Karriere als Linux-Spezialist: Von wegen Bastelecke für Hacker

17.10.2003 von Winfried Gertz
Immer mehr Unternehmen und öffentliche Institutionen geben grünes Licht für quelloffene Systeme. Computerfreaks, Seiteneinsteigern und Hochschulabsolventen eröffnet sich damit ein viel versprechender Arbeitsmarkt.

Die Nachfrage nach qualifizierten Dienstleistungen rund um Linux hat spürbar angezogen. Einer neueren Gartner-Studie zufolge wollen IT-Manager den Bestand der unter Linux laufenden Web- und Datenbank-Server um ein Fünftel erhöhen. Nach der Entscheidung des Münchener Stadtrats, dem Windows-Konkurrenzsystem Linux den Vorzug zu geben, wollen andere Behörden in Deutschland ebenfalls die Initiative ergreifen. Bis zu 30 Prozent der Städte und Gemeinden, so die Unternehmensberater von Unilog, werden den Münchnern folgen. Die Marktforscher von Soreon Research gehen davon aus, dass der Umsatz für Software, Services und Schulungen rund um Linux von derzeit rund 100 auf 307 Millionen Euro in 2007 steigen wird.

Beflügelt wird die Fantasie der IT-Leiter von einem unschlagbaren Profil, das sich Open Source wacker erarbeitet hat: Bei der Konsolidierung von IT-Strukturen hilft quelloffene Software nicht nur Kosten zu senken, sondern auch die Sicherheit zu erhöhen. Dass sich Anwender zugleich von der Abhängigkeit von übermächtigen Lieferanten befreien können, setzt Open Source freilich die Krone auf.

Rainer Duffner

Young Professionals eröffnet sich damit ein breites Tätigkeitsfeld, von dem viele profitieren: Gesucht sind klassische Informatiker wie Rainer Duffner, der vor zwei Jahren sein Examen an der Fachhochschule Konstanz ablegte, während des Studiums ein Labor mit 40 Rechnern administrierte und sich zum Microsoft Certified Systems Engineer (MCSE) qualifiziert hat.

Eine Zertifizierung kann Türen öffnen

Gute Chancen bieten sich aber auch Seiteneinsteigern und Studienabbrechern wie Marcel Henselin und Andreas Sartori, die schon als Kinder verrückt auf Bits und Bytes waren und deren Wissensdurst einfach nicht zu stillen ist. "In Eigenregie habe ich mir so viel Wissen angeeignet", erinnert sich Henselin, 28, ausgebildeter Kfz-Mechaniker, "dass mich die Bundeswehr sogar in die IT-Ausbildung übernahm." Als Angestellter eines Kasseler Beratungsunternehmens gibt der vom Linux Professional Institute (LPI) zertifizierte Spezialist inzwischen sein Wissen als Trainer weiter und berät Firmen bei der Administration ihrer Linux-Systeme.

Anders als Henselin entschied sich Sartori, 25, zunächst für ein Informatikstudium an der Universität Salzburg, das er vorzeitig abbrach, "weil mein Vater starb und ich Geld verdienen musste". Seinem IT-Faible blieb er aber treu. Zunächst arbeitete er im Rechenzentrum der Uni, um schließlich an der Fachhochschule Unix-Systeme und Anwendungen zu steuern. Seit wenigen Wochen hat Sartori die Zertifizierung zum Red Hat Certified Engineer (RHCE) in der Tasche, einen weltweit anerkannten Weiterbildungsnachweis, der ihm zweifellos berufliche Türen öffnen wird.

Quelle: IBM

Während sein Arbeitgeber die Kosten übernahm, musste beispielsweise Stefan Hösl, 27, für die stolze Summe von rund 8500 Euro für Vorbereitungskurse und Prüfung selbst aufkommen. "Ohne Zertifizierung", sagt der staatlich geprüfte Maschinenbautechniker und Angestellte einer niederbayerischen Heiztechnikfirma, "kommt man doch heute nirgendwo mehr unter." Hösl betreut seit Jahren ein CAD-Netzwerk und hat sich autodidaktisch zum Unix-Kenner weitergebildet. In Besitz des RHCE-Zertifikats kann er seiner beruflichen Karriere gelassen entgegen sehen.

