertvolle Informationen für das analytische Kundenbeziehungs-Management.CW-Bericht, Karin Quack

Karstadt, Hertie, KaDeWe, Wertheim oder Alsterhaus - hinter all diesen Namen verbirgt sich derselbe Konzern: die Karstadt Warenhaus AG. Mit Jahreseinnahmen von 6,3 Milliarden Euro hält das zur Karstadt-Quelle-Gruppe gehörige Vertriebsunternehmen 36 Prozent am deutschen Warenhausumsatz. 2,5 Millionen Besucher strömen täglich durch die Glastüren eines der 190 angeschlossenen Häuser. Was sie dort unter welchen Umständen kaufen werden, kann ein Außenstehender nur raten, ein Experte vielleicht schätzen. Das Karstadt-Marketing hingegen will die Glaskugel durch exakte Statistiken ersetzen.

Ein Muster aus vielen Daten

Was hat das Marketing davon, wenn es weiß, dass eine im Münchner Nobelvorort Grünwald wohnhafte Kundin mittleren Alters an einem Donnerstagabend kurz vor Ladenschluss im Hertie-Haus am Stachus ein preisreduziertes Designer-Jackett und drei CDs der kolumbianischen Pop-Sängerin Shakira erstanden hat? Für sich genommen, noch nicht allzu viel. Ein Muster - und damit eine Grundlage für gezielte Marketing- und Kundenbindungs-Maßnahmen - ergibt sich erst, wenn viele solcher Informationen von unterschiedlichen Kunden über einen längeren Zeitraum hinweg erhoben werden.

Um an diese Daten zu kommen, haben die großen Handelsunternehmen ihre "Kundenbindungssysteme" erfunden. Karstadt unternahm erste Schritte auf diesem Terrain mit seiner rotblauen "Klub-Karstadt"-Karte. Mehr als sechs Millionen Menschen ließen sich von der Aussicht auf eine Gutschrift von drei Prozent des jeweiligen Kaufpreises verlocken, dem Handelsunternehmen zunächst ihre Adressdaten und später detaillierte Informationen über ihre Kaufgewohnheiten zugänglich zu machen.

Vor ein paar Monaten verabschiedete sich der Warenhauskonzern von der hauseigenen Club-Karte und schloss sich dem "Happy-Digits"-Programm der Deutschen Telekom an. Unter das Happy-Digits-Dach sind beispielsweise auch die Kundenbindungsprogramme der Kaisers- und Tengelmann-Läden sowie des Sportartikelhändlers Runners Point geschlüpft. Operative Dienstleistungen wie das Sammeln, Speichern und Verwalten der für den Betrieb des Systems notwendigen Daten sowie die Prämienabwicklung obliegen dem Karstadt-Telekom-Joint-Venture Customer Advantage Program GmbH (CAP). Auswerten kann Karstadt nur die Daten, die in den konzerneigenen Häusern aufgelaufen sind.

Dem Kunden, der die neue Karte einsetzt, wird pauschal nur noch ein Prozent des Einkaufswerts auf sein elektronisches Guthaben transferiert. Doch dafür erhält er in unregelmäßigen Abständen Coupons, die er beim Kauf bestimmter Warengruppen für höhere Preisnachlässe verwenden oder gegen Produktproben eintauschen kann. Wer wie viele Coupons wofür bekommt, entscheidet sich nach der Zugehörigkeit zur jeweils adressierten Käufergruppe. So ist die Kundin aus dem skizzierten Beispiel wohl eher für den Gratis-Lippenstift des Herstellers Clinique empfänglich als für einen Rabatt auf Rasierapparate.

