Paukenschlag aus Palo Alto

HP besinnt sich zurück aufs Enterprise

19.08.2011 von Thomas Cloer
Hewlett-Packard hat einen massiven Umbauplan präsentiert - nach zehn Jahren womöglich die späte Einsicht, dass der Kauf von Compaq ein strategischer Fehler war.

HP sorgte gestern bereits vor Börsenschluss in den USA für jede Menge Wirbel: Der Konzern kündigte an, er wolle die Softwareschmiede Autonomy übernehmen, seine PC-Sparte möglicherweise abstoßen und das Geschäft mit webOS-Hardware - darunter das gerade 49 Tage am Markt befindliche Tablet "Touchpad" - aufgeben. Dazu gab es aus Börsensicht enttäuschende Quartalszahlen und Prognosen. Später folgten dann eine Reihe von Pressemitteilungen mit mehr Details, der Aktienkurs von HP gab (in einem zugegeben schwachen Umfeld) deutlich nach.

In der Mitteilung zu den Quartalszahlen konkretisierte Hewlett-Packard den bereits im März verkündeten Strategieschwenk: Der Konzern aus Palo Alto will sich verstärkt in Wachstumssegmenten mit Mehrwert und höheren Margen engagieren, seinen Fokus auf die strategischen Prioriäten Cloud, Lösungsgeschäft sowie Software mit Schwerpunkt auf Unternehmen, Handel und Öffentliche Hände schärfen und stärker in Innovationen investieren, um sich besser vom Wettbewerb zu differenzieren.

"Wir wollen die Performance konzernweit verbessern", erklärte CEO Léo Apotheker. "HP unternimmt große und einschneidende Schritte, um sich als führender Anbieter für die entstehende Informations-Ökonomie aufzustellen. Die heutigen Ankündigungen werden uns in die Lage versetzen, durch Fokus auf weniger Fronten nachhaltig Shareholder Value zu schaffen und unsere Geschäfte besser zu führen, in Innovation zu investieren und einen Business-Mix mit höheren Margen zu erreichen."

HP Cloud Index 2011
Cloud Computing fasst langsam Fuß. Zu diesem Ergebnis kommt der "HP Cloud Index", der von HP Deutschland und techconsult erstellt wurde.
HP Cloud Index 2011
Cloud Computing hat sich im deutschen Mittelstand bisher nur schwach etabliert und hinkt den Anbietererwartungen hinterher - der Einsatzgrad wird in den nächsten sechs Monaten jedoch um rund 40 Prozent ansteigen.
HP Cloud Index 2011
Obwohl Cloud Computing dem Großteil der Teilnehmer ein Begriff ist, haben sich 46 Prozent der befragten mittelständischen Unternehmen mit diesem IT-Modell noch nicht auseinandergesetzt. 20 Prozent der interviewten Firmen gaben an, sich oberflächlich mit Cloud Computing beschäftigt zu haben und planen kurz- oder mittelfristig die Nutzung derartiger Bezugsmodelle.
HP Cloud Index 2011
Cloud-Leistungen, so ergab die Befragung, wurden in den vergangenen drei Monaten zu über 40 Prozent in einem Private-Cloud-Modell bezogen beziehungsweise IT-Leistungen in Private-Cloud-Umgebungen überführt. Für die Zukunft tendieren allerdings viele Cloud-Nutzer zu einer hybriden Form.
HP Cloud Index 2011
Die befragten Unternehmen nutzen derzeit vor allem Software im Cloud-Modell (Software as a Service). Den Umfrageergebnissen zufolge wird sich SaaS auch weiterhin stark entwickeln. Obgleich auch hier Private-Cloud-Modelle bevorzugt werden, wecken Public-Cloud-Angebote zumindest Interesse. Von Nachteil ist jedoch, dass im Public-Cloud-Sektor SaaS-Verträge oft nicht flexibel gestaltbar sind. In der Regel laufen sie wie im klassischen Lizenzgeschäft über einen fest definierten Zeitraum.

Die Rückbesinnung aufs Enterprise kommt spät, aber beinahe zwangsläufig: Das mehrheitlich in den Sparten Personal Systems Group (PSG) und Imaging and Printing Group (IPG) versammelte Consumer-Business ging im dritten Quartal gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 15 Prozent zurück. Innerhalb der PSG waren die Einnahmen um drei Prozent rückläufig, die operative Marge lag immerhin noch bei 5,9 Prozent. Das PC-Geschäft mit Firmenkunden legte um neun Prozent zu - aber die Consumer-Erlöse fielen hier um 17 Prozent.

