Mit den Aufgaben wachsen

Führen wird zum Drahtseilakt

15.12.2009 von Ingrid  Weidner
Krisenzeiten fordern Führungskräfte besonders. Wer sich mit einfachen Lösungen durchmogeln möchte, stößt schnell an seine Grenzen.

Niemand mag das Wort aussprechen, keiner sehnt sich danach; doch Wirtschaftskrisen scheren sich herzlich wenig um solche Befindlichkeiten. Die Turbulenzen an den Finanzmärkten wirkten auch in der IT-Branche wie ein kleiner Wirbelwind. Kurzarbeitsregelungen verhinderten größere Entlassungswellen; doch Spuren haben die Veränderungen trotzdem hinterlassen.

In der Krise zeigt sich, ob Führungskräfte ihrer Aufgabe gewachsen sind. "Schönwetterkapitäne haben es leicht, wenn es gut läuft. In schwierigen Zeiten kommen sie schneller ins Schleudern. Wer sich als Mr. Perfect präsentiert, begibt sich auf gefährliches Terrain", sagt Dieter Loewe, Head of Banking von Cirquent in Frankfurt am Main. Mitarbeiter beobachten ihre Chefs besonders genau, wenn ein eisiger Wind weht.

Mitarbeiter wollen wissen, was los ist

Vor allem möchten die Angestellten wissen, wie es um das Unternehmen steht. Loewe empfiehlt, offen und regelmäßig mit den Kollegen zu sprechen und sie über die aktuellen Entwicklungen zu informieren. Im Unternehmenssektor des 42-Jährigen arbeiten rund 300 Berater und IT-Spezialisten: "Wir haben im Januar 2009 ein Veränderungsprogramm initiiert, das die zukünftige Ausrichtung des Unternehmens festlegt. In diesen Prozess haben wir die Mitarbeiter eng eingebunden."

Dieter Loewe, Cirquent: 'Wir haben die Mitarbeiter ins Veränderungsprogramm stark eingebunden.'
Foto: Cirquent

Dass sich das Beratungsgeschäft verändert, spürt die Cirquent-Mannschaft sowieso in ihrem Alltag. "Wenn Kunden für gleiche Leistungen niedrigere Preise fordern, weniger Aufträge an Externe vergeben oder bestimmte Skills offshore einkaufen, dann ist allen klar, dass sich etwas ändern muss", meint Loewe. Schnell verwandeln sich dann die Probleme des Arbeitgebers in persönliche Sorgen der Mitarbeiter, Angst um die eigene berufliche Zukunft macht sich breit. Betriebsbedingte Kündigungen hat Cirquent konsequent ausgeschlossen. "Unserem japanischen Gesellschafter NTT Data Group sind zufriedene Kunden und Mitarbeiter wichtig", so der Cirquent-Mann.

Chefs
1. Behandeln Sie Ihre Mitarbeiter ...
... freundlich - unabhängig von der Tagesform.
2. Respektieren Sie Ihre Mitarbeiter ...
... als Menschen mit eigenen Zielen und Wünschen, die Beruf und Privatleben in Einklang bringen müssen.
3. Kontrollieren Sie nur da, wo Kontrolle nötig ist.
Lassen Sie Verantwortung und Kompetenz beim Mitarbeiter.
4. "Deckeln" Sie Ihre Mitarbeiter nicht!
Seien Sie offen für konstruktive Kritik und schaffen Sie ein Forum für den fairen Meinungsaustausch.
5. Lassen Sie Ihre Mitarbeiter wissen, woran sie sind.
Informieren Sie offen über die Lage des Unternehmens und im Einzelgespräch auch, wie Sie die Leistung des Einzelnen einschätzen.
6. Ein guter Chef ist ein gerechter Chef.
Verteilen Sie Aufgaben, Lob und Kritik gemäß nachvollziehbarer Maßstäbe.
7. Führen Sie Protokoll ...
... über Ihre Entscheidungen und Arbeitsaufträge. Nur konsistente Entscheidungen schaffen eine gute Grundlage für die Zusammenarbeit.
8. Stören Sie Ihre Mitarbeiter nicht!
Sie haben Ihre Mitarbeiter ausgewählt, weil diese Experten für ihren jeweiligen Aufgabenbereich sind. Lassen Sie die Experten ihre Arbeit tun und beschränken Sie sich auf Unterstützung und Beratung.
9. Sorgen Sie für eine angstfreie Atmosphäre, . . .
... in der die Mitarbeiter Fehler und Probleme eingestehen können, ohne Angst vor Strafe zu haben.
10. Bleiben Sie menschlich!
Wer als Chef die Größe hat, einen beruflichen Fehler zuzugeben, wächst in der Achtung der Mitarbeiter und ist zugleich Vorbild.

