Cloud Computing in der Praxis

Hybrid Cloud kommt durch die Hintertür

14.12.2012 von Ariane Rüdiger
Die Hybrid Cloud gilt vielen als Königsweg, um die Potenziale des Cloud Computing zu nutzen. Doch in der Praxis verlaufen Projekte oft ungesteuert.

Schon mindestens drei Jahre rauscht der Begriff Hybrid Cloud mächtig durch die PR-Kampagnen der Anbieter. Sie preisen das Konzept als goldene Brücke in die schöne neue IT-Servicewelt. Das Versprechen: Mehr Flexibilität, sinkende IT-Kosten und eine nahtlose Integration externer und interner IT-Ressourcen. Anwender könnten darauf bequem über Selbstbedienungs-Portale zugreifen.

Idealerweise lassen sich Lasten oder Services in einer solchen Hybrid-Cloud-Infrastruktur rasch automatisiert von innen nach außen verlagern und umgekehrt. Darin liegt ein wichtiger Unterschied zum altbekannten Outsourcing. Ein zweiter besteht darin, dass beim Hybrid-Cloud-Computing die Ressourcen, die "draußen" liegen, auf einer zwischen mehreren Kunden geteilten Infrastruktur laufen sollten oder zumindest können - jedenfalls dann, wenn es sich um die Idealform der hybriden Cloud mit Public- und Private-Anteilen handelt.

„Viel geplant, wenig implementiert.“ Carlo Velten, Senior Advisor beim Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Experton Group, zum Thema Hybrid Cloud.
Foto: Experton Group

In gemischten Infrastrukturen gibt es viele Ebenen der Hybridisierung: Der Begriff Hybrid Cloud ist beispielsweise relativ eindeutigs anwendbar, wenn ein Unternehmen seine Hardware-Infrastruktur teils im eigenen RZ, teils im fremden, über Internet angebundenen Public-Cloud-RZ hält. Doch greift die schwammige Bezeichnung auch, wenn zur eigenen Hardware-Infrastruktur nur einige Software-Services aus der Public Cloud hinzukommen? In diesem Artikel wird auch für diesen Fall der Begriff Hybrid Cloud verwendet, obwohl sich darüber streiten lässt.

Dass es in Sachen Hybrid Clouds in den meisten Unternehmen zumindest offiziell eher langsam vorangeht, beobachtet Carlo Velten, Senior Advisor beim Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Experton Group: "In den vergangenen zwei Jahren ist in vielen Unternehmen über Hybrid Cloud viel geredet worden - aber nur ein gutes Zehntel der Unternehmen, die darüber nachdenken, hat sie umgesetzt."

„Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit spielen heute eine wichtigere Rolle als die Angst, die Kontrolle über Daten zu verlieren“, sagt Matthias Zacher, Senior Consultant, IDC.
Foto: IDC

Daten von IDC (Umfrage unter 254 deutschen Führungskräften zu Cloud Computing) zeigen, dass eine Hybrid Cloud in 54 Prozent der befragten Firmen geplant ist. 41 Prozent wollen von dieser Infrastrukturvariante nichts wissen. Viel beliebter sind reine SaaS-Dienste: 77 Prozent der Unternehmen planen, Public SaaS-Services zu nutzen oder tun es bereits. "Auffällig ist außerdem, dass das Thema Kontrolle über die Daten als Hinderungsgrund gegenüber Cloud-Implementierungen zurückgegangen ist - Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit spielen heute eine wichtigere Rolle", sagt Matthias Zacher, Senior Consultant bei IDC.

