Deutschland gehen die Ideen aus

Kennen Sie die vier Innovationsbremsen?

23.01.2011 von Renate Oettinger
Deutsche Unternehmen sind im internationalen Vergleich lediglich Mittelmaß. Was sie falsch machen, schildert Jens-Uwe Meyer.

Der Aufschwung in Deutschland täuscht über einen Fakt hinweg: In der Liga der weltweit innovativsten Firmen sind unsere Unternehmen allenfalls Mittelmaß. Der Aufschwung beruht auf Ideen von gestern. Gegen die weltweit innovativsten Firmen haben deutsche Unternehmen kaum eine Chance.

Foto: Fotolia, Kaarsten

Wer wird gewinnen? Auf dem weltweiten Handymarkt liefern sich Apple, Google, Nokia und Microsoft derzeit eines der spannendsten Rennen der globalen Wirtschaft. Wer wird den Markt um das Handy der Zukunft für sich entscheiden? Der jahrelange Weltmarktführer Nokia hat den Trend zu Smartphones verpasst. Microsoft musste sein selbst entwickeltes Mobiltelefon wieder vom Markt nehmen und versucht mit Windows Phone 7, verlorenen Boden gutzumachen.

Deutschland nur Zaungast

Wer auch immer den Kampf um Smartphones gewinnt, sicher ist: Deutschlands Unternehmen verfolgen den Wettbewerb nur als Zaungäste. Mit dem enormen Innovationstempo der Branche können sie seit Jahren nicht mehr Schritt halten. Bittere Wahrheit ist: Mit ihren perfekten Prozessen und der nach wie vor überragenden Qualität sind deutsche Unternehmen in vielen Bereichen der Wirtschaft zwar Weltmarktführer. Doch wenn es darum geht, schnell neue Ideen zu generieren und erfolgreich auf den Markt zu bringen, sind sie bestenfalls Mittelklasse.

Eine Gefahr für die Zukunft: Denn das alte und das neue deutsche Wirtschaftswunder beruhen vor allem auf Produkten, die zwar in jahrelanger deutscher Ingenieurskunst perfektioniert wurden, aber im Kern nach wie vor die alten Produkte sind. Die letzten großen Innovationen aus der Automobilbranche sind der Tata Nano (Indien), das Elektroauto von Tesla (USA) und Geschäftsmodelle wie Project Better World vom ehemaligen SAP-Chef Shai Agassi (Israel).

Deutsche Unternehmen betreiben zwar einen immensen Aufwand an Forschung und Entwicklung, doch ihre konservativen Strukturen sind nicht dafür gemacht, wirklich bahnbrechend Neues zu entwickeln. Noch hat Deutschland Ideen und noch funktioniert die Verbesserung des Bestehenden. Im internationalen Wettbewerb schmilzt jedoch der Vorsprung.

Eine Studie der weltweit innovativsten Unternehmen, die 2010 an der Handelshochschule Leipzig durchgeführt wurde, ergab: Um im globalen Wettbewerb der Ideen bestehen zu wollen, brauchen Deutschlands Firmen neue Strukturen. Sie müssen folgenden Spagat schaffen: Einerseits die perfekten Prozesse aufrecht erhalten, die sie so erfolgreich machen, und andererseits sicherstellen, dass die perfekten Prozesse, die primär auf Effizienz und Fehlerminimierung setzen, das Entstehen neuer Ideen nicht systematisch verhindern.

Die Studie der weltweit innovativsten Unternehmen zeigte, dass vor allem folgende vier Faktoren die deutschen Unternehmen im globalen Ideenwettbewerb behindern:

Innovationsbremse 1: starre Strukturen

Die meisten deutschen Unternehmen sind durch klare Zuständigkeiten und Hierarchien geprägt. Die Entwicklung ist für neue Produkte zuständig, die Produktion sorgt für eine berechenbar hohe Qualität, das Marketing entwickelt die Prospekte und der Vertrieb bringt es an den Mann. So funktioniert, vereinfacht formuliert, ein Großteil der Unternehmen. Dieses Bereichsdenken macht Unternehmen äußerst effizient - eines der Buzzwords des Managements. Zugleich ersticken diese Strukturen jedoch den größten Teil des kreativen Potentials. Ideen entstehen immer dort, wo Grenzen aufeinanderstoßen und Reibung entsteht. Der deutsche Dienstweg erschwert jedoch genau diesen Austausch zwischen verschiedenen Bereichen.