PC-Sparte auf dem Prüfstand

Dass das volatile und margenarme PC-Geschäft sich für nicht darauf spezialisierte Anbieter kaum rechnet, hatte IBM bereits vor sechs Jahren erkannt und seine PC-Sparte deswegen an den chinesischen PC-Bauer Lenovo abgegeben. Seither mehren sich die Zeichen, dass der PC an Bedeutung verliert - am deutlichsten ausgesprochen vom visionären Apple-Chef Steve Jobs, der bereits die "Post-PC-Ära" ausgerufen hat. Er meinte damit sehr wohl auch die eigenen Macintosh-Rechner. Das Computing findet zunehmend auf Smartphones und Tablets statt, die ihre Daten von Cloud-Diensten erhalten.

HP stellt nun seine PSG auf den Prüfstand und will das PC-Geschäft ganz oder teilweise ausgründen oder verkaufen, falls sich dafür ein Käufer finden sollte. Im letzten Geschäftsjahr war die Personal Systems Group gut für 40,74 Milliarden Dollar Umsatz oder rund ein Drittel der Gesamteinnahmen des Konzerns. HP lieferte 2010 mehr als 64 Millionen Rechner aus, laut IDC sind das etwa 18,5 Prozent des gesamten Weltmarkts.

Allerdings wächst der PC-Markt weltweit nur noch minimal. IDC nennt für das zweite Quartal eine Steigerung um 2,6 Prozent. In Westeuropa gab es laut Gartner sogar einen deutlichen Rückgang. Der scharfe Wettbewerb am Markt drückt auf die Preise und Margen. Als Daumenregel gilt, dass Hersteller wie HP mit PCs auf eine Gewinnmarge von zwei bis sechs Prozent kommen können. Bei Apple mit seiner Premium-Hardware schätzen Analysten die Marge allerdings auf irgendwo in der Mitte zwischen zehn und 20 Prozent.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich Verbraucher inzwischen eher für Geräte wie das iPhone und das iPad erwärmen als für Notebooks, die zuletzt das PC-Business getrieben hatten. Die portablen Geräte reichen für das aus, was die meisten Endkunden tun - im Web surfen und einfache Spiele spielen. Aber auch im Business taugen sie durchaus für Präsentationen und dergleichen. Im Conference Call zu seinen letzten Quartalszahlen hatte Apple erklärt, 91 Prozent der Fortune-500-Konzerne hätten das iPhone im Einsatz oder getestet; beim iPad-Tablet liege der Prozentsatz bereits bei 86 Prozent.

Dieser Entwicklung zollt nun offenbar auch HP Tribut. "HP ist der größte PC-Verkäufer weltweit. Aber sie sind zu dem Schluss gekommen, dass das rückwärtsgewandt ist und sie nach vorn schauen müssen", erklärte der frühere Microsoft-Manager und jetzt Venture Capitalist Brad Silverberg gegenüber dem "Wall Street Journal". Die Ankündigung von Hewlett-Packard sei "eine Plattenverschiebung" und ein weiterer Hinweis auf eine Post-PC-Welt.

Dabei hat sich HP zuletzt, etwa im Wettbewerb mit Dell, wahrlich gut geschlagen. Aus Sicht des früheren Apple- und HP-Managers Jean-Louis Gassée, inzwischen wie Silverberg im Wagniskapitalgeschäft, ändert das aber nichts an dem grundlegenden Problem, dass man mit PCs kaum Geld verdienen kann. "Das ist strukturell, nicht schlechtes Management", sagt Gassée. "Ein kompetenter Manager könnte ein oder zwei Punkte Profit-Marge mehr herausholen, aber deswegen ist das trotzdem kein Business. Das ist Commodity."