Cloud-Anbieter im Vergleich
Einige Ergebnisses des Cloud Vendor Benchmark
Die Experton Group hat die Dienste von insgesamt 109 Anbieter in 16 Kategorien analysiert und in ihrem Bewertungsquandranten zugordnet: Oben rechts sind die Marktführer platziert, unten links die unausgereiften Angebote. Anbieter in der oberen rechten Ecke verfügen über gute Produkte aber wenig Durchschlagskraft im Markt, Hersteller, die sich unten rechts wieder finden, sind wettbewerksstark, ihre Lösungen könnten aber besser sein.
Public Infrastructure as a Service (IaaS)
Die Amazon Web Services (AWS) sind unangefochtener Marktführer im Bereich Public IaaS. Amazon baut die Plattform weiter n Richtung Enterprise-IT aus, hält aber auch gegenüber den Geschäftskunden am Vertriebskonzept der Self-Services fest. IBM bietet ein deutsches RZ sowie geschäftskundenorientierte SLAs und Serviceangebote. Die Google App Engine und Microsofts Azure liefern zwar gute Usability und hohe Skalierbarkeit, der integrierte PaaS-Ansatz bietet nicht die gewünschte Auswahlfreiheit und Kombinationsmöglichkeiten.
Managed Infrastructure as a Service (IaaS=
Das Geschäft mit IaaS Managed Cloud wird von solchen etablierten Service Providern dominiert, die früh in Cloud-Infrastrukturen und das Know-how ihrer Mitarbeiter investiert haben. T-Systems führt das Feld vor Schwergewichten wie IBM, BT Germany und Fujitsu an. Auch Telco-Töchter warten mit interessanten Paketen aus Managed-IaaS- und Netzdienste auf (etwa Telefonica, Claranet und NTT).
ERP aus der Cloud
Das Angebot an SaaS-Lösungen für ERP ist überschaubar, es gibt nur sechs Angebote. SAP liefert m it Business byDesign die SaaS-Lösung mit dem größten Funktionsumfang und der Option, auf größere Lösungen zu migrieren. Dahinter gibt es interessante Alternativen von jungen Firmen in Deutschland, etwa Weclapp aus Marburg.
Infrastruktur-Technologien für Cloud-Installationen
Der Markt für Cloud-Technologien wird von wenigen Konzernen dominiert, die als Komplettanbieter nahezu das gesamte Spektrum an Server-, Storage- und Netzkomponenten abdecken. IBM, HP, Fujitsu, Oracle und Dell zählen zu dieser Gruppe. Cisco konnte sein Unified Computing System (UCS) im Feld der dominierenden Hardware-Plattformen etablieren.
Cloud-Management-Plattformen
An der Spitze der Anbieter von Cloud-Management-Plattformen hält sich weiter VMware. Doch der Platzhirsch muss sich ständig im Wettbewerb mit einer Vielzahl junger Softwarefirmen sowie mit den etablierten, globalen Technologielieferanten beweisen. Zudem ist der Markt geprägt von einer Vielzahl unterschiedlicher Kooperationen und Allianzen. Insgesamt haben sich die Lösungen binnen Jahresfrist funktional deutlich weiter entwickelt.
Deutliche Umsatzsteigerung
Der Cloud-Umsatz im deutschen B2B-Markt wird sich von knapp über drei Milliarden Euro in diesem Jahr auf 10,6 Milliarden Euro im Jahr 2016 verdreifachen. In die Erhebung fließen alle Umsätze mit Cloud-Diensten (etwa SaaS, IaaS, PaaS), mit Integrations- und Beratungsprojekten sowie mit Cloud-Technologien ein. Die Entwicklung der einzelnen Einnahmenblöcke zeigt, dass sich der Schwerpunkt mehr und mehr zu den Cloud-Diensten verlagert. Hier wird sich das Marktvolumen in den Jahren 2012 bis 2016 vervierfachen.

Cloud Computing bei Autoscout24

Auch die KFZ-Plattform Autoscout24 nutzt Services aus der Cloud.
Foto: Autoscout24

Wie sieht es in der Praxis tatsächlich aus? Einer der Pioniere, die über ihre Hybrid-Cloud-Erfahrungen reden, ist Autoscout24, europaweit der größte Online-Automarkt. Er bietet Privatkunden, Händlern und Herstellern seit 1998 eine umfassende Plattform für den Autohandel im Internet mit rund 2 Millionen Neu- und Gebrauchtwagen. Das System wird derzeit um weitere Serviceangebote erweitert. Autoscout24 zählt im Monat bis zu drei Milliarden Requests von menschlichen Nutzern. Hinzu kommen mehrere Milliarden Anfragen durch Bots, gehäuft in den Abendstunden und mittags. Unerwartete Lastspitzen sind nicht selten, berichtet Joachim Rath, Head of IT Production. "Am Jahresanfang 2012 hatten wir beispielweise wegen des schlechten Wetters plötzlich 30 Prozent mehr Requests als üblich." Die eigene Infrastruktur sei zu 60 bis 70 Prozent ausgelastet.

