IT im Bauwesen/Mobile Zeiterfassung loest Zettelwirtschaft ab Die papierlose Baustelle rueckt jetzt in greifbare Naehe

27.10.1995

Von Ulrich Guenther*

Arbeitszeiterfassung im Baugewerbe war bislang meist mit einer enormen Zettelwirtschaft verbunden, was haeufig Zweifel an der sachlichen Richtigkeit dieser Daten aufkommen liess. Auf der Suche nach einer Methode, die fuer Auftraggeber, Unternehmer und Handwerker unanfechtbar ist, stiessen Entwickler auf Lesestift und eine robuste Chip-Technologie, die sie zu einem rechnerunterstuetzten Erfassungssystem integrierten.

Der Bauwirtschaft geht es - wieder einmal - schlecht. Nach einem beispiellosen Boom rollt eine grosse Pleitewelle auf die Bauunternehmen zu, besonders in den neuen Bundeslaendern: Die Gewerkschaften befuerchten dieses Jahr den Konkurs von etwa 1500 Baufirmen. Schon werden Brandbriefe an Helmut Kohl geschrieben: Der Kanzler soll's richten! Aber auch in den alten Bundeslaendern sieht es nicht viel besser aus.

Mobiles Buero fuer Baustellen entwickeln

Was ist zu tun? Wie immer in Krisen sucht man sein Heil in Rationalisierungsmassnahmen. Und hierbei denkt man sofort an die Informations- und Kommunikationstechnologie. Dieser Gedanke ist so neu nicht: Laengst arbeitet man an der Entwicklung eines sogenannten mobilen Bueros auf Baustellen.

Herzstueck dieses mobilen Bueros in Kofferform ist ein Laptop mit Drucker und Scanner; auch eine digitale Kamera gehoert dazu. Damit soll die Kommunikation zwischen Bauleitung vor Ort und zentraler Verwaltung verbessert werden. Zu diesem Zweck werden Bauzeichnungen, Texte, Fotos etc. - also Papier - soweit wie moeglich digitalisiert, damit sie sich problemlos auf elektronischem Wege und nur bei Bedarf austauschen lassen. Hauptziel ist also auch hier das papierlose Buero.

Ein Bereich aber wurde bisher straeflich vernachlaessigt: die Erfassung der Arbeitszeiten. Hier regiert nach wie vor die Zettelwirtschaft.

Noch immer schreiben Mitarbeiter oder Polier ihre Arbeits- und Fahrzeiten auf Stundenzettel oder Rapporte. Die so erfassten Zeiten werden nun von der Lohnbuchhaltung muehsam und schrittweise abgerechnet: Sie muessen eventuell korrigiert werden, was zeitraubende Rueckfragen erfordert, sie muessen der richtigen Baustelle, das heisst dem richtigen Kostentraeger zugeordnet und mit der richtigen Lohnart versehen werden etc. Erst nach dieser aufwendigen, fehleranfaelligen Prozedur koennen sie ins Lohnprogramm eingegeben werden. Dies geschieht wiederum manuell, was moeglicherweise zu neuen Fehlern fuehrt. Die Mitarbeiter der Buchhaltung sind dadurch einem enormen Stress ausgesetzt, und dies besonders am Monatsende. Oft koennen die Loehne nicht puenktlich oder nur als Abschlag ausgezahlt werden. Diese Methode ist von einer Wirtschaftlichkeit meilenweit entfernt. Umgekehrt steckt in ihr ein hohes Rationalisierungspotential.

Und weiter: Nicht selten hegt der Arbeitgeber Zweifel an der Richtigkeit der Abrechnung und reklamiert. Mitunter kommt es aber auch vor, dass der Unternehmer wegen fehlender oder falsch ausgefuellter Stundenzettel nicht alle geleisteten Arbeiten nachweisen und daher auch nicht abrechnen kann, er verschenkt also Geld. Und das in Zeiten einer sich abschwaechenden Baukonjunktur und zunehmenden Konkurrenzdrucks. Gesucht ist also eine Methode, die fuer alle Beteiligten - Auftraggeber, Unternehmer und nicht zuletzt Handwerker - sicher und nachvollziehbar ist.

