Customer Experience

Künstliche Intelligenz hilft Banken bei der Digitalisierung

16.04.2018 von Wolfgang Herrmann
IT-Anbieter erweitern ihre Banking-Plattformen zunehmend mit KI-Funktionen. Finanzinstitute können damit Kundenschnittstellen verbessern, Prozesse effizienter gestalten und sogar neue Umsatzquellen erschließen.

Schon seit einigen Jahren nutzen Unternehmen aus dem Finanzsektor Technologien der künstlichen Intelligenz (AI, Artificial Intelligence). Neben Machine Learning, Deep Learning und Natural Language Processing setzen sie auch auf Robotic Process Automation (RPA) in seinen verschiedenen Ausprägungen. Wie in kaum einer anderen Branche erkennen insbesondere Banken den wirtschaftlichen Nutzen der Künstlichen Intelligenz. Sie gewinnen neue Erkenntnisse aus vorhandenen Daten, verbessern die Kundenerfahrung (Customer Experience) und automatisieren Geschäftsprozesse, die bis dato nur mit manuellen Eingriffen funktionierten.

Mithilfe Künstlicher Intelligenz optimieren Banken ihre Prozesse und verbessern die Customer Experience.
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Künstliche Intelligenz werde die Finanzbranche in den kommenden Jahren "kräftig auf den Kopf stellen", sagt Karl-Heinz Kern, General Manager der GFT Deutschland. Er verweist auf den "Digital Banking Expert Survey", für die der IT-Dienstleister 2017 mehr als 280 Retail-Banking-Experten aus acht Ländern befragte. Rund 94 Prozent sind demnach überzeugt, dass KI-Lösungen einen direkten Mehrwert liefern.

In den meisten Fällen sind es nicht die Finanzinstitute selbst, die KI-Technologien entwickeln. Vielmehr arbeiten vor allem die großen Softwarehersteller daran, ihre Standardprodukte für den Banking-Sektor mit KI-Features auszustatten. Einer Forrester-Studie zufolge nutzten 2017 bereits 69 Prozent der Entscheider aus den Bereichen Data und Analytics bei Finanzdienstleistern weltweit KI-Technologien oder planten einen Einsatz innerhalb von zwölf Monaten (siehe Grafik). Die Banken greifen zudem häufiger auf die Hilfe von Systemintegratoren zurück, um ihre Kernsysteme intelligenter zu machen und die technischen Grundlagen für einen KI-Einsatz zu schaffen. Dazu gehört beispielsweise die Auswahl und Integration einschlägiger Frameworks.

Ein Großteil der Data- und Analytics-Entscheider in der Finanzbranche nutzt bereits KI-Technologien oder plant den Einsatz.
Foto: Forrester Research

Mit der Reife der KI-Technologien wächst in den für Anwendungsentwicklung und -bereitstellung verantwortlichen Teams auch das Interesse an Standard-Banking-Anwendungen, die mit intelligenten Features ausgestattet sind. "80 Prozent unserer neuen Kunden fragen nach AI-basierten Lösungen", erklärt der auf die Finanzbranche spezialisierte Softwareanbieter Finastra . Forrester rät IT-Entscheidern, sich frühzeitig mit den Einsatzmöglichkeiten solcher Standardsysteme auseinanderzusetzen. Andernfalls riskierten sie, gegenüber Konkurrenten zurückzufallen.

Noch sei künstliche Intelligenz im Bankensektor zwar nicht "Mainstream", urteilen die Analysten. Doch die Anbieter von Banking-Plattformen setzten mit voller Kraft auf das Thema. Immer häufiger gelinge es ihnen, den Business-Nutzen ihrer Lösungen für Kunden und auch für eigene Zwecke nachzuweisen.

Sopra Banking Software etwa arbeitet schon seit Jahren an Proof of Concepts und hat damit begonnen, KI-Funktionen in seine Produkte einzubauen. Auch der Schweizer Bankensoftware-Spezialist Temenos hat seine Strategie darauf ausgerichtet. "AI ist kein spezifisches Produkt", erläutert der Global Product Director für Data und Analytics. "Es ist eine Fähigkeit, die wir in allen unseren Produkten nutzen wollen."

Einsatzbeispiele für KI in der Finanzbranche

Wie so oft in der IT steht und fällt der Erfolg einer neuen Technologie mit den konkreten Einsatzszenarien. In Gesprächen mit Softwareanbietern hat Forrester Research fast 70 solcher "Use Cases" identifiziert, die nicht nur für Finanzunternehmen interessant sein dürften. Sie lassen sich in vier Kategorien unterteilen:

Viele Softwarehersteller haben bereits KI-gestützte Analysefähigkeiten im Portfolio, mit deren Hilfe Kunden ihre Umsätze steigern können. Dazu gehören unter anderem Churn-Analysen (Kundenabwanderung), individuelle Absatzprognosen oder personalisierte Preise. SAP etwa wirbt im Zusammenhang mit seiner Leonardo-Produktpalette für seine "Next-best-offer"-Funktionen, mit denen sich Kundenwünsche voraussagen ließen. Das Ziel: Dem Kunden soll zu jeder Zeit das passende Produkt angeboten werden. Sopra Banking Software hat einen "Robo Loan Officer" entwickelt, eine Art virtueller Kreditberater, der mit Kunden in mehreren Sprachen via Text-Chat oder per Voice-Schnittstelle kommunizieren kann.