Cloud-Services erprobt Autoscout24 seit rund zwei Jahren. Das Unternehmen plant unter anderem, Salesforce.com zum Management der Kundenbeziehungen einzusetzen, betreibt Test-Server in Microsofts Azure-Cloud und auch "einiges bei Amazon", wie Rath formuliert. In einem Erweiterungsprojekt erprobt das IT-Management zum ersten Mal den Hybridansatz auf der Infrastrukturebene mithilfe von VMwares vConnect und vCloud. Nach Beratungen mit dem Hersteller wird die Verarbeitung der Taxonomiedaten des neuen Werkstattportals als Pilot-IaaS-Lösung zusammen mit dem Cloud-Anbieter Wusys aufgebaut.

Auf dem Diagramm ist alles ganz einfach, wenn zwei Clouds mit vCloud Director verbunden werden sollen. Die Realität ist nicht ganz so simpel.
Foto: Autoscout24

Diese Daten, die AutoScout24 von einem Drittanbieter bezieht, erfassen genau, welche Ersatzteile und Serviceleistungen für welche Autotypen benötigt werden. Bei diesem Projekt zeigt sich, wo die Haken des Hybrid-Ansatzes liegen: "Die größte Herausforderung ist, dass alle Infrastrukturkomponenten auf beiden Seiten hundertprozentig stabil zusammenarbeiten müssen", weiß Michael Schwarze, Projektleiter Cloud. "Das bedeutet: Man muss extrem akribisch und unglaublich tief in die Treiber und die Firmware einsteigen, um Versionsfehler oder unpassende Konfigurationen zu finden."

Manchmal, so Schwarze, habe selbst der Hersteller der betroffenen Komponenten nicht weitergewusst, so dass seine Mitarbeiter auf Instinkt und Improvisationstalent angewiesen waren. "Einige Komponenten mussten wir sogar austauschen", sagt er - in diesem Fall traf es die bis dahin verwendeten Blade-Server, die durch HP-Server-Blades ersetzt wurden. Generell komme man bei Hybrid Cloud mit einem One-Vendor-Ansatz nicht weiter, meint IT-Chef Rath. Die Infrastruktur jedenfalls ist komplex und besteht neben HP-Blades unter anderem auch aus Cisco-, IBM- und F5-Komponenten.

Eine der größten Herausforderungen war das Thema Connectivity. Gerade das Zusammenspiel verschachtelter Netzwerkelemente wie Loadbalancer und mehrstufige Firewalls erfordert beim Aufbau einer Hybrid Cloud sehr kleinteilige Konfigurationsarbeiten. Darüber hinaus musste beispielsweise selbst der vCloud Connector an einigen Stellen feinjustiert werden. "Beim Verschieben einer Maschine in die Public Cloud hat vConnect anfangs die Konfigurationen überschrieben, die Maschinen wussten also beispielsweise nicht mehr, wie sie heißen", berichtet Schwarze.

Rund 57 Prozent der Anwender nutzen eine Hybrid Cloud oder planen das in der nächsten Zeit.
Foto: IDC

Trotz der Schwierigkeiten ist IT-Manager Rath optimistisch: Als nächstes soll die gesamte Web-Plattform "hybridisiert" werden. "Wir orchestrieren bereits die Applikationen", sagt er. Der Kostenaspekt, von IaaS-Providern gern als Argument für ihre Angebote angeführt, stellt sich aus seiner Sicht so dar: "Der komplette Betrieb einer Webplattform unserer Dimension in der Public Cloud ist derzeit wirtschaftlich nicht sinnvoll." Ein hybrider Ansatz rechne sich, wo nicht langfristig investiert werden soll, aber kurzfristig Lastspitzen abzufangen sind, weil man sonst schlechte Performance zu Spitzenzeiten befürchten müsse. Nur durchgehend schnelle Antwortzeiten auch bei Spitzenlasten könnten garantierten, dass man keine Kunden verliere.

Wie Haniel Cloud-Verträge gestaltet

Haniel, hier der Sitz der Holding, nutzt in diesem Geschäftsbereich eine Hybrid-Cloud-Infrastruktur.
Foto: Haniel

Auf einen weiteren kritischen Bereich weist der Bericht eines anderen Anwenders hin: die Vertragsgestaltung für Hybrid-Modelle, für die es bisher kaum Modelle gibt. Die Haniel-Holding mit 200 Mitarbeitern, zu deren Geschäftsbereichen beispielsweise Celesio oder Takkt gehören, besitzt eine eigene IT-Abteilung. IT-Leiter Dirk Müller entschloss sich, von Lotus Notes auf Microsoft zu migrieren und wählte die SaaS-Variante. "Das Projekt hatte mit sechs Monaten eine lange Vorlaufzeit", berichtet er. Das lag weniger an der Technik. Vielmehr mussten intern und extern beim Partner Themen wie Compliance, Sicherheit, Lizenzierung oder Risikoübergang diskutiert und in Vertragsform gegossen werden.