Unternehmen wie Amazon oder der südkoreanische Samsung-Konzern machen vor, wie es anders geht: Als in den verkrusteten Strukturen von Karstadt und Hertie noch darüber diskutiert wurde, wie und in welchem Umfang das Internet Konsumenten in Zukunft beeinflussen wird, setzte Amazon-Chef Jeff Bezos bereits auf vollkommen neue Unternehmensstrukturen: kleine wendige Teams mit einem hohen Grad an Verantwortung, die er nach der "2-Pizza-Regel" zusammenstellte: Sobald ein Team mehr als 2 Pizzas essen kann, wird es geteilt.

Samsung, bis in die 80er Jahre als Anbieter billiger Elektrogeräte bekannt, hat in den vergangenen Jahren einen erstaunlichen Wandel vollzogen, durch den auch deutsche Traditionsunternehmen wie Grundig möglicherweise überlebt hätten: Das Unternehmen startete eine Ideenoffensive und richtete auf der gesamten Welt Design-Center ein.

Dort werden Innovationen häufig nach dem Prinzip der Papstwahl entwickelt: Designer und Techniker bleiben solange im Design-Center, bis die Innovation fertig entwickelt ist. Amazon, Samsung und viele der weltweit innovativsten Unternehmen haben erkannt, dass der Faktor Zeit bei Innovationen eine wichtige Rolle spielt. Deutsche Unternehmen mit ihren behäbigen Strukturen und langen Abstimmungsprozessen sind in diesem Wettbewerb chancenlos - wie ein 100 Meter-Läufer mit Bleikugeln an den Beinen.

Fünf Gründe für den agilen Ansatz
Fünf Gründe für den agilen Ansatz
Neue Methoden der Softwareentwicklung begeistern die Mitarbeiter und die Kunden. Da stellt sich die Frage, woher es kommt, dass "Agilität" derartig beliebt ist? Alexander Ockl nennt Fünf Gründe:
Weniger Prozess - dafür mehr Mensch
Offenbar haben wir gelegentlich das Prozessrad zu weit gedreht. Mit Know-how in den Prozessen wollten wir gute Software wie am Fließband im "billigen Ausland" herstellen lassen. Probleme lassen sich mit noch ausgefeilteren Prozessen und Rollen beseitigen, so dachten wir. Aber inzwischen wissen wir, dass wir am so genannten Fließband meist individuell arbeiten. Und talentierte Mitarbeiter haben auch im Ausland inzwischen ihren Preis.
Persönliche Motivation statt Existenzangst
In der agilen Welt zählt der Mensch wieder etwas. Statt verteilt zu sitzen, schauen sich agile Teams wieder in die Augen. Effektive, direkte Kommunikation ersetzt endlose, anonyme Telefonkonferenzen und überlaufende E-Mail-Postkörbe. Größerer Gestaltungsspielraum und überschaubare Rollen geben Mitarbeitern das Gefühl, endlich wieder etwas bewegen zu können. Das setzt Kräfte frei. Und motiviert, anstatt zu frustrieren.
Entfaltete Stärken statt Fesseln
Endlich wieder kreativ sein und nicht starre Prozesse befolgen müssen! Kein Wunder also, dass gerade Entwickler und Analysten diesen Ansatz lieben. Im agilen Umfeld sind sich alle bewusst, wie wichtig ein gut zusammengestelltes Team ist. Das übersehen wir in der "alten IT-Welt" häufig - zwischen den vielen Prozessdetails und virtuellen Teams. Unsere Kunden freuen sich auch, denn schließlich steht wieder die Lösung ihrer Probleme im Vordergrund.
Gemeinsam entwickelte Arbeitsweise
Neue Prozesse bedeuten in unserem herkömmlichen Alltag häufig neue Rollen. So entstehen Teamveränderungen und Umstrukturierungen. Die vorgegebene Arbeitsweise passt aber vielfach nicht zum Team. Agile Methoden wie Scrum zeigen, dass es auch anders geht. Den "Toyota-Weg" als Vorbild, organisieren sich schlanke Teams innerhalb eines groben Rahmens am besten selbst.Es lohnt es sich, ein funktionierendes Team - wie im Fußball - nicht zu stark zu verändern. Gemeinsam entwickelt, richtet sich die Arbeitsweise nach den Möglichkeiten der Mitarbeiter.
Eine nachvollziehbare Teamleistung
Schreit unser Umfeld nach Agilität, so sollten wir nicht dagegen reden, sondern genau hinschauen. Agilität und gute Prozesse wollen das Gleiche. Müssen wir dennoch verteilt arbeiten, so sollten wir unbedingt auf die menschliche Komponente achten. Frei nach Felix Magath bei der Vorstellung des Spielers Raul sollte es "unsere Verpflichtung sein", die Mitarbeiter "so in Szene zu setzen", dass Sie "ihre Fähigkeiten voll ausspielen können". Andernfalls schließt auch Raul keine Tore, sondern wird zu einem mittelmäßigen und schließlich frustrierten Mitspieler.

