Von offenen Türen und Stolpersteinen

IT-Fachkräfte mit Migrationshintergrund

19.09.2014 von Lea Steinweg
Qualifiziertes IT-Fachpersonal ist Mangelware. Ein noch nicht ausreichend genutztes Potenzial bieten Experten mit Migrationshintergrund. Unternehmen, die sich international ausrichten wollen, können von den Sprachkenntnissen und Geschäftskontakten ausländischer Fachkräfte profitieren. Doch für diese kann der Weg in den deutschen Arbeitsmarkt steinig sein.

Als Jelena (Name von der Redaktion geändert) nach Deutschland zog, hatte sie ein Informatikstudium in der Tasche und bereits zwei Jahre Berufserfahrung. Und doch riet die Agentur für Arbeit der damals 25-jährigen Bulgarin, sie solle als Servicekraft arbeiten, zum Beispiel als Reinigungsfrau: Ihre Deutschkenntnisse seien noch nicht gut genug. So bewarb sich Jelena bei Restaurants und Hotels, sogar bei einer Metzgerei arbeitete sie zur Probe. "Irgendwann hatte ich auch die Hoffnung aufgegeben, einen Job in der IT zu finden", so die junge Frau, die ihrem Partner nach Deutschland gefolgt war - er hatte dort ein Stellenangebot als Kfz-Mechaniker erhalten.

Kulturelle Unterschiede können unter Umständen zu Konflikten führen. Daher ist der Dialog zwischen den Kulturen sehr wichtig.
Foto: pressmaster - fotolia.com

Jelena traf schließlich eine Sozialarbeiterin, die sie auf das CyberForum aufmerksam machte. Das Karlsruher Unternehmernetzwerk unterstützt über das Projekt "OpenIT" Fachkräfte mit Migrationshintergrund beim Einstieg in die IT-Branche: durch Coachings und enge Kontakte zu den IT-Firmen in der Region. Jelena nahm am Projekt teil - und hatte wenig später die Zusage für einen Ausbildungsplatz als Informatikkauffrau. "So kann ich mein Deutsch noch weiter verbessern und weitere Berufserfahrung sammeln", meint die junge Informatikerin, "und nach der Ausbildung habe ich bessere Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt."

Schlüsselkompetenz Deutschkenntnisse

Dass Deutschkenntnisse auch in der scheinbar so internationalen IT-Szene immer noch entscheidend sind, kann Tanja Enzmann, Personalleiterin bei cjt Systemsoftware, bestätigen. Das Consulting-Unternehmen aus der Nähe von Karlsruhe beschäftigt rund 50 Mitarbeiter, darunter auch Fachkräfte, die aus China, Vietnam oder Russland stammen. "Gerade im Mittelstand ist Deutsch nach wie vor die primäre Kundensprache", so Enzmann, "und gute Kenntnisse werden von den Kunden auch als selbstverständlich betrachtet."

Interkulturelle Zusammenarbeit
So kann die Zusammenarbeit gelingen
Damit Mitarbeiter auf mehreren Kontinenten oder an unterschiedlichen Standorten gut zusammenarbeiten können,sollten Führungskräfte einiges beachten. Beraterin Sonja App hat einige Tipps zusammengestellt.
1. Auswahl der Mitarbeiter
Prüfen Sie nicht nur die Fachkenntnisse, sondern auch die englischen Sprachkenntnisse der Teammitglieder bereits vor Projektstart und bieten Sie bei Bedarf Crashkurse an.
3. Persönliche Treffen
Ein Kickoff-Meeting sollte als Präsenztreffen gestaltet werden, damit sich alle Projektbeteiligten persönlich kennenlernen und Vertrauen zueinander aufbauen. Als Leiter virtueller Linienteams sollten Sie mehrere persönliche Treffen pro Jahr mit Ihren Mitarbeitern einplanen. Im Idealfall führen Sie das jährliche Beurteilungsgespräch mit jedem Teammitglied vor Ort an dessen Arbeitsplatz.
4. Interkulturelle Zusammenarbeit
Gehen Sie offen und tolerant mit fremden Ansichten und Arbeitsstilen um. Bieten Sie bei Bedarf interkulturelle Trainings an. Berücksichtigen Sie Zeitverschiebungen und Besonderheiten wie lokale Feiertage und Schulferien bei Ihrer Projektplanung. Beachten Sie den Arbeitsrhythmus Ihrer ausländischen Kollegen bei der Terminvereinbarung für Telefonkonferenzen und virtuelle Meetings.
5. Dokumentation
Stellen Sie sicher, dass alle Zielgruppen im Unternehmen die Ergebnisdokumente im richtigen Format zum richtigen Zeitpunkt erhalten. Sensibilisieren Sie Ihr Team auch für die Dokumentation von informellem Wissen. Planen Sie einen Lessons-Learned-Workshop ein und informieren Sie die Abteilungen über die Ergebnisse.
Sonja App
Managementberaterin Sonja App hat jahrelang selbst in virtuellen Teams gearbeitet. Ihre Tipps kommen aus erster Hand. Seit sechs Jahren ist sie als Beraterin für Innovation-Management, Relationship -Management und interkulturelle Kommunikation selbstständig.
Buchtipp
Ihre Erfahrungen und Ratschläge hat Sonja App in einem Buch zusammengefasst: "Virtuelle Teams" von Sonja App, Haufe Lexware, 2013, 240 Seiten.