Der indische IT-Dienstleister Tata Consultancy Services (TCS) sieht Einsatzmöglichkeiten auch jenseits des klassischen Retail und Corporate Banking. Dazu gehöre beispielsweise der Bereich Algorithmic Trading, also der automatisierte Handel von Wertpapieren. Forrester rät Entscheidern im Anwendungsumfeld, ihre Softwarelieferanten nach solchen potenziell umsatzsteigernden KI-Lösungen zu fragen. Dabei sollten auch die konkreten Entwicklungs-Roadmaps der Anbieter auf den Tisch kommen.

Roundtable KI und Machine Learning
Oliver Bracht, Chief Data Scientist bei Eoda
"In der Frage der Akzeptanz von KI und Machine Learning ist die Varianz unter den deutschen Unternehmen sehr hoch. Einige stehen noch ganz am Anfang, andere sind schon weit vorangeschritten."
Robert Gögele, General Manager bei Avanade Deutschland
"Im Feld KI und Machine Learning können in Deutschland viele neue Jobs entstehen. Dafür brauchen wir aber einen Kulturwandel, in dem wir uns als Gesellschaft und im öffentlich Diskurs deutlich mehr den Chancen widmen, als uns hinter den wohlbekannten und legitimen Risiken zu verstecken."
Stefan Gössel, Partner bei Reply
"Im ersten Schritt geht es um die eigene Effizienz. Der wesentliche Treiber ist es jedoch, die Kundenbedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen, um neues Wachstum zu generieren."
Franz Kögl, Vorstand von Intrafind
"Unsere Kunden haben mit dem Thema AI keine Berührungsängste. Alle gehen das pragmatisch an: Business Case und Anforderungen definieren, dann für den Use Case die beste Kombination aus AI-Verfahren auswählen und die Machbarkeit testen."
Ronny Kroehne, Senior IT Architect bei IBM
"Wir reden immer öfter direkt mit den Fachbereichen. Da ist der Innovationsdruck am Größten."
Katharina Lamsa, Pressesprecherin für die Division Digital Factory bei Siemens
"Die zunehmende Digitalisierung ist ein wesentlicher Treiber für die Entwicklung und die Akzeptanz von KI und Machine Learning bei unseren Kunden. Insbesondere im Maschinenbau sehen wir Ansätze, sich mit diesem Innovationsfeld intensiv zu befassen. Darunter finden sich auch kleinere, sehr innovative Unternehmen, die das Zukunftspotenzial des Themas erkannt haben."
Markus Noga, Leiter Maschinelles Lernen, SAP SE
"Unsere Vision ist das intelligente Unternehmen. Dank maschinellem Lernen und natürlicher Sprachverarbeitung werden Softwaresysteme Mitarbeiter zukünftig in allen Routinetätigkeiten unterstützen und ihnen die Möglichkeit geben, sich auf kreative und strategische Aufgaben zu fokussieren. Wir treiben diese Entwicklung mit intelligenten Applikationen und Services voran und bieten Anwendungsmöglichkeiten für jeden Kenntnisstand."
Klaus-Dieter Schulze, Senior Vice President Digital Business Solutions bei NTT Data Deutschland
"Ich muss immer mit der Business-Frage anfangen, nicht mit der Technologie."
Max Zimmermann, Data Scientist von Lufthansa Industry Solutions
"Man muss die unterschiedlichen Bereiche Künstlicher Intelligenz definitorisch voneinander abgrenzen. Einfache Regressionsverfahren zum Beispiel genießen derzeit hohe Akzeptanz."

Geht es um die Kundenkommunikation, sind Chatbots nicht nur in der Finanzbrache heute fester Bestandteil von KI-gestützten Lösungen. Neuere Ansätze gehen darüber hinaus. Der auf die Finanz- und Versicherungsbranche spezialisierte Anbieter Intellect Design Arena arbeitet an Systemen, die die Kundenerfahrung automatisiert verbessern können. Dazu versucht die Software situationsabhängig, die jeweils am besten passende Aktion zu identifizieren und greift dazu auch auf landes- und kundenspezifische Informationen zurück. Der Softwarekonzern Oracle verfolgt einen ähnlichen Ansatz. Ein intelligentes System könne beispielsweise maximal drei der wahrscheinlichsten Transaktionen oder auch Bildschirminhalte voraussagen, an denen ein bestimmter Kunde interessiert sei, werben die Marketiers. Dazu nutze das Programm eine umfangreiche Datenbank mit kundenspezifischen Informationen.