Innovationsbremse 2: die Regelwut

Regelfreie Zonen sind in deutschen Unternehmen nahezu unbekannt. Wer Ideen hat, soll sie gefälligst in den dafür vorgesehenen Prozess einbringen. Den Vordruck (modern: Template) ausfüllen und an die zuständigen Gremien weiterleiten, die dann über den Vorschlag beraten. In vielen Unternehmen ähneln das Ideen- und Innovationsmanagement mittlerweile einem bürokratischen Monster. Es gibt genaue Vorschriften, wie Ideenformulare auszufüllen und Ideen zu begründen sind, welchen potenziellen Ertrag sie in drei Jahren bringen müssen und wie sie umzusetzen sind. Was für ein Unterschied zu Unternehmen wie 3M oder Google, in denen Mitarbeiter freie Zeit bekommen, um an eigenen neuen Ideen zu arbeiten.

Die deutsche Ideenbürokratie übersieht einen wichtigen Punkt: Ideen kommen nicht als fertiges iPhone auf die Welt. Sie müssen entwickelt, von verschiedenen Seiten betrachtet und in unterschiedlichen Versionen immer wieder getestet werden, bevor sie eine Marktreife erlangen. In dieser Zeit brauchen sie etwas, was im Tierreich den Namen "Welpenschutz" trägt: einen geschützten Raum, in dem sie in Ruhe reifen können.

Das Innovationsmanagement zahlreicher deutscher Unternehmen sieht genau das nicht vor. Statt Ideen kreativ zu entwickeln, werden Excel-Tabellen ausgefüllt - mit etwas, das in Fachkreisen "Voodoo-Business-Plan" genannt wird: den Finger in die Luft halten und raten, welchen Umsatz ein neues Produkt wohl in drei Jahren bringen könnte. Der Realitätsgehalt dieser Businesspläne ist oft ähnlich hoch wie der von Grimms Märchen - ein Grund, warum Google Ideen oft auf den Markt bringt, ohne ein konkretes Businesskonzept zu haben. Google vertraut darauf, dass für Ideen, die sich bewähren, mit Sicherheit ein neues Geschäftsmodell entwickelt werden wird.

Wege aus der Benchmark-Falle
Sitzt Ihr Unternehmen in der Benchmark-Falle?
Machen Sie den Test. Wenn Sie von den folgenden drei Aussagen zwei zustimmen, könnte Ihr Unternehmen tief in der Falle sitzen: <br><br> - Wir schauen auf die Konkurrenz und reagieren auf das, was dort passiert. <br> - Wenn man die Feinheiten beiseite lässt, unterscheiden wir uns kaum von unseren Mitbewerbern. <br> - Unsere Produkte werden häufig wie folgt beschrieben: "So wie das Produkt von …, nur kleiner / größer / billiger / schneller." <br><br> Bild: Fotolia.com, Stephen Coburn
1. Verhängen Sie ein Kopierverbot:
Das Konzept der Glühbirne stammte zwar von einem deutschen Auswanderer, Heinrich Göbel. Doch Edison entwickelte daraus ein Gesamtsystem - von der marktreifen Glühbirne über Leitungen bis hin zu Kraftwerken. Erlaubt ist: Ideen von überall aufsaugen und daraus einzigartige neue Ideen entwickeln. Verboten ist: Ideen mit marginalen Änderungen blind kopieren.<br><br> Bild: Fotolia.com, Charly
2. Etablieren Sie eine strategische Ideenentwicklung:
Manager haben es gelernt, in Prozessen zu denken. In vielen (Groß-)Unternehmen kaschieren heute ausgefeilte Prozesse einen Mangel an Ideen. Und in ihrem Management herrscht vielfach das Credo: Gute Ideen sind Zufall. Dabei bewies Thomas Edison schon Ende des neunzehnten Jahrhunderts, dass man neue (Problemlösungs- und Produkt-)Ideen systematisch entwickeln kann. Das Edison-Prinzip, seine sechs Schritte der Ideenentwicklung, war die Grundlage seiner Ideenfabrik, die er in den USA errichtet hat. <br><br> Bild: Fotolia.com, chrisharvey
3. Fördern Sie Fehler und Risiken:
Lange und gründlich analysieren, einmal probieren und dann aufgeben. So lässt sich, kurz gesagt, die Innovationsstrategie vieler Unternehmen zusammenfassen. Fehler vermeiden um jeden Preis! Dass das nicht funktioniert, war Edison klar. Er erhob den Fehler zum Prinzip: Durch Scheitern zum Erfolg. Er unternahm knapp 9000 Versuche, bis die Glühbirne marktreif war. Und als nach dem tausendsten Versuch ein Mitarbeiter sagte "Wir sind gescheitert", erwiderte Edison: "Ich bin nicht gescheitert. Ich kenne jetzt 1000 Wege, wie man keine Glühbirne baut."<br><br> Bild: Fotolia.com, A. Dean

