Cloud forciert Disruption

Im Markt für Business Software wird es ungemütlich

24.07.2019 von Matthias Weber
Die Cloud wirbelt die Verhältnisse im Markt für Enterprise Software kräftig durcheinander. Die Beziehungen zwischen Herstellern, Anbietern und Kunden müssen sich neu justieren.

Abas Software AG, Business Software Hersteller für fertigungsnahe Unternehmen wird von Forterro, einem internationalen Zusammenschluss von ERP-Firmen übernommen. IFS und Acumatica bekommen eine gemeinsame Mutter und sollen künftig ein Cloud-ERP-Powerhouse bilden. In den Markt für Unternehmenssoftware, oder Neudeutsch: Enterprise Application Software (EAS), kommt zunehmend Bewegung. Akquisen und Zusammenschlüsse sind Zeichen für die Disruption im Markt - stürmische Zeiten kündigen sich an.

Im Markt für Enterprise Application Software (EAS) wirds ungemütlich.
Foto: Dolimac - shutterstock.com

Den EAS-Markt teilen sich primär zwei Arten von Unternehmen unter sich auf: Software-Hersteller und Software-Anbieter. Hersteller sind primär Firmen, die eine Unternehmenssoftware programmiert haben und auf dem Markt anbieten. Der Vertriebsweg kann direkt oder indirekt sein. Beim Direktvertrieb kauft der Interessent direkt beim Hersteller - auf dem indirekten Weg kommen die Anbieter ins Spiel. Sie sind meist Vertriebspartner eines Herstellers und übernehmen die Marktbearbeitung. Im Gegenzug erhalten Sie eine Marge für Ihre Mühen. Oft bieten Anbieter als Systemhaus noch weitere Dienstleistungen an und versuchen sich als Full-Service-IT-Lieferant für Anwenderunternehmen.

Die Cloud wirbelt die EAS-Geschäfte durcheinander

Die Cloud hat auch vor Enterprise Application Software nicht haltgemacht. Dies zeigen beispielsweise die Umsatz- und Gewinnsteigerungen des Cloud-ERP-Herstellers myfactory in den letzten Jahren und die zahlreichen von verschiedensten Herstellern ins Leben gerufene Cloud-Strategien. Je nach Markteintritt haben Hersteller bereits von Anfang an auf ein Cloud-basiertes Betriebsmodell ihrer Software gesetzt, oder müssen ihre Software im nachhinein "Cloud-fähig" machen.

Einige Hersteller waren tatsächlich der Meinung, dass sich der Cloud-Trend nicht hält und haben die Entwicklung schlichtweg verschlafen. Sie verkaufen im Moment zum Teil Pseudo-Cloud-Lösungen, also Implementierungen, die zwar über das Internet verfügbar sind, aber nicht dieselbe Flexibilität mitbringen, die eine echte Cloud-Lösung bietet. Diese Fakes sind daran zu erkennen, dass einzelne Software-Module nur über eine klassische Installation verfügbar sind oder die Abrechnung und Lizensierung der Software immer noch den Standards aus den 90er-Jahren entspricht - diese sind meist unflexibel.

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Mittlerweile weht aber ein zunehmend rauerer Wind am Markt. In der Vergangenheit wurde oft auf einen Partner-Vertrieb gesetzt - so ließ sich ein kundennaher Service über den Anbieter gewährleisten. Die Cloud verändert aber die Spielregeln. Durch die neue Technologie rücken die Hersteller selbst näher an die Kunden heran. Sie können Dank der digitalen Nähe über das Internet ihre Produkte einfacher selbst vertreiben. Einige Hersteller kappen deshalb Ihr Partner-Modell und betreuen im Cloud-Modus die Kunden mittlerweile selbst. Anbieter sehen sich zunehmend gegenüber den Herstellern in Konkurrenz und bangen um Ihre Relevanz als Marktteilnehmer. Gerade Systemhäuser müssen sich hier neu aufstellen.

EAS-Markt ist gesättigt

Blickt man auf die Abnehmerseite, so hat bereits nahezu jeder Betrieb eine Unternehmenssoftware im Einsatz. Der Markt ist an sich gesättigt. Die Kunden werden in aller Regel mehr oder weniger aktiv durch einen Software-Hersteller oder -Anbieter betreut. Softwarepflegeverträge (SWP) binden die Kunden zusätzlich an die Lieferanten. So fließt regelmäßig Geld und der Kunde erwartet dafür Software-Updates und Programmneuerungen. Wechselwünsche kommen deswegen in aller Regel nur auf, falls eine massive Unzufriedenheit mit der Software oder der Betreuung auftritt.

Die einzige Chance für Vertriebsmitarbeiter der Hersteller und Anbieter, einen Fuß in die Tür der Anwenderunternehmen zu bekommen, ist das Geschäft mit der Angst. Oft werden Kunden bewusst aus ihrem sicheren Nest geworfen. Man schubste sie in unbekannte Probleme, so dass sie das Gefühl bekommen, sie bräuchten für die Lösung des Problems eine neue Software.

Der deutsche Mittelstand verhält sich jedoch weiterhin sehr zögerlich gegenüber der Digitalisierung. Er ist zufrieden mit dem, was er hat. Die eingesetzte Warenwirtschaft erzeugt die gewünschten Belege und gibt einen groben Überblick über die Wert- und Mengenflüsse beziehungsweise Lagerbestände. Warum braucht es mehr? Es lief doch mit diesem Grad der Digitalisierung auch die vergangenen 20 Jahre gut.

