Erwachsenenbildung für Manager

"Ich bin dann mal im Praktikum"

Kommentar  von Marina Zubrod
Anarchie in der Wirtschaft: Startups mischen die Chefbüros auf und Manager kochen auch mal wieder Kaffee. Das müssen Sie jetzt wissen.

Das Konzept des lebenslangen Lernens und der persönlichen Weiterentwicklung ist längst auch in den Chefetagen angekommen - so lange es sich um die Mitarbeiter handelt. Dabei sind es besonders Führungskräfte, die immer am Puls der Zeit bleiben müssen. Sie sollten dabei nicht nur Markt und Zielgruppe aus dem Effeff kennen, sondern auch mit Innovationen und neuen Methoden Schritt halten. Doch im Alltagsgeschäft bleiben neue Ideen und innovative Ansätze sowie die persönliche Weiterbildung oft auf der Strecke - oder gelten gar als lästiges Übel. Die Folgen: Silodenken, Betriebsblindheit und Stillstand.

Ein paar Wochen Praktikum im Startup kann jedem erfahrenen Manager gut tun - sagen Innovationsmanager.
Foto: Bojan Milinkov - shutterstock.com

Das kann sich heute aber kaum ein Unternehmen leisten, das am Puls der Zeit bleiben möchte. Deshalb geben Konzerne trotz Zeitmangels und Unlust der Angestellten tausende von Euros aus, um ihre Fach- und Führungskräfte zum Beispiel für den digitalen Wandel fit zu machen. Agile Coachings, Weiterbildungen zum Scrum Master, digitales Projektmanagement - unzählige Anbieter überschwemmen Branche um Branche und versprechen für sehr viel Geld die Zukunftsfähigkeit, mit der Startups bereits ins Geschäft einsteigen.

Manager-Weiterbildung durch Innovationsgeist

Sicher wird kaum jemand bezweifeln, dass die besten Ideen aus Leidenschaft entstehen. Sie erwachsen aus der Passion, die ein Jungunternehmer mitbringen muss, um mit seiner Firma überhaupt erst loszulegen. Doch auch für Konzerne gilt: Die Identifikation mit dem Unternehmen und der Idee ist unbezahlbar. Sie ist es, die Chefs und Mitarbeiter zu Höchstleistungen anspornt und Freude an der Arbeit mit sich bringt. Wer schon einmal an einem Konzernschreibtisch gesessen hat, weiß, dass Anonymität und lange Freigabeprozesse schnell zu Lustlosigkeit und Dienst nach Vorschrift führen.

Solche und andere Kettenreaktion zu durchbrechen, gehört zu den komplexesten Aufgaben, die eine Führungskraft in großen Unternehmen meistern muss. Dafür bedarf es jedoch neuer Ansätze. Wie wäre es also, wenn zur Abwechslung nicht die Jungen ein Praktikum bei den "alten Hasen" machten, sondern die Erfahrenen dorthin gingen, wo die Innovation ist? Ein Konzernmanager wird dadurch sicher nicht zum Digital Native. Aber er kann von denen lernen, die bereits ins digitale Zeitalter hineingeboren wurden. Diese Erfahrung muss nicht in einer teuren Reise ins Silicon Valley münden, sondern kann auch in der eigenen Region gesammelt werden.

