Analyse

IT-Riesen drängen in die Cloud

26.01.2010 von Ariane Rüdiger
Während unter Anwendern noch Skepsis herrscht, stellen sich Hersteller und Standardisierungsgremien schon heute auf eine Welt ein, in der IT-Dienstleistungen statt klassischer Produkte das Bild bestimmen.

Die Marktforscher von Gartner erklärten Cloud Computing zu einem der wichtigsten IT-Trends für das Jahr 2010. Inzwischen stürzen sich alle großen IT-Hersteller und -Dienstleister auf den potenziellen Umsatzträger und arbeiten an ihrer Positionierung. Das spektakulärste Beispiel aus jüngster Zeit liefert die Allianz aus EMC, Cisco und der EMC-Tochter VMware. Im Rahmen der Virtual Computing Environment (VCE) Coalition wollen die Unternehmen gemeinsam neue Produkte und Produktpakete entwickeln, die Kunden dabei helfen, eine Private-Cloud-Infrastruktur aufzubauen. Zudem gründeten die Kooperationspartner das Joint Venture Acadia, das Kunden und Partnerunternehmen dabei unterstützen soll, die neuen Pakete zu installieren und zu betreiben.

Die IT-Schwergewichte EMC und Cisco befinden sich in der misslichen Lage, dass ihnen jeweils ein großes Stück zu einem kompletten Portfolio fehlt: Cisco besitzt keine Storage-Produkte, EMC keine Netzwerkprodukte und Server. Beide Unternehmen offerieren keinen eigenen Hypervisor für die Virtualisierung. Auch vor diesem Hintergrund erklärt sich der Zusammenschluss. Andererseits pochen alle drei Partner auf ihre Freiheit. Jürgen Kühlewein, Chef von VMwares Partnerorganisation für die Central Region, sagt über die hauseigene Plattform für Public Clouds, vCloud: "Das Produkt ist unabhängig von dieser Vereinbarung." vCloud werde zwar von der Koalition unterstützt, aber VMware betätige sich dennoch als eigenständiger Partner für Cloud-Provider. Seit Mitte des Jahres gibt es denn auch das VMware Service Provider Program (VSPP), mit dem Cloud-Provider für VMwares Angebot gewonnen werden sollen. Der Allianzpartner Cisco wiederum kann sich durchaus ähnliche Verbindungen wie VCE auch mit anderen Storage-Partnern vorstellen.

Erste Produkte der Gruppe sind die sogenannten vBlocks, die jeweils Netzwerk, Server, Storage und Virtualisierung umfassen und in drei Größen auf den Markt kommen. Dabei wir die Stoßrichtung des Trios deutlich: Es geht um den Versuch, anderen monolithischen Architekturen wie beispielsweise den Matrix-Systemen von HP Paroli zu bieten.

HP: Von der Cloud-in-the-Box zum Service

Hewlett-Packard kam bereits vor einigen Jahren mit einem On-Demand-Ansatz auf den Markt und verfolgt das Thema nun unter dem Slogan "Everything-as-a-service" weiter. Dahinter steht das Paradigma, dass IT-Ressourcen bereits in absehbarer Zeit nur noch als Dienstleistung angeboten werden. Inzwischen hat der Anbieter ein ganzes Portfolio von Lösungen im Programm, bei denen Applikationen im Rahmen des "Utility Sourcing" auf Abruf genutzt werden können. Anwender haben mit der Infrastrukturpflege nichts mehr zu tun. Außerdem brachte HP mit Matrix eine Hardwareeinheit auf den Markt, die als voll virtualisierte Basis für unternehmensinternes Cloud Computing gelten kann.

Fujitsu: Spät ist besser als nie

In einer ähnlich schwierigen Lage wie Cisco und EMC befindet sich Fujitsu. Hier fehlt zum Komplettportfolio vor allem die Netzwerkkomponente und man darf gespannt sein, ob in diesem Segment bald ein Zukauf ansteht. Aus dem Markt für Cloud-basierende Applikationsdienste wollte sich das japanische Unternehmen, in dem die einstige Fujitsu-Siemens aufgegangen ist, bis vor kurzem tunlichst fernhalten. Ende 2009 allerdings verkündete Kai Flore, Geschäftsführer für die Region EMEIA (Europa, Middle East, Indien, Afrika), die Kehrtwende: Man werde in ausgewählten Bereichen, wo entsprechende Akquisitionen getätigt wurden, auch ins Geschäft mit Applikationsdiensten einsteigen, etwa im Bereich SAP BI-Services und im Gesundheitssektor. Ansonsten bleibt es dabei, IT-Infrastruktur für Endkunden und Serviceprovider in Form von Dienstleistungen je nach Nachfrage bereitzustellen (siehe auch: Fujitsu mutiert zum Cloud-Provider).