Ebenso wie das RHCE- bescheinigen auch das LPI-Zertifikat sowie das erst vor wenigen Wochen angelaufene Qualifizierungsprogramm zum "United Linux Certified Professional" (ULCP) und "United Linux Certified Expert" (ULCE) ihren Besitzern Linux-Kompetenz. Doch die Unterschiede sind gewaltig. Während der RHCE sehr viel Geld kostet, sind für die LPI- und ULCP/ULCE-Prüfungen nur 125 Euro auf den Tisch zu blättern.

Auch im didaktischen Konzept klafft eine große Lücke zwischen den Angeboten. Wer sich zum LPI- oder ULCP/ULCE-Examen anmeldet, muss einen rund einstündigen Online-Test, der neben Englisch und Japanisch bald auch auf Deutsch angeboten wird, im Multiple-Choice-Verfahren meistern. Während die LPI-Durchfallquote nach Angaben von Peter Albrecht, Suse-Projektleiter in München und Mitinitiator der neu aufgelegten ULCP/ULCE-Zertifizierung, bei etwa 50 Prozent liegt, sind sogar 65 Prozent der Teilnehmer mit der RHCE-Prüfung überfordert, wie Red-Hat-Schulungsleiter Jens Ziemann erläutert.

Schwere Prüfungen

Dass viele Kandidaten scheitern, begründet Ziemann nicht allein mit dem hohen Anforderungsniveau. So meldeten sich immer weniger "Cracks" und Unix-Kenner an, dafür "wegen des Hypes" viele Windows-Administratoren. Vor allem sie streichen die Segel. Ziemann beobachtet, dass die Lizenzpolitik von Microsoft von vielen Unternehmen nicht mehr akzeptiert wird. Eine Entwicklung, die auch Brigitte Krcmar, Marketing-Leiterin von Unilog Integrata Training in Tübingen, bestätigt. Während früher Linux "meist auf Kosten von Unix" eingeführt worden sei, gebe es zunehmend Projekte, "bei denen eine Umstellung von Windows auf Linux nachgefragt wird".

Die Anforderungen der mehrteiligen RHCE-Prüfung sind hoch. In einer "Debug Session" müssen die Kandidaten eine Maschine auf eingebaute Fehler untersuchen und reparieren, ferner ihr Wissen in einem Multiple-Choice-Test unter Beweis stellen. Praktische Probleme des Berufsalltags stehen im Mittelpunkt, unter Zeitdruck muss der Prüfling eine überzeugende Lösung entwickeln. Beim LPI hingegen ist derjenige im Vorteil, der sich Wissen angeeignet hat, ohne unbedingt viel von der Praxis verstehen zu müssen.

Lernen nach Dienstschluss

Trotz zahlreich angebotener Vorbereitungskurse, erklärt Barbara Bücking, stellvertretende Leiterin des Trainingsbereichs von Suse, bereite sich die überwiegende Mehrheit der Teilnehmer autodidaktisch vor. Im Unterschied zur LPI-Zertifizierung, die laut LPI-Sprecher Torsten Scheck "herstellerunabhängig und technologieorientiert" ist, wird in der Prüfung zum RHCE beurteilt, ob der Kandidat nicht nur die Produkte von Red Hat kennt, sondern auch ihren Einsatz in der konkreten Anwendungssituation beherrscht. "Die Prüfung zum RHCE", räumt Informatiker Duffner ein, "gilt selbst unter erfahrenen IT-Experten als echte Herausforderung."

Während die RHCE-Kurse nur an wenigen Standorten angeboten werden, etwa in der deutschen Niederlassung von Red Hat in Stuttgart oder bei Schulungspartnern in München oder Hamburg, finden sich LPI-Testcenter in jeder größeren Stadt. Weltweit 7200 Prüfungszentren lassen sich schnell im Internet unter http://www.prometric.com oder http://www.vue.com ermitteln.

Axel Stadtelmeyer: "Der Bedarf an Linux-spezialisten wird stark von Unix-Experten gedeckt."