Wie ihr Unternehmen so viele verschiedene Kulturen innerhalb eines Unternehmens unter einen Hut bekommt, erklärt die Personalexpertin: "Wir haben zwar kein eigenes Diversity Management, nehmen uns aber viel Zeit, um einander nicht nur fachlich, sondern auch persönlich kennenzulernen. Und klar, wo Menschen zusammenarbeiten, gibt es auch mal Schwierigkeiten. Das ist ja in jedem Unternehmen so."

Pünktlichkeit ist nicht gleich Pünktlichkeit

Dass kulturelle Unterschiede immer wieder zu Konflikten führen können, weiß auch der XML-Experte Mehrschad Zaeri Esfahani, Geschäftsführer des Karlsruher IT-Dienstleisters parsQube. Er war elf Jahre alt, als er in den 80er Jahren mit seiner Familie aus dem Iran floh: Sein Vater, ein Arzt, war dort wegen aufklärerischer Schriften verfolgt worden.

Mehrschad Zaeri Esfahani ist Geschäftsführer bei der parsQube GmbH.
Foto: Christina Laube

"Ein typisches Konfliktthema im Berufsleben ist das Stichwort Pünktlichkeit, das in den verschiedenen Kulturen sehr unterschiedlich gehandhabt wird", so Esfahani. Allerdings seien das Verhaltensweisen, die einem in Fleisch und Blut übergegangen sind und die man nicht von heute auf morgen ändern kann. "Da helfen auch Regeln und Anordnungen nicht, denn wir haben es mit Menschen zu tun." Esfahani unterstützt deshalb das Karlsruher Projekt OpenIT, "da solche Projekte wichtig sind, um Unternehmer für das Thema Fachkräfte mit Migrationshintergrund zu sensibilisieren und um den Dialog zwischen den Kulturen zu verstärken."

Ungewohntes macht unsicher

Dass bei diesem Dialog oftmals der eigene kulturelle Hintergrund wörtlich in den Hintergrund gerät, bestätigt die Trainerin Kidist Hailu, die Unternehmen bei der interkulturellen Kommunikation berät: "Man macht seine eigene Verhaltens- und Arbeitsweise zum Maßstab. Warum? Weil es das ist, was man kennt - die Gewohnheit ist das Normale. Abweichungen vom Gewohnten können zur Verunsicherung führen."

Kidist Hailu ist Trainerin für Interkulturelle Kommunikation.
Foto: Tanja Dammert

Auch das Thema "Sprache" wird laut Hailu, selbst gebürtige Äthiopierin, nicht immer differenziert genug betrachtet: "Wer in ein fremdes Land kommt und die Sprache noch nicht beherrscht, der wird quasi in einen Zustand der Kindheit zurückversetzt, in dem das Sprechen erst erlernt werden muss. Das kann Gefühle von Hilflosigkeit hervorrufen, oder sogar Verzweiflung."

Es müssen aber nicht immer sprachliche Probleme sein, die im Berufsalltag zu Missverständnissen führen können. Hailu: "In Deutschland steht im Berufsalltag die Sachebene eher im Fokus, das heißt, die Zahlen, Daten und Fakten sind für die Zusammenarbeit entscheidend." In anderen Ländern spiele die Beziehungsebene oftmals eine wesentliche Rolle. Wichtig sei, dass man sich unter Kollegen auch außerhalb des Arbeitsumfelds gut versteht. "Die Beziehungsebene bildet dort unter anderem die Basis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit", so die Trainerin. Sie plädiert daher zusätzlich zur Förderung von Sprachkenntnissen für interkulturelle Trainings, die eine gute Möglichkeit darstellen, den Zusammenhalt in multinationalen Teams zu fördern.