Neue Führungspraxis für die digitale Welt
Der Sportdirektor eines Vereins
Der Sportdirektor eines Vereins stellt den Kader zusammen und gestaltet die Spiel- und Terminpläne für Wettkämpfe und Trainings. Er instruiert Talentscouts, kauft Spieler ein und stellt Bewegungsfreiheit für erforderliche Transfers sicher. Sein Ziel: Menschen zu finden und zu binden, die die Weiterentwicklung des Unternehmens konstant antreiben. Er erweitert die Suchkriterien für die Rekrutierung, stellt Mitarbeiter mit verschiedensten Hintergründen ein und ermöglicht Familien- und altersgerechte Arbeitszeitmodelle.
Führung in der Digitalisierung
Die Studie "Die Haltung entscheidet. Neue Führungspraxis für die digitale Welt" stammt von LEAD (Mercator Capacity Building Center for Leadership & Advocacy) in Kooperation mit der Unternehmensberatung Company Companions sowie der School of Public Policy (Central European University, Budapest) und dem Center for Leadership and Values in Society (Universität St. Gallen). Die Autoren empfehlen acht Rollen als Orientierungshilfen.
Die Landschaftsgärtnerin
Die Landschaftsgärtnerin gestaltet und pflegt Grünanlagen. Sie versteht das gesamte Ökosystem und weiß, wann welche Pflanzen im Jahreszeitenwechsel an welcher Stelle ihre Wirkung entfalten und wie alles zusammenspielt. Ihr Ziel: Das Unternehmen langfristig auf zustellen, wenn Krise und Veränderung zum Normalfall geworden sind. Sie ermöglicht schnelles „Prototyping“, geht unkonventionelle Partnerschaften ein und bricht Silos mittels heterogener, cross-funktionaler Teams auf.
Die Seismologin
Die Seismologin muss wissen, wo die Erde beben könnte. Dafür analysiert sie Daten, registriert feinste Erschütterungen und erkennt Spannungen frühzeitig. Sie erliegt aber nicht der Illusion, die Zukunft genau vorhersagen zu können. Ihr Ziel: Grundlagen für gute Entscheidungen in einer unübersichtlichen Welt zu schaffen. Sie etabliert „Situation Rooms“ zur Entwicklung von Handlungsstrategien, greift über digitale Plattformen auf verborgenes Wissen zu und schult ihre Intuition als zusätzliche "Datenquelle".
Der Zen-Schüler
Der Zen-Schüler ist in Ausbildung und Vorbereitung. Er lernt, reflektiert und prüft sich selbst. Achtsamkeit, Mitgefühl und Offenheit sind seine Tugenden, er pflegt eine disziplinierte (spirituelle) Praxis. Sein Ziel: Das finden, woran er sich festhalten kann, wenn sich alle an ihm festhalten. Er nutzt Coaching- und Mentoring-Programme, schafft physische Räume für den Ausgleich und richtet den Blick nach innen.
Der DJ
Der Discjockey bringt mit seiner Musik die Menschen zum Tanzen. Er setzt einen Rahmen, der motiviert, anregt und gemeinsame Energie erzeugt. Zugleich hat er ein offenes Ohr für Anregungen und sensible Antennen für das richtige Stück im richtigen Moment. Sein Ziel: Eine Kultur der Zugewandtheit zu schaffen – aber mit dem Fokus auf Ergebnisorientierung. Dafür baut er Empathie als Führungskompetenz auf, schafft Räume, in denen Menschen gerne arbeiten, und agiert als Vorbild für Zugewandtheit und Leistungsorientierung.
Die Intendantin eines Theaters
Die Intendantin eines Theaters wählt die Stücke für die Aufführung aus. Sie entwickelt den roten Faden und prägt die gesellschaftliche Wirkungskraft ihres Hauses. Die Künstler und deren Expertise bindet sie dabei ein. Ihr Ziel: in Zeiten großer Unsicherheit und Unplanbarkeit Orientierung zu geben. Über ein „Strategy Board“ schafft sie die Voraussetzung für Richtungsentscheidungen schaffen, erhöht mittels interaktiver Beteiligungsformen die Einigkeit über die Richtung – und hat den Mut zu klaren Ansage in der Krise.
Die Trainerin
Die Trainerin leitet eine Mannschaft taktisch, technisch und konditionell an. Sie bestimmt Trainingsablauf, Mannschaftsaufstellung und Strategie. Sie muss für Misserfolge geradestehen, Erfolge lässt sie ihrem Team. Ihr Ziel: Die Mitarbeiter zu mehr Verantwortungsübernahme zu befähigen. Dafür entwickelt sie über zeitgemäße Lernformate Kompetenzen entwickeln, baut gegenseitiges Vertrauen auf und führt Anreize zur Übernahme von Verantwortung ein.
Der Blogger
Der Blogger kommentiert Geschehnisse – zugespitzt, aufrüttelnd und meist aus einer persönlichen Sichtweise. Er will die Welt verstehen, erklären und übersetzen. Er lebt vom direkten Feedback der Leser. Sein Ziel: Veränderungsbereitschaft in die DNA des Unternehmens zu schreiben. Er kaskadiert die Geschichte der Veränderung in die Firma, moderiert gemeinsame Lernprozesse und gibt sichtbare Veränderungsanstöße.

