Siemens Enterprise Communications

"Jetzt schalten wir auf Angriff um"

14.09.2011 von Jürgen Hill und Heinrich Vaske
Nach der mehrheitlichen Übernahme durch den US-Investor Gores Group war es lange ruhig um die Siemens Enterprise Communications GmbH & Co. KG. Das soll sich jetzt ändern, kündigt Geschäftsführer Stefan Herrlich an.

CW: Wie viel Siemens steckt nach der Mehrheitsbeteiligung durch die Gores Group noch in Ihrem Unternehmen?

Stefan Herrlich, Geschäftsführer von Siemens Enterprise Communications in Deutschland

HERRLICH: Siemens Enterprise Communications hat eine 160-jährige Geschichte in der Geschäftskommunikation unter dem Dach der Siemens AG. In dem Joint Venture arbeiten wir seit dem 1. Oktober 2008. 51 Prozent der Anteile hält die Gores Group und 49 Prozent die Siemens AG. Nach den Anteilen sind wir also ein amerikanisches Unternehmen, die Gores Group steuert unser operatives Geschäft mit. Gores hat damals unter anderem die auf Netzinfrastruktur spezialisierte Enterasys als weitere Beteiligung in das Joint Venture eingebracht.

CW: Sehen Sie sich als deutschen Anbieter?

HERRLICH: Unser Hauptsitz ist, wie gehabt, in München. Darüber hinaus haben wir aber fast überall auf der Welt Standorte. Ein großer Teil unserer Produktentwicklung und des Managements sitzt in Boca Raton sowie in Reston, USA. Bestimmte Arbeiten werden in Deutschland erledigt, aber auch in Brasilien, Osteuropa sowie in der Türkei oder Griechenland. In den USA sind vor allem Openscape und Voice-Server sowie die IP-Switch-Entwicklung angesiedelt. In München haben wir die Entwicklung für die Legacy-Produkte und befassen uns dar-über hinaus mit der Anwendungsentwicklung zu Themen wie Unified Communications (UC) oder Messaging.

CW: Im Endgerätemarkt ist Ihr Unternehmen kaum sichtbar. Müssen Sie sich hier nicht anders aufstellen?

HERRLICH: Eigentlich nicht. Wir kommen ja aus einer Vergangenheit, in der die Telefonie ein hochgradig proprietäres Geschäft war. Flapsig formuliert, haben wir es im Vergleich zu andern IT-Anbietern 15 Jahre länger geschafft, dieses proprietäre Geschäft am Leben zu halten - bis die Umwälzungen mit dem Internet Protocol (IP) kamen. Heute setzen wir für alles strikt auf offene Standards und Green IT. Wer sonst in der Branche kann das von sich behaupten? Endgeräte waren immer schon ein wesentlicher Bestandteil des Geschäfts.

Wir haben Unified Communications erfunden

CW: Sie wollen neue Telefone als Unified-Communications-Geräte herausbringen.Hier positionieren sich Cisco mit dem "Cius" und Avaya mit dem "Flare" schon seit anderthalb Jahren als Innovatoren im Markt.

HERRLICH: Natürlich wollen wir auch als Innovator wahrgenommen werden. Nehmen Sie nur das Thema Unified Communications. Wer hat es erfunden? Wir haben es erfunden!

CW: Das wussten Sie aber gut zu verbergen.

HERRLICH: Da sprechen Sie vielleicht einen wunden Punkt in unserer Wahrnehmung an. Sind wir in unserer Selbstdarstellung zu konservativ? Ich denke, im Gegensatz zu anderen Playern würden wir uns nie trauen, mit einem Mockup oder einem Designentwurf irgendwo hinzugehen. Wir haben uns immer an die Regel gehalten, nur über Produkte zu sprechen, die spätestens drei Monate später auch verfügbar sind.

CW: Und Ihre Konkurrenten bauen sich in der Zwischenzeit ein Image als visionäre Gestalter neuer Kommunikationsplattformen auf.

HERRLICH: Dieser Wahrnehmung widerspreche ich. Das Endgerät ist ja nur ein Aspekt. Viel entscheidender ist die offene Architektur im Hintergrund. Wir sind mit der Idee einer wirklich einfach zu bedienenden UC-Umgebung sehr weit fortgeschritten. Bei unserer Lösung brauchen die User kein dickes Handbuch, sondern leiten etwa eine Videokonferenz rein intuitiv ein. Als einer der ersten Anbieter bringen wir eine softwarebasierende Video-bridge auf den Markt, mit der Sie das Equipment verschiedener Hersteller zusammenschalten können.

CW: Dann verstehen wir Ihre Kommunikationspolitik noch weniger. Die Interoperabilität von Videosystemen war eines der Themen in den letzten Monaten.

