Almatis setzt auf SAP APO

Handarbeit mit IT-Unterstützung

14.06.2010
Almatis setzt in der Fertigung konsequent auf Kanban-Methoden und Handarbeit. Ganz auf technische Unterstützung kann der Frankfurter Tonerdeproduzent in der Materialverfügbarkeit dennoch nicht verzichten. Henning Stams, CIO und VP Demand Management bei Almatis, erläutert im Interview, warum.
Henning Stams, CIO bei Almatis
Foto: Almatis


Der gesamte Produktionsablauf wird von Ihren Fabrikarbeitern über Kanban-Karten manuell gesteuert. Warum benötigen Sie dennoch Hilfe durch die IT?

Stams: Grundsätzlich ist es bei uns so, dass unser SAP-System nichts von der Produktion weiß, weil unsere Mitarbeiter sämtliche Abläufe und Reports über Kanban-Karten kontrollieren.

Für uns ist das eine philosophische Entscheidung, den einzelnen Fabrikarbeiter zum steuernden Bestandteil des Systems zu machen. Wir möchten, dass jeder Arbeiter in der Fertigung in der Lage ist zu erkennen, dass das System von ihm gesteuert wird.

Die Arbeiter bewegen dabei Kanban-Karten per Hand und mit Signalen wie "Fülle das Lager wieder auf" oder "hier kommt Kundenauftrag xy". Die Karten laufen durch das Werk, jeder Mitarbeiter kann sie anfassen, und er weiß: Niemand außer mir steuert in diesem Moment diese Fertigung. Damit sorgen wir dafür, dass sich die Arbeiter nicht zurücklehnen und auf ein anonymes System verlassen oder es gar fürchten. Stattdessen kümmern sie sich aktiv und verantwortlich um die Produktionsprozesse.

Im Prinzip funktioniert diese Produktionsweise zu unserer vollen Zufriedenheit. Aber es gibt einzelne Bereiche im Backoffice, die sich nicht allein manuell steuern lassen. Und hier setzen wir auf SAP.

Überbuchungen trotz ausgelasteter Kapazitäten

Sie setzen SAP APO ein, um weltweit die Materialverfügbarkeit zu prüfen.

Stams: Im Sommer 2008, als wir mit der Einführung von SAP APO begannen, hatten wir auf der einen Seite volle Auftragsbücher und ausgelastete Produktionskapazitäten.

In genau dieser Situation entstanden aber auch permanente Überbuchungen. Die zeitaufwändige Verfügbarkeitsprüfung war ein Problem, weil wir bis dahin Kapazitäten und Kontingente weltweit bis auf Komponentenebene auf der Basis von Excel geprüft haben. Diese wenig exakten Näherungswerte haben aber eine genaue Ermittlung der Materialverfügbarkeit verhindert. Die Folge waren Terminverzögerungen und eine unbefriedigende Liefertreue. Und das, obwohl wir keinerlei Produktionsprobleme hatten.

Unser Ziel mit der Einführung von SAP APO war ein echtes Order Management mit integriertem "Order Promising". Wir wollten damit die Zusage der Verfügbarkeit von Materialien gegenüber den Kunden zuverlässig wahrnehmen, obwohl wir, wie schon erwähnt, die Produktion nicht im System integriert haben. Wir wollten genau wissen, was weltweit wann produziert wird, welche Kapazitäten vorhanden sind und wann welche Materialien verfügbar sind.

Um dieses Ziel zu erreichen, haben wir uns für die Implementierung von SAP Advanced Planning & Optimization (SAP APO) entschieden, einer Komponente von SAP Supply Chain Management.

CW: Hat die Tatsache, dass Ihr Unternehmen schon SAP im Einsatz hat, die Entscheidung beeinflusst?

Stams: Almatis ist als eigenständiges Unternehmen erst im März 2004 entstanden. Vorher waren wir eine Sparte von Alcoa, wo Oracle und das Produktionssteuerungssystem GEMMS eingesetzt wurde. Damals gab es überhaupt kein SAP im Unternehmen, sondern erst, seitdem wir eigenständig existieren. Damals haben wir SAP in neun Monaten weltweit eingeführt, um auf dieser Basis und außerhalb der Produktion unser Tagesgeschäft reibungslos erledigen zu können. In diesem ersten Projekt haben wir aber noch nicht den gesamten Funktionsumfang abbilden können, wie sich am Beispiel unseres Order Acceptance Tools auf Excel-Basis zeigt.

"SAP war eine logische, keine zwingende Konsequenz"

Dass wir nun bei der Materialverfügbarkeitsprüfung auf SAP setzen, war aber nur eine logische, keine zwingende Konsequenz. Wir haben uns unter anderem deshalb für SAP entschieden, weil wir es wichtig finden, möglichst wenige und möglichst hoch integrierte Systeme zu haben.

Sie haben eben die Philosophie Ihrer Kanban-orientierten Produktionsweise erläutert. Nun setzen Sie an einzelnen Punkten dennoch auf IT-Unterstützung. Wie wichtig war es, die Mitarbeiter in diesen Prozess einzubeziehen?

Stams: Das Change Management war extrem wichtig, weil ein solches System nur dann funktioniert, wenn es von den Mitarbeitern getragen wird. Wenn man diese Einbeziehung nicht schafft, kann man jedes noch so gute System einführen und wird dennoch scheitern.

Wir sind bei der Einführung überall vor Ort gewesen und haben sorgfältig durchgespielt, wie der Prozess vor der Einführung lief und wie er künftig ablaufen soll. Wir haben intensiv über die Frage diskutiert, was sich für jeden einzelnen Mitarbeiter in der Kultur oder im Wertesystem ändert, damit wir das entsprechend begleiten können.

Bei der Einführung von SAP APO haben wir mit externen Dienstleistern gearbeitet, aber das Change Management - auch das ein Indiz dafür, wie wichtig uns dieses Thema war - haben wir selbst organisiert.

Im Ergebnis haben wir nun beides nebeneinander: im Backoffice das IT-gestützte Order Management auf SAP-Basis und in der Produktion nach wie vor das Kanban-Prinzip und die Karten.