Industrie 4.0 ist die Vision – d!conomy der Weg

Industrie 4.0 nimmt Gestalt an

17.03.2015 von Daniel Liebhart
Industrie 4.0 ist die Hightech-Strategie der Bundesregierung. Eine Zukunftsvision, die dank digitaler Transformation schon bald umgesetzt werden kann. Das Internet der Dinge spielt dabei eine Schlüsselrolle. Nun gilt es, diese Technologien sinnvoll für Industrie und Logistik zu nutzen.

Die Bundesregierung war früh dran: Sie hat mit dem 2012 ins Leben gerufenen Zukunftsbild "Industrie 4.0" vorweggenommen, was heute in aller Munde ist: eine umfassende Digitalisierung in Automobil- und Anlagenbau, Elektrotechnik, chemischer Industrie und Logistik. Ziel ist es, den internationalen Wettbewerbsvorteil der industriellen Produktion Deutschlands durch eine nachhaltige Strategie bis hin in das Jahr 2025 zu sichern und weiter auszubauen. Diese Branchen sind gemäß Angaben des Statistischen Bundesamts für das Jahr 2014 mit einem wertschöpfenden Anteil von 26 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für den Wirtschaftsstandort Deutschland lebenswichtig.

Was genau ist Industrie 4.0?

Das Zukunftsbild Industrie 4.0 sei als "Instrument der Strategieentwicklung, mit deren Hilfe komplexe Zukunftsthemen in illustrativen Beschreibungen vorgestellt werden", zu verstehen - so steht es in der Hightech-Strategie aus dem Jahr 2012. "Unter Industrie 4.0 wird die beginnende vierte industrielle Revolution nach Mechanisierung, Industrialisierung und Automatisierung verstanden" - so die Arbeitsdefinition des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO), die im Rahmen seiner umfassenden Studie "Produktionsarbeit der Zukunft - Industrie 4.0" formuliert worden ist. Der Lenkungskreis der Plattform Industrie 4.0 der Industrieverbände Bitkom, VDMA und ZVEI hat diese Definition im vergangenen Jahr als Grundlage seiner Arbeit adaptiert.

Foto: CSC

Nüchtern betrachtet steckt hinter Industrie 4.0 also ein recht einfaches Bild: Die Industrieproduktion von morgen wird fähig sein, selbst Einzelstücke automatisiert, flexibel, wirtschaftlich und ressourcenschonend zu produzieren. Das Ideal dieser neuen Fertigung: Jeder Kunde definiert selbst seinen Auftrag, der sich anschließend über ganze Wertschöpfungsnetze hinweg komplett eigenständig steuert - von der Bestellung des Rohmaterials über die Reservierung von Bearbeitungsmaschinen, Montagekapazitäten, Lagerhallen und Logistik bis hin zur Qualitätskontrolle und Auslieferung.

Doch wie soll das gehen? Die Bitkom und das Fraunhofer IAO bringen es in ihrer gemeinsamen Studie "Industrie 4.0 - Volkswirtschaftliches Potenzial für Deutschland" auf den Punkt: "Im Mittelpunkt von Industrie 4.0 steht die echtzeitfähige, intelligente, horizontale und vertikale Vernetzung von Menschen, Maschinen, Objekten und IKT-Systemen zum dynamischen Management von komplexen Systemen." Im Klartext: die vollständige Digitalisierung der industriellen Produktion.

Foto: CSC

Wo stehen wir heute?

Alexander Horch, Forschungsleiter Automation der ABB, sagte bereits vor einem Jahr in einem Interview zum Thema Industrie 4.0 in der schweizerischen Fachzeitschrift für die Maschinen-, Elektro und Metallindustrie "Technica": "Flexibilität ist in der Fertigung ein Schlüsselfaktor." Diese Flexibilität wird durch den Einsatz neuer Technologien bereits heute ständig verbessert.

Industrie 4.0

Die Wachstumschancen durch Industrie 4.0 laut einer Fraunhofer/Bitkom-Studie.

Die historische Entwicklung: Von Industrie 1.0 zu Industrie 4.0

Eingebettete Systeme, Barcodes oder RFID-Chips sind ein Kernelement von Industrie 4.0.