Chefs brauchen Bodenhaftung

Führungskräfte sind in solchen Situationen besonders gefordert. "Wer als Chef für etwas steht, Bodenhaftung hat und authentisch ist, wirkt überzeugender als eine so genannte Leuchtfigur. Die Mitarbeiter spüren meistens genau, ob jemand seine Aufgabe ernst nimmt", erklärt Konrad Stadler, Partner der Münchner Beratung für Unternehmenskultur Stadler/Heinle/Schott. Mit seinen Kollegen begleitet Stadler Firmen aus allen Branchen in Veränderungsprozessen und analysiert Unternehmens- und Führungskultur. Der Berater misst gelebten Werten und einer Vorbildfunktion von Firmenlenkern eine große Bedeutung bei. In mittelständischen Firmen und Familienunternehmen sieht er den werteorientierten Führungsstil am besten umgesetzt.

Konrad Stadler, Management-Berater: 'Die Mitarbeiter spüren sehr genau, ob Führungskräfte ihre Aufgaben ernst nehmen.'

Doch was heißt das konkret? Das Softwarehaus Method Park in Erlangen beschäftigte 2008 noch 125 Mitarbeiter. Anfang 2009 war klar, dass die Wirtschaftskrise nicht spurlos am Unternehmen vorüberziehen würde. Authentisch sein und mit gutem Beispiel vorangehen, nennt Bernd Hindel, Vorstandsvorsitzender von Method Park, als wichtige Tugenden auch in schwierigen Zeiten. Das hieß zu Beginn des Jahres, die Mitarbeiter schnell und umfassend darüber zu informieren, wie sich die veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auf das Softwarehaus auswirken.

Eine nette Tradition aus den Anfangszeiten des Unternehmens, nämlich das so genannte Pizza-Meeting, einen informellen wöchentlichen Besprechungstermin, nutzte das Unternehmen jetzt, um regelmäßig die aktuelle Situation zu besprechen. Jeder Mitarbeiter konnte sich zu Wort melden, Fragen stellen oder ein Thema auf die Agenda setzen. Anders als sonst wurden diese Besprechungen per Video aufgezeichnet und im Intranet den Kollegen zur Verfügung gestellt, die an den Meetings nicht selbst teilnehmen konnten. Alle sollten auf dem gleichen Wissensstand sein. Eine weitere Maßnahme stellte den Informationsfluss sicher: Aus den Reihen der Mitarbeiter wurde ein Kollege in die Vorstandssitzungen entsandt, um Informationen aus erster Hand zu erhalten und schnell und umfassend weiterzugeben.

Bernd Hindel, Method Park: 'Im Pizza-Meeting wurden die Mitarbeiter laufend informiert.'
Foto: Universität Erlangen

"Es war sehr wichtig, die Mitarbeiter regelmäßig zu informieren, mehr zu erzählen und Entscheidungen besser zu erklären. Auf diese Weise konnten wir Unsicherheit vermeiden", sagt Hindel. Doch dieses Prozedere verlangte von dem erfahrenen Geschäftsführer, promovierten Informatiker und Professor an der Universität Erlangen-Nürnberg zusätzliches Engagement. "Anfangs habe ich in den Gesprächen Metaphern benutzt, etwa dass die jetzige Situation einer Fahrt auf der Autobahn entspreche und wir auf eine Nebelwand zuführen. Doch die Mitarbeiter haben mich gebeten, ganz klar zu sagen, wie es aussieht, und nichts zu umschreiben."

Hilfe bei der Jobsuche

Für eine deutliche Sprache und transparente Entscheidungswege entschied sich Method Park auch, als es darum ging, betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen. Hindel: "Das waren schwierige Entscheidungen. Wir haben den betroffenen Mitarbeiter bei der Jobsuche geholfen." Aus dem Kreis der verbleibenden Kollegen kam die Idee, zur Unterstützung der Entlassenen einen Sozialfonds einzurichten.

