Von der DNUG

IBM sieht das Ende der E-Mail

16.06.2010 von Markus Strehlitz
Auf der DNUG-Frühjahrstagung präsentierte IBM die Collaboration-Lösung Lotus Notes als Nutzeroberfläche für Social Software.
Foto: IBM

"E-Mail ist etwas für alte Menschen", verkündete Chris Crummey zu Beginn der Tagung der Deutschen Notes User Group (DNUG) in Berlin. Crummey zählt bei der IBM-Tochter Lotus zu den hohen Managern und führt zudem den Titel Lead Lotus Evangelist. Was er mit seiner pointierten Aussage meinte: In der modernen Arbeitswelt wird die elektronische Post zunehmend von Web-2.0-Anwendungen verdrängt werden. Zum Beispiel sei es nicht sehr effizient, Mails mit riesigen Anhängen kreuz und quer durch das Unternehmen zu schicken. Viel zweckmäßiger sei es, den Kollegen und Geschäftspartnern Dokumente auf Cloud-Plattformen oder in sozialen Netzen zur Verfügung zu stellen.

Wie Crummey argumentiert auch Lotus-Chef Alistair Rennie für die Abkehr von der herkömmlichen digitalen Post. "E-Mail bringt keine Veränderung", so Rennie, "aber Web-2.0-Technik kann die Art und Weise verändern, wie Unternehmen ihre Arbeit erledigen."

IBM bindet daher zunehmend Funktionen seiner Social-Software-Produkte wie etwa "Connections" in das hauseigene E-Mail-System Lotus Notes ein. Der Notes-Client soll zur Nutzeroberfläche für das von Big Blue propagierte Enterprise 2.0 werden. Zu den E-Mails werden dann zum Beispiel die passenden Kontaktinformationen geliefert. Bei IBM geschieht das unter anderem in Form einer digitalen Visitenkarte. Diese bietet auch Präsenzinformationen oder die Möglichkeit, mit den entsprechenden Personen über verschiedene Kanäle zu kommunizieren. Durch die Einbindung von Telefoniefunktionen etwa lassen sich recht einfach Konferenzschaltungen starten. Innerhalb von Notes können auch Mashups aufgebaut werden - also das Zusammenführen von mehreren verschiedenen Anwendungen auf einer Oberfläche.

Ed Brill, der leitende Produkt-Manager bei Lotus Software, kündigte an, dass sich Lotus Notes auch im Design künftig noch stärker an der Arbeit in Netzwerken orientieren wird. Zudem soll laut General Manager Rennie "der Notes-Client eleganter werden" und sich einfacher nutzen lassen. Das ist nach Ansicht einiger Anwender auch nötig. So war auf der DNUG-Tagung die Kritik zu hören, dass der Client mittlerweile sehr komplex und unübersichtlich geworden sei. Version 8.5.2 von Lotus Notes soll im dritten Quartal dieses Jahres verfügbar sein.

Web 2.0 ist bei Notes-Usern angekommen

Die starke Ausrichtung des Lotus-Portfolios auf Social Software ist bei den Nutzern mittlerweile offenbar angekommen. Auf der Frühjahrstagung vor zwei Jahren hatte der DNUG-Vorstandssprecher Jürgen Zirke noch berichtet, dass Web 2.0 kein Thema für die meisten Unternehmen sei. Doch diese Situation habe sich mittlerweile geändert: "Neben großen Firmen setzen jetzt sogar Mittelständler solche Techniken ein", erzählt Zirke. Und viele Organisationen bauten sehr moderne, intuitiv bedienbare Portale auf. Als Beispiel nennt Zirke das Portal AixPort der Städteregion Aachen, für das der IT-Dienstleister Regio IT Aachen den diesjährigen Collaboration-Award der DNUG erhielt. Die Plattform basiert auf dem Content-Management-System des IBM-Partners Conet sowie auf Big Blues Portallösung von Websphere.

Während IBM mit seiner Web-2.0-Botschaft bei den Unternehmen Gehör gefunden hat, gibt es bei dem großen Zukunftsprojekt von Lotus noch Klärungsbedarf: "Vulcan klingt interessant", so Zirke, "doch so richtig verstehen die Anwender noch nicht, was es damit auf sich hat."

Lotus-Stand auf der DNUG - auf manchen Besucher dürfte der Slogan etwas vermessen gewirkt haben.

Laut Lotus-Chef Rennie geht es dabei um ein Konzept, an dem sich alle künftigen Lotus-Produkte ausrichten werden. "Vulcan ist ein Rahmenwerk, das unsere verschiedenen Technologien integriert", erklärt der IBM-Manager. Der entscheidende Punkt ist, dass das System dem Nutzer selbständig Services der unterschiedlichen Produkte zur Verfügung stellen soll, die dieser für seine aktuelle Arbeit braucht. Die Basis für Vulcan sei daher die Social-Analytics-Technik, so Rennie. Mit ihrer Hilfe soll die Software erkennen, welche Unterstützung ein Anwender gerade benötigt. Man gehe davon aus, dass Anfang des kommenden Jahres auf der weltweiten Anwenderkonferenz Lotusphere erste konkrete Lösungen auf Basis von Vulcan präsentiert werden können.