Die Smart Factory ist ein Netzwerk von miteinander verknüpften und interagierenden Objekten.

In der Smart Factory interagieren alle Objekte miteinander – Maschinen, Produkte, IT-Systeme, Menschen.

Die horizontale und vertikale Integration sind eine große Herausforderung bei der Umsetzung von Industrie 4.0

Wie eine flexible Fertigung praktisch aussehen kann, hat das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Zusammenarbeit mit verschiedenen Herstellern bereits im letzten Jahr eindrucksvoll demonstriert: Auf allen größeren Industriemessen war eine funktionierende Modellfabrik, die sogenannte Smart Factory, zu sehen. Sie besteht aus fünf Produktionsmodulen, einem Handarbeitsplatz und einer Vielzahl von Informationssystemen. Die Smart Factory verwirklicht drei Grund­ideen: das intelligente Produkt, die kommunizierende Maschine und den assistierenden Bediener. Das Produkt kennt seine Auftrags- und Produktionsdaten und beeinflusst seine eigene Produktion. Auch die vernetzte Produktionsmaschine interagiert mit dem Produkt. Der Mensch als Bediener wird nur noch über für die Endmontage notwendige Schritte informiert - und zwar ebenfalls vom intelligenten Produkt.

Die Konzepte, die hinter Smart Factory stehen, haben vereinzelt bereits Einzug in die Industrie gefunden - unter anderem beim österreichischen Unternehmen Stiwa, das Teile für Fahrzeuglenkungen produziert. "Wir haben unseren Produktionsprozess vollständig automatisiert und vernetzt. Dadurch produzieren wir schneller, präziser und zu niedrigeren Stückkosten als unsere Konkurrenz in Niedriglohnländern" sagt Geschäftsführer Raphael Sticht im Youtube-Video "Lokalaugenschein Stiwa - die Fabrik der Zukunft". Kernelemente sind vernetzte Maschinen, die die Fertigung auf die Beschaffenheit von Rohmaterialien und Zwi­schenprodukten hin abstimmen und direkt mit dem Lager inter-agieren. Auch das intelligente Industriegebäude spielt eine entscheidende Rolle: Es sorgt für optimierte Produktionsprozesse und reduziert die Energiekosten.

Industrie 4.0 nimmt Gestalt an

Die Konkretisierung der Vision Industrie 4.0 nimmt also zunehmend Gestalt an. Bereits heute ist es möglich, die Produktion bis auf die Ebene eines einzelnen Industriegebäudes weitgehend zu digitalisieren - auch wenn das Konzept des intelligenten Produkts noch in den Kinderschuhen steckt. Gleiches gilt für die Idee der firmenübergreifenden Wertschöpfungsketten und die Integration der zugehörigen Transportlogistik.

Cyber-physische Systeme?

Die Produktion der Zukunft kommt nicht ohne technische Betriebsmittel wie Werkzeugmaschinen, Fließbänder, Diagnosesysteme, Industrieroboter, Sortierstationen und Montagelinien aus. Auch elektronische Geräte, die nicht direkt für die Produktion beteiligt sind, werden ein wichtiger Teil einer intelligenten Fabrik: Kameras, mobile Computer und Smartphones. Sie alle sind mit Mikroprozessoren ausgestattet und untereinander vernetzt. Sie bilden Systeme, die mit speziellen Sensoren in Echtzeit Produktionsdaten erfassen, Aktoren steuern und damit indirekt auf die Produktion einwirken können.

Protagonisten der Industrie-4.0-Vision nennen diese intelligenten "Techniknetze" Cyber-physische Systeme (CPS). Die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (Acatech) definiert in ihrer Studie "agenda-CPS" aus dem Jahr 2012: "Cyber-Physical Systems stehen für die Verbindung von physikalischer und informationstechnischer Welt. Sie entstehen (…) auf Basis ihrer Vernetzung und Integration." Dieselbe Definition gilt für das Internet der Dinge, das bereits während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im Jahr 2007 als "die technische Vision, Objekte jeder Art in ein universales digitales Netz zu integrieren", definiert wurde. So weit die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags im Schreiben Nr. 19/12 vom 17. Juli 2012.

