Komplexität unterschätzt

Hartmann AG rollt Next Generation Workplace aus

30.11.2015 von Christiane Pütter
Bei dem Gesundheitskonzern läuft der weltweite Rollout von Office 365 als Workplace. Stefan Eder, Director of Infrastructure Services, zieht eine Zwischenbilanz.
  • Im Februar 2014 startete der Rollout, Ende 2016 soll er abgeschlossen sein. "Es läuft gut. Aber wir haben die Komplexität unterschätzt“, sagt Stefan Eder
  • Zwar sind die Server weg, doch bei der Cloud liegen die Herausforderungen in den Prozessen drumherum
  • Die IT-Teams mussten plötzlich "ziemlich nah" zusammenarbeiten, über Abteilungsgrenzen hinweg entstanden virtuelle Teams
  • Lync und OneNote haben sich zu neuen Produktivitätstools entwickelt, Mitarbeiter fragen jetzt von selbst nach diesen Collaboration-Tools
Der Medizinhersteller Paul Hartmann AG verarztet sämtliche 6000 Endanwender mit neuen Workplaces. Zu größeren Unfällen kam es bisher nicht.
Foto: Paul Hartmann AG

Von der modernen Wundbehandlung bis zum kundenspezifischen OP-Komplettset versorgt die Paul Hartmann AG auf der schwäbischen Alb die Welt mit Systemlösungen für Medizin und Pflege. Das Unternehmen, 1867 gegründet, beschäftigt heute mehr als 10.000 Mitarbeiter in 32 Ländern, darunter in Hong Kong/China, den Arabischen Emiraten und Südafrika. 2011 entstand in Heidenheim der Plan, den IT-Workplace weltweit neu auszurichten. Das SAP-System beispielsweise funktionierte zentral. Ganz anders die Workplaces: Hier pflegte jedes Land seine eigene Lösung. Um Services und Anwendungen zentral bereitstellen zu können, entschied man sich zum Rollout von Microsoft Office 365.

Office 365, Sharepoint sowie System Center und Skype for Business

Im Herbst 2015 zieht Stefan Eder, Director of Infrastructure Services, im Gespräch mit cio.de ein erstes Zwischenfazit: "Es läuft gut. Aber wir haben die Komplexität unterschätzt." Im Februar 2014 startete der Rollout mit 50 Pilot-Nutzern in Heidenheim. Das Jahr 2016 wird man wohl noch brauchen, bis das Projekt abgeschlossen ist. Das Besondere dabei: der ganze Konzern wird den ganzen Stack einführen. Im Einzelnen geht es um folgende Produkte: Microsoft Office 365 Professional Plus, Exchange Online, Sharepoint Online sowie System Center 2012 R2 und Skype for Business 2013.

"Es läuft gut. Aber wir haben die Komplexität unterschätzt", sagt Stefan Eder, Director of Infrastructure Services bei der Paul Hartmann AG.
Foto: Paul Hartmann AG

"Mal weltweit alle Workplaces austauschen, so etwas hatte vorher keiner von uns gemacht", erinnert sich der Infrastructure Services-Chef. Nach einigen pragmatischen Selbstversuchen - wie setzt man so ein Projekt überhaupt auf? - holte sich Eder Unterstützung von der Beraterfirma Lexta aus Berlin dazu. Denn vor dem Wechsel in die Cloud musste die IT erst einmal cloud-ready gemacht werden.

Das große "Aber" bei Cloud sind die Prozesse

Die größte Herausforderung formuliert Eder so: "Die Cloud kommt eben nicht aus der Steckdose." Zwar seien die Server weg, aber auch die Cloud müsse betrieben werden. Eder zeigt sich von Microsofts Produkten überzeugt. Das große "Aber" liegt in den Prozessen drumherum.

Bei Hartmann hieß das konkret, dass die verschiedenen IT-Teams auf einmal "ziemlich nah" zusammenarbeiten mussten. Über Abteilungsgrenzen hinweg entstanden virtuelle Teams. "Zum Beispiel ADFS (Active Directory Federation Services)", erklärt Eder. "Hier befindet sich ja der Knoten zwischen Cloud und Active Directory. Das hat auch mit Zertifikaten zu tun, also braucht man dann auch die Sicherheitsspezialisten. Wenn es dann einen Incident gibt - wer ist dann eigentlich der Prozess-Owner?" Die Umstellung von dezentraler auf zentrale IT bezeichnet er als großen Change.

Mit dem Wort Scrum kann niemand was anfangen

Dabei interessieren Eder neudeutsche Buzzwörter wie Agile wenig. "Wir sind nicht hingegangen und haben gesagt, wir machen jetzt Scrum", berichtet er, "damit können die Leute nichts anfangen." Faktisch hat das Unternehmen genau das aber umgesetzt: Die beteiligten Mitarbeiter wurden aus ihren bisherigen Teams herausgezogen und physisch in einen anderen Raum gesetzt. Man hat mit Sprints gearbeitet und vor allem mit Prototypen. Das lief frei nach dem Motto "Zu diesem Zeitpunkt sollte der erste Prototyp live gehen, zu jenem der Zweite" und so weiter.