IBM füllt Matrixfelder

Sehr frühzeitig hat IBM das Servicethema erkannt, sich entsprechend ausgerichtet und damit auch das Feld des reinen IT-Anbieters längst verlassen. Immerhin die Hälfte des Umsatzes erzielt der Konzern mit Dienstleistungen, viel davon mit Infrastruktur-Outsourcing oder anderen Aufgaben aus dem IT-Bereich. Hinzu kommen IT-Consulting- und klassische Unternehmensberatungsdienste.

Cloud Computing Ratgeber
Cloud Computing in der Praxis
Nur wenige deutsche IT-Verantwortliche wollen derzeit Cloud-Services nutzen. Grund dafür sind oft Sicherheitsbedenken.
Security Konzepte in der Cloud
Auch in der Cloud beginnt ein Sicherheitskonzept mit einer gründlichen Gefahren- und Anforderungsanalyse.
Daten und Anwendungen in der Cloud
Daten und Anwendungen müssen im Rechenzentrum des Cloud-Providers sauber voneinander getrennt sein.
Datensicherheit im Zeitalter der Cloud
Cloud-Nutzer wissen in der Regel nicht, auf welchen Systemen, in welchem Rechenzentrum und in welchem Land der Provider ihre Daten speichert.
Cloud Computing Netzinfrastruktur
Das Rückgrat jeder Cloud bilden stabile, breitbandige Netze. Wie auch immer die Netzverbindung konkret realisiert wird, sie sollte genau wie beim normalen Outsourcing doppelt ausgelegt sein und über zwei voneinander getrennte physikalische Verbindungen laufen. Fällt dann eine der beiden Leitungen aus, kann die andere nahtlos den Dienst der anderen übernehmen.
Monitoring Systeme
Monitoring- und Frühwarnsysteme sorgen für mehr Sicherheit in der Cloud-Infrastruktur. Sie spüren beispielsweise auf der Basis von Data-Mining-Verfahren Schwachstellen auf, bevor diese sich gefährlich auswirken.
Sicherheit planen
Security beginnt in den Köpfen. Regelmäßige Workshops und Schulungen können die generelle Wachsamkeit im Umgang mit IT-Lösungen in der Cloud steigern.

Die Stärke im Service ist eine gute Grundlage für den Einstieg ins Cloud-Geschäft, das der Anbieter auf mehreren Ebenen angeht und als Bestandteil seiner Dynamic-Infrastructure-Strategie begreift. IBM gliedert seine Cloud-Produkte in die Bereiche Infrastruktur (Geräte mit Software), Services und Public. Mit letzterem sind Komplettangebote gemeint, wie sie Salesforce offeriert. Als weitere Kategorie definieren die Marketiers spezifische Arbeitslasten, beispielsweise Analyse, Collaboration, Entwicklung/Test, Desktops, Infrastruktur und Business-Systeme. Insgesamt ergibt sich daraus eine Matrix mit 21 Feldern, von denen 14 mit bereits verfügbaren Produkten gefüllt sind. Ein Beispiel für ein solches Angebot ist die für Entwicklung/Test und den Infrastruktur-Bereich gedachte Appliance CloudBurst. Die Lösung für den Public-Bereich und das Thema Collaboration heißt Lotus Live.

Microsoft baut eigene Clouds

Auch Hersteller ohne Hardwareprodukte können in der Cloud-Welt punkten. Die wohl umfassendste Strategie hierzu verfolgt Microsoft. Der Softwareriese brachte im vergangenen Jahr seine eigene Cloud-Basis Azure auf den Markt. Diese soll als Betriebssystem ausschließlich dazu dienen, dass Microsoft selbst über damit betriebene Umgebungen Cloud-Dienste anbieten kann. Vorrangig sollen Azure-basierende Services zunächst Entwicklern angeboten werden. Microsoft tritt damit in Konkurrenz zu Amazon EC2. Allerdings kann sich der Anbieter auch vorstellen, anderen Anwendern auf Azure basierende Dienste zu offerieren. SQL-Services auf Azure zum Beispiel sind auch für kommerzielle Anwender außerhalb des Entwicklungsbereichs interessant. Auslizenzieren möchte Microsoft Azure aber vorläufig nicht.

Kunden, die Private Clouds betreiben, verweist die Windows-Company auf andere Produkte: Hyper-V für die Server-Virtualisierung, AppV für die Anwendungsvirtualisierung und VDI (Virtual Desktop Infrastructure) oder Microsoft Enterprise Desktop Virtualization für die Virtualisierung von Client-Systemen. Beim Aufbau entsprechender Umgebungen hilft das "Dynamic Datacenter Toolkit for Enterprises." Dieses System ermöglicht die Kommunikation über eine Web-Schnittstelle. Anwender können dabei auch auf Selbstbedienungsfunktionen zurückgreifen.