Jedes an einer Produktion beteiligte Objekt ist demnach ein "Ding" im Sinn des IoT: Es ist vernetzt, mit einem Mikroprozessor ausgestattet und kann mit anderen "Dingen" kommunizieren. Und das gilt sowohl für die Betriebsmittel im Sinne eines CPS als auch für das intelligente Produkt selbst. In einer erweiterten Betrachtungsweise gilt es sogar für jeden Gegenstand, der in irgendeiner Art und Weise in eine Produktion involviert ist.

Industrie 4.0 - So sieht die Fabrik der Zukunft aus
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Stärkere Lokalisierung
Fertigungsunternehmen werden künftig noch wesentlich stärker ausdifferenziert und verteilter sein. Kleinere, aber dafür mehr Standorte sorgen dann dafür, dass sie einen besseren Zugang zu lokalen Ressourcen haben und auf neue Marktanforderungen direkt vor Ort reagieren können. Das ermöglicht ihnen, ihre Supply Chains zu optimieren, agiler zu sein und die Lieferzeiten deutlich zu verkürzen. Daneben wird es aber auch weiterhin sehr große Fertigungsstandorte geben, an denen die Unternehmen ihre größten und wichtigsten Teile herstellen oder montieren.
Fortschreitende Digitalisierung
Durch die stärkere Lokalisierung der Supply Chain spielt die Informationstechnologie in Zukunft eine noch größere Rolle, als das in der Branche ohnehin schon der Fall ist. Ein Beispiel dafür ist der 3D-Druck. Er wird es etwa ermöglichen, dass ein lokaler Vertriebsstandort zumindest bei kleineren Ersatzteilen einfach die Blaupause herunterlädt und sie direkt vor Ort druckt. Darüber hinaus wird die zunehmende Verbreitung von Cloud Computing und des Internets der Dinge eine neue Generation intelligenter Objekte hervorbringen, die Fertiger mit Echtzeitdaten versorgen können. Sensoren von Anlagen und Maschinen, die bei Kunden installiert sind, liefern den Herstellern dann beispielsweise selbstständig wertvolle Informationen für die Wartung und Instandhaltung, mit deren Hilfe sich bessere After-Sales-Services erbringen lassen.
Ausweitung von Kooperationen
Produktionsunternehmen gehen künftig deutlich mehr Partnerschaften ein und arbeiten wesentlich enger zusammen, als sie das heute tun. Zum einen werden sie Partnerschaften mit Universitäten schließen, um sich frühzeitig die besten Talente zu sichern. Aber auch untereinander werden sie stärker kollaborieren. In ersten Ansätzen hat dies beispielsweise der britische Hersteller von Transportverpackungen Loadhog bereits realisiert. Er hat mit einem seiner wichtigsten Zulieferer ein Austauschprogramm für Auszubildende ins Leben gerufen, von dem beide Unternehmen profitieren.
Flexiblere Konfigurierbarkeit
Die Fertigungsstandorte werden immer häufiger so konzipiert sein, dass sich ihre Strukturen schneller und flexibler an neue Marktanforderungen anpassen lassen. Die Elemente von Werkstätten und Produktionshallen – vom einzelnen Arbeitsplatz bis hin zu den Maschinen – sind heute meist noch sehr starr organisiert. In Zukunft werden sie aber zahlreiche unterschiedliche "Konfigurationen" ermöglichen, die jeweils ideal zu den konkreten Anforderungen passen.
Kultureller Wandel
Mit den genannten Änderungen einher geht auch ein Wandel der Unternehmenskultur. Die Außenwelt wird Fabriken nicht länger als staubige und ölverschmierte, sondern vielmehr als offene und stark vernetzte Orte wahrnehmen. Diese Entwicklung hat bereits begonnen und so erinnern viele Fabriken den Betrachter heute schon stärker an einen Bürokomplex als an eine klassische Fertigungsstätte.