Dabei gibt es gute Gründe für einen Umstieg auf neue und moderne Unternehmenssoftware, denn in Zukunft wird der Digitalisierungsgrad ein Wettbewerbsvorteil sein und den Fortbestand des Unternehmens sichern. Mit diesem Wissen um die digitale Disruption müssten Hersteller und Anbieter von Unternehmenssoftware an Interessenten und Kunden herantreten. Lieferanten für Unternehmenssoftware müssten sich mehr als Digitalisierungs-Partner sehen und den digitalen Wandel ihrer Kunden begleiten. Dabei verpassen oft vor allem Anbieter von Unternehmenssoftware die eigene Disruption.

Die Disruption im EAS-Markt

Viele Marktteilnehmer fühlen sich im EAS-Markt sicher. Der Einstieg neuer Player ist schwierig und mit hohen Kosten verbunden. Die verfügbaren Softwareprodukte sind horizontal, wie auch vertikal, meist ausgereift. An diese Funktionsbreite und -tiefe müssen sich Newcomer erst mal heranarbeiten. Hersteller wiegen sich also zumeist in Sicherheit.

Dennoch, B2B-Startups sind im Kommen. Sie schaffen Microservices, also kleine Softwarebausteine, die zwar funktional nicht besonders breit aufgestellt sind, aber eine sehr hohe Funktionstiefe aufweisen. Die Idee: Ein anderes Unternehmen stellt einen weiteren Microservice zur Verfügung, der sich horizontal an den eigenen Service angliedert. Am Ende entsteht eine EAS-Architektur mit verschiedenen Produkten, die aber hoch integriert arbeiten. Nach der Devise: das Beste jeden Herstellers. Ob die jetzigen Hersteller auf den Ansatz noch rechtzeitig aufspringen? Nicht alle werden es schaffen.

Und wo bleiben die Anbieter? Voraussichtlich werden sie die Verlierer der Disruption im EAS-Markt sein. Hersteller kaufen Ihre Partner oder Mitbewerber um Ihr Angebot zu erweitern. Große Systemhäuser halten dagegen, schließen sich zusammen, kaufen sich gegenseitig auf, um ein wenig ihrer einstigen Position gegenüber den Lieferanten zu bewahren. Doch gerade kleine Anbieter werden verschwinden, wenn sie nicht in Wachstum investieren. Aber auch die großen Anbieter werden gegenseitig mehr in Konkurrenz zueinander treten und dann kommen noch die Hersteller, die auch mehr vom Kuchen haben wollen.

Die Ruhe vor dem Sturm

Noch ist es vergleichsweise ruhig im Markt. Die aktuellen Akquisitionen aber kündigen den aufkommenden Sturm an. Noch setzt kaum einer auf Public Relation oder gar eine integrierte Markt-Kommunikation. Solange es aber alle gleich schlecht machen, kann keiner einen strategischen Vorteil durch eine Reorganisation herausarbeiten.

Das Gleiche gilt für Software-Innovationen. Wenn keiner Gas gibt, muss auch kein anderer beschleunigen. Bisher stört sich auch keiner daran, dass die Generation Y eine andere Art von Software erwartet, selbsterklärender, einfacher, moderner und vor allem integriert und mit Schnittstellen in andere Programme. Aber diese Generation macht sich gerade auf den Weg in die Chefsessel.

Neue Entscheider und neue Kunden

Die gute Nachricht: Die Disruption im EAS-Markt wird kommen. Die schlechte Nachricht: Die Disruption wird einiges auf den Kopf stellen und nicht alle werden diese Veränderungen überleben. Das macht aber Platz für neue Hersteller und Anbieter, die sich auf die neuen Entscheider in den Unternehmen einstellen, die Generation Y. Diese Generation wird Firmen übernehmen oder neue Unternehmen gründen und damit frischen Wind in die Geschäftswelt bringen und die Disruption weiter vorantreiben.

Dabei stellt sich die Frage: Wie übersteht man diesen Sturm? Fünf Themenfelder haben einen maßgeblichen Einfluss darauf, ob man abstürzt oder heil durchkommt:

  1. Die PR-Abteilung muss sich in einen integrieren Kommunikations-Hub verwandeln und als Stabsstelle, nahe an der Geschäftsführung agieren. Sie ist nicht nur für die klassische Media Relations verantwortlich, sondern auch für eine ganzheitliche Kommunikation zuständig. Zusammen mit dem Vertrieb erarbeitet und führt sie Kommunikations-Kampagnen. Diese Kampagnen beinhalten dann nicht nur die Komponente Media-Relation, sondern auch Inbound Marketing, klassisches Marketing und das Budget für Outbound Marketing.

  2. Das klassische Marketing ist im Markt für Unternehmenssoftware weit verbreitet, sogar schon in Systemhäusern. Hier braucht es den stärksten Wandel. Das Marketing geht im integrierten Kommunikations-Hub auf und arbeitet nun integriert an einer Kommunikations-Strategie mit.

  3. Der Vertrieb, meist die Königskinder im Unternehmen, müssen näher an den Kommunikations-Hub heranrücken. Zusammen sind sie das Sprachrohr zu Interessenten und Kunden. Daher müssen auch sie künftig eine Sprache sprechen.

  4. Das Produkt, sei es eine Software oder eine Dienstleistung, muss sich dem Digitalisierungsprozess der Kunden anpassen. Dabei müssen die Product Owner zurück auf den Markt und den Dialog mit den Interessenten und Kunden suchen. Nur so kann das wertvolle Feedback direkt in die Weiterentwicklung mit einfließen.

  5. Software-Hersteller und Anbieter müssen sich vernetzen und ihr Netzwerk erweitern. Sie brauchen ein Ökosystem, damit sie als Full-IT-Service-Provider wahrgenommen werden. Nur so können sie die Anforderungen Ihrer Interessenten und Kunden erfüllen.