Citrix kauft Hardware

Citrix baut in diesem Szenario auf seine lange Erfahrung bei der Anwendungs-Virtualisierung. Daniel Liebisch, zuständig für die Geschäftsentwicklung in Zentraleuropa, hält Cloud zwar für geschäftsträchtig, aber noch recht "nebulös". Vor der Konkurrenz ist ihm nicht bange. "Immerhin läuft die Amazon-Cloud auf Xen-Server", meint er selbstbewusst. Um interne oder externe Clouds besser unterstützen zu können, hat sich das Unternehmen mittlerweile auf der Hardwareseite verstärkt und bündelt seine Xen-Lösungen (Server, Desktop, Application) mit Appliances für die Beschleunigung der komplexen Prozesse. Hierbei handelt es sich um die Netscaler-Systeme, die als Cache und Loadbalancer fungieren, Repeater und WAN-Beschleuniger von Orbital Data und um Access-Gateways, die beispielsweise die Verschlüsselung übernehmen. Ob die Anwender diese Produkte verwenden, bleibt ihnen überlassen, die Lizenz wird jedenfalls mit der Software mitgeliefert - die Hardware muss extra erworben werden.

Parallels setzt auf Provider

Ein gern unterschätzter Anbieter ist Parallels. Das Unternehmen ist noch in privaten Händen und kleiner als Citrix oder VMware, hat aber Spätstartern wie etwa Red Hat, wo man ebenfalls an einem Cloud-Produkt bastelt, einiges an Erfahrung voraus. Besonders im Markt der Serviceprovider für kleine Kunden, die gleichartige oder ähnliche Services massenweise kaufen, ist die Software von Parallels wegen ihres strikt modularen Aufbaus und der integrierten Billing-Plattform sehr verbreitet. "Unser Marktanteil bei den großen Hostern von Cloud-Systemen liegt bei über 50 Prozent", behauptet Stefan Hölzl, Geschäftsführer EMEA.

TK-Provider stellen sich neu auf

Klassische Serviceprovider, unter ihnen viele TK-Spezialisten wie T-Systems oder BT, gehören zu den Gewinnern im neuen Cloud-Universum. Jedoch müssen sie sich gegen weitaus mehr Konkurrenz wehren als ehedem in der Telefonwelt. Für die TK-Riesen spricht, dass sie große Ressourcen, eine breite und gut trainierte Personalbasis und jede Menge Kundenkontakte mitbringen, die sich auch auf dem Cloud-Markt gewinnbringend einsetzen lassen.

Standards für die Cloud

Wie wichtig das Thema Cloud Computing ist, lässt sich auch an den Aktivitäten der Standardisierungsgremien ablesen. So titelte die Online-Zeitschrift der Organisation IEEE Spectrum jüngst lapidar: The Cloud ist the Computer". Die Organisation stellt gleich eine ganze "Services University" für die kostenlose Weiterbildung ins Netz. Dort geht es neben Cloud Computing um Themen wie Web Services und SOA.

Inzwischen arbeitet nicht mehr nur die DMTF (Desktop Management Task Force) an Standards. Ihr Open Virtual Format für die in der Cloud-Welt transportfähige Verpackung von Applikationen ist inzwischen fertig. Neue IEEE-Normen behandeln die Frage, wie virtuelle Maschinen ohne Verlust ihrer Verbindungsinformationen verschoben werden können. Die IEEE verfolgt diesmal zwei Ansätze: IEEE 802.1qbh (Ciscos VNTec-Technologie) und IEEE 802.1 qbg (HPs virtuelle Ethernet-Port-Aggregation).

Welche Spezifikationen sich langfristig durchsetzen, ist im Moment nicht absehbar. Offene Cloud-Schnittstellen könnten sich allerdings auch dadurch ergeben, dass Software- und Betriebssystemanbieter aktiv werden. Beispielsweise ist Citrix Xen Server jetzt ein Open-Source-Produkt, so dass Schnittstellen dafür geschrieben werden können. Auch die Schnittstellen von Amazon für sein eigenes Cloud-Angebot könnten sich auf dem Markt als De-facto-Standard durchsetzen. Das hätte den Vorteil, dass kein großer Hardwarehersteller seine individuellen Interessen ins Spiel bringen könnte. Und damit wäre die Horrorvision aus Sicht der Anwender, nämlich gegeneinander abgeschottete Hardwarewelten wie im Mainframe-Zeitalter, obsolet. (wh)