Dass man auch mit PC-Hardware sehr ordentliche Gewinne einfahren kann, hat zuletzt immer wieder Apple - inzwischen vor ExxonMobil die Firma mit der höchsten Marktkapitalisierung - unter Beweis gestellt - im zuletzt abgeschlossenen Quartal waren es 7,3 Milliarden Dollar bei 28,57 Milliarden Dollar Umsatz aus unter anderem Rekordverkäufen von iPhones, iPads und Macs. Apple mit seiner "Closed Loop" kontrolliert allerdings seine Hardware und die Software dafür und hat vor allem ein Ökosystem aus Zusatzdiensten wie dem iTunes-Store aufgebaut, über den es Musik, Filme und Programme verkauft. "So gut und sexy ihre Hardware auch ist, sie benutzen sie oft als Vehikel, um Umsatz für ihre Services zu generieren", erläutert Gartner-Analyst Mark Margevicius. "Das öffnet die Tür für mehr Geschäft und erzeugt kontinuierliche Umsatzströme."

WebOS ist abgeschrieben

Und mit genau dieser Verzahnung von Hardware, Software und Services haben auch Apples Wettbewerber bei den mobilen Devices zu kämpfen, denen allesamt ein vergleichbar komplettes Ökosystem fehlt. HP unternahm einen der scheinbar ambitioniertesten Versuche, gegen iPhone und iPad anzutreten, als es im vergangenen Jahr 1,2 Milliarden Dollar für Palm hinblätterte und dann Smartphones und das "Touchpad"-Tablet mit dem anerkannt guten mobilen Betriebssystem webOS herausbrachte.

Doch eine noch so gute mobile Plattform ist ohne ausreichend App-Entwickler und flankierende Inhalte einfach nichts wert. Das hat HP offenbar auch einsehen müssen. Es baut ab sofort keine Touchpads und webOS-Telefone mehr und schreibt dafür in den kommenden Monaten mindestens eine Milliarde Dollar ab - vermutlich werden es noch hunderte Millionen Dollar mehr angesichts von etwa gut 250.000 Tablets, die dem Vernehmen nach noch bei der US-Handelskette Best Buy herumliegen.

Zumindest bei Hewlett-Packard hat webOS wohl keine Zukunft mehr. Es ist aber natürlich denkbar, dass HP das Betriebssystem an andere Hersteller lizensiert oder verkauft. Eine gute Gelegenheit dazu hat das Management allerdings in dieser Woche bereits verpasst, nachdem die Übernahme von Motorola Mobility durch Google vermutlich andere Android-ODMs wie HTC oder Samsung ordentlich verunsichert hatte.

Bösartig könnte man auch unterstellen, dass HPs PSG-Chef Todd Bradley mit der Übernahme bloß seine alten Freunde bei Palm retten wollte. Dort war er CEO, bevor er nach Palo Alto wechselte. Ob Bradley bei Hewlett-Packard noch eine Zukunft hat, ist ohnehin fraglich - in den gestrigen Pressemitteilungen wurde der Topmanager des Konzerns mit keiner Silbe erwähnt.

Noch einmal zurück zu den Quartalszahlen von HP: Auch bei der IPG ging der Umsatz zurück, wenn auch nur um ein Prozent. Die operative Marge im Druckergeschäft ist allerdings mit 14,7 Prozent weiterhin sehr gesund, weil dort das Gilette-Prinzip mit teuren Verbrauchsmaterialien weiterhin gut funktioniert. Daher war auch nicht zu erwarten, dass HP diese Sparte auf den strategische Prüfstand stellen würde.

Aus Konzernsicht erfreulich entwickelten sich das Servicegeschäft mit vier Prozent Umsatzwachstum bei 13,5 Prozent operativer Marge (HP ernannte hier einen neuen Spartenchef; John Visentin kommt von der IBM und berichtet direkt an den CEO Apotheker) und die Verkäufe der Unternehmenshardware der Sparte ESSG (Enterprise Servers, Storage and Networking) mit sieben Prozent höheren Einnahmen bei 13 Prozent operativer Marge. Ein Schwachpunkt der ESSG sind allerdings die "Business Critical Systems", sprich die Itanium-UNIX-Server mit neun Prozent weniger Umsatz.

Klarer Gewinner im Spartenvergleich ist (neben Financial Services) HP Software mit 20 Prozent Wachstum year-over-year und 19,4 Prozent operativer Marge. Dabei legten die Erlöse mit Lizenzen und Services sogar um 29 respektive 30 Prozent zu.