Wer es ganz preiswert haben möchte, hält es wie Torgen Förtsch, Mitarbeiter des Göttinger SuseBusiness-Partners Service Network GmbH. Er legte die LPI-Prüfungen (Level 1 und 2) während der CeBIT 2003 für nur 20 Euro ab. Wer Level 1 bestehe, verfügt laut LPI-Mann Scheck über die Kenntnisse eines Linux-Systemverwalters mit "etwa einem Jahr Berufserfahrung". Level 2 setzt längere Erfahrungen voraus. Hier dreht sich alles um Netzwerk-Anwendungen und Mehrbenutzer-Umgebungen. Unmittelbar vor Einführung befindet sich nach Angaben von Scheck auch die Zertifizierung Level 3, die sich an Linux-Spezialisten aus Datenbankadministration, Softwareentwicklung oder Embedded Technologies wendet.

Weiterbildung nimmt also einen hohen Stellenwert bei den jungen Linux-Spezialisten ein. Sartori beispielsweise lässt sich außer zum RHCE nun auch zum Solaris-Experten zertifizieren und will zudem berufsbegleitend Telekommunikationstechnik studieren. Wie wichtig eine ausgeprägte Weiterbildungsbereitschaft für den IT-Praktiker ist, beschreibt Mathias Kabiersch, 40, von der HSH Nordbank in Hamburg recht eindrucksvoll. "In unserem Beruf", sagt der Informatiker und RHCE, "kann man ohnehin nur mit ständiger Weiterbildung Schritt halten."

Kabiersch hat Leute kennen gelernt, die Aufgaben "quick and dirty" lösten und deshalb Cracks oder Hacker genannt wurden. Einerseits sei das nichts, was einen Kunden "wirklich dauerhaft" zufrieden stellen könne, argumentiert der erfahrene Praktiker. Von Nachhaltigkeit fehle jede Spur. Andererseits sei die Bereitschaft, jederzeit lernen zu wollen und sein Wissen mit anderen zu teilen, "gerade das zentrale Erkennungszeichen der Open Source Community".

Plus für Migrationsprofis

Gut beraten ist also, wer stets auf dem Laufenden bleibt. "Händeringend", so Christian Egle, Sprecher von Suse in Nürnberg, würden Leute gesucht, die anspruchsvolle Migrations- und Verwaltungsaufgaben meistern können. Insbesondere bei den Dienstleistern tummeln sich viele Quereinsteiger, die sich rechtzeitig als zertifizierte Experten ausgewiesen haben. Prädestiniert für eine Linux-Karriere scheinen jedoch Informatiker zu sein. Als Studenten, argumentiert Egle, profitierten sie von einem universitären Umfeld, das traditionell "Unix-minded" ist, während immer mehr Hochschulen Open-Source-Projekte in die Curricula integrieren. Als Linux-Hochburgen gelten die Unis in Erlangen/Nürnberg, Darmstadt, Kaiserslautern und Chemnitz.

Der gewiss steigende Bedarf an Linux-Spezialisten dürfte laut Axel Stadtelmeyer, Geschäftsführer der Münchner Tria IT-Training GmbH, "primär von den bereits qualifizierten Unix-Leuten bedient werden". Tria ist Trainingspartner von Suse und hat 2002 rund 400 Personen in Sachen Linux weitergebildet. Wie es scheint, hat Young Professional Duffner mit seiner Entscheidung, den Job beim Suse Premier Business Partner Negeco anzutreten, ein Ticket für eine spannende Karriere gelöst. Als IT-Berater mit Schwerpunkt Linux ist er gerade dabei, eine Behörde beim Umstieg von Windows NT auf Linux tatkräftig zu unterstützen. Einseitig Partei zu ergreifen oder dem in der Open-Source-Szene verbreiteten Klischee "David gegen Goliath" das Wort zu reden ist dem jungen Informatiker allerdings fremd: "Nach meinen Erfahrungen ist die Mischung aus Windows im Frontend und Linux im Backend unschlagbar."

Buchtipps

Jeffrey Dean: LPI Linux Certification in a Nutshell. 44,- Euro, O'Reilly Associates ISBN 1-56592-748-6.

Michael Kofler: Linux. 49,95 Euro, Addison-Wesley ISBN 3-8273-1854-8.

Jochen Hein: Linux-Systemadministration. 49,95 Euro, Addison-Wesley ISBN: 3827319927.