HERRLICH: Wir arbeiten an unseren Auftritten und optimieren unser Marketing ständig. So starten wir mit zwei mobilen Customer-Information-Centern, um den Anwendern direkt vor Ort unsere Lösungen vorführen zu können. Ich denke, wir können so mit einem gewissen Whow-Effekt zeigen, was unsere Lösungen leisten.

CW: Seit 2008 gehören Sie zu Gores. Sind drei Jahre nicht etwas lang für eine Selbstfindungsphase?

HERRLICH: Wir sind aus der Siemens AG herausgelöst worden und bekamen einen neuen Shareholder. Unsere Intention war erst einmal, das seit zehn Jahren rückläufige Geschäft zu stabilisieren und die Profitabilität zu verbessern.

CW: Und wo stehen Sie nun?

HERRLICH: Wir schreiben wieder schwarze Zahlen, und der Cashflow ist positiv. Im letzten Jahr haben wir die nächste Phase in der Unternehmensentwicklung eingeleitet. Ganz bewusst haben unsere Shareholder gesagt, jetzt führen wir das Unternehmen wieder auf Wachstumskurs und schalten auf Angriff um. Dementsprechend kümmern wir uns nun stärker um die Portfolioarbeit und die vertriebliche Aufstellung.

CW: Apropos Portfolio: Sind Sie ein Technologieanbieter oder ein Integrator?

HERRLICH: Auf der einen Seite wollen wir als global agierendes Technologieunternehmen gesehen werden, das Produkte und Lösungen im Bereich Voice-Switching, Unified Communications, Call-Center und Mobilität anbietet. Auf der anderen Seite hatten wir immer schon ein starkes Servicegeschäft. Traditionell ging es im Hardwarebereich um Installation und Wartung. Jetzt positionieren wir die Firma im Grunde als einen Systemintegrator mit einem starken eigenen Technologieportfolio.

Unified Communications muss einfach sein

CW: Sie sagten, Ihr Haus habe Unified Communications erfunden. Zieht das Thema überhaupt noch? Der IT-Unternehmer Winfried Materna sagte uns neulich: "Unified Communications spielt für uns keine entscheidende Rolle mehr. Die angebotenen Lösungen sind viel zu komplex, dafür sind die Kunden nicht bereit zu bezahlen. Es gibt viele gute Teillösungen für kleines Geld im Markt, damit begnügen sich die Anwender. Das Geschäft ist uns zu mühselig."

HERRLICH: Das Statement enthält viel Wahrheit. Wenn wir das Thema so komplex machen, dass kein Endbenutzer durchsteigt, wird es nicht ins Fliegen kommen. Ich denke aber, wir haben mit unserer jüngsten Generation einen Weg gefunden. Dabei meine ich nicht unser Endgerät alleine, denn unsere Lösung läuft auch auf iPhone und Android. Unified Communications muss für den Anwender einfach und intuitiv zugänglich sein, ähnlich unkompliziert wie ein Telefonat.

Es ist unbestritten, dass sich mit Unified Communications Kosten senken lassen. So spart die Bundesagentur für Arbeit, das sind 165.000 Ports, durch die Migration in diesem Bereich geschätzte 90 Prozent der Energieaufwendungen. Hierzu lösen wir 1600 TK-Anlagen durch eine Software ab, die im Rechenzentrum läuft. Von dort verteilen wir Openscape Voice auf 1900 Standorte.

CW: 2010 trug Unified Communications 32 Prozent zu Ihrem Umsatz bei. Welche Produktwelten meinen Sie konkret?

HERRLICH: In der Vergangenheit drehte sich unser Kerngeschäft um Voice, Call- Center sowie Mobilitätslösungen. Das Thema Unified Communications ist, wenn ich es auf eine Applikation wie Openscape UC herunterbreche, nur ein kleiner Teil davon. Wir decken den gesamten Bereich der Kommunikation, Collaboration und Integration in Geschäftsprozesse ab.

Am schnellsten wächst in diesem Bereich das Servicegeschäft. Dazu haben wir in den letzten Jahren sehr stark in Cloud-Angebote investiert. Mittlerweile haben wir die ersten unserer Services offiziell aus der Cloud freigegeben. Hierzu haben wir zwei Rechenzentren in den USA und Deutschland gebaut. Aus diesen heraus offerieren wir Enterprise-Telefonie, Unified Communications und in Kürze Call-Center-Funktionen als gehosteten Service.

CW: Aus der Public Cloud?

HERRLICH: Ja, das bieten wir aus der Public Cloud. Diese Services vermarkten wir ausschließlich über den Channel. Das ist eine relativ neue Entwicklung. Wir betreiben die Technik, während unsere Partner die Services vermarkten.