Innovationsbremse 3: das Bedürfnis nach Kontrolle

Wenn Nike-Designer Tinker Hatfield von der Erfindung des Nike Air erzählt, leuchten seine Augen. Das Centre George Pampidou in Paris habe bei der Turnschuherfindung Pate gestanden, sagt er. Nike räumt seinen Designern eine fast grenzenlose Freiheit ein. Leidenschaft statt Stechuhr, so lässt sich das Erfolgsrezept des Unternehmens auf den Punkt bringen.

Als Nintendo die Spielkonsole Wii entwickelte, forderte das Unternehmen seine Techniker und Designer immer wieder auf, möglichst tollkühn zu denken und Grenzen zu überschreiten. Und der Chip-Hersteller Intel macht fast einen Sport daraus, seine Entwickler die schwersten, beinahe unlösbaren Probleme lösen zu lassen. Es sind nicht nur die ausgefeilten Prozesse, die diese Unternehmen zu Innovationsführern machen, sondern die einzigartige Kultur, die dahinter steht.

In den weltweit innovativsten Unternehmen verwalten Manager nicht, sie gestalten. Sie fordern ihre Mitarbeiter auf, das Unmögliche zu denken und die Grenzen des Bestehenden zu sprengen. Dahinter steht ein tiefes Verständnis von Kreativität. "Fun and Focus" - eine Mischung aus klaren, extrem ehr-geizigen Zielen und einem Prinzip der Spaßmaximierung bei der Arbeit, das ist das Erfolgsrezept der weltweit innovativsten Unternehmen. Ideenfindung als Abenteuer, nicht als durchgeregelter Prozess, bei dem jede Stufe genau einzuhalten ist.

In vielen dieser Unternehmen gibt es Führungsprinzipien, die in deutschen Firmen größtenteils undenkbar sind. Beispielsweise, dass sich Mitarbeiter Aufgaben selbst suchen, sich Teams von Mitstreitern selbst zusammenstellen und Innovationen entwickeln, ohne dass das Topmanagement zu 100 Prozent weiß, was die Mitarbeiter eigentlich treiben.

Die US-Professoren Sam Stern, Alan G. Robinson und Theresa Amabile von der Harvard-Universität sehen die intrinsische Motivation schon lange als einen wesentlichen Treiber von Innovation. Der Ge-danke dahinter ist einfach: Mitarbeiter, die sich ihre Entwicklungsprojekte selbst suchen, sind schneller, ideenreicher und produktiver als Mitarbeiter, die eine Aufgabe delegiert bekommen, für die sie sich möglicherweise gar nicht interessieren. Neue Managementprinzipien könnten deutsche Unternehmen binnen weniger Jahre zu neuen kreativen Höchstleistungen bringen.