Die klassischen Methoden der elektronischen Zeiterfassung sind auf den meisten Baustellen zu unpraktisch oder zu unwirtschaftlich. So mag zum Beispiel die Installation von stationaeren Terminals fuer Grossbaustellen mit langfristiger Bauzeit sinnvoll sein, aber nicht fuer kleine, haeufig wechselnde Baustellen. Aber auch die mobilen Hand-held-Terminals eignen sich nur bedingt fuer den mobilen Einsatz: Sie sind zu gross, zu schwer, zu teuer. Ausserdem muss sich jeder Handwerker umstaendlich am Terminal identifizieren, per Tastatur oder Ausweiskarte. Wechselt er tagsueber die Baustelle, also den Kostentraeger, muss waehrend der Arbeitszeit umgebucht werden, eventuell sogar mit Hilfe eines zusaetzlichen Erfassungsgeraets. Eine solche Loesung ist fuer eine Baustelle zu unpraktisch. Aus denselben Gruenden scheidet auch die Zeiterfassung mit Mobiltelefonen aus. Denn nichts steht der Akzeptanz durch den Benutzer so sehr im Wege wie ein kompliziertes Handling.

Gesucht ist eine Methode, die auf Baustellen wirklich praktikabel, preiswert und von jedem leicht anzuwenden ist, ohne dass er erst einen DV-Grundkurs absolvieren muss.

Eine Loesung, die diese Anforderungen erfuellt, wurde jetzt vom Wuppertaler Systemhaus Bieber Computer-Systeme GmbH entwickelt. Bieber beschaeftigt sich seit zirka 15 Jahren mit der elektronischen Erfassung von Zeit- und Betriebsdaten und gehoert zu den fuehrenden Anbietern auf diesem Gebiet. Die Loesung basiert auf der Chip-Technologie. Als Erfassungswerkzeug werden programmierbare Lesestifte benutzt. Sie haben ein robustes Gehaeuse und sind nicht viel groesser als ein Textmarker, so dass sie bequem in jede Jackentasche passen oder am Guertel getragen werden koennen. Dem Lesestift ist eine Nummer einprogrammiert, die seinen Besitzer eindeutig identifiziert.

In Stahlgehaeuse eingebetteter Chip

Das Gegenstueck ist ein knopfgrosser, in ein rostfreies Stahlgehaeuse eingebetteter Chip. Er enthaelt die Nummer der Baustelle, identifiziert also den Kostentraeger, und wird vorher auf der Baustelle an einem geeigneten Ort angebracht. Bei seiner Ankunft muss der Handwerker den Chip lediglich mit seinem Lesestift beruehren - ein einfacher, schneller und sicherer Vorgang. Die erfasste Baustellennummer wird im Lesestift automatisch mit Datum und Uhrzeit versehen. Beim Verlassen der Baustelle wiederholt sich der Vorgang. Auch Pausen koennen auf diese Weise "gestempelt" werden. Fahrzeiten lassen sich ueber einen im Auto angebrachten Chip, der eine Fahrzeitennummer enthaelt, erfassen. Die Speicher- und Ladekapazitaet des Beruehrungslesers reicht fuer mindestens ein Jahr Betrieb und zehn Jahre Datenspeicherung.

Die erfassten Arbeitszeiten werden ueber eine Lesestation in einen Rechner eingelesen, dort geprueft, bewertet, korrigiert und schliesslich an das Lohnprogramm uebergeben.

Das bemerkenswerte an dieser Methode ist: Sie laesst sich umkehren. Man braucht bloss die Funktionen von Lesestift und Chip zu vertauschen: Der Lesestift enthaelt dann die Baustellennummer und wird auf der Baustelle angebracht, der Chip enthaelt die Mitarbeiternummer und kann zum Beispiel am Schluesselbund getragen werden. Der Erfassungsvorgang und alles weitere ist identisch. Damit laesst sich dieses Verfahren auch dann wirtschaftlich einsetzen, wenn die Anzahl der Mitarbeiter sehr viel hoeher ist als die Anzahl der Baustellen. Denn das Ganze muss sich ja auch rechnen. Ein Chip aber kostet nur einen Bruchteil (zirka ein Prozent) eines Lesestifts. Durch die Umkehrbarkeit hat der Unternehmer die freie Wahl: Mal rechnet sich das eine, mal das andere.