Eder spricht mit Blick auf die erreichte Cloud-Readyness heute von einem Quantensprung. 2013 hat Hartmann IBM Notes durch Microsoft Exchange Online ersetzt. Gleichzeitig migrierte das Unternehmen in Heidenheim 200 User von der klassischen Telefonanlage zu einer hybriden UC-Lösung auf Basis von Microsoft Lync 2013. Aus dem Active Directory Forest der jeweiligen Länder-Domänen entstand eine einheitliche Domänen-Struktur. "Wir brauchen alle User in einer Domäne, denn wir hatten ja vorher keine Möglichkeit, Software weltweit zu verteilen", sagt Eder. Ein Identity-Management war für SAP bereits vorhanden und wird jetzt für die Microsoft-Welt mitgenutzt. Durch den Einsatz von System Center Configuration Manager R2 zentralisiert Hartmann das Client-Management.

Lync und OneNote sind die neuen Produktivitätstools

"Lync und OneNote sind jetzt Produktivitätstools geworden, wie wir uns das vorher gar nicht vorgestellt haben", beobachtet Eder, "die Mitarbeiter kommen von selbst und fragen, ob sie nicht mehr Sharing machen können." OneDrive war als Ablösung der Homeshares von Anfang an mit im Paket, die Nutzer verfügen über keine Homelaufwerke mehr.

Eders Blick nach vorne richtet sich jetzt auf Sharepoint und ein geplantes neues Intranet im Dezember. Das wird der nächste große Sprung, ist er überzeugt. "Wir haben lang an der Konzeption von Sharepoint gearbeitet und rollen das jetzt aus, etwa 200 Seiten sind bereits live."

6000 Nutzer an 32 Standorten

Ein Blick auf die Roadmap zeigt, dass derzeit rund 3100 User an 16 Standorten migriert sind, insgesamt geht es um 6000 Nutzer an 32 Standorten. Die Hälfte ist also geschafft. Eder bezeichnet den Wechsel auf Office 365 als "reibungslos". Hier kommt der Unternehmens-IT die private IT-Nutzung zugute, glaubt er. Auch die älteren Mitarbeiter hätten zu Hause ihren Account bei Amazon oder bei Web.de und wüssten, dass sich eine Benutzeroberfläche eben mal ändert.

Natürlich verspricht sich das schwäbische Unternehmen Kostenvorteile von der Umstellung. Die zu beziffern, ist zum jetzigen Zeitpunkt aber noch zu früh, sagt Eder. Der Business Case verfolge einen anderen Ansatz: Vor allem die Modernisierung der Workplaces gemäß "State of the Art" stand im Vordergrund. Klar ist, dass mit dem Wechsel in die Cloud weltweit lokale Infrastruktur eingespart wird, ebenso Administration und damit Personalkosten.

"WhatsApp ist verboten"

Den großen Vorteil erwartet Eder in puncto Geschwindigkeit beim Rollout neuer Lösungen. Ein weiterer Aspekt ist die leichtere Integration mobiler Endgeräte. Die meisten Angestellten arbeiten mit dem iPhone, einige mit dem iPad. Seit rund einem Jahr gibt es das WindowsPhone - und noch immer einige alte Blackberrys. Die Geräte gehören dem Unternehmen und werden auch so gehandhabt, also samt Mobile Device Management-Lösung und Policies. "WhatsApp ist verboten", stellt Eder klar. Hartmann lässt die Mitarbeiter unterschreiben, dass sie über die Nutzungsrichtlinien aufgeklärt wurden.

Wunder Punkt Datenschutz und Sicherheit in der Cloud

Ein weiterer wunder Punkt kreist um Sicherheit und Datenschutz in der Cloud. "Hier gibt es eine Gefühlslage und eine rechtliche Lage", stellt Eder fest. Nach eingehender Prüfung der Verträge durch externe Spezialisten wurden diese für gültig befunden. Hartmann ordnet seine Daten in vier Klassen ein, Informationen aus der höchsten Klasse - etwa Patientendaten - dürfen nicht in Office 365-Diensten gespeichert werden. Mitarbeiter dürfen diese daher auch nicht per Mail versenden.

Die Entscheidung für Microsoft fiel bei der Paul Hartmann AG schnell. Als mögliche Alternative galt lediglich IBM. An die Vollständigkeit der Microsoft-Lösung reichte aber dessen Angebot nicht heran. "IBM hat jetzt mit einer Plattformlösung nachgezogen", erkennt aber Matthias Seidl von Hartmanns externer Beraterfirma Lexta an.

Im Rückblick würde Eder nicht viel ändern wollen. "Ich würd's gern schneller machen", schmunzelt er, "aber dafür müsste man natürlich auch mehr Geld in die Hand nehmen."

Hartmann AG | Projekt: Workplace Office 365

Branche

Gesundheit

Zeitrahmen

2013-2016

Mitarbeiter

20

Aufwand

Migration von bis zu 80 Usern pro Tag

Produkte

Office 365, Dell One Identity Manager, System Center Configuration Manager 2012 R2

Dienstleister

InfoWan, Cellent, Beck et al, Lexta

Einsatzort

weltweit, 6000 Anwender

Internet

www.hartmann.info