Womit verdienen unsere Firmen in zehn Jahren ihr G
Womit verdienen unsere Firmen in zehn Jahren ihr Geld?
"Bewahrer der Tradition" und "Hüter des Geschäftsmodells" haben schlechte Karten. Ein Mittelweg muss gefunden werden, sagt Dr. Georg Kraus. Neun Tipps, wie Sie ihr Unternehmen auf den richtigen Weg bringen können:
Neue Wege:
Scheuen Sie sich als Unternehmensführer nicht, unkonventionelle Wege zu gehen - selbst wenn alle Zahlen, Daten und Fakten Ihrem Vorhaben (scheinbar) widersprechen. Denn Zahlen spiegeln nur die Vergangenheit wider. Ihren Aufgabe als Unternehmensführer ist es aber, neue Richtungen einzuschlagen.
Aufgaben abgeben:
Geben Sie Ihr operatives Geschäfts, selbst wenn es Ihnen Spaß macht, an die nächste Ebene ab! Denn Ihre Kernaufgabe als Unternehmensführer ist es nicht, Ihr Unternehmen zu managen, sondern dessen Entwicklung zu steuern.
Neue Märkte:
Bringen Sie Ihre Mitarbeiter in Situationen, in denen sie erleben, was wirklich in den Märkten "abgeht" - zum Beispiel in den Schwellenländern. Deren Entwicklungsdynamik ist faszinierend und erschreckend zugleich. <br><br>Bild: T. Gründer
Motivation:
Belohnen Sie mutige Mitarbeiter - selbst wenn sich ihre Ideen als nicht tragfähig oder umsetzbar erweisen. Ihre Mitarbeiter inklusive Führungskräfte müssen spüren: Das Suchen nach neuen Lösungen und Wegen ist von unseren Vorgesetzten erwünscht und wird (mit Anerkennung) belohnt.
Kreativität:
Richten Sie in Ihrer Organisation "Kreativ-Inseln" ein, wo sich zum Beispiel Ihre High-Potentials als Unternehmer betätigen können. "Start-ups" generieren oft großartige Ideen und Business-Modelle.
Unternehmer-Budget:
Stampfen Sie Ihr betriebliches Vorschlagswesen ein. Installieren Sie stattdessen ein "Unternehmer-Budget". Stellen Sie Ihren Mitarbeiter ohne große Bürokratie Geld zum Ausfeilen, Austesten und Umsetzen neuer Ideen zur Verfügung.
Fordern:
Pushen Sie Ihr Management permanent, sich über die künftigen Entwicklungen in Ihrem Markt sowie im Unternehmensumfeld Gedanken zu machen! Haken Sie in Meetings nicht nur die Agenda ab, sondern fragen Sie zum Beispiel auch mal: Was bedeutet diese technologische Entwicklung für uns? Wie könnte sie weiter gehen?
Fördern:
Stellen Sie sicher, dass Sie ausreichend Menschen um sich haben, die Trendsetter sind oder über Trendscout-Fähigkeiten verfügen. Regelmäßige Workshops mit diesen Menschen und Ihrem Management helfen Ihnen, Marktentwicklungen und Technologiesprünge zu antizipieren.
"Freie" Mitarbeiter:
Stellen Sie Mitarbeiter ohne klare Funktion ein. Bitten Sie diese Mitarbeiter, sich umzuschauen und nach sechs oder zwölf Monaten mit einer Idee für ein neues Geschäfts- oder Businessmodell zurückzukommen.

Innovationsbremse 4: die Angst, nicht perfekt zu sein

Beim amerikanischen Handy-Hersteller Research in Motion (BlackBerry) gibt es ein einfaches Prinzip: die "9 von 10"-Regel. Neun Mal muss etwas schief gehen, damit es beim zehnten Mal funktioniert. Die Virgin Group hat die simple Philosophie "Pionier sein, nicht dem Pionier folgen." Und der indische Tata-Konzern vergibt jedes Jahr sogar einen Preis für eine gescheiterte Innovation: Beim jährlichen Wettbewerb "Innovista" wird eine Innovation ausgezeichnet, die ernsthaft versucht wurde, dann aber gescheitert ist. Durch solche Regeln, Philosophien und Maßnahmen wollen diese Unternehmen vor allem eines ausdrücken: Scheitern willkommen! Sie haben erkannt, dass es Innovation mit Vollkaskoschutz nicht gibt. Scheitern ist in diesen Unternehmen nichts Negatives.

Anders in Deutschland. Hier ist die Kultur zahlreicher Unternehmen von äußerster Vorsicht geprägt. Im Grundsatz ist das nicht schlecht, hält es doch Hasardeure davon ab, die Firmen ins Unglück zu stürzen. Doch allzu oft ist die Vorsicht übertrieben. Angst als generelle Einstellung wirkt wie eine chemische Keule bei der Unkrautvernichtung: Das schädliche Unkraut ist weg, aber alle nützlichen Pflanzen, Käfer und Schmetterlinge ebenso. Mit den waghalsigen Ideen, die ein Unternehmen an den Rand des Ruins bringen können, werden oft auch die hoffnungsvollen schwachen Ideenkeime getötet.