Auch eine Loesung auf Barcode-Basis existiert: Statt eines Chips wird auf der Baustelle ein Barcode-Etikett mit der Baustellennummer angebracht. Der Mitarbeiter streicht mit seinem Barcode-Lesestift, an dessen Spitze sich ein Saphirlesekopf befindet, ueber das Etikett. Diese Variante hat aber einige Nachteile: Das Barcode-Etikett ist nicht so wetterfest wie der Chip, auch der Lesekopf ist nicht unempfindlich. Die Barcode- Loesung ist also nicht so praktikabel wie die robuste Chiploesung. Sie ist auch nicht umkehrbar, das heisst, der Lesestift muss immer dem Mitarbeiter zugeordnet sein. Das kann unter Umstaenden sehr teuer sein.

Das System besteht aus sechs Hauptkomponenten: Chip, Beruehrungsleser, Lesestation, Datenkonzentrator, Rechner und Anwendungssoftware. Der Aufbau sieht in der Regel folgendermassen aus (vgl. die Abbildung).

Die erfassten Arbeitszeiten werden ueber die Lesestation in den Rechner eingelesen und in einer Empfangsdatei zur weiteren Verarbeitung abgelegt. Der Lesevorgang ist extrem kurz: Das Auslesen von 1000 Buchungen dauert noch nicht einmal eine Minute.

Die Verbindung zwischen Rechner und Lesestation wird ueber einen Datenkonzentrator hergestellt, der mit den unterschiedlichsten Rechnern ueber die serielle Schnittstelle kommunizieren kann. Per Downloading werden darueber auch die Lesestifte konfiguriert, sprich mit der Mitarbeiter- beziehungsweise Baustellennummer versehen.

Die Anwendungssoftware "Zebau" (Zeiterfassung auf Baustellen) ist ein mehrplatzfaehiges Dialogsystem mit umfangreichen Informations- und Auswertungsmoeglichkeiten. Sie steht auf allen gaengigen Rechnerplattformen unter den entsprechenden Benutzeroberflaechen zur Verfuegung (Windows, IBM SAA etc.) und ist mandantenfaehig, das heisst, man kann zum Beispiel unterschiedliche Niederlassungen abrechnen.

Die hier beschriebene Methode befindet sich seit geraumer Zeit bei dem suedwestdeutschen Unternehmen Heizungs-Schmidt aus Moeckmuehl in der Naehe von Heilbronn im praktischen Einsatz. Die Firma ist mit ihren 300 Mitarbeitern in neun Niederlassungen, davon vier in den neuen Bundeslaendern, einer der groessten Anbieter von Heizungssystemen im "Laendle". Rund 200 Monteure "produzieren" jeden Monat die stolze Zahl von zirka 25000 Lohnsaetzen, die frueher wie zuvor beschrieben manuell aufbereitet und eingegeben werden mussten.

Die Loesung von Bieber kam daher wie gerufen. Inzwischen sind alle Heizungsmonteure mit einem Beruehrungsleser und alle Heizungsanlagen - immerhin einige tausend - mit einem Chip ausgestattet. Die neue, elektronische Methode hat die Erwartungen erfuellt: Der Aufwand fuer die Erfassung der Arbeitszeiten, den variablen Pausenabzug je Baustelle, die Ermittlung der Ueberstunden und Ausloesungen, die Abrechnung der Auszubildenden etc. ist etliches geringer als frueher, die Loehne werden puenktlich und ohne Abschlaege gezahlt.

Ein weiterer Vorteil: Der Chip bleibt nach der Erstinstallation der Anlage an seinem Platz und steht damit auch fuer die turnusmaessigen Wartungsarbeiten zur Verfuegung. So kann Heizungs- Schmidt Kundenorientierung und Kundenservice weiter verbessern.

Guenter Schmidt, der Seniorchef des Unternehmens, glaubt, dass sich die Investitionen innerhalb kuerzester Zeit amortisieren werden. Er ist davon ueberzeugt, dass er bereits nach einem halben Jahr den Return on investment erzielt hat. Mit der Zettelwirtschaft jedenfalls ist es bei Heizungs-Schmidt vorbei. Die papierlose Baustelle ist in greifbare Naehe gerueckt.

* Ulrich Guenther ist Marketing-Leiter bei der Bieber Computer- Systeme GmbH in Wuppertal.