"Die Schnittstellen für den Risikoübergang sauber zu definieren, ist bei Hybrid-Infrastrukturen ein sehr wichtiges Thema, das sich aber managen lässt", bestätigt Mike Wagner, für Outsourcing und Consulting verantwortlicher Prokurist bei der Info AG. Sein Unternehmen bietet vorwiegend mittelständischen Kunden Hosted-Private-Cloud-Services an.

Haniel jedenfalls wird in Zukunft Exchange, Sharepoint und Lync aus der Public Cloud von Microsoft beziehen, wobei mit Hilfe eines Active Directory ein Single-Sign-On zu sämtlichen Anwendungen realisiert wurde. Dazu gehört auch die SAP-Umgebung, die im internen Teil der Haniel-Infrastruktur, einem eigenen Rechenzentrum, liegt. Hinzu kommen weitere Cloud-Services: Das Electronic Recruiting, früher eine SAP-Komponente und intern vorgehalten, wird mittlerweile als Cloud Service von Umantis, einer Tochter des Haufe-Verlags, bezogen und ist für die HR-Abteilung und die Führungskräfte in das Single Sign On über das zentrale Mitarbeiterportal integriert.

Das Active Directory, das die Identitäten für die Microsoft-Cloud verwaltet, ist in der Holding-internen Infrastruktur aufgebaut und synchronisiert die Daten permanent mit einer zentralen Instanz in der Cloud. Eine Authentifizierung von außen ist trotz Public Cloud nur gegen die interne Instanz möglich. Die Holding ist mit dieser Lösung Vorreiter im Haniel-Konzern, in dem jeder Geschäftsbereich eine eigenständige IT-Abteilung besitzt. "Die Geschäftsbereiche interessieren sich aber sehr für unsere Erfahrungen", sagt Müller.

Das Grundproblem hybrider IaaS- oder SaaS-Strukturen sieht Müller in dem schwierigen Anbieterwechsel, sollte dieser einmal nötig sein: "Die technische Anbindung ist einfach, aber insgesamt dauert das alles Monate. Bei Standard-Diensten wie etwa E-Mail ist das noch vergleichsweise einfach, aber beim Thema CRM sieht das schon anders aus." Schließlich müssten Daten übernommen und viele andere Dinge geklärt werden.

In 5 Schritten zur Cloud-Strategie
In 5 Schritten zur Cloud-Strategie
In vielen Firmen steht das Budget für Cloud-Initiativen bereit. Nun gilt es die richtigen Entscheidungen zu treffen, etwa was das Cloud-Modell angeht.
1. Das richtige Cloud-Modell wählen
Hier gibt es grundlegend zwei Varianten: In einer Private Cloud behält die IT-Abteilung die Kontrolle über das Cloud-Management, während die Public Cloud vom Anbieter verwaltet wird und mehr von Skaleneffekten profitieren kann. Dabei schält sich eine interessante Alternative heraus: die Managed Private Cloud. Unternehmen erhalten dabei eine dedizierte Infrastruktur in einer Public-Cloud-Umgebung, die eigens für sie bereitgestellt wird. Diese Variante wird zunehmend attraktiver, da die Anbindung zur Public Cloud durch VPNs und Direct Ethernet Links immer besser werden. Managed Private Clouds vereinen damit die Sicherheit einer Private Cloud mit der Skalierbarkeit der Public Cloud.
2. Das richtige Tempo für die Umsetzung festlegen
Den Schlüssel für die Antwort liefert der Blick auf die eigene Branche. Gilt sie als Early Adopter oder hinkt sie in der Verwendung hinterher? In einigen Branchen stehen die Unternehmen kurz davor, die Cloud umfangreich einzusetzen. Es ist wichtig, mit diesem Tempo mitzuhalten.
3. Die richtige Organisationsstruktur finden
Ist die Migration beschlossen, lautet die nächste Frage, wie das Cloud-Management aussehen wird. 44 Prozent der Befragten berichteten, dass neue Aufgabengebiete nach der Migration in die Cloud im IT-Team geschaffen wurden, während 69 Prozent sagten, ihr IT-Team müsse rasch Fachwissen über das Cloud-Management erwerben.
4. Die richtige Umgebung einbeziehen
Die Cloud zwingt die Unternehmen in zwei Bereichen sich zu entscheiden, welche Plattform sie einsetzen wollen. Einmal: Mit welchen mobilen Geräten können die Endbenutzer künftig auf die Cloud zugreifen? Die führenden Systeme sind heute Apple iOS und Android. HTML5 ist ein Standard, der gerade groß wird, während sich Microsoft mit Windows Phone abmüht und RIM versucht, BlackBerry im Markt zu halten. Dieser Markt, so Gens, wird sich im kommenden Jahr konsolidieren.
5. Den richtigen Partner finden
Ein breiter Markt hat sich entwickelt rund um Infrastruktur, Software und Services aus der Cloud. Hier mischen sich große Cloud-Spieler, die relativ neu sind auf dem Feld der Unternehmens-IT - wie Amazon und SalesForce.com - mit großen Anbietern, die Unternehmens-IT beherrschen, aber gerade neu in den Bereich Cloud hineinwachsen, etwa IBM, HP, CSC und Accenture. "Die neuen Spieler sind Cloud-versiert, aber entwickeln gerade ihre Reputation für Enterprise-IT, während die traditionellen Akteure eine enge Beziehung zur IT haben, aber gerade erst ihre Cloud-Strategien ausarbeiten", sagt Gens.