Berater Stadler empfiehlt Führungskräften, die von ihren Mitarbeitern finanzielle Opfer verlangen, diese Maßnahmen genau zu erklären: "Transparenz im Unternehmen zu schaffen ist ganz wichtig. Mitarbeiter denken wirtschaftlich und verstehen die Entscheidung, etwa wenn ihr Gehalt um 15 Prozent und das des Vorstands um 30 Prozent gekürzt wird."

Viele persönliche Gespräche

Die Itemis AG mit Firmensitz in Lünen gab ihren rund 140 Mitarbeitern eine Jobgarantie. Mit Kurzarbeit und Gehaltsverzicht federte das Softwareentwicklungs- und Beratunghaus Auftragsrückgänge ab. "Die Mitarbeiter haben uns schnell Feedback gegeben, dass sie genaue Informationen wollen", berichtet Jens Trompeter, Vorstand für Personal. In vielen persönlichen Gesprächen, Mitarbeiterversammlungen, Podcasts und E-Mails versuchte man, Entscheidungswege möglichst transparent zu gestalten. Selbst auf dem Sommerfest gab es einen Lagebericht des Vorstands.

Für Stadler wirkt die momentane Wirtschaftskrise nur als Beschleuniger von Veränderungen, die sich in vielen Organisationen sowieso anbahnen. Erfolgreiche Unternehmen arbeiten weniger bürokratisch, lassen ihren qualifizierten Mitarbeitern mehr Freiraum und fordern mehr Eigenverantwortung. Der Wunsch nach umfassenden Informationen zeigt auch, wie sehr sich Mitarbeiter als Mitunternehmer sehen.

Fehler zugeben oder nicht?

Darf eine Führungskraft in schwierigen Zeiten Schwäche zeigen? Hier gehen die Meinungen auseinander. "Unbedingt. Wer souverän ist, sollte auch so mutig sein, eigene Schwächen zuzugeben. Wenn sich ein Chef vor seine Mitarbeiter stellt und Schwächen zugibt, sind diese meistens beeindruckt. Allerdings muss er auch klarmachen, dass er an diesen Defiziten arbeitet", meint Stadler.

Cirquent-Mann Loewe handhabt es ähnlich. "Eine Führungskraft ist authentischer, wenn sie zu einem Fehler steht, anstatt ihn zu vertuschen oder anderen anzulasten. Außerdem ist es für die Arbeit wichtig, seine eigenen Stärken und Schwächen zu kennen." Loewe weiß auch, dass das nicht in allen Unternehmen so praktiziert wird.

Jens Trompeter, Itemis: 'Selbst auf dem Sommerfest gab es einen Lagebericht des Vorstands.'
Foto: itemis

Itemis-Personaler Trompeter meint, dass es durchaus akzeptabel sei, eigene Fehler und Schwächen einzuräumen, doch er empfiehlt, sich auf die persönlichen Stärken zu konzentrieren. Für Bernd Hindel von Method Park gehört zu einem authentischen Führungsstil auf jeden Fall, Emotionen zu zeigen. Allerdings ist er skeptisch, wenn es um Schwächen geht. Gerade in Krisenzeiten erwarten Mitarbeiter seiner Meinung nach entscheidungsstarke Chefs. Unsichere Vorgesetzte setzten dagegen falsche Signale.

So funktioniert eine Unternehmenskultur des Veränderns

Philosophische Nachhilfestunde

Wer wissen möchte, was sich hinter dem Schlagwort Unternehmenskultur verbirgt und weshalb gerade für qualifizierte Wissensarbeiter die Suche nach dem Sinn des Tuns eine so wichtige Rolle spielt, findet Antworten im Buch "Die Kultur des Veränderns" von Konrad Stadler. Praxisbeispiele aus seinem Berateralltag flankieren die philosophischen Gedankengänge und runden den Exkurs in die europäische Geistesgeschichte ab. Wie und ob sich die Anregungen auf den Arbeitsalltag von Führungskräften übertragen lassen, kann jeder Leser selbst entscheiden.

Foto: dtv Verlag

Konrad Stadler: Die Kultur des Veränderns. Führen in Zeiten des Umbruchs. Deutscher Taschenbuchverlag, München 2009, 240 Seiten, 14,90 Euro.