Verstärkung im Softwarebereich

Angesichts dessen ist es nur allzu verständlich, dass HP - im Softwarebereich aus Sicht von Branchenbeoachtern bislang eher schwach auf der Brust - sich mit der Übernahme von Autonomy verstärken will. Hewlett-Packard bietet über seine Tochter HP SPV den Aktionären des größten britischen Softwareherstellers 25,50 Pfund Sterling für jede Aktie oder umgerechnet 42,11 Dollar in bar. Die Offerte hat damit einen Gesamtwert von 10,25 Milliarden Dollar - das dürfte rund das Zehnfache des Jahresumsatzes von Autonomy für 2011 sein. Vor Ankündigung des Deals betrug die Marktkapitalisierung von Autonomy 6,3 Milliarden Dollar.

Autonomy wurde 1996 von Mike Lynch als Spin-off der University of Cambridge gegründet. Lynch, mittlerweile 46, steht seither an der Spitze der Firma und hält selbst noch rund acht Prozent der Anteile. Seine Firma hat historisch betrachtet eine ziemliche Achterbahnfahrt hinter sich - während des ersten Dotcom-Booms wurde Lynch noch als der "britische Bill Gates" gefeiert, nach dem Platzen der ersten Internet-Blase büßten die Autonomy-Aktien aber 90 Prozent ihres Wertes ein. Inzwischen läuft das Geschäft aber wieder rund - 2010 stiegen die Einnahmen um 18 Prozent auf umgerechnet 870 Millionen Dollar, für dieses Jahr ist die Umsatzmilliarde angepeilt.

Die "IDOL"-Software von Autonomy durchforstet unstrukturierte Daten wie Emails, Instant Messages, Aufzeichnungen von Telefonaten, Fotos oder Videos nach Mustern lukrativer oder auch krimineller Aktivität. Sie wird daher sowohl von Unternehmen im Bereich Business Analytics als auch von Geheimdiensten zum Durchforsten abgehörter Kommunikation eingesetzt. HP hat bereits einige Zukäufe im Analytics-Bereich getätigt; Autonomy hat sich in der Vergangenheit ebenfalls verstärkt, um sein Portfolio zu verbreitern - im Mai dieses Jahres hatten die Briten beispielsweise das digitale Archivierungsgeschäft von Iron Mountain für 380 Millionen Dollar übernommen.

"Zusammen mit Autonomy wollen wir die Art und Weise neu erfinden, wie sowohl unstrukturierte als auch strukturierte Daten verarbeitet, analysiert, otpimiert, automatisiert und geschützt werden", erklärte HP-Chef Apotheker. "Autonomy hat ein attraktives Geschäftsmodell mit unter anderem einem starken Angebot an Cloud-basierenden Lösungen, das zu unseren Anstrengungen passt, unseren Portfolio-Mix zu verbessern."

Falls die Akquisition wie geplant durchgeht, soll Autonomy weiterhin eigenständig agieren. Lynch bliebe Chef und würde an Apotheker berichten. Die Verwaltungsräte beider Firmen haben den Deal einstimmig durchgewinkt; das Board von Autonomy empfiehlt den Aktionären ebenfalls einstimmig, das Angebot von HP zu akzeptieren.

"Das ist bemerkenswert nicht allein wegen der Summe, die HP hier ausgibt", sagt Elizabeth Hedstrom Henlin, Analystin bei Technology Business Research. "Aus meiner Sicht ist das ein echter Beweis für das Vertrauen des HP-Verwaltungsrats in Léo Apotheker und seine Vision."

Matt Rosoff beim "Silicon Alley Insider" übt allerdings harsche Kritik am früheren SAP-Chef. Apotheker habe die Kontrolle über HP vollkommen verloren, schreibt Rosoff - nicht wegen der wahrscheinlich für die Zukunft des Konzerns sehr wohl richtigen strategischen Entscheidungen, sondern wegen der Informationslecks im Unternehmen und der unklaren Kommunikation der neuen Strategie. HP wirke "steuerlos und panisch". Und so ähnlich kamen die Meldungen aus Palo Alto ja offenbar auch bei den Anlegern an - die Aktie des Konzerns verlor im Laufe des Handelstages sechs und nachbörslich noch einmal zehn Prozent, deutlich mehr als der ebenfalls gebeutelte Gesamtmarkt.