Das Ziel: kundenzentriertes Marketing

Selbstverständlich erscheint die Differenzierung nicht immer so trivial wie in diesem Fall. Deshalb entschloss sich Karstadt-Quelle bereits vor drei Jahren, Informationen über das Kundenverhalten in einem Data Warehouse zu sammeln. Als strategisches Ziel definierte das Unternehmen "kundenzentriertes" Marketing mit individualisierter Ansprache. Auf der taktischen Ebene verfolgte Karstadt-Quelle zudem die Absicht, seine auf den Kunden gerichteten Geschäftsprozesse mit Hilfe geeigneter Softwarewerkzeuge zu verbessern.

Das mittlerweile installierte Gesamtsystem setzt sich aus zwei Komponenten zusammen, die durch einen geschlossenen Informationskreislauf miteinander verbunden sind. Auf der einen Seite steht das Data Mining. Es dient dazu, die in fünf Millionen Kauftransaktionen pro Woche anfallende Datenmenge nach Kundenstrukturen und -modellen zu durchsuchen.

Wer wann wo zu welchem Preis?

Vor der Einführung der Kundenkarten hatten die Marketing-Spezialisten lediglich anonyme Kassenbon-Daten zur Verfügung, die gerademal die Bildung von Durchschnittswerten erlaubten. Mit Hilfe des Kundenbindungssystems erkennt das Karstadt-Marketing nun, wer wann und wo was zu welchem Preis kauft. Aus der detaillierten Analyse dieser Angaben entsteht eine Gesamtsicht auf die "Konsumkarriere" des Kunden, seinen derzeitigen "Wert" oder Status und sein künftiges "Potenzial" für das Unternehmen. Auf dieser Grundlage lässt sich beispielsweise ein Frühwarnsystem installieren, mit dessen Hilfe "eingeschlafene" Kundenbeziehungen wiederbelebt werden können. Zudem ist es möglich, "Verbundkauf"-Muster zu erkennen (In welchen Zusammenhängen kauft der Kunde was?) und Scorecards für Kunden oder Kundengruppen anzulegen, um beispielsweise die Wahrscheinlichkeit einer Reaktion auf eine Marketing-Aktion zu prognostizieren.

Diese Erkenntnisse sind hilfreich für die andere Säule des Systems: das Kampagnen-Management. Dort lassen sich Marketing-Maßnahmen und -Konzepte, also beispielsweise Mailing-Aktionen oder Coupon-Aussendungen, planen und steuern. Für die anschließende Erfolgskontrolle werden die Reaktionen mit dem Verhalten einer Kontrollgruppe verglichen. Ergeben sich größere Abweichungen von der Prognose, so könnten die Marketing-Spezialisten nun gezielt nach den Ursachen forschen und sie künftig berücksichtigen. Schlussendlich fließen die Ergebnisse aus dem Kampagnen-Management in das Data Mining zurück, wo sie beispielsweise für die Absatzplanung zur Verfügung stehen. Dadurch lassen sich, so die Hoffnung der Karstadt-Marketiers, weit zuverlässigere Prognosen entwickeln als mit den früher üblichen Expertenschätzungen.

Gelungene Integration

Bei der informationstechnischen Umsetzung des Gesamtsystems nutzte Karstadt die MVS-Ausführung des IBM-eigenen Datenbank-Management-Systems "DB2" als Data-Warehouse-Basis. Darauf setzen die unter AIX installierten Softwarewerkzeuge von SAS Institute auf: Für das Data Mining kommt der "Enterprise Miner" zum Einsatz. Er hilft unter anderem beim Aufbau von Scoring-Modellen, die bestimmte Kundenmerkmale mit Wahrscheinlichkeitsfaktoren verbinden. Zudem unterstützt er die Analyse von Verbundkauf-Informationen, also Angaben darüber, welche unterschiedlichen Waren ein Kunde beim Kaufhausbesuch mitnimmt.

Bereits gelungen ist die Integration des Data-Mining-Werkzeugs mit dem ebenfalls von SAS stammenden Kampagnen-Management-System "CM". Es dient der operativen Abwicklung von Direkt-Mail-Kampagnen. Hier sieht Nico Geissbauer, Abteilungsleiter Database Management, allerdings die Notwendigkeit, den Automatisierungsgrad weiter zu erhöhen.