Präsenzinformationen aus der Cloud bei TGE

Auch TGE, ein Engineering-Dienstleister für den Gasmarkt, hat sich mit Microsofts SaaS-Services angefreundet. Das Unternehmen mit 360 Mitarbeitern hat Niederlassungen in der ganzen Welt, die weitgehend ohne IT-Personal auskommen. Firmensitz ist Bonn. Die IT-Abteilung hat fünf Mitarbeiter. "Unser Vertrieb und die Ingenieure vor Ort brauchen Systeme, die weltweit nutzbar sind", sagt IT-Leiter Christian Domschke. Mit Lync Online sammelte man bereits früh in der Beta Phase von Office 365 Erfahrungen und arbeitete entsprechende Vorteile gemeinsam mit dem Microsoft Gold Partner Glück & Kanja heraus. Das Projekt war von Anfang an als Microsoft-Kundenreferenz angelegt.

Zunächst wurden einige wenige Accounts migriert. Schon im Oktober 2011, kurz nach offizieller Markteinführung, konnte TGE die alte Office Communication Server Plattform (on-Premise) auf Lync Online umstellen. "Große Sorgfalt bei der Konzeption ist hier sehr wichtig", sagt Domschke. "Wir stellen hohe Ansprüche: Geplant waren Desktop-Sharing, Dateiaustausch, ein Bild vom Kontakt im Outlook-Client. Wir haben viele Standorte und generieren Sprach- und Videoverkehr, der optimal geroutet werden muss." Mittelfristig soll auch die Telefonanlage, derzeit ein IP-System von Swyx, auf Lync wandern. "Wir brauchen Lync in den Remote-Sites. Beispielsweise kommunizieren Baustellen nur noch über Lync und Mobiltelefone, die in diese Infrastruktur integriert werden müssen", so der IT-Manager. "Die Aussicht, mit Lync Online in der nächsten Version auch Festnetz integrieren zu können, konsolidiert die notwendige und teils aufwendig zu implementierende Vor-Ort Kommunikation erheblich".

Die Integration der Microsoft-Services aus der Cloud in die übrige Softwareinfrastruktur hat bei TGE mehrere Dimensionen: So gibt es ein zentrales Login über Active Directory für alle Arbeitsplätze. Außerdem werden Präsenzinformationen aus Lync in das Dokumentenmanagementsystem Omega PIMS R3 und zukünftig auch im ERP-Bereich für Microsoft Dynamics NAV übernommen. Das konnte dank des Lync SDK und einer gekapselten .net-Schnittstelle (WPF nach Winforms) in der Applikation in wenigen Stunden erledigt werden.

SaaS könnte sich bei TGE auch in anderen Bereichen ausbreiten, beispielsweise bei der CAD-Infrastruktur. Siemens bietet über Partner entsprechende Applikationen an, die das Unternehmen derzeit evaluiert. TGE ist auch für andere Themen mit IT Dienstleistern für Infrastruktur im Gespräch. IaaS-Lösungen peilt der Engineering-Spezialist dagegen zur Zeit nicht an. "Darin sehen wir aktuell noch keine sinnvolle Ergänzung unserer Umgebung", sagt Domschke.