Die Frage, wie Unternehmen kreativer beziehungsweise innovativer sein können, ist keine schöngeistige Debatte. Denn genau das, was deutsche Firmen erfolgreich macht, wird ihnen im globalen Innovationswettbewerb vielfach zum Verhängnis: der Wunsch, alles perfekt, alles richtig, alles berechenbar zu machen. Ein Fehlschlag wie ihn Google mit Google Wave erlebte, wäre in vielen deutschen Unternehmen ein Desaster. Der Internetkonzern hat 2009 sein Programm als Nachfolger der E-Mail präsentiert und in einer Beta-Version auf den Markt gebracht. Ein Flop. 2010 stellte das Unternehmen Google Wave wieder ein.

Eine Katastrophe? Mitnichten! Auf Google Wave angesprochen, reagierte CEO Eric Schmidt auf der Techonomy-Konferenz im kalifornischen Lake Tahoe schulterzuckend: "Wir probieren Dinge aus und wir feiern unser Scheitern. In unserem Unternehmen ist es absolut in Ord-nung, etwas besonders schwieriges zu versuchen, damit keinen Erfolg zu haben und daraus zu lernen." Es ist Teil der Google-Philosophie, Dinge auszuprobieren, Grenzen regelmäßig zu überschreiten und auch einmal in rechtliche Grauzonen vorzustoßen. Google Street View wäre an der Rechtsabteilung fast aller deutschen Unternehmen gescheitert.

Totgeborene Social Media
Google Wave
Googles ambitioniertes Real-Time-Collaboration- und Kommunikations-Protokoll hielt kein Jahr durch, bis es wegen "öffentlicher Gleichgültigkeit" schon wieder vom Markt genommen wurden. Google begründete die fehlende Akzeptanz im Markt damit, dass Wave seiner Zeit voraus sei. Zugegeben: Das Logo war schon cool.
Cuil
Die Suchmaschine, die im Sommer 2008 mit großem Tamtam startete und einen Gegenpol zu Google bilden sollte, verschwand zwei Jahre später heimlich, still und leise durch die Hintertür. Einige ehemalige Google-Entwickler hatten Cuil aus der Taufe gehoben und rühmten ihre guten Suchergebnisse. Wochenlang lieferte sich die Blogosphäre Schlachten um die Relevanz und Irrelevanz von Cuil-Suchergebnissen. Genützt hat die Aufregung schlussendlich nichts - nicht einmal die Möglichkeit, dass sich Cuil-Nutzer über die Suchmaschine direkt beim derzeit übermächtigen Facebook einloggen konnten.
Palm Pre
Auch wenn HP jüngst das Palm Pre 2 auf den Markt geworfen hat, heißt das nicht, dass das Original noch lebt. Das Smartphone erreichte nie überzeugende Verkaufszahlen und kann nur hoffen, mit dem fürs erste Palm neu eingeführten mobilen Betriebssystem WebOS in Zukunft auf einige tollen HP-Tablets zumindest teilweise weiterzuleben.
MySpace
Der einstige Social-Media-Gigant ist nur noch ein Schatten seiner selbst. In den vergangenen zwölf Monaten wurde aus MySpace eher MyGeisterstadt. Die von Medienmogul Rupert Murdoch geführte News Corp. teilte mit, den Kampf gegen Facebook aufgegeben zu haben. Man wolle sich in Zukunft mit einem neuen Web-Angebot auf den Bereich "Social Entertainment" verlegen. Dazu gehörten Musik, Filme, Promis und Games.

Die Konkurrenz hat mehr Ideen

Die Konkurrenz im weltweiten Ideenwettbewerb kommt nicht nur aus den USA. Indien und vor allem China, lange Zeit nur als billige Produktionsstandorte und Kopierer im Visier, machen deutschen Unternehmen ebenfalls Konkurrenz. Unter den 50 weltweit innovativsten Unternehmen waren 2010 erstmals vier chinesische Unternehmen, daneben elf Unternehmen aus anderen asiatischen Staaten. Zum Vergleich: Deutsche Unternehmen stehen nur drei auf dieser Liste. Deutschland kann offenbar alles exportieren - außer Ideen. (oe)

Kontakt:

Der Autor Jens-Uwe Meyer ist Geschäftsführer der Ideeologen - Gesellschaft für neue Ideen GmbH (www.ideeologen.de), Deutschlands erster Beratungsfirma für unternehmerische Kreativität, und Autor des Buchs "Das Edison-Prinzip: Der genial einfach Weg zu erfolgreichen Ideen" (Campus-Verlag, 2008). Tel.: 0700/4333-6783; E-Mail: meyer@ideeologen.de; Internet: www.ideeologen.de