Das Controlling der Marketing-Kampagnen ist die Domäne des "Enterprise Guide". Wie Geissbauer erläutert, erlaubt die aktuell eingesetzte Version des SAS-Produkts eine Datenbankabfrage über eine intuitive Windows-Oberfläche. CM schließe zwar einen eigenen "Reporter" ein, doch der sei nicht in der Lage, fremde Datenquellen ohne Ecken und Kanten zu integrieren - für Karstadt-Quelle eine notwendige Bedingung.

Komplettiert werden die drei Module durch das Browser-basierende Werkzeug "Clever Path" von Computer Associates. Es bietet dem Benutzer am Frontend die Möglichkeit, mit relativ geringem Aufwand Analysen zu fahren und Berichte zu erstellen.

Die SAS-Werkzeuge haben keineswegs von Beginn an reibungslos zusammengearbeitet, berichtet Geissbauer. Sie seien "in der Tiefe sehr gut", doch gebe es gewisse "Schwachstellen" bei der Kommunikation miteinander. Hier musste Karstadt nacharbeiten - mit tätiger Unterstützung durch den Tool-Anbieter und den internen IT-Dienstleister Itellium Systems & Services GmbH, der als Generalunternehmer für die Projektrealisierung verantwortlich zeichnete. Itellium ging 2000 als hundertprozentige Tochter aus der Karstadt-Quelle AG hervor und macht derzeit fast vier Fünftel des Gesamtumsatzes innerhalb des Handelskonzerns.

Trotz der schwierigen Integration der Einzelwerkzeuge bietet der Framework-Charakter der SAS-Lösung aus der Sicht des verantwortlichen IT-Projektleiters Rolf Krehain mehr Vor- als Nachteile: "Man kauft Individualität ein und gewinnt Flexibilität." Stolz ist der Itellium-Manager auf die kurze Laufzeit des Projekts: Angefangen von dem - aus Gründen der Risikominimierung - vorgeschalteten "Proof of Concept" bis zur Inbetriebnahme der Module dauerte die Realisierung nur ein Dreivierteljahr. Im September 2002 waren die Data-Mining-Infrastruktur, das Kampagnen-Management und -Controlling sowie das Berichtswesen installiert. Seither arbeiten Dienstleister und Database Management gemeinsam daran, das System zu perfektionieren und die Anwender zu schulen.

Steckbrief

Ziel: Marketing-Automation über Data Warehouse und analytisches CRM.

Umfang: Rund sechs Millionen ausgegebene Karten, 26 Millionen Stammdaten, fünf Millionen Kauftransaktionen pro Woche, derzeitiges Datenvolumen 1,7 TB.

Unternehmen: weitgefächerter Einzelhandelskonzern mit 6,3 Milliarden Euro Umsatz.

Herausforderung: Datenquelle Kundenkarte wurde auf ein unternehmensübergreifendes Programm umgestellt.

Stand heute: Realisierung der Module Data-Mining-Infrastruktur, Kampagnen-Management und -Controlling sowie Berichtswesen/Reporting im Herbst 2002 abgeschlossen, seither Optimierung und Anwenderqualifizierung.

Basis: Data Warehouse auf der Basis von "DB2" unter MVS; Software-Tools "Enterprise Miner", "Enterprise Guide" und "Campaign Management" von SAS Institute unter AIX sowie Abfragewerkzeug "Clearpath" von Computer Associates.

Realisierung: durch den Inhouse-Dienstleister Itellium.

Künftige Aufgaben: Implementierung von Kundenwertmodellen und Churn-Analysen (Auswertung der "stillen Kündigung" ehemaliger Kunden).

Abb: Der Database-Marketing-Kreislauf

Die Ergebnisse des Kampagnen-Managements fließen in das Data Mining zurück, wo sie beispielsweise für die Absatzplanung zur Verfügung stehen. Quelle: Karstadt