Lebenslanges Lernen als Win-Win-Situation

Ein paar Wochen "Praktikum" bei Startups könnte jeder Führungskraft guttun - aber auch den Anfängern. Der Konzernmitarbeiter übt sich in einem modernen Umfeld darin, agiler zu arbeiten und zu denken. Er muss sich auf Unwägbarkeiten einlassen, darf nicht alles auf fixe Ziele ausrichten und Budgets bis auf Heller und Cent planen. Das Startup erfährt wie das eigene Unternehmen organisierter wird, indem intensiver vorausgeplant und durchdacht wird. So ein "Manager-in-Residence", wie ich das Konzept gerne nenne, wäre also eine Win-Win-Situation für alle Parteien, ohne gleich immense Kostenberge zu verursachen.

Ein weiterer Nebeneffekt: Es rückt zusammen, was zusammengehört. Schließlich können Startups in Sachen Markterfahrung nicht mit Konzernen konkurrieren. Fehler, die "die Alten" bereits gemacht haben, müssen sie ja nicht unbedingt auch noch erfahren. Aber kein Konzern kann mit unflexiblen Strukturen und Prozessen so innovativ sein, wie eine "kleine Klitsche", die schnell, zielgerichtet und ohne großen bürokratischen Aufwand auf jede kleinste Marktveränderung reagieren kann. Innerhalb weniger Wochen lässt sich so eine große Lücke, die zwischen beiden Parteien natürlicherweise klafft, überbrücken. Es entstehen Synergien und Gemeinschaftssinn, anstatt Konkurrenz und Neid.

Weiterbildung sucht passenden Partner

Natürlich müssen Konzernmitarbeiter eine grundsätzlich positive Haltung gegenüber Neuem, Neugier und Lernbereitschaft sowie Offenheit für Weiterentwicklung und Innovation mitbringen. Aber wer seinen Partner sorgfältig auswählt, wird schnell merken, dass mit diesem Konzept die Besten von den Besten lernen. Dann findet ein Informationsaustausch von Manager zu Manager auf Augenhöhe statt. Und vielleicht stellt sich im Laufe der Zeit heraus, dass es neben dem Manager-in-Residence-Projekt auch noch Potenzial für weitere gemeinsame Projekte gibt.

Fragen Sie sich: Passt das Unternehmen, das Sie als Sparringspartner ausgewählt haben, zu Ihrer Marke und Ihrem Produkt? Oder tut es das ganz bewusst nicht? Weiterentwicklung innerhalb des eigenen Marktes hilft natürlich beiden Parteien und der direkte Lerneffekt ist auf den ersten Blick sicher hoch. Doch wer die Chance hat, bewusst auch einmal ganz weit über den Tellerrand hinauszuschauen, sollte sie ergreifen. Auch als Berater in der FinTech-Branche kann man von den Social-Media-Strategien eines Naturkosmetik-Startups profitieren. Und ein kleines Beauty-Label wird für die Hilfe beim Generieren von Geldern oder für kleine und große Tipps bei der Budgetplanung sicher dankbar sein. (hk)