Interkulturelle Kompetenz in virtuellen Teams
Virtuelle Teams: Beziehungspflege
Von Projekt Beginn an sollten intensive "Kennenlern-Komponenten" eingeplant werden. Teammitglieder müssen die Möglichkeit erhalten, emotionale Verbindungen zu den Kollegen herzustellen. Es ist wichtig, dass Mitglieder für das geschätzt werden, was sie sind und nicht für das, was sie tun. Idealerweise geschieht das über ein Face-to-face Kick-off-Meeting. Falls das nicht möglich ist, wäre eine virtuelle Vorstellungsrunde etwa in Wikis oder per Videokonferenz angebracht. Dabei könnten Mitglieder beispielsweise ihre Interessen, Ziele und Visionen sowie persönliche Bilder untereinander austauschen.
Interkulturelle und virtuelle Teams führen
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Virtuelle Teams: Klare Ziele
Es zahlt sich aus, zu Anfang genügend Zeit in die Klarstellung des Teamzwecks, der Rollenverteilung im Team und den Verantwortlichkeiten zu investieren. Aufgrund der Distanz bestehen schon ausreichend Unsicherheiten, die nicht noch zusätzlich mit Verwirrung und Ungewissheit angereichert werden sollten. Klare Ziele und Aufgaben, einschließlich der Festlegung von wem, bis wann und in welcher Art diese zu erfüllen sind, schaffen Fokus und Klarheit für alle Teammitglieder.
Virtuelle Teams: Berechenbarkeit
Unmodern, aber nicht wegzudenken: Ein klarer Ablauf und Berechenbarkeit der Teammitglieder sind kritische Erfolgsfaktoren für virtuelle Teams. Ungewissheit erzeugt Zweifel, Angst und Rückzug. Das Resultat ist ein demotiviertes und unproduktives Team. Der Nutzen von einheitlichen Team Tools, Vorlagen, definierte Prozesse oder festgelegte Kommunikationszeiten tragen zu einem klaren Ablauf und somit zu Berechenbarkeit bei. Teamleiter sollten leicht erreichbar sein sowie den Dreh- und Angelpunkt im Team darstellen.
Virtuelle Teams: Ablaufvereinbarungen
Operationale Ablaufvereinbarungen legen Methodik und Prozesse der Teamarbeit fest und sollten zu Beginn des Projektes gemeinsam definiert werden. Ablaufvereinbarungen bedarf es in der Regel für Planungsprozesse, Entscheidungsfindung, Kommunikation und Koordination. Während virtueller Team-Meetings sollte der Teamleiter sich immer wieder Zeit nehmen zu prüfen, ob und wie gut die Ablaufvereinbarungen gelebt werden.
Virtuelle Teams: Aufmerksamkeit
Was bei Face-to-face-Teams selbstverständlich ist und in Kaffeeecken oder auf dem Flur vor dem Meeting informell passiert, sollten Manager von virtuellen Teams explizit einplanen, nämlich dass sie einzelne Teammitglieder auch außerhalb des offiziellen Meetings treffen. Jedes Mitglied sollte die Möglichkeit bekommen, mit dem Leiter persönliche Erfolge, Herausforderungen, Bedürfnisse und Wünsche zu besprechen. Die Distanz und die Technologien wecken leicht den Eindruck, dass Teammitglieder abstrakt und "ohne Gesicht" sind. Persönliche Aufmerksamkeit schafft Vertrauen, kostet wenig und bietet einen enormen Vorteil für jeden einzelnen im Team und letztlich für die gesamte Teamleistung.

Entscheidend ist laut Hailu aber auch ein klares Bekenntnis zur kulturellen Vielfältigkeit seitens der Unternehmen - und seitens der Fachkräfte: "Integration ist ein Prozess, der von Arbeitgeber und Mitarbeiter ausgehen sollte. Sich mit Wertschätzung, Offenheit und Toleranz anzunähern - das ist meiner Ansicht nach der beste Weg." (kf)

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