Neuigkeiten aus dem Mobile-Segment

Konkrete Neuigkeiten gibt es dagegen inzwischen aus dem mobilen Segment. Auf der DNUG-Tagung verkündete Ed Brill, dass der Lotus Notes Traveler künftig auch auf dem iPad verwendet werden kann. Die Software synchronisiert E-Mails, Kalender, Kontakte und To-do-Listen zwischen dem Domino Server und mobilen Endgeräten. Besitzer eines iPad können nun also auch ihre elektronische Post auf dem Tablet von Apple lesen. Wer auf verschlüsselte E-Mails über das iPad zugreifen möchte, für den steht eine entsprechende App unter dem Namen "Lotus Notes Traveler Companion" im App-Store bereit.

Für Nutzer von Android-Handys wird ebenfalls bald eine Version des Notes Traveler verfügbar sein. Zudem steht bei IBM auch eine Linux-Variante des Traveler-Servers auf dem Plan. Zumindest auf Mobilgeräten ist die Zeit für E-Mails also noch nicht abgelaufen.

Lotus-Chef erklärt Vulcan

Lotus-Chef Alistair Rennie stellte das Projekt Vulcan auf der Jahreskonferenz Lotusphere im Januar vor.
Foto: IBM

Alistair Rennie, General Manager von Lotus Software, im Gespräch mit COMPUTERWOCHE. Das Interview führte Markus Strehlitz.

COMPUTERWOCHE: Lotus bietet ein großes Portfolio an Collaboration- und Web-2.0-Techniken. Aber Konkurrent Microsoft hat mit SharePoint eine kompakte und anwenderfreundliche Lösung, die viele Grundanforderungen der Unternehmen erfüllt. Wie reagiert Lotus auf den Erfolg von SharePoint und die neue Version 2010?

RENNIE: SharePoint hat ein paar nette Funktionen. Aber es ist hauptsächlich ein Werkzeug, um Teamräume für den Austausch von Dokumenten zu schaffen. Es ist als Content-Repository entstanden. Die heutige Arbeitswelt funktioniert aber immer weniger dokumentenzentriert. Vielmehr dreht sie sich um Personen und deren Kommunikation. Dafür braucht man Web-2.0-Funktionen. Und in diesem Bereich ist etwa unsere Social-Software-Plattform Lotus Connections den Möglichkeiten von SharePoint weit überlegen. Außerdem beträgt der Release-Zyklus von SharePoint zwei bis vier Jahre. Das ist viel zu lange. So kann Microsoft mit der schnellen Entwicklung der Technik nicht mithalten.

COMPUTERWOCHE: Gibt es trotzdem Pläne, die vielfältigen Lotus-Techniken ein bisschen zu vereinheitlichen?

RENNIE: Wir arbeiten daran, Teamräume in Connections einfacher einzubinden und mit Workflow-Funktionen zu integrieren. Dem werden dann noch Features unserer Dokumentenplattform Quickr hinzugefügt. Und diese gesamte Lösung soll sich dann auch intuitiver nutzen lassen.

COMPUTERWOCHE: Große Pläne hat IBM Lotus auch mit seinem Projekt Vulcan, das die verschiedenen Produkte tiefer miteinander integrieren und den Desktop zu einem aktiven Assistenten machen soll. Wie ist hier der Stand der Entwicklung? Wann wird es konkrete Lösungen geben?

RENNIE: Gegen Ende dieses Jahres werden wir erste Services veröffentlichen, auf deren Basis Entwickler entsprechende Lösungen bauen können. Ich denke, auf der nächsten Lotusphere Ende Januar 2011 wird man erste konkrete Beispiele sehen können. Aber wir nehmen uns Zeit, um es richtig zu machen.

COMPUTERWOCHE: Analysten warnen davor, dass Vulcan die Anwender ähnlich irritieren könnte, wie es IBM Lotus mit seinem Workplace-Konzept vor ein paar Jahren getan hat.

RENNIE: Die Gefahr sehe ich nicht. Bei Workplace ging es darum, andere Produkte zu ersetzen - wie zum Beispiel Lotus Domino. Aber bei Vulcan steht Kontinuität im Mittelpunkt. Die E-Mail-Services für Vulcan kommen von Domino. Der Rich Client basiert auf Notes. Der Server für Unified Communications ist Lotus Sametime. Und so weiter. Die Produkte, in die die Anwender investiert haben, sind die Elemente, aus denen sich Vulcan zusammensetzt. Vulcan ist das Rahmenwerk, um diese Techniken miteinander zu verknüpfen.

COMPUTERWOCHE: Vor zwei Jahren gab Lotus die Zusammenarbeit mit SAP bekannt. Doch in der vergangenen Zeit ist es um das Projekt Alloy ziemlich ruhig geworden. Wie weit ist die Kooperation gediehen?

RENNIE: Es läuft gut. Die Idee, Informationen aus dem ERP-System in eine Collaboration-Umgebung einzubinden, war richtig. Aber Unternehmen nehmen nicht ständig ein Update ihrer Standardsoftware vor. Daher braucht es Zeit, bis sich Anwendungen auf Basis von Alloy in den Firmen verbreiten. (ue)