IoT-Technologie für die Produktion

IoT-Technologien werden durch die vollständige Vernetzung von Maschinen (Dingen) aller Art bestimmt. Die globale Vernetzung aller technischen Geräte in einem "Netz der Netze" erlaubt die Bereitstellung einer neuen Generation von Anwendungen. Diese müssen in Echtzeit Daten aus verschiedensten Quellen verarbeiten, analysieren und kombinieren können und gleichzeitig auf eine Vielzahl von Endgeräten einwirken. Unter den populären Begriffen Smart City oder Smart Home entstehen bereits Plattformen, die erstmals solche Anwendungen ermöglichen. Dazu gehört beispielsweise die Steuerung des Verkehrs durch die Analyse einer Vielzahl einfacher Sensordaten, die Fahrzeugpositionen, Wetterbedingungen, Fußgängerdichte (= Dichte der mobilen Geräte).

Ein anderes Szenario ist eine signifikante Senkung des Energieverbrauchs durch das Einbeziehen lokaler Energiequellen und Berechnungen mit Messwerten des momentanen Energiebedarfs. Die Liste der Anwendungen ist lang. Anwendungsgebiete sind jedoch vor allem Verbrauchsoptimierungen bei knappen oder teuren Ressourcen sowie in den Bereichen Mobilität, Versorgung und Sicherheit. Die jeweiligen Aufgabenstellungen sind zumeist hochkomplex, können jedoch mit IoT-Technologien sinnvoll gelöst werden. Wenn durch den flächendeckenden Einsatz modernster Technologie eine vollständige Automatisierung, Vernetzung und Flexibilisierung der Fertigung erfolgen soll, wie es die Vision Industrie 4.0 vorsieht, wird es an Herausforderungen keinesfalls fehlen. Eine davon ist die Integration der Transportlogistik in die Wertschöpfungskette.

Die flexible Produktion von Industriegütern über Firmengrenzen hinweg stellt sehr hohe Anforderungen an die Liefergenauigkeit und -flexibilität von Rohmaterial, Zwischenprodukten, Fertigteilen und anderen Waren. Die Vernetzung von Fahrzeugen und Waren mit Hilfe von IoT-Technologie hilft diese Aufgaben erfolgreich zu meistern. Beispielsweise lässt sich die Liefergenauigkeit erheblich verbessern: Eine automatisierte Anpassung von Fahrtrouten aufgrund der Verkehrslage, die Senkung von Wartezeiten an der Laderampe durch genaues Zeit-Management und die erhöhte Fahrsicherheit durch Wettervorhersage und Umweltanalysen bieten reichlich Optimierungspotenzial. Wenn Fahrzeuge und die transportierte Ware vollständig vernetzt sind, können Warenflüsse als Ganzes über Netz- und Kapazitätsplanungen unter Einbezug von Risikoabschätzung und Belastbarkeit der Route optimiert werden.

Fazit: Vision für das Jahr 2025

Die Hightech-Strategie Industrie 4.0 ist auch drei Jahre nach ihrem Entwurf eine Vision für das Jahr 2025. Sie kann jedoch schneller Realität werden als ursprünglich gedacht. Der Weg führt über die digitale Transformation der Unternehmen, die den Produktionsstandort Deutschland ausmachen. Motor dieser Transformation ist die vollständige Vernetzung von Maschinen und Menschen. Für die Industrie ist die Vernetzung von Maschinen - das Internet der Dinge - der entscheidende Faktor.

Sie sorgt dafür, dass die Vision der automatisierten, flexiblen und dezentralen Produktion nicht an der heutigen Grenze des Industriegebäudes endet. Besonders offensichtlich wird der Nutzen auf Ebene der integrierten Transportlogistik und des intelligenten Produkts. Doch IoT-Plattformen bieten weit mehr. Durch innovative Kombinationen von Technologien wie Em-bedded Systems, robuste Netze, Cloud Computing, Sensor Data Processing und IT-Security werden Lösungsansätze möglich, mit denen sich hochkomplexe Gesamtsysteme optimal steuern lassen. Es gilt nun, diese Technologien sinnvoll für Industrie 4.0 zu adaptieren. (jb)