Nach Einschätzung von Forrester wagen sich bisher nur wenige Anbieter an das komplexe Thema der automatisierten Personalisierung und Optimierung von Kundenschnittstellen heran. Das aber werde sich ändern. Die "AI-powered CX Optimization" (CX = Customer Experience) stehe inzwischen auf der Roadmap vieler Anbieter. IT-Entscheider könnten davon ausgehen, dass derartige Fähigkeiten innerhalb der kommenden zwei Jahre auch in gängige Standardsoftware Einzug hielten.

Robotic Process Automation (RPA) steht schon seit geraumer Zeit auf der Angebotsliste von Banking-Plattform-Anbietern wie EdgeVerve Systems. Hinzu kommen RPA-Spezialisten wie beispielsweise UIPtah. Die Potenziale der Künstlichen Intelligenz in Sachen Effizienz gehen über RPA hinaus. So argumentieren etwa Finastra und Temenos, KI könne Banken unterstützen, in traditionell wenig automatisierten Bereichen effizienter zu arbeiten. Als Beispiele nennen sie die Handelsfinanzierung (Trade Finance) und die Abwicklung von Konsortialkrediten (Syndicated Lending).

Weil es in solchen Bereichen häufig noch keine Standards gibt, könnten KI-gestützte Banking-Anwendungen dabei helfen, strukturierte und unstrukturierte Daten zusammenzuführen. Zudem wären sie beispielsweise in der Lage, noch fehlende Informationen oder Unterlagen im Zahlungsprozess zu identifizieren. Um Prozesse noch effizienter zu gestalten, sollten IT-Entscheider eng mit Fachabteilungen und Banking-Softwareanbietern zusammenarbeiten und "Quick Wins" identifizieren, rät Forrester.

In diese Kategorie fallen zwar vergleichsweise wenige Use Cases. Der wirtschaftliche Nutzen aber kann beträchtlich sein, was sich etwa am Beispiel der "False Positives" im Bereich Betrugserkennung zeigt. Solche fälschlicherweise als illegal oder verdächtig eingestuften Vorgänge können etwa bei der Fahndung nach Geldwäsche mehr als 90 Prozent der Fälle ausmachen, eine enorme Zeitverschwendung für die Ermittler. Die britische Großbank HSBC nutzt Künstliche Intelligenz, um die Anzahl der False Positives zu reduzieren und sich besser auf die wirklich Kriminellen konzentrieren zu können.

Vorteile kann Künstliche Intelligenz auch im klassischen IT-Management bringen. Der Finance-Spezialist EdgeVerve etwa nutzt KI-Funktionen in seiner Preventive-Maintenance-Lösung "Finacle Assure" für Finanzinstitute. Der Schwerpunkt liege dabei auf Prävention, so der Anbieter. Drohende Fehler oder Störungen im IT-Betrieb sollen frühzeitig erkannt und vermieden werden.

Wer treibt KI-Initiativen im Unternehmen?

Spannend für IT-Anbieter und -Nutzer ist auch die Frage, wer in den Unternehmen den Einsatz von KI-Lösungen vorantreibt. Forrester unterscheidet dabei klassische technische Entscheider in der CIO-Organisation (Traditional TDMs) und sogenannte Business Technology Decision Makers (Business TDMs). Letztere gehören einem Funktionsbereich außerhalb der IT-Organisation an, beispielsweise der Sales-, der Marketing-Abteilung oder auch einer Strategie-Gruppe.

In einer Erhebung aus dem Jahr 2017 gaben 63 Prozent der Business-TDMs an, dass sie bereits KI-Systeme eingeführt hätten, daran arbeiteten oder den KI-Einsatz in ihrer Organisation intensivierten. Unter den Traditional TDMs lag der Wert nur bei 43 Prozent. Forrester befragte dazu mehr als 800 Entscheider aus unterschiedlichen Bereichen.

Generell seien die Business-orientierten Entscheider besser auf die vielfältigen Veränderungen eingestellt, die der KI-Einsatz mit sich bringe, kommentieren die Analysten. Gehe es etwa um unternehmensweite strategische Fragen, seien sie meist näher am Geschehen als die Kollegen aus der IT-Abteilung. So erklärten 59 Prozent der Business TDMs, dass eine Veränderung des Geschäftsmodells ihrer Organisationen innerhalb der kommenden zwölf Monate für sie eine besonders hohe Priorität genieße. Unter den traditionellen Technikentscheidern mochten nur 42 Prozent dieser Aussage zustimmen.

Rückschlüsse erlaubt die Umfrage auch auf die Hürden, die Unternehmen in Sachen KI-Einsatz nehmen müssen. Für 26 Prozent der Business-orientierten Entscheider ist das Change Management beim Umgang mit Daten eines der größten Hindernisse. Immerhin 21 Prozent der Kollegen aus der IT-Organisation sehen das genauso.