„Wegen sehr spezieller Integrationen zwischen Anwendungen werden die meisten Unternehmen nicht ausschließlich SaaS nutzen“, Uwe Sonnenschein, Senior Projektingenieur Unified Communications.
Foto: Glück & Kanja

Wie heterogen sich eine Infrastruktur darstellen kann, zeigt der erwähnte Cloud-Dienstleister Glück & Kanja. "Wir beziehen unsere Rechenkapazität hauptsächlich zentral als IaaS, betreiben die Anwendungen aber selbst", erklärt Uwe Sonnenschein, Senior Projektingenieur Unified Communications bei dem Unternehmen. Das betrifft CRM, Identitätsmanagement und Fileservices. E-Mail und Sharepoint werden dagegen aus der Office-365-Wolke eines der Microsoft-Rechenzentren in Europa bezogen. Microsoft Lync als umfassendes Kommunikationssystem befindet sich auf eigener Hardware im Rechenzentrum in Offenbach und ist direkt mit Office365 verknüpft. Lync erbringt auch die Telefoniefunktionen - bis auf den Anrufbeantworter, den Office 365 stellt. Diese Infrastruktur besteht seit Ostern 2011 - die Veränderungen seien von den Anwendern kaum wahrgenommen worden, berichten die Verantwortlichen.

Obwohl der Dienstleister selbst viele SaaS-Angebote nutzt, erkennt Sonnenschein Grenzen für SaaS: "Viele Kunden haben sehr spezielle Integrationen in ihren branchentypischen Anwendungen, die sich in Verbindung mit einem standardisierten SaaS-Service teilweise nicht abbilden lassen, zum Beispiel, weil die Integrationsschnittstellen bei SaaS noch nicht umfassend zur Verfügung stehen." Je mehr der Kunde heute oder zukünftig auf Standards in seiner IT Landschaft setze, desto früher könne er reibungslos auf SaaS wechseln. Für einen Großteil der Firmen werde das im ersten Schritt eine Mischung aus SaaS, IaaS mit Eigenbetrieb und komplett eigenen Infrastrukturanteilen bedeuten.

Cloud-Praxis: Zentrale IT macht die Augen zu

Die wenigen Beispiele zeigen: Das Zeitalter der Cloud mit allen ihren Varianten beginnt gerade erst. Dass sich Hybrid-Cloud-Modelle langfristig ausbreiten werden, gilt trotz der anfänglichen Zurückhaltung vieler Anwender als ausgemacht. "In zehn Jahren wird man überall Hybrid Cloud sehen", prognostiziert etwa Info-AG-Manager Wagner.

Sorgen um Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit haben als wichtigster Hemmfaktor andere Themen, zum Beispiel Datensicherheit, beim Thema Public Cloud abgelöst.
Foto: IDC

Durch die Hintertür ist die hybride Umgebung allerdings schon heute in vielen Unternehmen Realität: Auffällig an der eingangs erwähnten IDC-Umfrage ist nämlich vor allem dies: In 39 Prozent der befragten Firmen nutzen die Fachbereiche schon heute an der zentralen IT-Abteilung vorbei Public-Cloud-Services. 38 Prozent der IT-Abteilungen dulden stillschweigend solche Verhaltensweisen, ohne Regeln oder Integrationen zur Rest-IT zu entwickeln. Das könnte man als Kapitulation vor der Realität deuten. Am beliebtesten sind demnach E-Mail- und Kalender-Dienste (54 Prozent), Projektmanagement-Apps (41 Prozent) und Datenbanken (33 Prozent). Nur rund ein Viertel der Umfrageteilnehmer gibt an, dass keinerlei kostenlose Public-Cloud-Services im Unternehmen geschäftlich genutzt würden.

Das erinnert lebhaft an die vielen beruflich eingesetzten privaten mobilen Endgeräte, die IT-Manager durch hastig entwickelte BYOD (Bring Your Own Device)-Lösungen in den Griff bekommen möchten. Insofern könnte der nächste große IT-Trend durchaus "Bring Your Own App" heißen und nicht wenige Unternehmen, freiwillig oder nicht, ins hybride Cloud-Zeitalter katapultieren. (wh)